Nancy Reagan machte sich Sorgen

von Theresa Luise Gindlstrasser

Wien, 30. Oktober 2018. Anno 2000, zur Eröffnung als kosmos.frauenraum, stand Elfriede Jelinek am Podium. Gründungsintendantin Barbara Klein leitete das Kosmos "Theater mit dem Gender" 18 Jahre. Das ist nicht nur lang, das ist viel feministische und queere Theorieproduktion seither. Die neue künstlerische Leiterin Veronika Steinböck proklamiert nun "Begehren" als Motiv der Saison: "Öffnen wir den Raum für Formen des Begehrens, die sich von traditionellen gesellschaftlichen Normen unterscheiden und suchen nach einer Form, in der sich das Anderssein artikuliert." Die Eröffnungsrede nach verlängerter Sommerpause kam von Marlene Streeruwitz. Und die erste Premiere der Spielzeit heißt "Mütter". Zwinker-Smiley: Regisseurin Milena Michalek ist Tochter der Mutter Steinböck. Gemeinsam mit dem Kollektiv YZMA macht sie hochtourige Diskurs-Verwurstungsabende, die bisher am Theater Drachengasse, dem Landestheater Niederösterreich und auch schon am Kosmos Theater liefen.

Nebenbei Kinder kriegen

Für die Stückentwicklung "Mütter" sind Michalek, die künstlerische Mitarbeiterin Paula Thielecke und das Ensemble ausgezogen, eine Ikone auseinander zu nehmen: "deine Mudda". "Frauen und Mutterschaft. Genau diese Verbindung leider. Wie kriegt man das denn auseinander?" Die Entmystifizierung erfolgt an diesem Abend erstens auf Basis von Reproduktionstechnologie und Donna Haraway. Schauspielerin Claudia Kainberger betreibt hoffnungsvoll begeisterte Produktpräsentation. Der portable Uterus "Moving Mary" – sie hält ein weißes Kissen in Händen – könnte Kinderkriegen ablösen vom Körper, von bestimmten biologischen Voraussetzungen, könnt's herauslösen aus heteronormativen, patriarchalen Verbindungen. Dann ist ja alles prima! Na ja. "Wo's das Gute gibt, ist das Schlechte nie fern", mit einem portablen Uterus ließen sich auch Armeen züchten.

muetter1 560 BettinaFrenzel uHin- und hergerissen. V.l.: Anna Kramer, Alice Peterhans, Claudia Kainberger © Bettina Frenzel

Die Entmystifizierung von "Mütter" erfolgt zweitens im Ideologischen. Holy Mother Mary, immer nur Sorge, immer nur asexuell – ist nicht. Steht Anna Kramer in einem weißen Schlafsack/Wintermantel versteckt und wird von Kainberger und Alice Peterhans kreuzverhört. Sie soll entscheiden: Entweder der Einbrecher schneidet ihr einen Finger ab oder ihrem Sohn ein Ohr. Entweder sie wird vergewaltigt oder ihrem Sohn ins Gesicht gespuckt. Entwaffnend pragmatisch und obendrein schwäbisch kommen die Antworten. Da schafft das Dialektale eine Distanz. Das Oberösterreichische, mit dem Kainberger an anderer Stelle ein Gespräch mit einer zum Pflegefall gewordenen Mutter aufnimmt, ist dagegen ein Mittel der Intimität. Und Peterhans sinniert schweizerisch über die Verbindung von biologischer Mutterschaft und Egoismus, rollt währenddessen über den Bühnenboden. Müssen wir den Egoismus erst los werden, um uns fertig zu fühlen, Kinder zu kriegen? Oder ist der die Voraussetzung dafür?

Können wir das überhaupt können, Kinder kriegen? Große Frage. Neugeborenes Leben ist verletzlich. "Nicht in die Fontanelle drücken!" – da fällt ein Kissen zu Boden, und einzig Bodybuilder Daniel Jocic, der als Ausgeburt von Männlichkeit halbnackt und lost auf der Bühne sitzt, eilt panisch zu Hilfe. Neben der Entmystifizierung der "Mütter" ist dem Abend an einer Ausdehnung von "Sorge" gelegen. Dass das nicht etwas ist, das Menschen mit einem Uterus anderen Menschen, die aus diesem Uterus heraus gekommen sind, automatisch, quasi magisch, entgegenbringen. Sondern etwas Grundsätzliches. Leben bedeutet Verletzbarkeit und Abhängigkeit, die Sorge füreinander und für den Planeten wird unter dieser Voraussetzung zur notwendigen Bedingung von allem selbstständigen Leben. Mit "Liebe ist der Kommunismus im Kapitalismus" endet eine Szene zwischen Nancy Reagan und ihrem unter Alzheimer leidenden Mann Ronald. Dessen propagierte Freiheit und Unabhängigkeit – da wurde Kainberger von den Drillingen Karim, Marwan und Tarek Taelab stolz durch den Raum getragen – basierte immer schon auf der Voraussetzung umsorgt zu werden.

muetter2 560 BettinaFrenzel uUnd was sagen die Herren? Karim, Marwan und Tarek Taelab, Claudia Kainberger, Alice Peterhans
© Bettina Frenzel

Die drei Spielerinnen Kainberger, Kramer und Peterhans agieren über weite Strecken als Diskutantinnen, drei Thirtysomethings übers Mutter sein und Mutter haben. Für lehrstückhafte Zwischenszenen markieren sie diverse Rollen. Und einmal, da geht's ums Flackern und Fließen von nicht-heteronormativen Wesen, wird's richtiggehend frontal, eine Predigt. Zwischen den Szenen, die lose miteinander in Verbindung stehen, fällt die Energie ab, das macht die Aufmerksamkeit müde. Michalek nutzt den von Selina Traun und Mima Schwahn mit dezenten Lichtinstallationen gestalteten Raum für ausgedehnte choreografische Bilder. Gesprochen wird körperlich, Hände und Füße denken mit. Mit "Mütter" ist das Kosmos Theater im Feminismus anno 2018 angekommen.

 

Mütter
Regie: Milena Michalek, Text: Milena Michalek und Ensemble, Künstlerische Mitarbeit: Paula Thielecke, Bühne und Kostüm: Selina Traun und Mima Schwahn, Regieassistenz: Olivér Illés, Ausstattungshospitanz: Alma de Ganay.
Mit: Claudia Kainberger, Anna Kramer, Alice Peterhans sowie Daniel Jocic, Karim Taelab, Marwan Taelab, Tarek Taelab.
Dauer: 1 Stunde und 45 Minuten, keine Pause

www.kosmostheater.at

 


Kritikenrundschau

Michael Wurmitzer vom Standard (2.11.2018) findet den Abend "schillernd, facettenreich, überbordend". Der "wilde Szenenmix aus theoretischen Lektionen und praktischen Empfindungen" erinnere an "aktuelle essayistische Bücher zur Genderpolitik", und damit sei "ein bisschen viel auf einmal gewollt". Es würden "zwar ziemliche Klischees und Kalauer aufgefahren", konstatiert der Kritiker. "So geballt und tabulos gerät das aber tatsächlich ziemlich witzig."

 

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