Kolumne: Als ich noch ein Kritiker war - Wolfgang Behrens über Rezensions-Floskeln
Best never rest
von Wolfgang Behrens
23. Oktober 2018. Ich bin in meinem Leben schon vielen hässlichen Sätzen begegnet. "Best never rest" ist natürlich einer von ihnen, oder "Wenn der Bratmaxe grillt, fängt die Stimmung an", oder auch: "Alles wird gut." Der Schriftsteller Max Goldt hat es sogar einmal unternommen, den hässlichsten Satz der deutschen Sprache zu küren. Ich will die Spannung nicht unnötig steigern und zitiere ihn hier sogleich: "In schonungslos verknappter Sprache bringt er die alltägliche Gewalt auf die Bühne und liefert so eine radikale Bestandsaufnahme des Lebensgefühls einer Generation."
Wenn das Sprachbesteck klappert
Nun traf es sich, dass ich, als ich diesen Satz las, noch ein Kritiker war. Goldt gab an, ihn "in der Theaterrezension einer 'Qualitätszeitung'" gefunden zu haben. Und ich war mir plötzlich sicher: Dieser Satz stammt von mir. Hatte ich nicht über eine dieser radikal verknappten Michael-Thalheimer-Inszenierungen genau das geschrieben? Die Schamesröte im Gesicht, durchforstete ich meine Festplatte, und erst nach einiger Zeit durfte ich aufatmen: Fehlanzeige. Der hässlichste Satz der deutschen Sprache war nicht meiner Feder entsprungen.
Max Goldts schonungslose Analyse des "Floskelscheusals" sollte man sich übrigens nicht entgehen lassen (sie findet sich in dem Band "QQ"); immerhin konzediert er darin, dass er gegen das Wort "Bühne" "absolut nichts einzuwenden" habe. Gegen den Rest schon. Und auch wenn ich nicht der Urheber des Satzes war, so fühlte ich mich trotzdem ertappt: In dem Hang des Kritikers nämlich, sich ein bestimmtes Sprachbesteck zurechtzulegen, das irgendwann nur noch routinemäßig daherklappert.
Anders, als es die Leser*innen und Theaterleute denken, haben es die Kritiker*innen aber auch wirklich nicht leicht. Es ist ja nicht so, dass man einfach nur seine Meinung herauspusten kann, sondern man muss sie dummerweise auch in Sprache fassen, und schon fangen die Schwierigkeiten an. Dankbar greift man da zu den vorgefertigten Hülsen, die sich im Laufe der Jahre im Floskellappen des Kleinhirns angesammelt haben (der legendäre Schöpfer der gemein & nutzlos-Diagramme, Matthias Weigel, hat sie für nachtkritik.de einmal zusammengestellt – ich habe damals nachgezählt, wie viele von den Bullshit-Wendungen ich schon verwendet hatte, und war froh, dass ich zumindest nicht auf alle zwölf kam).
Und dann fließt er auch noch!
Was soll man auch tun? Es gibt nun einmal diese Sätze, die immer passen. Angenommen zum Beispiel, ein Kritiker sieht eine lange Aufführung, bei der er im zweiten Teil müde wird. Nun kann er aber unmöglich hinschreiben, dass er im zweiten Teil müde geworden ist, denn das würde man ihm am Ende gar als Unprofessionalität oder als unangemessene Selbstbezogenheit ("Was hat das mit der Aufführung zu tun?") auslegen. Also objektiviert er und schreibt den immer passenden Satz: "Im zweiten Teil verlor der Abend an Tempo." Das aber ist leider eine floskelhafte Formulierung. Er könnte stattdessen schreiben: "Im hinteren Teil floss der Abend seinem Ende nur noch zäh entgegen", aber das macht's irgendwie auch nicht besser. Und ehe man sich's versieht, ist die Floskel stehengeblieben.
Ein zusätzliches Problem wirft die Frage auf, wo die Floskel anfängt und wo sie aufhört. Thomas Mann soll mal gesagt haben ("soll mal gesagt haben": auch so eine Floskel), dass bestimmte Wörter nur einmal in seinem Gesamtwerk auftauchen dürften, danach seien sei verbraucht. Das ist natürlich ein Wahnsinnsanspruch, doch tatsächlich habe ich mal einem befreundeten Kritiker vorgeworfen, dass er im Abstand von nur etwas mehr als einem Jahr in zweien seiner Texte die Fügung "Dramaturgenschweiß" benutzt habe – und in beiden Fällen sei dieser Schweiß auch noch "geflossen". Dramaturgenschweiß aber darf – so meine implizite Forderung – im Œuvre eines Kritikers nur ein einziges Mal fließen. (Nun ja, vielleicht war das etwas übertrieben. Als Dramaturg weiß ich heute zumindest, wovon der Kollege damals geschrieben hat.)
