Nicht jeder Schein glänzt golden

von Andreas Herrmann

Jonsdorf, 10. Juli 2008. Eine Schatzinsel, hoch im Mittelgebirge am Zittauer Horizont, einen Steinwurf von der tschechischen, einen lockeren Tagesspaziergang von der polnischen Grenze gelegen. Mitten in Europa also. Seit 1960 ist der Schatz – in Form einer akustisch und optisch gelungenen Waldlichtung mit locker zerklüfteten Felsbühnenhintergrund – gehoben und dient als Waldbühne jeden Sommer als Spielstätte des Gerhart-Hauptmann-Theaters Zittau.

So war es an der Zeit, Robert Louis Stevensons "Die Schatzinsel" knapp fünfhundert Meter über den Meeresspiegel zu transferieren und in den kuscheligen Ostrentnerkurort Jonsdorf zu verpflanzen. Denn der Traum vom geheimen, herrenlosen Schatz, der nach einer netten Karibik-Segeltörn nur noch heil nach Hause transportiert werden muss, ist – mit Lotto und Casino – auch heute noch nicht ausgeträumt. In jedem Lehrling steckt ein kleiner Jim Hawkins, der sich vom Lehrmeister die Wegweisung ins ganz große Glück erhofft. Aber nicht jeder Schein glänzt golden.

Straffe Bösewichte, gut gelaunte Adlige

Nun zielt Sommertheater – immer in der spannungsfernen Melange zwischen Touristengusto und Spielzeitabklang – selten auf Aktualität. Schon gar nicht beim Freiluftspektakel wie in Jonsdorf. Regisseurin Annette Straube, die in Zittau schon den "Feuervogel" und "Don Quijote und Sancho Pansa" inszeniert hat und in der nächsten Spielzeit gastweise sowohl mit Spielrollen als auch mit der Regie zu Ibens "Nora" betraut wird, versucht auch gar nicht erst, die Geschichte zu entstauben. Sie inszeniert die Textfassung von Rainer Brand werktreu klassisch.

Bedächtig wird die Story aufgebaut, bis es hinaus auf hohe See gehen kann. Ein fideler Jim (Benjamin Petschke) nimmt dem überfälligen Bill Bones (Wolfgang Adam) die Schatzkarte ab, zwei stets gut gelaunt-wienernde Adlige – Dr. Livesay (Jakob Beubler) und Mr. Trelawney (Fridolin Meinl) – chartern die "Hispanola" samt dem altbacken-harschen Käpt‘n Smollett (ebenfalls Wolfgang Adam), der aus Mangel an besserem Personal einen Trupp Piraten mit an Bord nimmt. Den einbeinigen Gegenspieler Long John Silver spielt Frank Siever als straffen Bösewicht, der eine begehrliche Gespielin (Anna-Lena Zühlke) kaltblütig aufschlitzt. Von seinen Getreuen gebärden sich Tom Morgan (Matthias Manz) und Israel Hands (Tom Keune) als die widerständigsten.

Nach der Pause wächst sich der Kampf ums Palisadenhaus zu einer nicht enden wollenden Kampfszene aus. Da wird geschossen, gefochten, erdolcht und geschlagen, was die Theaterkörper zum Saisonende hergeben – und doch fokussiert die Massenszene geschickt die beiden Profikämpfer Nico Hartmann (böse) und Stefan Knappe (gut). Dem Pyrocheftechniker Bernd Eiffler gelingen dabei eindrucksvolle Kanonaden, für die er sogar Szenenapplaus erhält.

Mord und Action, Schall und Rauch

Dank eines verrückten rothaarigen Käsefressers – Ben Gunn, witzig und beweglich gespielt von Theo Plakoudakis und dadurch die eigentliche Lichtgestalt des Theaternachmittags – siegen schließlich trotz etlicher Verluste doch die Guten. Nicht zuletzt aufgrund der unvermittelt onkelhaften Anwandlung von Silver, der um den Preis des eigenen Kopfes Hawkins fliehen und den Schatz sausen lässt.

Ausstatter Fabian Gold setzt auf filmhafte Kulissen im grünen Ambiente: Die nach vorn offene "Hispanola" wird nach der Pause zur Palisadenfestung, den Rest der Insel gibt die Natur von sich aus.

Trotz der Spiellänge – 130 Minuten inklusive Pause – bleibt zu wenig Zeit zur Charakterentwicklung. Gerade die entscheidende Annäherung von Silver und Hawkins kommt zu kurz. Das mag auch an der Textfassung von Rainer Brand liegen. Dass es subtiler geht, zeigte im erst vergangenen Sommer das Mittelsächsische Theater Freiberg/Döbeln auf seiner neuen Sommerspielwiese, der Seebühne Kriebstein. Dort schuf sich Matthias Straub ein eigene, sensiblere Spielfassung, die besser funktionierte. Von der Jonsdorfer Schatzinsel bleiben Action und Mord sowie Schall und Rauch – viel Lärm um Nichts, das heißt natürlich: einen Haufen Gold, so wie es sich gehört.

(Der Autor hat die Vorstellung am 5. Juli besucht.) 


Die Schatzinsel
nach Robert Louis Stevenson
Textfassung von Rainer BrandRegie: Annette Straube, Bühne und Kostüme: Fabian Gold, Musik: Matthias Manz, Koordination Stunts: Dori Horvath.
Mit: Benjamin Petschke, Wolfgang Adam, Jakob Beubler, Fridolin Meinl, Stefan Knappe, Theo Plakoudakis, Anna-Lena Zühlke, Sabine Krug, Marlen Ulonska, Tom Keune, Johannes Schmitz, Frank Siebers, Matthias Manz, Nico Hartmann.

www.theater-zittau.de

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