Kitzeln am Wahnsinn

von Simone Kaempf

Berlin, 19. Oktober 2018. Am Ende kommt Sebastian Hartmann seinem Publikum doch noch entgegen: Zur Verbeugung mit den zehn Schauspielern ganz nach vorne an die Rampe und damit ins hellste Scheinwerferlicht. Das war zuvor drei Stunden lang abgedimmt bis auf ein Minimum. Stattdessen Dunkelheit, fahles Halbdunkel wie in nächtlicher Dämmerstunde, wabernde Nebelschwaden, durch die sich Lichtstrahlen bohren wie die göttliche Erleuchtung in mittelalterlicher sakraler Malerei. Dazu dissonante Orgeltöne, die einen in die Magengrube treffen.

Konzentrationsübung in Schwarzweiß

Eine alptraumhafte Schwarzweiß-Stimmung zelebriert dieser Abend, mit dem Hartmann einem mal wieder eine ausgedehnte Konzentrationsübung abverlangt. "Hunger. Peer Gynt" montiert aus dem Roman von Knut Hamsun (von 1890) und dem frühen Drama von Henrik Ibsen (von 1867) eine Daseins-Erkundung, die auf die düstere Seite romantischer Natur abzielt, optisch wie ein monochromes Foto-Negativ, textlich eine Aneinanderreihung fiebriger menschlicher Stoßseufzer am Rande des Wahnsinns.

Hunger 1 560 Arno Declair uEs wird nicht heller: Das DT-Ensemble vor dem Großgemälde von Tilo Baumgärtel © Arno Declair

Alle Motiv-Splitter des Abends zu würdigen, würde den Rahmen sprengen: die Psychoanalyse, die Geschichte des Wahns in der Kultur, die Fragen nach dem Grund des Kunstschaffens, die Verweise auf den Kunstbetrieb, die Ambivalenz der menschlichen Natur, das Wühlen in Abgründen. Es steckt viel drin. Hartmann und sein Ensemble ziehen sich Passagen aus den Vorlagen, die einem konkreten Erzählfaden spotten und doch demonstrativ den großen Zusammenhang behaupten.

Ein Gemälde wird gemalt und übermalt

Als Sinnbild dafür entstehen mehrere große Gemälde live auf der Bühne, abstrakte Landschaftsmalereien, nach Vorlagen des Künstlers Tilo Baumgärtel. Auf riesengroße Leinwände projiziert, zeichnen die Schauspieler die Landschaften nach, übermalen die Umrisse in mehreren Schichten und Korrekturen. Ein Work-in-Progress über den gesamten ersten Teil des Abends.

Auch der Mensch selbst schreibt sich in dieses Bild ein: In einer der herausstechenden Einzelszenen, von denen es tatsächlich einige gibt, steigt Rene Peter Lüdicke auf die Leiter, mit weißer Farbe übertüncht er seine eigene Silhouette, ein Akt der Selbstauslöschung. Die meterhohe Leiter schwankt so sehr, dass man die Luft anhält.

Hunger 2 560 Arno Declair uTätowierte Tänzer: Marcel Kohler, Manuel Harder, Almut Zilcher, Linda Pöppel, Elias Arens, Edgar Eckert, Linn Reusse und Cordelia Wege choreographieren sich Hamsun und Ibsen. © Arno Declair

Der Mensch erscheint als leichte Beute vieler sichtbarer und unsichtbarer Einflüsse. Das ist eine Essenz aus Hamsuns Roman, in die Hartmann tief bohrt und die er detailliert ausbreitet. Wer aus der breiten Schauspieler-Riege gerade nicht hinten am Gemälde mitmalt, der beklagt an der Rampe stakkatohaft die innere Pein. Da preist Cordelia Wege unterschiedliche Strategien an, Armut zu verbergen. Oder Linda Pöppel befragt in zunehmender Nervosität, was in der Nacht geschehen ist, an die der Ich-Erzähler des Romans sich nicht mehr erinnern kann.

