No President - Das Nature Theater of Oklahoma präsentiert bei der Ruhrtriennale ein Handlungsballett in zwei unmoralischen Akten als Kommentar zu Trumps Trash-Amerika
Wider Trump und Stanislawski
Von Sascha Westphal
Gladbeck, 14. September 2018. "In einem amerikanischen Leben gibt es keinen zweiten Akt", heißt es in F. Scott Fitzgeralds letztem, unvollendet gebliebenem Roman "Die Liebe des letzten Tycoons". Der Roman könnte Pate gestanden haben für die neueste Bühnenarbeit des Nature Theater of Oklahoma, "No President". Und der zitierte Satz – einer der berühmtesten des großen Chronisten des Jazz Age – schwingt mit, wenn Robert M. Johansons Erzähler in der Maschinenhalle Zweckel mit deutlichem Nachdruck den "zweiten Akt" ausruft. Fitzgeralds Diktum hat heute, beinahe 80 Jahre später, allem Anschein nach seine Gültigkeit verloren. Den Eindruck legt nicht nur "No President" nahe. Oder anders gefragt: In welchem Akt seines Lebens befindet sich eigentlich Donald Trump? Seit er sich als Reality-TV-Host neu erfunden hat, auf jeden Fall im zweiten.
Sicherheit vor dem roten Vorhang
Aus Fitzgeralds Gatsby und Monroe Sthar, zwei schillernden amerikanischen Antihelden, wie sie nur die Zwischenkriegszeit hervorbringen konnte, wird in Kelly Coppers und Pavol Liškas "aufklärerischem Handlungsballett in zwei unmoralischen Akten" der gescheiterte Schauspieler und fanatische Stanislawski-Anhänger Mikey. In einer Welt, in der es keinen Bedarf mehr an Künstlern gibt, schlägt er sich gemeinsam mit seinem besten Freund und Kollegen Georgie als Sicherheitsmann durch. Beide arbeiten sie für eine Security-Firma, die nur ehemalige Schauspieler beschäftigt. Passend dazu müssen die beiden einen roten Vorhang bewachen, von dem niemand weiß, was sich dahinter verbirgt. Diese an sich schon absurde Situation eskaliert endgültig, als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer rivalisierenden Sicherheitsfirma, die ausschließlich ehemalige Balletttänzerinnen und -tänzer beschäftigt, Mikey und die anderen vor dem Vorhang angreift.
Ein roter Vorhang und ein ziemlich heruntergekommenes Bühnenportal rauben der Maschinenhalle Zweckel ihre überwältigende Tiefe. Bühnenbildner Ansgar Prüwer hat den Performerinnen und Performern nur einen verhältnismäßig schmalen Streifen gelassen. Der Spielraum für die Kunst wird immer enger und enger. Dabei braucht sie Weite und Freiheit, wie das träumerische Pas de Deux beweist, in dem sich der Wahnsinn der Inszenierung, der natürlich auch der Wahnsinn der gegenwärtigen (US-amerikanischen) Wirklichkeit ist, in wundersamer Weise auflöst. Aber zunächst bleibt Coppers und Liškas Ensemble, zu dem neben ihrem langjährigen Wegbegleiter Robert M. Johanson und dem Performer Ilan Bachrach auch Alexej Lochmann vom Düsseldorfer Schauspielhaus, die Tanz-Performerin Tale Dolven sowie die beiden Tänzer Gabel Eiben und Bence Mezei gehören, dieser Proszeniumsstreifen, auf dem sie zu den Klängen von Peter I. Tschaikowskys "Der Nussknacker" ihr albtraumhaft groteskes Handlungsballett vollführen.
Virtueller Echoraum für einen Präsidenten
"No President" verbindet mit Werken wie dem "Nussknacker" allerdings nur sehr wenig. Gelegentlich mischen sich noch Anklänge an klassische Ballettfiguren und -schritte in Coppers und Liškas Choreographie. Doch meist ergehen sich Ilan Bachrach, Bence Mezei, Tale Dolven und die anderen in ausladenden Gesten und überzogenen Grimassen, wie sie einst typisch für den Stummfilm und später dann für die flamboyanten Avantgarde-Filme eines Jack Smith waren. Dessen letzter unvollendeter Film heißt übrigens auch "No President". Während das Ensemble zusammen mit einem eigens für die Inszenierung versammelten Corps de Ballet auf überaus liebevolle Weise Stummfilmästhetiken zitiert und so überdrehte, comichafte Sex- und Gewaltphantasien ausagiert, trägt Robert M. Johanson zweieinviertel Stunden lang auf Englisch einen Prosatext vor, der genau das beschreibt, was man gerade sieht.
