Quatsch in Camouflage

von Georg Kasch

Berlin, 24. Oktober 2018. Noch ist die Leinwand weiß. Der Capitaine der Truppe, zu der Champignol als Reservist eingezogen ist, hat sich nämlich in den Kopf gesetzt, sich von dem berühmten Maler porträtieren zu lassen. Nur ist Champignol ja gar gar nicht Champignol, sondern St. Florimont, der nur so tut als ob, um Champignols Frau Angèle nicht zu kompromittieren, mit der er beinahe eine Affäre gehabt hätte. Aber es kommen ja ständig Leute dazwischen, und weil es natürlich in Ordnung geht, wenn der Ehemann mit der Ehefrau, spielt er also diesen Ehemann – und muss als Champignol zur Truppe.

Dort droht alles aufzufliegen, weil der cholerische Capitaine ein Bild will. Erst mal verheddert sich Bastian Reiber in die Leinwand. Dann nimmt er einen Klacks Rot, haut ihn mit Verve auf die Leindwandrückseite. Irgendwie landet sein Pinsel hinterm Steg, die Leinwand auf dem Boden, er selbst steppt darauf herum. Als Axel Wandtkes Capitaine dazukommt, um zu schauen, was es denn geworden ist, faselt Reiber etwas von Prozess, Performance: "Ich komme ja eigentlich vom Tanz."

Das ist eine herrliche Kunst-Windbeutelei, ein Hurz!-Moment, eine Slapstickorgie, wie man sie von Regisseur Herbert Fritsch gewohnt ist: entfesselt, schön bekloppt und gerade darin entlarvend. Nur bleiben solche Momente in "Champignol wider Willen" an der Schaubühne leuchtende Farbtupfer in der Einheitscamouflage, die den gesamten Bühnenkasten bedeckt. Eigentlich müsste dieses Feydeau-Stück von 1892 so richtig zünden, schließlich erinnert vieles an Fritschs Überboulevard-Kracher Die (s)panische Fliege: Vertuschungen, Verwechslungen, Notlügen entlarven die bürgerliche Ordnung als fragiles Gebilde aus Gier und Doppelmoral.

champignol 560a copythomasaurin uDarf ich bitten? Bastian Reiber, Fine Sendel, Iris Becher, Damir Avdic, Werner Eng, Ursina Lardi, Axel Wandtke © Thomas Aurin

Auch sonst ist alles wie immer: Victoria Behr lässt die Frisuren explodieren und die Farben ihrer angeschrägten Jahrhundertwende-Kostüme leuchten. Ingo Günther, Fabrizio Tentoni und Taiko Saito jazzen an Synthesizern und Schlagwerk den Rhythmus hoch. Die Schauspieler – Hausstars, Fritschs an der Schaubühne heimisch gewordene Truppe, dazu UdK-Studierende in den Nebenrollen – nehmen jeden Kalauer, jede Zote, jeden Wortverdreher mit Leidenschaft mit. Sie fauchen, kreischen, verdrehen die Augen, zappeln, stolpern, tänzeln.

Ursina Lardi als Dame als Clown

Auf den Feydeau-Witz packt Fritsch noch mindestens eine Schippe drauf, Versprecher, Wortverdreher, Sprachfehler, Namens-Unsinn. Warum aber kommt das nie so richtig in die Gänge? Vielleicht, weil man zu oft die Anstrengung sieht, die diese Enthemmtheit kostet. Bei Ursina Lardi zum Beispiel. Sie, die große Verwandlungskünstlerin, die eigentlich alles spielen kann, wirkt hier ein bisschen wie eine Dame, die sich als Clown verkleidet hat, aber einen nie vergessen lässt, dass sie eigentlich eine Dame ist. Am Schönsten wirkt es, wenn zwischen aufgekratzten Grimassen-Sätzen und Ganzkörperverrenkungen Lardis eigentliche Gesichter durchscheinen, ihr skeptisch müder Blick, ihr verächtlich zuckender Mundwinkel – ein Hauch von Eigentlichkeit. Aber dann rumpelt schon wieder die nächste Peinlichkeit über die Bühne, Werner Eng wienert angestrengt als dämlicher Onkel Camel herum, Damir Avdic und Fine Sendel übertreiben als kugelrundes Knutschpaar hemmungslos, Iris Becher hysterisiert als Tochter des Capitaines herum, Robert Beyer stiert gleich in drei Rollen wie Louis de Funès aus der Wäsche.

