Theater gegen das Vergessen

von Eva Maria Klinger

Wolfsegg am Hausruck, Juli 2008. Faul liegen in der Sommerhitze braun gefleckte Kühe auf der Wiese hinter der "Brauerei Zipf" im oberösterreichischen Alpenvorland. Die Bäume auf dem ansteigenden Hügel werfen malerische Schatten auf die saftige Weide. Im angrenzenden Park steht verlassen die herrschaftliche Villa des ehemaligen Brauereibesitzers. Heute gehört die Brauerei einem internationalen Konzern. Doch die sanfte Idylle birgt eine gespenstische Geschichte.

Wo die Kühe ihre satten Körper ins Gras drücken, wurden halbverhungerte Häftlinge zur Zwangsarbeit getrieben. Vom Spätsommer 1943 bis Frühsommer 1945 standen auf dieser Wiese die Holzbaracken des KZ-Außenlagers Mauthausen. 2000 Gefangene gruben unter grausamsten Bedingungen die Kühl-Stollen der Brauerei tiefer in den Berg. In diesen bombensicheren Labyrinthen wurde die Produktion der V2 Rakete weiter entwickelt. Aber die sogenannte "Wunderwaffe", hat den Untergang nicht mehr abgewendet.

Schwarzes Haus

"Alle Bewohner von Zipf mussten ihre Häuser schwarz tünchen, damit der Ort für die alliierten Bomber nicht erkennbar war", erklärt Chris Müller, der Leiter des zeitgeschichtlichen Theaterprojektes im Hausruck. Hinter hohen Büschen verborgen, zeugt noch ein halbverfallenes schwarzes Haus von der dunklen Zeit.

Chris Müller hat als Student der Kunstuniversität Linz für eine Diplomarbeit die Recherche für das schon lange gärende Vorhaben vorangetrieben. Der aus der Gegend stammende Schriftsteller Franzobel konnte für die dramatische Verarbeitung gewonnen werden.

Im ersten Teil, "Hunt", hat er den Bürgerkrieg 1934 in einem prallen Volksstück dokumentiert. Grubenarbeiter des Hausrucker Kohlebergwerks kämpften gegen die Militärmacht des Ständestaates und gegen illegale Nazis so blutig wie erfolglos. Die düstere Freiluft-Kulisse des verfallenen Kohlebrechers bei Wolfsegg, nachts imposant beleuchtet, war der ideale Aufführungsort. In Teil zwei, "Z!PF", verdichtet Franzobel historische Ereignisse in der Region während der letzten Kriegsjahre.

Einige Meter neben dem schwarzen Haus in Zipf hat Theresia Schausberger ihr Bauernhaus wieder hell verputzt, aber nichts vergessen. Im grimmig kalten Winter 1943/44 mussten KZ-Gefangene mit bloßen Händen einen Bunker mit einer vier Meter dicken Betondecke errichten. Theresias Vater besaß den einzigen Traktor im Ort, das Mädchen wurde zum Transport von Menschen und Material verpflichtet. Eines Tages wurde ihr Vater, weil er die SS als "Bagage" und "G'sindel" bezeichnet hatte, gefangen genommen, konnte aber über Intervention des Bier-Barons wieder freikommen, erzählt die rüstige 80-Jährige, während sie hausgemachten Ribiselsaft und Marillenkuchen serviert. "Ich hab ja immer wieder gekochte Kartoffel, Kleider und Decken und zu den Gefangenen geschmuggelt. Dass ich nicht verhaftet wurde, war reines Glück."

Auch ihre Geschichte hat Franzobel in sein Drama "Z!PF" aufgenommen. Fast zwölftausend Besucher zählte man im Vorjahr bei dem von Georg Schmiedleitner eindrucksvoll inszenierten Stück. Dem Einsatz des Regisseurs, dem Engagement einer Hundertschaft von Laiendarstellern aus der Region und der Mitwirkung von vier "Profis" ist dieser enorme Erfolg zu danken. Alexander Strobele als Bier-Baron, Martin Semmelrogge als SS-Lagerkommandant, die sich beide um Julia Cencig als die schöne technische Leiterin des Raketenbaus bemühen, und Franz Froschauer als SSler und Erzähler krönen dieses ambitionierte Projekt.

