Presseschau vom 26. September 2018 – Der Schriftsteller Volker Lüdecke plädiert in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für ein Autorentheater
Greift Euch die Volksbühne!
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26. September 2018. Ein "Plädoyer für ein selbstbewusstes Autorentheater" hat der Schriftsteller Volker Lüdecke in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (26.9.2018) verfasst. "Gerade jetzt wäre es höchste Zeit für eine Renaissance des Textes am Theater: Denn während auf der Bühne alle erdenklichen ästhetisch-formalen Revolutionen längst stattgefunden haben, setzt man bei den Inhalten immer noch auf postdramatischen Mainstream und sozialpädagogischen Ersatzdienst. Oder kaut, wie in vielen Stadttheatern, seit Jahren den immer gleichen Texte- und Themenfundus durch."
Mit dem Ruf nach einem Autorentheater verbindet Lüdecke auch die Aufforderung an Theaterverlage, Autorentexte der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Und eine Räumlichkeit für ein Autorentheater, das "ein Haus des Zorns sein könnte, mit Texten, die der Politik Kontra geben", hat Lüdecke auch schon im Blick: "Noch steht die Volksbühne leer – warum übernimmt das Haus nicht eine Gruppe junger, textbesessener Dramaturgen? Das wäre doch wirklich mal ein neuer Anfang."
(FAZ / chr)
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(Bitte sehr: https://de.wikipedia.org/wiki/Volker_L%C3%BCdecke, Mit freundlichen Grüßen, chr / Redaktion)
Ein Beispiel, wie es anders gehen kann, ist das BUSH THEATRE in London, das sich aktuellen Theatertexten und -formen verschrieben hat und sehr in der Öffentlichkeit präsent ist, für die Autoren wirbt, die es unterstützt und fördert, und deren Texte es am Theater zum Kauf anbietet.
um ein Theater mit Anspruch auf Leitung bzw. Intendanz zu besetzen - ist schwerlich vorstellbar. Herr Lüdecke sollte wissen, dass AutorInnen meist EinzelkämpferInnen sind und im Betriebssystem Theater eine nur schwache Position einnehmen - erst recht dann, wenn sie ohne Verlag oder Agentur daherkommen.
Gruppierungen von DramatikerInnen finden sich zuweilen dann zusammen, wenn sie im Betriebssystem Theater nicht oder nicht mehr Fuss fassen können. Der - oft berechtigte - Schmäh aufs etablierte System ist da meist nicht fern, ebenso nah das oft abfällige Gerede über "gespielte bzw. ausgezeichnete DramatikerInnen".
Das Petras/Kater_beispiel ist m.E. ein ganz falsches. Ich glaube, dass weder Petras noch Kater sich wirklich für andere AutorInnen eingesetzt haben, man/frau möge mich da gern belehren. Vorwiegend dürfte sich Armin Petras - auch mit der Macht seiner Intendanzen - für den Autor Fritz Kater eingesetzt haben, dessen Stücke dann vom Regisseur Petras inszeniert wurden. Dass das an die Grenzen von Kulturkorruption stößt - wird hier nicht gern gehört - und oft zensiert.
Nun fordert Volker Lüdecke gegen den, wie er meint, an den Stadt- und Staatstheatern vorherrschenden "postdramatischen Mainstream und sozialpädagogischen Ersatzdienst" ein "selbstbewußtes Autorentheater", dessen Ort beispielsweise die Berliner Volksbühne sein könnte. Denn: "Gerade jetzt wäre es höchste Zeit für eine Renaissance des Textes am Theater." Ein "Zuschauer" (Nr. 10) konstatiert, daß auch die Theaterdramaturgen als Förderer neuer Dramatik überfordert seien "angesichts des grenzenlosen Theaterverständnisses."
In der Tat wurden durch den Vormarsch des postdramatischen Theaters und der theatralen Performance-Kunst in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten alle Grenzen eines herkömmlichen Theaterverständnisses gesprengt. Sollten sie wieder errichtet werden? Nein! Das wäre so anachronistisch als wolle man die Grenzenlosigkeit im EU-Raum beseitigen, und vor allem würde es neu errungene politisch-ästhetische Reichtümer und Chancen verschleudern. Aber ich denke, wir sollten unserer typisch deutschen Neigung nicht nachgeben, uns sogleich in kriegsbewehrte Schützengräben zu begeben, aus denen wir uns dann beschießen. Dies einmal gesagt, plädiere ich allerdings mit Nachdruck für jene "Renaissance des Textes", für eine Erneuerung der innigen Ehe von Literatur und Theater, die tatsächlich in Deutschland mehr gefährdet scheint als anderswo und überwiegend durch Romanadaptionen nur mühsam weitergeführt wird. In aller Kürze sind für dieses Plädoyer zwei Gründe zu nennen. Erstens ist seit eh und je fast alle menschliche Kommunikation und Handlungsmöglichkeit mit der Sprache und dem Sprechen verbunden, Theater aber ist Kommunikation und (spielerisches) Handeln. (So wenig unmittelbar körpersprachliche Kommunikation andererseits unterschätzt werden darf.) Und Literatur, könnte man sagen, ist gleichsam die Körperpflege der Sprache. Zweitens erleichtert und optimiert gute dramatische Literatur das Erzählen von Geschichten – und also das Tradieren von Geschichte = Historie, die Produktion von Geschichtsbewußtsein in Bezug auf Vergangenheit und Gegenwart. Auch sind die großen Mythen der Menschheit, dieses großartige Reservoire bedeutenden Theaters, erzählte Geschichten und nur als solche existent. "Mythen sind Geschichten von hochgradiger Beständigkeit ihres narrativen Kerns und ebenso ausgeprägter marginaler Variationsfähigkeit.“ (Hans Blumenberg).