champignol 560 copythomasaurin uVerteidiger des Unsinns: Maximilian Diehle, Bernardo Arias Porras, Robert Knorr, Teresa Annina Korfmacher, Nina Bruns, Carol Schuler © Thomas Aurin

Jede*r für sich genommen gibt sich große Mühe, ein unverwechselbares Abziehbild auf die Bühne zu pfeffern. Weil sie auch dann mit den Augen klimpern und mit den Gliedern zappeln, wenn sie nicht dran sind, werden diese Karikaturen selbst zur Dauergewimmel-Camouflage. Allenfalls Carol Schuler, die erst ein unfähiges Dienstmädchen hinquakt, dann einen unfähigen Caporal, brennt sich ein als schräges, nervendes Geschöpf nicht von dieser Welt.

Es hilft dann auch nicht, dass die Truppe des zweiten Akts ein ausgedehnter Schwulenwitz mit Wackelpopos und Tangoschritt ist und der vorgeführte Militarismus mit seiner Uniform-Gläubigkeit, seinen Strafen, seiner Hierarchie Staffage bleibt. Oder Taiko Saito als Geisha zum Ball-Auftakt mit Verve ihr Vibraphon bearbeitet – das ist virtuos, bremst aber die Szene aus. Schade. Im Feydeau stecken einige Bemerkungen über Kunst und Markt, Gesellschaft und Liebe, die es in sich haben. Hier aber bleiben sie meist nur das Sprungbrett für Saltos, die um sich selbst kreisen.

 

Champignol wider Willen
von Georges Feydeau
Aus dem Französischen von Friedrich Karl Wittich
Regie und Bühne: Herbert Fritsch, Kostüme: Victoria Behr, Musikalische Leitung: Ingo Günther, Dramaturgie: Bettina Ehrlich, Licht: Erich Schneider.
Mit: Bastian Reiber, Florian Anderer, Ursina Lardi, Werner Eng, Fine Sendel, Damir Avdic, Axel Wandtke, Iris Becher, Bernardo Arias Porras, Robert Beyer, Stefan Staudinger, Vito Sack, Carol Schuler, Nina Bruns, Maximilian Diehle, Robert Knorr, Teresa Annina Korfmacher, Sarah Schmidt. Musiker*innen: Ingo Günther, Taiko Saito, Fabrizio Tentoni.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.schaubuehne.de

 

Kritikenrundschau

"Weil die Figuren sich selbst und den anderen meist was vormachen, ist ein Meta-Theater der Posen, Klischees und Konventionen zu sehen. Die Schauspieler machen das routiniert bis grandios", schreibt Mounia Meiborg in der Süddeutschen Zeitung (26.10.2018). Der Humor dieses Abends sei kein subversiver. "Witze lassen hier – anders als bei Fritschs Arbeiten ohne Stückvorlage – keinen Sinnzusammenhang einstürzen. Im Gegenteil." Jede Pointe bestätige eine Gewissheit: "So sind sie, die Männer, die Frauen, die Bourgeoisie." Deswegen sei der Abend zwar amüsant ist, aber fast nie richtig komisch. "Es fehlt die Not, die in "der die mann" eine Komik der Verzweiflung nährte. Oder die 25. Wiederholung einer Szene, die in 'Pfusch' für Lachanfälle sorgte."

"Diese Typen sind derart aufgekratzt und hochgejazzt, dass sie nichts mehr überrascht. Sie überspielen eine Leere, springen häufig über das Loch im Boden, tanzen am Abgrund. Aber der ist recht flach", schreibt Rüdiger Schaper vom Tagesspiegel (online 25.10.2018). "Endlich spielt ein großes Haus ein Stück aus der komischen Tradition, und es stellt sich heraus, dass der Boulevard ein empfindliches Wesen ist. Wenn er so breit attackiert wird, zieht er sich zurück."

Ute Büsing vom Inforadio (25.10.2018) ermüdete der Heidenspaß etwas. Sie sah: "Ein perfekt abgestimmtes Gesamtkunstwerk – unter dem Feydeaus Komödie fast zusammen bricht." Wenn es eine Erkenntnis gebe in all dem Klamauk dann vielleicht die, dass im Salon schon das Bootcamp lauere. "Die kleinbürgerliche Gesellschaft kennt kein Pardon. Nicht in der Kunst und auch nicht im Krieg."

 

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