8. November 2018. Der hier veröffentlichte Text ist ein Auszug aus dem Theaterstück "S", das der Berliner Autor Daniel Tharau verfasste, auf Basis der in Bild und Ton dokumentierten Auftritte von Expert*innen beim Kongress "Vorsicht Volksbühne" in der Berliner Akademie der Künste am 15. und 16. Juni 2018. Verhandelt wurde bei dem Kongress die "Zukunft der Volksbühne" nach dem Scheitern der Intendanz von Chris Dercon. Teilnehmer*innen waren u.a. Klaus Völker, Evelyn Annuß und Thomas Oberender, die in dem Stück unter Akronymen und fiktionalisiert aufteten.
Das vollständige Bühnenstück finden Sie hier als pdf.

 

S
 

Stück
für zehn Schauspieler*innen
von Daniel Tharau


mit einem Dialog, der nur aus Worten, Wortteilen und Gefühlsbekundungen besteht,
die beim öffentlichen Kongress "Vorsicht Volksbühne!"
in der Akademie der Künste in Berlin am 15. und 16. Juni 2018
vom Volk geäußert wurden,


während die Anweisungen für die Bühne
frei erfunden sind,


weshalb es Fiktion ist

 

 

 


1
(Arena)

 

Noch im Dunkeln blitzen auf dem geschlossenen Vorhang nacheinander sehr groß die Worte sowie das Satzzeichen auf: „Was bedeutet Volksbühne heute?

 

Dann archaisches Jubeln einer riesigen Menschenmenge und der Vorhang öffnet sich auf eine im Sonnenlicht liegende Arena, hinten und an den Seiten von riesigen Steinblöcken umschlossen, während der Boden mit Sand bedeckt ist, mit Blut, Waffen und Knochen getränkt – alles wirkt wie aus einem Disney-Film über das römische Reich.

Klavö, der alte Gladiator, reichlich gepanzert, betritt die Arena, tritt ins Zentrum.

Klavö:
Ist Berlin noch eine Theatermetropole? Eine Theaterszene gibt es zweifellos. Aber haben deren Aufführungen eine mehr als insiderische künstlerische Strahlkraft? In den zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts war Berlin eine Theatermetropole. Als Folge der Reichsgründung wurden die Theater als die wichtigsten Einrichtungen angesehen, um dem blind gehorsamen Untertan zur Entwicklung eines kritischen Bewusstseins zu verhelfen. Die Keimzelle des Volksbühnengedankens geht auf die Friedrichshagener Naturalisten zurück. Bestreben war, einen Mitgliederverein zu schaffen, der den finanziell schwachen Eintrittskarten zu günstigem Preis vermitteln, aber auch Theaterleiter ermutigen sollte, interessante Stücke in den Spielplan zu nehmen, nicht nur die sicheren Kassenrenner. Außerdem konnte man, indem man eine für Mitglieder geschlossene Vorstellung ansetzte, eher auch Stücke spielen, die ansonsten der politischen Zensur anheimfielen. 1914 war es soweit, dass der Volksbühnenverein ein Theater eröffnen konnte, die Volksbühne. Wer sollte sie leiten? Die Organisatoren begingen den Fehler, keinen Theatermacher zu suchen, der um die Bedürfnisse einer Volksbühne besorgt sein würde, sondern man vertraute das Geschick der Volksbühne Max Reinhardt an, dem genialen Vollender des großbürgerlichen Theaters. Herbert Jhering kommentierte: „Max Reinhardt und die Volksbühne. Die Schauspieler hatten keine Beziehung zu den Massen, für die sie spielten. Künstlerisch die Sehnsucht, dem bürgerlichen Theater gleichzukommen, organisatorisch die Absicht, die Verantwortung zu verschleiern. Die Vermischung von Gemeinwirtschaft und Privatwirtschaft, Volksbühne und doch nicht Volksbühne.


Verloren schwitzend versucht er einem ihn offensichtlich von allen Seiten umgebenden Publikum etwas klarzumachen.

 

Klavö stampft auf, zieht sein Schwert und rennt eine Runde.

Solche Überlegungen spielten auch für die Herren Müller und Renner eine Rolle, als sie den Kurator Dercon zum neuen Hausherren der Volksbühne machten. Mobile Verhältnisse sollen geschaffen werden, Kultur ist ein ökonomischer Faktor geworden. Professionalität und Qualität werden unwichtig zugunsten manipulativer Gleichmacherei. Auch die Volksbühne möchte man in ein beliebtes Geschäftstheater verwandeln, kein Theater fördern, dass Mobilität als bewegliches, eingreifendes Denken versteht.

schreiend

1929 übernahm Karlheinz Martin die Leitung. Sein Credo lautete: „In bewusstem Gegensatz zum Zufallstheater, das heißt zur Wahl von Stücken und Darstellern aus zufälliger Geschmacksrichtung heraus, ein charaktervolles Theater zu schaffen als Ausdruck eines vorwärtstreibenden, freiheitssüchtigen, kämpferischen Willens. Mit anderen Worten, eine Vereinigung jener aufzurichten, die ein eigenes Theater ihres Willens und ihrer Meinung erstreben.