Hauptsache angeregt
Bei den meisten Wendungen ist das Floskelhafte freilich offensichtlich. Wenn ein Kritiker von einer Aufführung zum Nachdenken angeregt wurde (was ja eigentlich immer der Fall sein sollte), reicht es halt nicht, wenn er hinschreibt: "Thalheimer gelingt eine Aufführung, die die Zuschauer zum Nachdenken anregt." Interessanter wäre es doch zu erfahren, über was da nachgedacht wurde. Oder ob der Kritiker tatsächlich selbst nachgedacht hat.
Am besten können Kritiker*innen Floskeln vermutlich durch einen alten Trick vermeiden – mit dem Trick nämlich, einen einmal geschriebenen Text einfach noch einmal durchzulesen. Und dann: Schonungslos verknappen! Radikal! Denn es gilt: Best never rest. Und alles wird gut.
Wolfgang Behrens, Jahrgang 1970, ist seit letzter Spielzeit Dramaturg am Staatstheater Wiesbaden. Zuvor war er Redakteur bei nachtkritik.de. Er studierte Musikwissenschaft, Philosophie und Mathematik in Berlin. Für seine Kolumne "Als ich noch ein Kritiker war" wühlt er u.a. in seinem reichen Theateranekdotenschatz.
Zuletzt fragte sich Wolfgang Behrens in seiner Kolumne nach der Kunst und ihrer Freiheit.
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nachtkritikvorschau
Das generische Maskulinum benutze ich schon in meinem Kolumnen-Titel, denn eigentlich müsste es ja heißen: "Als ich noch ein*e Kritiker*in" war. Und im Satz "Thalheimer gelingt eine Aufführung, die die Zuschauer zum Nachdenken anregt" ist "Thalheimer" zwar nicht direkt ein generisches, aber doch gewissermaßen ein notorisches Maskulinum.
Auch bei "Thomas Mann" verzichte ich auf die an sich korrekte Form "Thomas Mann*Frau“
Es grüßt herzlich
wb
Aber verschwenden Sie Ihre Energie nicht an vergangene Kritiker-Tage. Leihen Sie Ihre Stimme und Ihren – von mir aus schwarzen - Humor den Dramaturgen-Kollegen und dem Schattendasein, das sie fristen. Sie sind vernetzt bei nachtkritik, Sie werden nicht so leicht wegzensiert.
Zeitgleich mit Ihrer Kolumne durfte man auf der Titelseite von nachtkritik einen Video-Beitrag genießen, in dem ein auch Ihnen gut bekannter Theatermann sich in das Klappern seines Sprachbestecks geradezu hineinsteigerte, dass er erst nach einer Stunde wieder aufhören konnte.
Das Ganze begann so: „Ja, ach, also wir machen den Jüngling, äh, wer hat ihn denn gelesen? Ja, der is lang, da quält man sich ganz schön durch. ... Ich bin schwer reingekommen. Der is schwer zu lesen, det is aber nich weiter schlimm. … Hatet überhaupt jemand von den technischen Abteilungen gelesen, nö, ja, is och‘n bißchen viel verlangt. Det sind 800 Seiten.“
Dann war er aber schnell bei seinem Querulantentum, beim Fussball, bei Wagner und weiß der Geier. Mir kamen Zweifel, ob er selbst den Jüngling gelesen hat.
Aber ich war mir sicher, dass es zumindest einen gab, der den Jüngling von vorn bis hinten gelesen und sich überdies seine Gedanken und sein „Konzept“ dazu gemacht hat, der aber die ganze Stunde lang zum Schweigen verdonnert war: Das war der Dramaturg Julian Pörksen.
Besonders empfehlenswert: Friedrich Luft ("Die Stimme der Kritik" gibt es auch in BUchform). Empfehlenswert, aber nicht nachahmenswert, sondern anregend bei der Suche nach einem eigenen Stil. Man kann entdecken, was die deutsche Sprache so alles vermag, wenn Könner und Liebhaber sie benutzen.