Knallbunte Kolonial-Kiste

von Steffen Becker

Mannheim, 28. September 2018. Als das Theater in Mannheim Friedrich Schillers "Die Räuber" 1782 uraufführte, verlegte der Intendant die Handlung kurzerhand ins Mittelalter. Verlorene Zensoren-Müh' – das Stück um den Kampf zweier Brüder, um Erbe und Freiheit erregte die Zeitgenossen. 2018 steht der neue Hausregisseur Christian Weise vor einem ganz anderen Problem. Neue Intendanz, erste Premiere. Da liegt die Wahl des mit Mannheim so verbundenen Klassikers nahe. Sonderlich enthusiastisch klingt das Programmheft allerdings nicht. "Der Plot ist für einen heutigen Rezipienten nicht mehr zeitgemäß." Nimm dies, Schiller!

Erwartungshaltung

Also keine leichte Ausgangslage. "Ich spüre den Druck (…) Ich weiß, dass es hier an diesem Theater eine große Erwartungshaltung gibt. Aber ich weiß auch, dass wir sie in jedem Fall brechen werden", lässt sich Weise im Mannheimer Morgen zitieren. Das schafft er. Das Publikum sieht im Eröffnungsbild keinen Grafen von Moor, keinen Franz. Sondern gelangweilte, dösende Alte in einem Fachwerkhaus im Dschungel. Geweihe, Degen, alte Landkarten an der Wand, Bananenstauden im Vorgarten. Man fühlt sich in eine Kolonie versetzt, in der die Senioren der alten Heimat nachtrauern. Aus einem Grammophon dröhnen hintereinander Wagner, Ton Steine Scherben und Willy Brandt. Aber das reißt niemanden vom Biedermeier-Sofa. Schließlich gibt der Betreuer klein bei in seinem Bemühen um kulturelle Abwechslung: "Na gut, dann eben Schiller".

Raeuber 2 560 HansJoergMichel uRäuber und Räuberinnen: Nikolas Fethi Türksever, Nancy Mensah-Offei, Christoph Bornmüller, Maria Munkert, Patrick Schnicke  © Hans Jörg Michel
Da schmeißen die Alten die Gehhilfen weg und legen los. Mit einer Darbietung, die man kaum anders denn als Parodie verstehen kann. Junge Schauspieler*innen spielen alte Säcke, die junge Menschen in ihrer Sturm & Drang-Phase spielen. Obendrauf noch in schrägen Querbesetzungen wie Maria Munkert in Gestalt einer Jägersgattin, aber mit dem Text des Oberbrutalos der Räuberbande, Spiegelberg. Es wirkt, als hätte Regisseur Weise zeigen wollen, wie eine Rentner-Laien-Truppe den Stoff auf die Bühne gebracht hätte – als der Lächerlichkeit preisgegebener Klassiker mit knallig daneben liegenden Historienkostümen, viel, sehr viel Bühnendeko, besonders exaltierter Deklamation, Theaterblut und eifrigem Einsatz einer Bühnenpistole. Von der Regie ironisch gebrochen durch Einspieler via Grammophon, die Teile der Dialoge übernehmen und klingen wie eine Wochenschau der 40er Jahre.

Flachsinn macht Laune

Die Demontage eines Klassikers macht durchaus Laune. Besonders Sarah Zastrau als Herzschmerz-Arien singende Verlobte des Räuber-Bruders Karl Moor sorgt mit einer Mischung aus Diva und Backfisch für einige Lacher – Highlight ist der Kopulations-Slapstick mit einem Staubwedel als Fetisch-Instrument. Täter ist Karls Bruder Franz, dem Christoph Bornmüller genialen Ausdruck verleiht. Der hässliche Underdog erinnert bei ihm an Kino-Zwerg Danny de Vito in seiner Rolle als Batman-Bösewicht Pinguin. Ein richtig (witzig-) schmieriges Ekel voll bitterem Sarkasmus. Nicolas Fethi Türksever hat es da als Karl Moor schwerer. Die Rolle des Guten bietet weniger parodistisches Potential. Aber er schlägt sich gut als Verkörperung eines erhobenen moralischen Zeigefingers.