Jenseits von Bauerntheater und Blasmusik

Im mystischen Gelände der "Kohlgrube" laufen bei brütender Hitze die Wiederaufnahme-Proben. Der Regisseur dirigiert Gruppen und Solisten, Musikkapellen und Chor freundlich aber bestimmt, gibt den Laien Tipps für intensiveren Ausdruck, korrigiert Betonungen und Körperspiel. Der Darsteller des behinderten Bruders des Barons, ein irisch-stämmiger Oberösterreicher namens Seamus Hamilton, erschüttert in seiner vom Euthanasiegesetz bedrohten Existenz auch ohne Scheinwerferlicht und Mikroport. Selbst bei Tageslicht wirkt nichts und niemand dilettantisch. Das ist neben der Vergangenheitsbewältigung die größte Leistung des ehrgeizigen Unterfangens.

Franziska Doblhammer, die die Frau des Bier-Barons spielt, reist sogar jedes Jahr aus Istanbul an, wo sie seit vier Jahren als Deutsch-Lehrerin tätig ist. Sie ist mit der Andorfer Theatergruppe aufgewachsen, einer jeder zahlreichen Laien-Initiativen, aus denen das semi-professionelle Team schöpft.

Auch Alois Holl, in der Rolle des Gauleiters, könnte man für einen "Profi" halten. "Ich habe 1978 die die Theatergruppe in Zell am Pettenfirst gegründet, weil wir eine Kultur jenseits von Blasmusik und Bauerntheater pflegen wollten. Mit Stücken von Felix Mitterer hatten wir große Erfolge, nur der Versuch mit Werner Schwabs "Präsidentinnen" im Vorjahr hat weniger Zuspruch gefunden", erzählt der theaterbegeisterte Landwirt lächelnd. Ein Nebenerwerbs-Impresario macht dieselben Erfahrungen wie ein Theaterdirektor.

Einflüsterungen der Hebamme

"Vorige Woche hab i nach langer Zeit wieder eine Hausgeburt g'habt" erzählt die Souffleuse in einer Probenpause, außerhalb des Theaters unverkennbar als Hebamme beschäftigt. Ihr Soufflier-Einsatz ist vor allem bei den Proben unverzichtbar, wo sie wie ein Linienrichter mit den Darstellern mitläuft, bei den Aufführungen hört man ihre Einflüsterungen auf dem weitläufigen, 80 Meter breiten Set oder im dritten Stockwerk der Ruine des Kohlebrechers ohnehin nicht mehr. "Es war auch noch nie notwendig", beruhigt die soufflierende Hebamme.

Das "Theater Hausruck" muss, wiewohl von regionalen und überregionalen Politikern überschwänglich gelobt, mit knappsten Mitteln auskommen. Alle hoch motivierten Laiendarsteller erhalten bestenfalls einen Spesenersatz. Dieses mitreißende Theater wächst aus Idealismus und Spielfreude.

Ein Sturm hat mittlerweile die brütende Hitze in der Kohlgrube weggeblasen und die Probe unterbrochen. Innerhalb von Minuten peitschen Hagelkörner auf Spielfläche und Zuschauertribüne, schwankt das Empfangszelt im Wind. Nach einer Stunde ist der Wetterspuk vorbei und alle proben, jetzt wärmer bekleidet, unermüdlich weiter. Im Nachbardorf wurde ein Mann von einem Baum erschlagen, erfährt man am Abend.

 

Z!PF
von Franzobel
Regie: Georg Schmiedleitner, Bühne: Stefan Brandtmayr, Kostüme: Cornelia Kraske. Mit: Julia Cencig, Franz Froschauer, Martin Semmelrogge, Alexander Strobele, Hubert Fellner, Michaela Schausberger, Seamus Hamilton, Jo Nagl, Jakob Friedrich, Andreas Peer, Wolfgang Peer und vielen anderen.

www.theaterhausruck.at

 


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