Wieder stehend, aber atemlos

Schönen Dank.

Er verbeugt sich nach allen Seiten …

(höflicher Applaus)

… rudert.

Dann eine Fanfare und Eannu, mit einem langen Kleid und Flügeln, betritt die Arena.

Klavö zieht sich nach hinten zurück.

Eannu:
Herzlichen Dank für die Einladung. Die Aufgabe, ein persönliches Statement zu machen und gleichzeitig im Namen von 40.000 zu reden, werde ich nicht leisten können, denn ich denke, dass es so viele Positionen in Hinblick auf die Petition „Zukunft der Volksbühne neu verhandeln“ gab, wie sie Leute unterschrieben haben. Was ich aber gerne machen möchte, ist ein Plädoyer zu halten für mehr Transparenz im Kontext der Übergangsphase. Der Lappen muss keineswegs um jeden Preis hoch, wenn Theater mehr sein soll als Dienstleistung.


Eannu genießt es, im Mittelpunkt zu stehen – und für sie ist auch klar, wo sich die relevante Person befindet.

 

Sie schminkt sich die Lippen nach.

Der Protest gegen die Zerstörung der Volksbühne wurde nicht vom Deutschen Bühnenverein getragen, sondern von Leuten, die sich dagegen wehren, dass ihre Stadt ausverkauft wird. Und dieses energetische Momentum wäre eine Chance für eine Kulturpolitik.

wie eine Losung ausrufend

(Applaus und Bravorufe)

Eannu fliegt hoch.

Und vor diesem Hintergrund schlage ich folgendes vor: die umgehende Konstitution eines Beratungsgremiums. Dieses soll ergebnisoffen in vier Feldern arbeitsteilig tätig werden und zwar erstens Recherche, Bestandsaufnahme, welche künstlerischen Arbeiten gibt es. Zweitens, Reflexion und Ästhetik. Welche Formate stehen in der Tradition der Volksbühne. Drittens Organisation. Wie ließe sich Intendanz jenseits überkommener Topdown-Strukturen denken? Und viertens das Politische: Wie ließe sich ein Diskursprogramm konzipieren? Wenn wir an die Geschichte der Volksbühne anknüpfen wollen, dann brauchen wir ein Theater, das dazu beiträgt, nachzufragen, wem diese Stadt gehört und was Theater jenseits der Bildungsbürger-Bespaßung sein könnte. Danke.

von oben und wedelnd

(heftiger, langanhaltender Jubel, anfangs auch Bravorufe)

Eannu verbeugt sich, …

 

… landet endlich wieder und begibt sich ins rechte Bühnenportal. Währenddessen betritt Thoobe, ein schmaler Feingeist in einem Anzug aus den 20er Jahren des 20. Jahrhundert die Arena. Einen Klappstuhl in der Hand, tritt er mit leichtem Gang zu Eannu, die er mit einer Pfeife anstubst,

Thoobe:
Herzlichen Glückwunsch zu dem tollen Vortrag! Ich habe auch ein paar Gedanken vorbereitet, die aber weniger instruktiv sind.


bevor er sich direkt neben ihr hinsetzt

Julius Bab zählte die Gründung der Volksbühne zu den herausragenden Ereignissen in der Geschichte des Theaters im neunzehnten Jahrhundert, weil, wie er sagt, es zum ersten Mal der Fall war, dass man nicht ein Theater gründet, um Theater zu organisieren, sondern das Publikum.

Das ist etwas sehr utopisches gewesen. Es ging darum, dass sich ein theaterfremdes Publikum voraussetzungslos der Erfahrung von zeitgenössischer Kunst zuwenden wollte. Regisseure spielten interessanterweise damals nicht diese hervorgehobene Rolle, wie das später der Fall war.

Es ging um die Verführung zum stetigen Theaterbesuch, also man wollte nicht einzelne Ausflüge, sondern eine lange, den Reisenden verändernde Reise.

Die Konstruktion als Verein. Dieser marktferne Charakterzug war entscheidend, da das Theater, so der schon erwähnte Julius Bab, eben kein Geschäft sein dürfe, sondern ein soziales Unternehmen. Und das kann eben, so Bab, nur durch die Gemeinschaft selbst organisiert werden. Daher sei es notwendig, soziale Formen der Führung des Theaters zu finden und durchzusetzen.

Wir sehen, dass unsere zeitgenössische Diskussion um kollektive Leitungsprozesse im Falle der Volksbühne ein ganz essenzielles Moment darstellt.