Bild und Text verdoppeln sich aber nicht einfach nur. Sie schaffen einen virtuellen Echoraum, der alles vergrößert und zugleich verzerrt. Die Worte wie auch die Bewegungen erzählen für sich genommen von Donald Trump. Vor allem im zweiten Akt, in dem Mikey die Kontrolle über die Sicherheitsfirma an sich reißt, lassen sich die Parallelen zwischen dem von Schuldgefühlen und Paranoia erfüllten Mikey und dem US-Präsidenten nicht mehr übersehen. Aber im Zusammenspiel der beiden Ebenen wächst Coppers und Liškas Handlungsballett über die reine, an Alfred Jarrys "König Ubu" erinnernde Farce hinaus. Die doppelte Verfremdung, die Trumps Amerika in eine trashige, von Groschenromanen und B-Movies inspirierte Pulp-Fantasie verwandelt, überwindet die Wirklichkeit.
Schon der rote Theatervorhang erinnert einen fortwährend daran, dass "No President" im Innersten um die Kunst und ihre weltverändernden Möglichkeiten kreist. Die kann sie aber nur entfalten, wenn sie sich von der Realität löst. Anders als Mikey, der sich an Stanislawski klammert und sein Heil im Method Acting sucht, glauben Copper und Liška nicht an Identifikation und Selbstaufgabe. In ihrem Theater ist nichts realistisch, und gerade das macht es so wirkungsvoll. Sie schaffen einen Raum, in dem die Wirklichkeit exorziert wird. Danach kann es im Leben Amerikas vielleicht sogar einen dritten Akt geben.
No President. A Story Ballet of Enlightenment in Two Immoral Acts
von Nature Theater of Oklahoma
Deutsche Übersetzung von Ulrich Blumenbach
Text, Regie, Choreographie: Kelly Copper, Pavol Liška; Bühne: Ansgar Prüwer; Kostüm: Jenny Theisen; Licht: Maarten Warmerdam; Dramaturgie: Florian Malzacher
Mit: Ilan Bachrach, Tale Dolven, Gabel Eiben, Robert M. Johanson, Alexej Lochmann, Bence Mezei
Corps de Ballet: Laron Janus, Joana Kern, Hannah Krebs, Raymond Liew Jin Pin, Marlena Meier, Gustavo de Oliveira Leite, Julia Schirazi-Rad, Anna Schneider, Philip Wiehagen
Dauer: 2 Stunde 20 Minuten, keine Pause
www.ruhrtriennale.de
Von "einer der kuriosesten Produktionen der Ruhrtriennale" berichtet Bernd Aulich in der Recklinghäuser Zeitung (17.9.2018). "Zu großer Form läuft der Abend in der Höllenvision der paranoiden Trump-Persiflage im zweiten Teil auf". In der Inszenierung "mischen sich Trash und Splatter-Horror, amerikanische Pop-Kultur und Porno-Einlagen. Sogar Fausts Bündnis mit dem Leibhaftigen zitiert das überbordende Spektakel."
"Die Akteure, zum Teil tänzerische Laien, persiflieren das klassische Ballett, ohne es zu beschädigen. Ausdrucksstarke Pantomime vermittelt trotz aller Burleskenhaftigkeit eine Eindringlichkeit, die nichts weniger als seicht ist", so Leonhard Föcher in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (17.9.2018).
"Was möchte uns die selbstbezügliche Tüftelei, die mit so viel Liebe zu den eigenen beschränkten Kunstmitteln gemacht ist wie ein Modell des Kölner Doms aus Münzen oder ein Buch von Peter Sloterdijk, über das Theater sagen? Wir haben es mit Theaterstückwerk zu tun: Alles ist zusammengesetzt", schreibt Patrick Bahners in der FAZ (19.9.2018). Robert M. Johansons Gedächtnis-, aber auch Atemleistung sei, "um den Erzähler selbst zu zitieren, eine 'bravura tour de force performance', Meisterstück einer Virtuosität, die sprachlos macht." Diese Formel sei die reine Wahrheit über "dieses göttlich verspielte Spiel".
"'No President'" ist düsterer als 'Life and Times'", schreibt Doris Meierhenrich über das Berliner Gastspiel in der Berliner Zeitung (18.10.2019), "aber mit dem charismatischen Ilan Bachrach balanciert es so scharf zwischen Witz und tieferer Bedeutung, dass es immer so weitergehen könnte".
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„No President“ ist für Freunde grotesken Off-Theater-Humors zu empfehlen, die auch nicht davor zurückschrecken, wenn der Trash immer tiefer in schrägen Sex- und Gewaltphantasien versinkt und die Handlung aberwitzige Haken schlägt.
Bemerkenswert an dem ausufernden Abend, der lieber auf 90 Minuten gekürzt werden sollte, ist zweierlei: Erstens die tolle Stimme von Adele, deren „Someone like you“ zum großen Happy-end vom Band kommt, als sich der Vorhang endlich hebt und die beiden Freunde ihre Choreographie zeigen können. Zweitens ist es spannend zu sehen, wie die Anspielungen auf Trump und die Forderungen nach einem Impeachment, seit der Premiere vor einem Jahr bei der Ruhrtriennale noch wesentlich aktueller geworden sind. Dieser Kontext macht den Reiz der Wiederaufnahme im HAU 2 aus, wo „No President“ für vier Vorstellungen gastiert.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2019/10/17/no-president-nature-theatre-of-oklahoma-kritik/