Wenn mich einer fragte … -- Figurentheatermacher Christoph Werner blickt auf die spannungsreiche Biographie des Schriftstellers Stefan Heym und auf das heutige Chemnitz
Heym nach Chemnitz
von Tobias Prüwer
Chemnitz, 6. Oktober 2018. Die Stadt ist unlängst zur Chiffre geworden für rassistische Gewalt, für den Aufmarsch von radikalen Rechten im Mix mit Bürgern, die partout nicht rechts sein wollen. Chemnitz, diese Chiffre platzte mitten hinein in die Proben der Figurentheaterarbeit "Wenn mich einer fragte ...". Darin untersucht Christoph Werner das Leben des Schriftstellers Stefan Heym nach Chemnitzer Spuren – und muss sich brisanter Aktualität stellen. Erst einen Tag vor der Premiere fand wieder eine rechte Demonstration unweit des Theaters statt.
Widerstreitende Lebensperspektiven
Spot an, Spot aus. Im Zentrum der offenen, schwarzen Bühne steht auf einem Podest eine kindsgroße, realistisch gestaltete Gliederpuppe von Stefan Heym, in Anzug, faltig und mit wirrem Haar. Mit jedem neu eingeschalteten Schlaglicht nehmen drei Spielerinnen und ein Spieler neue Positionen ein, schauen Heym an, wenden sich ab. Als suchten sie nach der richtigen Perspektive, nähern sie sich vorsichtig dem gebürtigen Chemnitzer an. Erst nach mehreren Lichtwechseln animieren sie die Puppe zur Lebendigkeit und lassen sie aus ihrem Leben berichten. Dabei bezieht sich der Titel auf Heyms programmatisch zu nennende Zeilen: "Wenn mich einer fragte: In welcher Zeit hättest du gerne gelebt? – würde ich ihm antworten: In unserer." Denn noch nie sei der Mensch so widersprüchlich im Gutem wie im Schlechten gewesen, er habe unerhörte Tiefen wie Potenziale.
Stefan Heym (1913–2001) durfte als Jude schon in seiner Kindheit der Gemeinschaft der anderen nur am Rande beiwohnen. Als er ein Gedicht gegen den deutschen Militarismus veröffentlicht, muss er die Schule verlassen und flieht vor der nationalsozialistischen Verfolgung zuerst nach Prag. Dann siedelt er in die Vereinigten Staaten über und sieht später als US-Soldat seine zerstörte Heimat wieder. Diese Stationen wären schnell erzählt, ginge es Regisseur Werner allein um Biografisches.
Doch er möchte schließlich die Auseinandersetzung. So stellt er dem alten Heym sein junges, etwas hemdsärmliches Alter Ego gegenüber. Beide diskutieren ihre Erlebnisse, oft in zwei Sichtweisen, die nicht immer zusammenkommen. Die Bühnengestaltung unterstützt diesen Diskurs. Mehrere im Raum verteilte Podeste und eine Rampe werden zu Spielflächen. Sie lassen sich zusammen- oder auseinanderschieben und auftürmen. Das erzeugt eine sich ständig ändernde Bühnensituation und macht etwa Distanznahmen des einen vom anderen Heym sichtbar. Eine Anbetung Heyms will der Abend nicht sein und ist es nicht.
Perfekte Figurenführung bis ins Detail
Sehr textlastig ist diese eigentümliche Begegnung. Dass sie nicht ermüdet, liegt an der hoch genauen Figurenführung. Es ist ein absoluter Realismus, mit dem die Heyms bewegt werden. Sie wirken wie kleine Menschen in ihren Körperhaltungen, wenn sie den Raum durchschreiten oder auf Podeste klettern. Jede noch so kleine Geste stimmt. Und die Spielenden, sie führen zu zweit oder dritt jeweils eine Figur, verschwinden hinter ihren Puppen. Kleine surreale Manöver streuen sie ins naturalistische Spiel ein. Wenn der alte Heym von verkehrter Welt spricht, dreht er sich plötzlich wie ein Rad einmal um sich selbst. Auch Wände geht er mal hoch. Dann ist er aber wieder ganz realistisches Menschenabbild, das als lebendig gewordenes Material zum Publikum und sich selbst spricht. Mit ihrer vorzüglichen Puppenarbeit steht diese Inszenierung in der ostdeutschen Tradition des Ensemblefigurentheaters.
Aber es soll ja auch um Chemnitz gehen, über die Zufälligkeit von Heyms Geburt in dieser Stadt hinaus. Dafür hat Werner eine zweite Ebene eingezogen. Auf vier Monitoren werden Szenen aus dem Probeprozess und Interviewschnipsel mit den Spielern eingeblendet. Die Infos, mit welchen Methoden sie Texte auswendig lernen und was sie über Heym denken, fallen allerdings zu beliebig aus. Dass der Mob auf der Straße schon angsteinflößend sei, aber rechte Zusammenrottungen vielleicht überall hätten passieren können, ist dann zugleich zu gewollt aktuell und zu schwammig. Auf dieser Ebene trägt die Inszenierung nicht. Vielleicht kann sie das auch gar nicht. Zu frisch ist diese Chiffre Chemnitz, die natürlich für das Geschehen vor Ort, aber in Abstufungen auch für Probleme in weiten Teilen Deutschlands steht.
Wenn mich einer fragte...
ein Stück über Stefan Heym und Chemnitz
Uraufführung
Regie: Christoph Werner, Ausstattung: Angela Baumgart, Puppenbau: Hagen Tilp, Video: Conny Klar, Dramaturgie: Friederike Spindler.
Mit: Claudia Acker, Tobias Eisenkrämer, Karoline Hoffmann, Sarah Wissner.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause
www.theater-chemnitz.de
Die Figuren von Hagen Tilp sind aus Sicht von Grit Strietzel von der Chemnitzer Freien Presse (8.10.2018) "der Hammer! Der Puppen- und Requisitenbauer lernte in Dresden und lebt nun in San Francisco. Er erweckt Stefan Heym, der 2001 starb, noch mal zum Leben - vor allem den alten, dessen markantes Gesicht jeder kennt. Am Ende der Uraufführung wird - als Stefan Heym seinen Gott erneut anruft - eine Hoffnung von ihm post mortem erfüllt: 'Ich wünsche, dass eine Spur von mir bleibt'. Das ist gelungen!" Allerdings erfahre man wenig Neues über Stefan Heym.
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