Theater des Lichts

von Petra Kohse

Berlin, 13. Dezember 2006. Das Theater des Robert Lepage erkennt man am Licht. Ein dramatisches und zugleich filmisches Licht, ein Licht, das sich auf die Personen und Requisiten richtet wie eine Kamera und den Rest im Dunkeln lässt. 

Ein suggestives Licht, das dazu verführt, sich hineinsinken zu lassen in das Gezeigte, aber auch Misstrauen weckt. Mach doch mal hell!, möchte man irgendwann rufen, um zu überprüfen, ob die Sache auch unter Neonlampen Bestand hätte. Aber das wäre nicht angemessen. Denn der 49-jährige Frankokanadier, der mit vielstündigen, mehrsprachigen, sich stets wandelnden und jahrelang tourenden Bühnen-Epen wie "The Dragon's Trilogy" (ab 1985) und "The Seven Streams of the River Ota" (ab 1994) weltbekannt wurde, ist ein Mann der theatralen Setzung und des optischen Effekts. Sparsam dabei, minimalistisch zuweilen und auf den Fortgang der Geschichte konzentriert. Ironisch auch, gelassen und in der Erzählung stets in der Gegenwart ankommend. Aber eben doch sehr stark aufs Verblüffungshandwerk setzend und, nun ja, recht sentimental.

Kunst als Bewältigung

Vielleicht, weil er so oft Biografisches hineinnimmt in die Arbeit. Und die Kunst für ihn ursprünglich nicht nur Ausdrucks-, sondern auch Bewältigungsmedium war. Man muss sich Robert Lepage Mitte der 70er Jahre als einen zutiefst verunsicherten jungen Mann vorstellen. Durch eine Fehlsteuerung des Immunsystems verlor er schon als Kind alle Haare, und als Teenager entdeckte er, dass er homosexuell ist. Ein sich doppelt isoliert fühlender Junge, der einsam vor dem Fernseher saß und davon träumte, ein Rockstar zu sein. Und dann war da dieser Theaterkurs an der Highschool - und es hat Boom gemacht!
Theaterkonservatorium in Québec, Workshops von Alain Knapp in Frankreich, erste Arbeit mit dem Théâtre Repère in Quebec - und sehr schnell internationale Anerkennung dafür. Inzwischen betreibt Lepage mit seiner vor 15 Jahren gegründeten Gruppe Ex Machina in Québec sein eigenes Laboratorium und war vermutlich schon auf allen Theaterfestivals der Welt zu Gast. Nebenbei inszenierte er Tourneen von Peter Gabriel, arbeitete an Opern in Japan, Frankreich und England, machte fünf Filme, richtete letztes Jahr die ständige Show des Cirque du Soleil in Las Vegas ein und stellt sich in Soloprojekten immer wieder selbst auf die Bühne. Mindestens zweisprachig und in mehreren Rollen natürlich.

Aktuell ist Robert Lepage in "The Andersen Project" im Haus der Berliner Festspiele zu sehen, ein international koproduzierter Beitrag zum Andersen-Jahr 2005. Begleitend werden seine Filme gezeigt (die sein diesbezügliches Gesamtwerk darstellen, weil ihm das Filmgeschäft "zu kommerziell" geworden ist), so dass - rund um seinen Geburtstag am 12. Dezember - eine kleine "Personale" entstanden ist.

Drei Rollen und ein Schauspieler

Es gibt kein passenderes Wort. "The Andersen Project" erzählt die Geschichten eines alternden Rocklyrikers, der aus Kanada ("aus den Kolonien") nach Paris an die Oper gekommen ist, um in einer internationalen Koproduktion das Libretto für Andersens Spätwerk-Märchen "Die Dryade" zu schreiben. Er bezieht die direkt über einem Pornokino gelegene Wohnung eines Drogenabhängigen, der zur gleichen Zeit in Kanada eine Therapie macht und dem Rocklyriker dabei die Freundin ausspannt, während dieser in Paris seinen Hund versorgt. Trotzdem schafft er es, eine Fassung zu schreiben, die der Operndirektor aber nicht liest, weil er nach einem Besuch bei seinem Autor im Pornokino hängengeblieben und dabei wieder seiner früheren Pornosucht verfallen ist, was ihn völlig ruiniert.

