Revolt. She said. Revolt again. / Mar-a-Lago. - Christina Tscharyiski inszeniert Alice Birch und Marlene Streeruwitz im Berliner Ensemble
Revolution und Verrat
von Gabi Hift
Berlin, 13. Oktober 2018. Das Berliner Ensemble startet die neue Programmschiene "Fokus: Gender" mit einem Doppelpack, inszeniert von der österreichisch-bulgarischen Regisseurin Christina Tscharyiski. Zwei Stücke von feministischen Autorinnen aus zwei verschiedenen Generationen, in beiden geht es um systemimmanente sexualisierte Gewalt.
Das Scheitern der Frauen
"Revolt. She Said. Revolt Again" von Alice Birch ist ein Aufschrei der Wut. Eine leidenschaftliche, verzweifelte Reise durch den Alltag von Frauen, die daran erinnert, wie tief unsere Sprache, unsere Sitten, all unsere grundlegenden Ideen über Arbeit und Privatleben vom Erbe der Gewalt durchdrungen sind. Die einzelnen Szenen haben Übertitel – der erste heißt: "Revolutioniere die Sprache (kehr sie um)" –, die klingen wie Aufrufe eines Manifests. Diese Aufbruchsstimmung wird durch Songs der Rapperin Ebow unterstützt, in denen sie die Punani Power feiert und durch schnelle comicartige Videoclips der Künstlerin Dominique Wiesbauer, die Spaß durch Empowerment versprechen.
Aber bald wird klar, dass diese Titel keine Anweisungen sind, wie man es richtig machen soll, sondern Strategien der Frauenbewegung beschreiben, die allesamt gescheitert sind. In den Szenen werden die Mechanismen, die in einer Situation wirken, zunächst durch Überdeutlichkeit dekonstruiert, dann erlebt man, wie eine Frau versucht, einen Ausweg zu finden, und damit lediglich die zuvor verdeckte Gewalt an die Oberfläche bringt.
Verdinglichung
Über die erste Szene kann man noch lachen: ein Mann und eine Frau sind nach dem Abendessen in seiner Wohnung gelandet und wollen miteinander schlafen. Er überschüttet sie mit den typischen bewundernden Objektzuweisungen ("Rühr dich nicht! Weißt du überhaupt was du mit mir machst? Du bist die Vollkommenheit! Sei still! Spreiz die Beine! usw.) Als sie versucht diese Rollen umzudrehen, ihn ebenso zum Objekt zu machen wie er sie, geht gar nichts mehr.
Danach führt die Reise in immer dunklere Bereiche. Eine Frau ist in einem Warenhaus verhaftet worden, weil sie sich zwischen den Regalen nackt auf den Boden gelegt hat. Den Kaufhausdetektiven versucht sie zu erklären, wie sie alles versucht hat, um sich vor Übergriffen zu schützen bis sie beschlossen hat, sich nicht mehr zu wehren, und ihren Körper stattdessen allzeit verfügbar machen will. Weil sie ihn jederzeit freiwillig hergibt, kann man sie nicht mehr vergewaltigen.
Eine andere will ihrer Mutter, die sie verlassen hat als sie vier war und sie bei dem gewalttätigen Vater zurückgelassen hat, verzeihen, um den Teufelskreis der Gewalt in der Familie zu durchbrechen. Aber die Mutter leugnet alles, sagt es sei nie passiert. Eine fast unerträgliche Szene.
Genauigkeit und Präzision
Im letzten Akt versuchen die Frauen es mit Aufrütteln und provozieren bei den Männern einen kakophonischen Chor von Rechtfertigungen, der in Gewaltdrohungen mündet. Die Schauspieler spielen alle großartig. So eine Genauigkeit im Denken, so präzise bis in die kleinsten Verästelungen analysierte Situationen sieht man nur selten auf der Bühne, eigentlich ist jede einzelne Szene eine Sternstunde. Anders als bei dem sehr ähnlich aufgebauten Stück Yes. But no am Gorki Theater, das von Yael Ronen aus den privaten Erfahrungen der Darstellerinnen entwickelt wurde, spielen die Schauspieler*innen hier exemplarische Situationen, die nichts mit ihrem persönlichen Leben zu tun haben. Trotzdem spürt man auch hier, besonders bei Anita Vulesica und Astrid Meyerfeldt, eine Haltung, ein dringliches Interesse, diese Situationen zu verstehen und sie einmal verändern zu können. Autorin, Regisseurin, Schauspieler*innen – sie alle teilen den Wunsch nach Veränderung.
Das Stück bietet keine Lösung, nur die unausweichliche Erkenntnis, dass all das Reden der letzten 50 Jahre nicht genug war, dass die Gewalt zu tief verwurzelt ist. Verstört geht man in die Pause, aber auch elektrisiert von soviel Lebendigkeit. Man denkt weiter nach, muss weiter denken.