Aus der Geschichte der Volksbühne wird heute weitestgehend ausgeblendet, dass sie einst entstand, weil man ein Publikum gründen wollte, das der Vorschein einer anderen zukünftigen Gesellschaft war. Und das wollte man in diesem Labor des Theaters formen. Es ging also um mehr als gut gemachtes Theater.

und endlich sein Pfeifchen anzündet.

 

Er löscht seine Pfeife, erhebt sich und tritt an die Bühnenrampe.

Das ist keine Sache, die vorbei ist, sondern das ist ein Zug unserer Zeit, dass sich wieder diese Form von Gemeinschaften, die Gemeinschaftsräume eröffnen, bilden. Und das ist ein sich wandelnder Kontext. Das war in den letzten 25 Jahren nicht in gleichem Maße so. Das ist etwas, das halte ich für eine Entwicklung. Zu diesen Institutionen: Da scheint mir es oft so zu sein, dass sie aus ihren Fenstern eher in Angst nach draußen gucken auf diese Bewegungen, auf diese Leute, die mit anderen Zielvorstellungen und Ideen heute die Institutionen, man könnte fast sagen, heimsuchen und hinterfragen.

 

Und im Grunde ist das umso erstaunlicher, wenn das an der Volksbühne der Fall ist, die doch als ein Verein der Selbstbefreiung und Selbsterziehung von mündigen Staatsbürgern begonnen hat.

Angesichts eines gesellschaftlichen Risses müssen wir heute von einer anderen Zeit sprechen, als es die Castorf-Jahre gewesen sind. Die Jahre unterm Räuberrad waren Deutschlands bestes Beispiel einer gelingenden Wiedervereinigung. Unter dem Thema „Ost“ arbeitete ein ostwestliches Team und zeigte uns, dass Zustände nicht eindeutig sind, dass wir es aushalten können, den Menschen als ein Wesen voller Abgründe zu betrachten. Längst wurde aus diesem Osten Berlins neue Mitte. Das ist eine wirklich signifikante Verschiebung. Aus dem Osten wurde die Mitte und das einstige Leben um das Haus ist verschwunden, die Gegend gentrifiziert, der Sexshop ist weg.

Programm der Nicht-Eindeutigkeit, das ist ein wichtiger Punkt, um das Haus aus, sozusagen propagandistischen Vereinnahmungen rauszuhalten.

Er setzt sich wieder.

 

Er erhebt sich.

Alte Volksbühne, tja, zu der zähle ich auch die Chris-Dercon-Zeit. Ich würde sagen, dass auch diese Zeit sehr wertvolle Produktionen auf die Beine gestellt hat und ich finde, es darf kein Ort werden, wo jetzt eine neue Form von Geschichtsrevision betrieben wird, wo es eine künstliche Stunde null gibt. Was lohnt es sich, an den Anstrengungen aus der Dercon-Zeit doch vielleicht nochmal genauer anzuschauen?

(Gerede setzt ein.)

Also, das Neue beginnt jetzt, und nicht vor einem Jahr. Vielen Dank!

 

(Applaus, ein Bravoruf und ein Pfiff)

Thoobe nimmt die Reaktionen mit ernster Miene zur Kenntnis, bevor er sich wieder auf sein Stühlchen setzt – während gleichzeitig, Katie, wieder eine moderne, mit einem Leuchtschwert bewaffnete Kämpferin die Arena betritt.

 

 

Tharau Daniel 180 privat uDaniel Tharau, 1964 geboren, ist Regisseur und Autor. Regieausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule, Regieassistent am Thalia Theater Hamburg, darauf Inszenierungen an diversen Staats-/Stadttheatern und von Filmen, Schreiben von Stücken. Von 2004 bis 2015 Aufbau und Leitung des sozial orientierten Projekts KUNSTPALAST BERLIN. Zuletzt Verfassen des Romans "Unter Zwang", der sich u.a. das Zusammenspiel von Publikum und Theatermachern im Berliner Ensemble während eines Ausnahmezustands vorstellt.