Lepage spielt beide Rollen, dazu noch einen Marokkaner, der in den Pornokabinen saubermacht und nachts in den U-Bahnen Menschenrechtssprüche sprayt. Wobei diese Ein-Mann-Veranstaltung absolut dialogischen Charakter hat. Telefonierend oder sein Gegenüber szenisch simulierend sowie mit rasanten Kostüm- und Perückenwechseln hinter Säulen, skizziert er die Geschichte dieser verschiedenen Einsamkeiten nicht nur, sondern ist sein vollwertiges eigenes Ensemble. Mit Kulissen oder Landschaftsprojektionen auf der teilweise begehbaren rückwärtigen Leinwand, mit einer variablen Kabinenreihe (Pornokino, Telefonzellen), heranfliegenden Cafétischen und sogar einer belebten Hundeleine, greift er tief in die Kiste des poetischen Illusionismus, wendet zeitgemäße Technik an und bleibt dabei immer fahrendes Volk auf einer Bretterbühne. Die Frauen werden von Kleiderständern gespielt, die er zärtlichst umfängt, das Märchen von der Dryade ist Puppen-, das vom Mann ohne Schatten ein Schattenspiel. Lepage ist Handelnder und Behandelter, Erzähler und Spielmacher. Handwerklich ein Bravourstück, von der Geschichte her bizarr, einfallsreich und lustig - und doch: Es ist, als ob die Sache keinen Kern hätte.

Weltleere und Haltungsenthaltsamkeit

Die gleichermaßen einsamen Figuren des erfolglosen Schreibers und versexualisierten Direktors verweisen auf das Leben von Hans Christian Andersen, der als Erwachsenenautor nie ernst genommen wurde und exzessiv masturbierte, nehmen aber auch biografische Motive von Lepage auf und wollen mit dem Marokkaner zusätzlich welthaltig werden. Was aber ist Lepages Haltung dazu? Welchen Diskurs führt er?

Keinen, und das konzeptionell. Wie er dem Publikum im Anschluss an die zweite Berliner Vorstellung erläuterte (und wie sich in Interviews wortgleich nachlesen lässt), vermeidet er das Diskursive in seiner Arbeit und setzt statt dessen auf die gemeinsame Erfahrung der Spielenden mit bestimmten Motiven oder Bildern, aus denen sich im Laufe der Proben die Geschichte entwickelt. Gefühlte statt diskutierte Wahrheit also, und auch der Wunsch nach einem ganz engen Kontakt mit den Zuschauern, die emotional erreicht werden sollen und deren Reaktionen die Dramaturgie beeinflussen. Kommunion statt Kommunikation. Vielleicht ist es das Kunstreligiöse, das einen bei Lepage stört, die fehlende Infragestellung der eigenen Mittel.

Andererseits produziert dieses Ungebrochene eine herrlich entspannte Fröhlichkeit. "Danke schön", trötete Lepage immer wieder, als er Applaus bekam beim Publikumsgespräch und stand dann lustig stramm, wobei er einmal auf eine Kamera deutete und unter echtem Gelächter rief, auweia, das werde gleich morgen bestimmt in You tube zu sehen sein. War es nicht, leider. Denn das ist nun wiederum eine sehr schöne Vorstellung: Dass Theaterkünstler es okay finden, für Pop gehalten zu werden und mehr noch: dass sie es auch tatsächlich sind. 

The Andersen Project
Konzept, Text, Regie: Robert Lepage, Mitarbeit Text: Peder Bjurman, Marie Gignac, Mitarbeit: Félix Dagenais, Mitarbeit Bühne: Jean Le Bourdais, Mitarbeit Licht: Nicolas Marois, Sound Design: Jean-Sébastien Côté, Kostüme: Catherine Higgins.
Mit: Robert Lepage.

www.lacaserne.net

 

 

 

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