Verächtlicher Witz
Nach der Pause kommt dann das absolute Gegenteil von gemeinsamem Denken. Marlene Streeruwitz‘ Stück "Mar-a-Lago" ist zynisch und verächtlich, sowohl seinen Figuren als auch den Zuschauer*innen gegenüber. Die Story: 5 Schauspielrinnen aus verschiedenen Generationen sind von einem berühmten Regisseur, der mit jeder von ihnen schon mal was hatte, zusammengerufen worden. Er hat sie alle eine Zeitlang missbraucht und dann gegen die nächste eingetauscht. Aber das sind keine #metoo Frauen, sie lügen sich und den andern was vor, eine will die einzige gewesen sein, die er geliebt hat, einer anderen hat es angeblich nichts ausgemacht, eine hat ein Kind von ihm usw. Nun will er, dass sie alle zusammenarbeiten und kollektiv Maos Witwe spielen sollen. Aus dieser Situation bezieht das Stück seinen bösartigen verächtlichen Witz, die Zuschauer*innen, die bei Alice Birch über Formen der Solidarität nachgedacht haben, sind nun aufgefordert, diese Frauen wegen ihrer sentimentalen Lebenslügen gnadenlos auszulachen.
Die Schauspieler*innen spielen diese Witzfiguren genauso brillant wie die im ersten Teil. Aber anders als bei dem Stück "Revolt" kann man nicht erkennen, welche Haltung sie dazu haben. Sie müssen die Sätze, die sie zu sprechen haben, vermutlich schon genauso von Kolleginnen gehört haben. Teilen sie die Lust an der selbstgerechten Häme, die Frau Streeruwitz über ihre Geschlechtsgenossinnen ausschüttet? Oder ist sie ihnen vielleicht- so wie mir- zutiefst zuwider, und sie lassen sich als Profis nichts davon anmerken? Unmöglich, das zu wissen. Die über die Unterhaltungsarbeit hinausgehende Verbindung zwischen Bühne und Zuschauer*innen ist abgerissen.
Das Ende retten
Die Regisseurin muss die Enttäuschung des Publikums vorausgeahnt haben. Sie hat, wohl um den Abend nicht mit solch einem üblen Nachgeschmack enden zu lassen, die allerletzte Szene aus dem Stück von Alice Birch hinten an das Streeruwitz Stück dran gesetzt, so dass man denken kann, es gehöre da dazu, sei doch noch eine Kehrtwendung zur Nachdenklichkeit. Zwar wundert man sich, weil sich der Ton so abrupt ändert – für das Publikum ist es aber dennoch eine Erleichterung. Am Ende heißt es nun – von Birch, und sehr berührend gespielt:
- Ich bin bereit (...)
- Du klingst traurig
- Ich bin traurig
- Es wird nicht funktionieren, wenn du traurig bist
- Es wird nicht funktionieren, wenn du es nicht bist. Wie seltsam von dir, nicht traurig zu sein.
Wer konnte wissen, dass das Leben derart scheußlich sein kann.
Revolt. She said. Revolt again. / Mar-a-Lago.
von Alice Birch (deutsch von Marlene Streeruwitz) / Marlene Streeruwitz
Regie: Christina Tscharyiski, Ausstattung: Verena Dengler, Dominique Wiesbauer, Video: Dominique Wiesbauer, Licht: Steffen Heinke, Künstlerische Beratung: Clara Topic-Matutin.
Mit: Astrid Meyerfeldt, Lorna Ishema, Patrick Güldenberg, Sascha Nathan, Anita Vulesica, Ebow.
Dauer: 2 Stunden, 30 Minuten, eine Pause
www.berliner-ensemble.de
Unterhaltsam und komisch sei die erste Stunde des Abends durchaus, so Barbara Behrendt auf rbb24.de (14.10.18). "Und wer weiß – vielleicht hat Tscharyiski bei den jungen Zuschauerinnen mit Feministen-Rap, aktivistischen Superheldinnen und bunter Werbebildflut einen Nerv getroffen." Verhängnisvoll werde Christina Tscharyiskis Inszenierungsstil erst in der zweiten Stunde mit Marlene Streeruwitz’ Stück 'Mar-a-Lago.' "Auch hier setzt die Regie auf Slapstick, bunte Bilder und Ironie und kriegt auch diesmal die Zwischentöne nicht in den Blick. (…) So wenig Empathie für ihre Geschlechtsgenossinnen hätte man einer jungen Regisseurin gar nicht zugetraut. Auch mehr echtes Selbstbewusstsein und Haltung statt nur cooler, ironischer Pose hätten dem Abend unbedingt gut getan."