Agiert wird auf höchster Energiestufe. Offiziell wird nicht nach festgelegter Struktur gespielt, sondern improvisierend, nur mit einem Textreservoir, wie es im Programmheft heißt. Die größte Virtuosin darin ist Almut Zilcher. Wenn sie ihren Blick in den Himmel hebt und herausbellt, dass sie ja weiß, dass sie sterben muss, dann spricht da eine Diva der eigensinnigen Überlebenskunst, die es mit jedem aufnehmen kann und auch Gott nicht scheut.

Nur ein Flirt mit dem Düsteren

Hartmann schafft keine nachvollziehbare Handlung, sondern einen Assoziations-Strom aus düsteren Stimmungen, fiebrigem Philosophieren, Freilegen eines Wahnsinns, der längst weggesperrt ist aus dem Alltag der Gegenwart. Alles zusammen fließt in ein auf Überwältigung angelegtes Bildertheater: in Nebel tanzende schwarze Menschen-Silhouetten mit Hüten, Kleidern und Formen aus düsterer Jahrhundertwendezeit. Kunst-Projektionen, die sich mit ihren großflächigen Körper-Tätowierungen auf Armen, Beinen und Oberkörpern der Schauspieler überlagern.

Der Sound wuchtiger Streicherklänge betont so manchen Verklärungs-Moment, aber es nützt nichts: Bewusstseinserweiternd wirkt die krude Mischung nicht. Der Diskurs über die Entstehung von Kunst bleibt auf ferner Distanz zu der Frage, was der Mensch jenseits seines hochentwickelten Nervensystems eigentlich ist. Das stur erregte, hochgefahrene Spielen kitzelt am Wahnsinn, aber bleibt ein Flirt. Freilich einer, der sich nicht um Mäßigung oder Konvention schert an diesem kunst-halluzinierenden Abend, mit dem Hartmann tief ins Düstere will. Als Stimmung wird das ausgiebig zelebriert, hell wird es am Ende nicht.

 

Hunger. Peer Gynt
nach Knut Hamsun und Henrik Ibsen
Regie und Bühne: Sebastian Hartmann, Kostüme: Adriana Braga Peretzki, Bild/Installation/Video: Tilo Baumgärtel, Dramaturgie: Claus Caesar.
Mit: Elias Arens, Edgar Eckert, Manuel Harder, Marcel Kohler, Peter René Lüdicke, Linda Pöppel, Linn Reusse, Natali Seelig, Cordelia Wege, Almut Zilcher.
Dauer: 3 Stunden 15 Minuten, eine Pause

www.deutschestheater.de


Die Live-Entstehung eines Gemäldes von Tilo Baumgärtel war unlängst auch am Staatsschauspiel Dresden zu erleben: in Sebastian Hartmanns freier Adaption von Dostojewskis Erniedrigte und Beleidigte.


Kritikenrundschau

"Rabiater Umgang mit literarischen Vorlagen - aber gelungen", heißt es in der Unterzeile von Peter Laudenbachs Kritik in der Süddeutschen Zeitung (22.10.2018). In Hartmanns besseren Arbeiten gelängen  beeindruckende Bilder und "verblüffende Assoziationsketten", wie diesmal. Die Inszenierung interessiere sich weniger für die Handlung als die überreizte Wachheit und den erschöpften Halbdämmer aus Hamsuns "Hunger", ein Bewusstsein in der Twilightzone. Viele der Darsteller-Solos seien dicht und stark, aber "nur lose miteinander verbunden, vielleicht eine Folge es dissoziierten Bewusstseins des Peer-Hunger-Protagonisten".

Als "Versuch, eine Art produktiven Text-Crash herbeizuführen" ordnet Christine Wahl die Inszenierung ein und schreibt im Tagesspiegel (21.10.2018): "Mal abgesehen davon, dass der Abend sich dramaturgisch trotzdem als äußerst klug gebaut erweist: Wie wohltuend schon die Tatsache, dass mal wieder jemand etwas wagt im Theater! Dass jemand eine andere (begründete) Idee hat als die Handlungslinien abklappernde Textbebilderung. Oder die zwar häufig wirksame, am besten aber immer noch bei ihm selbst funktionierende Intellectual-Methode der (Fremd-)Textwucherung à la Frank Castorf." Und "Hartmanns Zusammenprall" schlage dann auch im Szenischen "tatsächlich außergewöhnliche Funken", zum Beispiel: "Großartig, wie Almut Zilcher, an der Rampe liegend, Aases Sterbeszene spielt und der grandiose Manuel Harder als Gynt sich dabei an ihrem Kopf zusammenkauert", so Wahl. "Das sind Bilder einfach auch ganz elementar wirken; ohne Textkenntnis."