Der tiefere Sinn des Ganzen erschließt sich nicht ohne weiteres. Zwischendurch lässt Weise seine Darsteller Deutschlandfähnchen schwingen. Dazu singt Zarah Leander ihren Soldatenhit Ich weiß es wirrrrrrd einmal ein Wunder geschehen. Alle sitzen dabei in einer Höhle wie in einem Luftschutzbunker und es ertönt Fliegeralarm. Sind die Auswanderer im Dschungel-Fachwerk am Ende nach Südamerika entkommene Nazis? Symbolisiert die ständige eingespielte Nationalhymne in diesem Setting die Suche nach deutscher Identität? Richtet sich darauf der heutige, irrlichternde Sturm & Drang unserer Gesellschaft? Ist die Dekonstruktion des Schiller-Klassikers ein abschlägiger Kommentar zur Vorstellung einer Kulturnation mit gemeinsamen Stückekanon? Inszenierung (und Begleitheft) bieten viele Ansatzschnipsel zur Interpretation. Wirkliche Antworten bietet der Abend aber nicht. Er bleibt knallbunte, amüsante Oberfläche. Also lacht man darüber, dass die Renter*innen am Ende alle einen Herzinfarkt bekommen.

 

Die Räuber
von Friedrich Schiller
Regie: Christian Weise, Bühne & Kostüme: Jana Findeklee / Joki Tewes, Musik: Falk Effenberger, Licht: Nicole Berry, Dramaturgie: Annabelle Leschke.
Mit: Almut Henkel, Nicolas Fethi Türksever, Christoph Bornmüller, Sarah Zastrau, Maria Munkert, Arash Nayebbandi, Nancy Mensah-Offei, Patrick Schnicke, Falk Effenberger.
Dauer: 2 Stunden, 30 Minuten, eine Pause

www.nationaltheater-mannheim.de

 

Kritikenrundschau

"Alles so bunt und possierlich hier. Nix da mit schneidender Revoluzzer-Schärfe", so Volker Oesterreich in der Rhein-Neckar-Zeitung (1.10.2018). Christian Weise orientiere sich bei seinem Zugriff auf den rebellischen Stoff offensichtlich am Rezept von Balu, dem Bären aus Disneys "Dschungelbuch"-Verfilmung: "Probier's mal mit Gemütlichkeit". Betont gemütlich sehe es jedenfalls aus im Gründerzeit-Salon des alten Grafen Moor. Die Ausstattung dürfe zwar aus dem Vollen schöpfen. Aber Weise arbeitet sich am Mythos Schiller ab, indem er das Theater von heute mit Geschichtsstreuseln von gestern überzuckere. "Arg gewollt, diese Dekonstruktion durch Drolligkeit."

"Was für ein kampfloser Abend!" ruft Stefan M. Dettlinger im Mannheimer Morgen (1.10.2018) aus. Weises Regietheaterideen seien "durchaus unterhaltsam" und Weise könne auf "exzellente Schauspieler" bauen. Aber "spätestens nach einer halben Stunde Schenkelklopfen" befällt den Rezensenten die "Ahnung: Dieser Regisseur mag Schiller nicht, er will ihn uns madig machen und zeigen, dass er nichts mehr zu sagen hat, nichts jedenfalls, was heute relevant wäre". Nichts sei dramatisch an diesem Abend, sobald man sich "in Tiefen" des Schiller'schen Dramas verliere, werde man aufgeschreckt "durch eine ironische Brechung aus der ewigen Klamottenkiste schwarzer Komödien".

Ein "großartig aufspielendes Ensemble" erlebte Dietrich Wappler von der Rheinpfalz (1.10.2018). Die Regie aber machte den Rezensenten "ein wenig ratlos". Um "deutsche Mythen und deutsche Seele", um "Heimat und Kulturnation, Leitkultur und Migrationsdebatte" gehe es im Programmheft; "die Inszenierung greift sie auf, ohne sich wirklich auf den Diskurs einer dieser Fragestellungen einzulassen".  Christian Weise "tippt vieles an, gibt sich aber mit schnellen Antworten und oberflächlichen Gags zufrieden".

Christian Weise habe die anarchische Bruder-Tragödie ziemlich extravagant inszeniert, so Jürgen Berger in der Süddeutschen Zeitung (4.10.2018). "Weise spannt einen Bogen von der Euphorie des jungen Schiller, der sich eine deutsche Nation jenseits von Fürstenherrschaft und Kleinstaaterei wünschte, bis hin zu den Ermüdungserscheinungen der aktuellen Merkel-Regierung." Warum das in einer kolonialen Szenerie spiele, erschließe sich nicht. "Trotzdem verfolgt man gebannt, wie Weises Greisenchaos den eigenen Untergang zelebriert."

 

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