Alice Birch entwerfe bewusst provokant eine Art Manifest des klassischen Geschlechterrollenkatalog-Fehlverhaltens und klopfe es auf seine politische Durchschlagskraft ab. "Das Resultat ist freilich wenig erbaulich. Gezeigt werden nacheinander lauter Szenen, in denen Frauen den Stereotypen-Spieß umdrehen", schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (15.10.2018). Streeruwitz' vermeintliche Theater-Selbstbespiegelungsklamotte wirke weniger wie eine spezifische Generationen-Perspektive. "Vielmehr breitet sich ein ungutes Gestrigkeitsgefühl aus." Christina Tscharyiski bemühe sich redlich um zeitgemäße Regieeinfälle.
Die Regie sei "vor allem damit beschäftigt ist, möglichst checkermäßig, hipp und krass rüberzukommen, indem sie ihre Vorlagen verblödelt, statt die Subtilitäten und Zumutungen der Texte an sich (und uns) heranzulassen", schreibt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (15.10.2018). "Dabei versucht das Stück 'Revolt. She Said. Revolt Again' etwas Besonderes: Es führt in atemlosen Sprechen vor, wie sich emanzipatorische, revolutionäre Bewegungen zwischen Worten und Wirklichkeiten wie Billardkugeln an den Banden vor- und zurückstoßen." Anders als Birchs doppelbödiges Revolutionshandbuch sei Streeruwitz’ 'Mar-a-Lago' ein zwar auch allegorisch zu lesendes, aber doch lebensnäheres Konversationsstück.
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Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2018/10/16/feministisches-doppel/
https://www.google.com/amp/s/www.morgenpost.de/kultur/article215564369/Revolte-im-Berliner-Ensemble.html%3fservice=amp
(Sehr geehrter Hans, aus Kapazitätsgründen nehmen wir zwei lokale sowie alle verfügbaren überregionalen Stimmen in der Kritikenrundschau auf. Wenn Tagesspiegel und Berliner Zeitung berichtet haben, bleibt die Berliner Morgenpost draußen. Mit freundlichen Grüßen, Christian Rakow / Redaktion)
Die Frage bleibt, nach welchen Maßstäben dann die beiden lokalen Rezensionen ausgewählt werden? Dies können ja nur subjektive sein. Im vorliegen Fall werden zwei schlechte lokale Kritiken erwähnt, obwohl z.B. die (bessere) Kasch-Rezension in der Berliner Morgenpost einen Tag früher erschien als die Kritik der Berliner Zeitung. Schon jetzt Dank für eine weitere Erläuterung Ihrer Kriterien!
(Liebe Nachfrage, wir schauen nicht auf die einzelnen Kritiken. Wir haben, als wir ursprünglich unsere Referenzorgane auswählten, im Berliner Fall die beiden großen seriösen Zeitungen mit der höchsten Auflage ausgewählt, eben die Berliner Zeitung und den Tagesspiegel, die auch am verlässlichsten sich erwiesen und immer wieder erweisen in ihrer Theaterberichterstattung. Im Sinne von: sie berichten über die meisten Ereignisse. Die jeweilige Ausrichtung der Kritik iinteressiert uns nicht. Wenn wir es schaffen, nehmen wir auch gelegentlich die MoPo mit in die Kritikenrundschauen auf, aber zum festen Prinzip möchten wir das aus Kapazitätsgünden nicht machen.
jnm / für die redaktion)
Allerdings stellt sich schnell Ernüchterung ein. Die erste Szene ist ein frecher Sex-Talk zwischen Vulesica und Nathan, in der die beiden die Frage verhandeln, wer den aktiven Part übernehmen darf, welche Grenzen nicht überschritten werden dürfen und wer wen penetriert. Dies ist einer der raren Momente, in denen Anita Vulesica ihr Talent wirklich ausspielen darf. Etwas mehr Freiräume bekommt oder nimmt sich Meyerfeldt, die eine kleine Prise Volksbühnen-Hysterie á la Pollesch einbringen darf.
Der zweite Teil hätte eine gallige Satire über fünf Schauspielerinnen werden können, die in Brautkleidern und mit türkisfarbenen Perücken vor der Tür und Besetzungscouch des Regie-Gurus Schlange stehen, der jede von ihnen nur respektlos „Mümmi“ nennt. Sie hoffen alle darauf, in seinem neuen „Projekt“ über Maos Witwe wieder damit dabei sein zu dürfen und müssen sich eingestehen, dass ihr als Künstlergenie verklärtes Idol sie nur gegeneinander ausgespielt hat.
Streeuwitz macht sich über ihre halbherzigen Protestversuche, über ihr Schönreden und ihre Lebenslügen lustig. Als kurze Intervention hätte diese Satire gut funktionieren können. Für zehn, fünfzehn Minuten lässt der Abend sein Potenzial aufblitzen, aber auch dieser zweite Teil versandet.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2018/10/21/revolt-she-said-revolt-again-mar-a-lago-berliner-ensemble-theater-kritik/