Hartmann verzichte auf einen Plot und wolle sich "eher anhand von Text-Motiven zu großen Fragen vorarbeiten: Was ist der Mensch, was macht den einzelnen aus?", berichtet Barbara Behrendt im Inforadio des rbb (20.10.2018). Der Abend "will schon große Oper sein", und was "das Visuelle" angehe, so sei er auch "durchaus eindrücklich". Inhaltlich findet die Kritikerin es "ein bisschen zu schmal". Die vielen Facetten der Hamsun-Figur würden nicht geborgen: "Hartmann konzentriert sich eigentlich nur auf das Leid, das Sterben, das Jenseits" und öffne keine "größere Welt". Zudem sei es ein "spröder Abend".

Von einer gespenstisch-realen "Schattenoper, die keiner Partitur sondern den ungeschriebenen Wechselrhythmen und Tonalitäten des Traumes folgt", spricht Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (25.10.2018). Der Textgehalt des Abends jedoch bleibt aus ihrer Sicht dünn. "Bisschen kafkaesk, bisschen Indianerspiel zwischen Natur und Kultur" sei das Ergebnis. Doch wie der Abend in seiner "immersiv verfangenen Traum-Wirklichkeit" Bild über Bild schiebt und "die Projektionen ihr Eigenleben beginnen: sich verändern, verschieben", dem kann sie stundenlang zusehen.

 

Kommentare  
Hunger, Peer, Berlin: magisch, rätselhaft, atemberaubend
Ein Körperballett entfaltet Sebastian Hartmann, einen rhythmischen Tanz der Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, der versuche und des Scheiterns. Mystische Klänge Dräuen, Dissonanzen kreischen, Hip Hop pulst. Tilo Baumgarten projiziert Zeichnungen auf ein leeres Triptychon. Die Darsteller*innen malen nach, übermalen später, retuschieren, verändern. Sie nehmen eine vorgegebene Welt und machen daraus eine neue, bevölkern sie mit sich selbst und übertünchen sie und sich wieder. In der Pause wird das Bild umgedreht, die Welt auf den Kopf gestellt. Hier geschieht auch der Übergang der Weltmodelle: Domnierten vor der Pause die Hamsun-Fetzen, betreten nun Peer-Fragmente die leere Bühne. ein neuer Blick, ein neuer Weltversuch, das gleiche Ergebnis und doch ein vollkommen neues.

Sebastian Hartmanns Hamsun-Ibsen-Kollision ist ein elegischer, rauschhafter, traumhafter (im Wortsinn) Tanz und das goldenste aller Kälber: die Hybris des Menschen, individuell, unteilbar, definiert und definierbar, einzigartig zu sein. Er zerstückelt das Ich , um es zu ermöglichen, verwirft es, um es vorstellbar werden zu lassen. So treten Bild und Klang und Rhythmus und Körper und Sprache in ein instabiles Spannungsverhältnis, das auch die Enstehung dieses jedes Mal neuen Abends kennzeichnet. Nichts ist sicher, jedes Element steht für sich, sucht führ sich, scheitert für sich – jeder Körper, jeder Text, jede Ebene. Einmal tritt Lüdicke, in völliger Stille, zum entstehenden Bild, verrückt die Leiter, beginnt eine menschliche Form auszulöschen, verschiebt die Leiter, setzt an einer anderen Stelle neu an. Plötzlich bewegt sich das Bild, weg von ihm, er bleibt stehen, den Pinsel in der Hand und malt nun in die Leere hinein. Der Abend ist dieser Verlorene auf der Leiter, der das Nichts anmalt, eine unsichtbare Welt erschafft, eine Möglichkeit von ihr, in tausend widersprüchlichen Versuchen. Sebastian Hartmann führt das Theater, diese Illusion einer Welterbauungsmaschine, zurück auf ihren Grund, zersplittert es in seine Einzelteile, die frei im Raum schweben und so, weit voneinander entfernt, doch ein Bild malen, einen Raum füllen, eine Realität andeutet. Ein atemberaubender Abend, magisch, rätselhaft, flüchtig und doch Millionen Möglichkeiten öffnend. Zu denken, zu fühlen, zu sehen, zu hören, Mensch zu sein. Siehe, der Mensch! Ein Bruchstück, ein Scheitern, eine ganze Welt.

