Immer an der Grenze zur Verrücktheit

27. September 2018. Der Schauspieler Ignaz Kirchner ist am Abend des 26. September gestorben. Das teilt das Wiener Burgtheater mit, dessen Ensemble Kirchner seit 1987 angehörte, seit 2008 mit dem Ehrentitel Kammerschauspieler.

IgnazKirchner 280 ReinhardWerner uIgnaz Kirchner © Reinhard Werner 1946 in Wuppertal geboren, kam Kirchner über die Freie Volksbühne Berlin, das Schauspielhaus Stuttgart (Schauspieldirektion Claus Peymann), das Schauspiel Frankfurt (Direktion Peter Palitzsch), das Schauspiel Bremen (Schauspieldirektion Frank-Patrick Steckel), die Münchner Kammerspiele und das Kölner Schauspielhaus nach Wien. Seine erste Rolle am Burgtheater war Schlomo Herzl in George Taboris Uraufführung "Mein Kampf". Mit Tabori und seinem Schauspieler-Partner Gert Voss erarbeitete er weitere Abende, die legendär wurden.

In der Zusammenarbeit mit Regisseur*innen wie Jürgen Gosch, Peter Zadek, Andreas Kriegenburg, Luc Bondy, Martin Kušej, Theu Boermans, Klaus Michael Grüber, Andrea Breth, Thomas Langhoff, Falk Richter, Matthias Hartmann, Stefan Pucher, René Pollesch, Antú Romero Nunes, Frank Castorf, Jan Bosse und Herbert Fritsch wurde Kirchner einer der herausragenden Protagonisten am Burgtheater. Zwischen 1992 und 1997 spielte er außerdem am Deutschen Theater Berlin und am Thalia Theater Hamburg. Im Kino und Fernsehen war er in Filmen von Detlev Buck, Leander Haußmann, Michael Verhoeven, Peter Patzak, Julian Pölsler, Hermine Huntgeburth und Urs Egger zu sehen.

Kirchner war Träger der Kainz-Medaille, 2004 wurde ihm das Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien verliehen. 1991 und 1998 wurden Kirchner und der 2014 gestorbene Gert Voss, die häufig zusammenspielten, in der Kritiker*innenumfrage der Fachzeitschrift "Theater heute" gemeinsam zum "Schauspieler des Jahres" gewählt.

Zuletzt trat Kirchner am Burgtheater in "Ein Volksfeind" von Henrik Ibsen in der Regie von Jette Steckel auf.

Burgtheater-Intendantin Karin Bergmann in der Pressemitteilung zu Ignaz Kirchners Tod: "Thomas Bernhard lässt in 'Ritter, Dene, Voss' die ältere Schwester sagen: '... immer an der Grenze zur Verrücktheit / niemals diese Grenze überschreiten / aber immer an der Grenze der Verrücktheit / verlassen wir diesen Grenzbereich / sind wir tot ...'
In seiner von Haide Tenner aufgezeichneten Biographie 'Immer an der Grenze der Verrücktheit' meinte Ignaz Kirchner, besser könne man ihn nicht beschreiben, und Gert Voss schenkte ihm den ersten Teil dieses Satzes zu jeder Premiere. Im Gegenzug unterschrieb Kirchner seine Briefe und Postkarten mit 'Der verrückte Ignaz'.
Doch was Ignaz Kirchner unter 'verrückt' zusammenfasste, waren jene Qualitäten, die ihn als Künstler und Menschen auszeichneten: unbestechlicher Individualismus, Unverwechselbarkeit ohne Prätention, Realitätssinn, für ihn logisch zwingend gepaart mit schwarzem Humor, seine intelligente Genauigkeit und unnachgiebige Verantwortung gegenüber der Literatur und nicht zuletzt sein diszipliniertes Arbeiten, das ihn zum gefragten Protagonisten ebenso wie zum unverzichtbaren Ensemblespieler machte."

(Burgtheater Wien / sd)

2008 machte das Wiener Burgtheater Ignaz Kirchner zum Kammerschauspieler.

2016 erschien Ignaz Kirchners Autobiografie "Immer an der Grenze der Verrücktheit" – hier unsere Buchkritik von Thomas Rothschild.

 

Presseschau

"Er erschuf Figuren aus der Sprache, er war intelligent, ein Vermittler, er lebte für und im Theater", schreibt Barbara Petsch in ihrem Nachruf auf Kirchner in der Wiener Tageszeitung Die Presse (28.9.2018). "Er war kein Aktionsschauspieler. Er war ein Meister des Reagierens", charakterisiert ihn Gerhard Stadelmaier in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (28.9.2018). Petra Kohse schreibt in der Berliner Zeitung (28.9.2018): "Ignaz Kirchner war der Schauspieler, der sich auf der Bühne bückte, damit andere größer erschienen." Und im Tagesspiegel (28.9.2018) erinnert Peter von Becker sich an das Zusammenspiel von Kirchner und Gert Voss.

 

mehr meldungen

Kommentare  
Ignaz Kirchner: begnadet
Nicht zu vergessen Wilhelm Reichs "Rede an den kleinen Mann", die Ignaz Kirchner über viele Jahre hinweg vortrug: ein politisches wie ein künstlerisches Bekenntnis. Er war einer der Größten und hat sich nie an die Rampe gedrängt. Und er blieb, was Peter Kümmel verschwinden sieht: ein begnadeter Verwandlungsschauspieler - und doch immer er selbst.
Ignaz Kirchner: wollen trauern
so sad!
herzliches Beileid allen die ihn auch vermissen...
Ignaz Kirchner: eine Institution
Die Ehrenmitgliedschaft wäre ihm zugestanden wie keinem anderen Schauspieler der Burg. Aber die Wiener Theater Bürokratie.... was soll man sagen.
Ignaz Kirchner war auch abseits der Bühne eine Sehenswürdigkeit und Institution in den westlichen Innstadtbezirken. Und mit seinen Leseprojekten der letzten Jahre ein unermüdlicher Missionar im Auftrag der großen Literatur. Es sei ihm gedankt.
Ignaz Kirchner: Nun kann er...
Und nun kann er den Voss als Mitwohni nehmen und umgekehrt wann und wie es ihnen passt und KEINER kriegt es mehr mit und kann darüber zu irgendwelchen öffentlich-rechtlichen Zwecken tratschen! Und eine bürokratisch beschlossene Ehrenmitgliedschaft in hiesigen Institutionen kann ihm nun sowas von egal sein, wie es hiesige Institutionen sich ja nimmer vorstellen können! - Es hat vermutlich auch einen Vorteil nicht mehr leben zu müssen, wenn man es denn lange genug gut und leidenschaftlich genug getan hat...
Kommentar schreiben