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2018/10/16/ecce-homo/
Hunger, Peer, Berlin: überwältigend, aber nicht berührend
Dieser Abend ist ein Wucht, er polarisiert aber auch ganz offensichtlich. Vielleicht 80% Auslastung bei der zweiten (!) Aufführung, nochmal mindestens 10% Schwund über die drei Stunden, und zum Schlussapplaus neben Jubel auch deutlich vernehmbare Buhs.
Im Grund kein Schauspieler- oder Texttheater, sondern Performance, starke Bilder, atmosphärische Musik und mit dem entstehenden, immer wieder bis schließlich zur Unkenntnis übermalten Bild die wunderbarste Metapher auf die Jetztkunst Theater. Von der ersten Szene im Nebel (die zum Niederknieen ist) bis zum Schlußbild im Regen spannend und überwältigend, leider aber nie (mich) wirklich berührend. Jedenfalls bemerkenswert und herausragend!
Hunger, Peer, Berlin: kontrovers
keine buhs zuur premiere. kein schwund. von zuschauern. ich war da. stimmt einfach nicht. und ich finde buhs gut,weil ich kontroverse wünsche.
dennoch tolles kontroverses stück, GUCKEN!!
Hunger, Peer, Berlin: nur coole Begriffe?
Performance mit Repertoireschauspielern? Wie soll das gehen? Einfach nur mit aufgewerteten coolen Begriffen herumwerfen, das sollte man nicht, "dabeigewesen".
Hunger, Peer, Berlin: zweite Aufführung
@4: Ja, es ist ein Rätsel. Wie geht das? Mein Vorschlag: hingehen, ansehen und dann selber formulieren. Yoda-Diplom machen und dann selber mit aufgewerteten coolen Begriffen rumwerfen. "Performance", uiuiui.

@3: Ebenfalls ein Rätsel! Ich vermute. unsere unterschiedliche Wahrnehmung kommt daher. daß ich von der zweiten Aufführung schreibe (hatte mir erlaubt, dies mit einem Rufzeichen. zu kennzeichnen). und Sie von der Premiere.
Hunger, Peer, Berlin: Wie bitte?
@Yoda:"Performance mit Repertoireschauspielern? Wie soll das gehen? "

Häh? In welchem Star Wars-Jahrzehnt bist Du denn hängen geblieben?
Hunger. Peer, Berlin: Schwund ja, Buhs nein
@3+5: For the record: Schwund gab es tatsächlich einigen auch zur Premiere, Buhs nicht.
Hunger, Peer, Berlin: konkret
Wirklich schöne Bilder
Hoher Einsatz der Spieler
Die Sprechtexte der Schauspieler blieben fast immer allgemein atemlos und echauffiert. Warum das, erschloss sich mir nicht und langweilte.
Der körperliche Ausdruck der Spieler war ebenso allgemein intensiv, bis auf wenige Momente - hier sehr beeindruckend, wie Elias Arens die Beine von Linda Pöppel marionettenhaft führt. Das war konkret.
In der Kürze insgesamt hätte vermutlich die Würze gelegen.
Hunger, Peer, Berlin: Hilflosigkeit überwinden
Ich habe die dritte Vorstellung gesehen.
Der erste Eindruck war mir bekannt: Üppigen Bühnennebel mit schwarzen Figuren und das Malen eines großflächigen Bildes hatte ich vor drei Wochen in Dresden auch schon gesehen. Ich fragte mich: Hat Herr Hartmann nun seinen "Stil" gefunden? Wenn ein Regisseur einen "Stil" hat, kommt es oft vor, daß jeder Stoff in der derselben Art und Weise behandelt wird.
Die Dresdener Aufführung hatte mir mißfallen. Ich hatte den Roman von Dostojewski mit Interesse und Begeisterung gelesen. In Dresden hatte ich den Eindruck, ich solle in die Emotionalität der Figuren hineingezogen werden. Als ich den Bericht der Nelly über den Tod ihrer Mutter und das Fernbleiben des Großvaters las, hat mich das erschüttert; vom Spiel der Schauspielerin, die mit dem originalen Text des Romans in den Zuschauerraum sprach mit einer Erregung als würde das Beschriebene, das zurückliegt, eben jetzt stattfinden, distanzierte ich mich. Es war mir, als sollte ich an der Betroffenheitskultur der deutschen Demokratie teil-
nehmen. Das wollte ich nicht. (Vermutlich läßt sich die Erregung, die von der Schauspielerin verlangt war, nicht mit dem Partner Zuschauerraum spielen, sondern allenfalls mit einem handlungsfähigen Bühnenpartner.)
In der Berliner Aufführung habe ich nicht entdecken können, daß die Schauspieler ausschließlich aus der Situation heraus agieren und reagieren (wie im Interview behauptet), auch konnte ich nicht erkennen, in welcher Weise das, was sie taten, mit dem Malen zusammenhing (einen großartigen Moment ausgenommen: wenn die Malfläche sich vom Malenden entfernt und der Pinsel in der Luft stehen bleibt). Ich mißtraue der Behauptung, da seien "freie Radikale" auf der Bühne zugelassen. Es machte den gesamten Abend lang den Eindruck einer gut abgestimmten und verabredeten Einstudierung, und die Schauspieler schienen doch sehr oft Formen zu erfüllen, deren Sinn und Inhalt sie noch nicht zu ihrem Eigenen gemacht hatten. Und wenn der Regisseur auf der Rückseite des Programmheftes als der "große Menschenerkunder" gelobt wird (man muß manche Dinge nur oft genug behaupten, dann werden sie auch auf Dauer geglaubt), so frage ich mich, ob er die Schauspieler, die doch in erster Linie auch Menschen sind und nur weil sie es sind, spielen können, ausreichend erkundet hat. Nach meinen Erfahrungen habe ich an dem Abend nur wenig Schauspielkunst gesehen: Frau Reusse und Herr Kohler machen am Anfang Versuche, die einen erwartungsfroh stimmen, und Herr Lüdicke hat eine Schlußszene, wo man sich auf das nächste Schauspielertheater freut. (Wie hat er es nur geschafft zu verhindern, daß seine zappelnden und hopsenden Kollegen nicht auf der Bühne sein durften - eine boshafte Frage, ich weiß - aber ich habe alle mitspielenden Damen und Herren in anderen Aufführungen schon als starke Darsteller gesehen.)
Ich habe nicht entdecken können, wo die Stoffe und die Konflikte, die bei Hamsun (in Prosa) und Ibsen (als Drama) verhandelt werden, aufeinanderstoßén und sich reiben. Es sollte nichts erzählt werden, und so ist ein dreistündiges Stimmungsbild entstanden, zu dem ich mich nur schwer als zuschauender Mitspieler verhalten kann, zumal ich auch nicht weiß, warum ich mich in eine düstere Weltuntergangsstimmung einwickeln lassen soll. Das kann ich doch jeden Tag in den Berichten der Politik über Elend und Krieg und Hunger in der Welt haben. Mir wäre ein Theater lieber, das mir - auch mit rabiaten Mitteln - hilft, die sich verbreitende Hilflosigkeit und Unflätigkeit zu überwinden.Ich denke, die Geschichte des Peer Gynt hätte genügend Material geboten, um öffentlich über den Menschen und seine Bestimmtheit in der Welt spielerisch nachzudenken.

Auch zur dritten Vorstellung gab es in der Pause Abgänge.
Es gelingt eben nicht immer und nicht allen Zuschauern, in der erzählten Geschichte (wenn denn eine erzählt wird) Teile ihrer eigenen Geschichte zu entdecken (das sollte aber jede Theateraufführung anbieten).
Am Ende gab es frenetisches Gejohle (ich dachte immer, so etwas gäbe es nur am Ende von Rock-Konzerten). Wer hatte sich da geirrt?
Ein mir unbekannter Platznachbar vermutete, das wären wohl Claqueure.

Ich erinnere immer noch Sophie Rois mit einem Leuchter und brennenden Kerzen als Frau Alving auf der großen Treppe in der Volksbühne.
Ich werde die Inszenierungen von Herrn Hartmann weiterhin verfolgen und -
so hoffe ich - genießen.
Ibrik
Hunger, Peer, Berlin: einfach hohl
Der Abend ist eine Erfahrung einer Leerstelle. Ästhetisieren ist noch keine Kunst. 90min langes Spiel der Schauspieler, ohne eine emotionale Beteiligung wahrzunehmen zu können? Man folgt distanziert einem Schauspiel, dass ganz und gar (wie auch hier zu lesen ist) in der Ästhetik aufgeht bzw. untergeht. Man baut eine Distanz auf oder gibt sich der altbewährten Nebel-schwarz-weiß Ästhetik hin. Das ist doch einfach nicht zum Aushalten! Das reicht mir als Anspruch für einen Theaterabend nicht.
Die Figuren werden zu Objekten, denen man teilnahmslos zuschaut!
Diese Erfahrung ist ganz diskret verunglimpfend. Für Spieler und Publikum.

All diese Momente, in der die Konturen wieder verschwinden etc. waren für mich so vorhersehbar systematisch arrangiert und langweilig, das einem unheimlich wird.
Hunger. Peer, Berlin: bitte kürzen
bitte der abend kürzen

zwei stunden - ohne pause
Hunger, Peer, Berlin: bitte verlängern
Bitte keinesfalls kürzen. Ich plädiere sogar für eine Verlängerung: Ein Epilog nach einer zweiten Pause, ähnlich wie bei Hartmanns Krieg und Frieden (2012) oder seiner Matthäuspassion (2008).
Peer Gynt, Berlin: HURZ
.. was für eine elend lange, langweilige und nichtssagende inszenierung.. "hinter dem verstand".. wie mir in der dramatur in der einführung erklärte.. HURZ!.. das hat hape kerkeling vor jahren schon kürzer, besser und lustiger gemacht.. hier befürchte ich auch noch, dass das ernst gemeint war.. solange es genügend deppen gibt, die HURZ toll finden.."inspirierend" oder "zum nachdenken".. nur zu.. der kaiser ist und bleibt nackt. (...)
Peer Gynt, Berlin: lieber nackt
Wörtlich: ich gucke lieber einen nackten Kaiser als einen angezogenen Hape an.

Wirklich: Sicher bleibt das Stück hinter z.B. den "Erniedrigten und Beleidigten", aber liefert doch genug Momente zum Nachdenken umd Sinnieren.
Hunger. Peer Gynt, Berlin: Zilchers Aase
Ende, es ist zu Ende, es geht zu Ende, es geht vielleicht zu Ende.
Nein, es geht ganz sicher zu Ende, es muss zu Ende gehen.
Mein Gott, lässt Gott nimmer sich blicken?
Wie schleichend die Stunden vergehen!
Ich hab`keinen Boten zu Gott zu schicken,
Und hätt`ihn so gern noch gesehen.
Jetzt geht`s ohne Gnade zur Rüste,
zu einer unbekannten fernen Küste.
So jäh! Wer hätte das gedacht!
Aase, wenn ich nur wüsste,
Ob du`s nicht zu schwer dem Gotte hasst gemacht!

Wie, Almut Zilcher agiert auf höchster (Aase)Energiestufe?
Sie ist darin gar die größte Virtuosin?
Sie ist aber mehr als eine Virtuosin. Wenn sie den Blick in den
vielleicht höchsten und zugleich niedrigsten Himmel hebt
und (in meiner Vorstellung) beinahe nach ganz oben, und dann wieder
nach ganz unten schwebt.
Etwas Erdhaftes bellt dabei aus ihr heraus, das heißt, dass wir alle
sterben müssen, im Alter aber kaum noch bellen, vielleicht noch ein
wenig raunen können, wenn es immer sicherer wird, dass wir doch sterben
müssen, und davor jugendlich über-mütig glaubten für immer unsterblich
zu sein.
Eine Diva der eigensinnigsten Überlebenskunst, und von Gott nichts weiß,
und ihn daher nicht zu scheuen braucht.
Braucht sie einen Gott? Sie braucht ihn nicht. Sie ist sich selbst genug.
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