Kommentare  
Volksbühnen-Stück: schlechter Anlass
Ich verstehe Daniel Tharau nicht. Wenn eine objektive Erkenntnis aus der Besetzung der Volksbühne durch das Kollektiv "Staub zu Glitzer" einerseits und dem Kongress "Vorsicht Volksbühne" in der Berliner Akademie der Künste andererseits zu ziehen wäre, dann ist es doch folgende: Eine Truppe junger Leute ist relativ spontan in der Lage, die altehrwürdige Volksbühne mit einem aufregenden Performance-Spektakel zum Leben zu erwecken. Der Akademie der Künste hingegen gelingen selbst bei sogenannten Topthemen nur schnarchnasige Events. Und das ist leider schon seit vielen Jahren so. Wieso Daniel Tharau der Meinung ist, eine Veranstaltung der Berliner AdK könne eines Theaterstücks würdig sein, ist mir völlig unerklärlich. Es sei denn, Herr Thurau plant bereits sein nächstes Langweilerstück: Beispielsweise: "Frau Meerapfel und Herr Staeck treffen sich zum Tee und verfassen gemeinsam einen neuen Aufruf zu mehr politischer Toleranz".
Volksbühnen-Stück: Filterblase
@1
Bitte korrigieren Sie mich, zum "Topthema" gab es -recht spät meiner Meinung nach- Veranstaltungen in der AdK, in der Urania und der Vierten Welt.
Man könnte sich die Frage stellen, warum kein einziges der Berliner Häuser mit ausgebreitetem Diskussionsprogram einen Abend organisiert hat. Neben den Theatern fallen mir da auch die Festspiele oder das HKW ein.
Es gab zu diesem Topthema diverse Einstiege und teils extreme Positionen. Das wären spannende Diskussionen geworden, getraut hat sich dann aber keiner. Es macht wohl mehr Spass nichts anbrennen zu lassen, in der eigenen Filterblase sitzen zu bleiben und die Wunden zu lecken anstatt die eigene Position in Frage zu stellen oder zu verteidigen.
Volksbühnen-Stück: Geschwafel
Und das soll ein Theaterstück sein????? Nur kopflastige Geschwafel und keine neue Erkenntnisse!
Volksbühnen-Stück: kopfloses Getue
@#3
Kopflastigkeit sollte man einem "Kongress" nicht vorwerfen. Das liegt in der Natur der Sache. Das Problem ist doch vielmehr, dass dem "kopflastigen Geschwafel" an der AdK inzwischen ein "kopfloses Getue" in der Interimsintendanz von Klaus Dörr folgt. Der Wunsch der Anti-Dercon-Kampagne war doch eindeutig, wieder ein Ensemble an der Volksbühne zu sehen. Und zwar kein Ensemble ala Oliver Reeses Berliner Schauspielerbelegschaft, die sich über die Saison für ein Dutzend einzelprojekt-engagierter Regisseure bereit hält, die dann am Schiffbauerdamm einmal pro Saison "Hallo" sagen. Sondern ein Ensemble, das in irgendeiner Form das Erbe von Piscator, Castorf, Schlingensief (und man könnte sicherlich auch noch Fassbinders anti-theater hinzunehmen) anzutreten versucht. Haben wir in dieser Hinsicht irgendetwas von Herrn Dörr angekündigt bekommen? Mitnichten. Anstatt uns an der Volksbühne Produktionen von freien Ensembles vorzustellen, die nach einem leeren Haus suchen, zeigt uns Dörr an deutschen Stadttheatern zusammengeschnorrte Produktionen, die uns für die Zukunft der Volksbühne ebensowenig weiterhelfen wie Daniel Tharaus Dramatisierung des Akademie-geschwafels bei besagtem Kongress.
Volksbühnen-Stück: Nachhaltigkeit
BERLINER ZEITUNG, 17.04.2018
Ulrich Seidler: Wie würden Sie die Problemlage an der Volksbühne beschreiben?
Klaus Dörr: Auf der einen Seite haben wir produzierte Werke, die keine Nachhaltigkeit haben. Die können bis auf zwei nicht in die neue Spielzeit übernommen werden, was von der Laufzeit viel zu kurz ist. Wir haben zu wenig zu spielen. Gleichzeitig mussten Produktionen, die im selben Volumen gedacht wurden und die eine ähnlich geringe Nachhaltigkeit aufweisen würden, auf das Kalenderjahr 2019 verschoben werden. Das bedeutet, dass man zwar eine schwarze Null bis zum Jahresschluss erreichen kann. Aber zwischen Oktober und Dezember hätten wir monatlich 15 Schließtage eintakten müssen, weil wir zu wenig zu zeigen haben. Das ist nicht Sinn eines Theaters.

Ulrich Seidler: Wie wollen Sie kurzfristig handeln, wer soll die Lücken im Spielplan schließen?
Klaus Dörr: Es gibt drei Grundpfeiler. Das erste ist die Einhaltung vertraglicher Verabredungen und ein entsprechend positiver Umgang mit den Künstlern. Es ist mir ganz wichtig, sie willkommen zu heißen. Die verabredeten Projekte bis Anfang Oktober werden definitiv umgesetzt, aber wie gesagt: Das reicht nicht. Deswegen wollen wir Regieteams finden und Eigenproduktionen ermöglichen. Zwei bis Ende des Jahres, fünf bis zum Sommer 2019. Dafür können auch schon Schauspieler engagiert werden, die möglicherweise den Keim eines neuen Ensembles bilden. Der dritte Pfeiler, auf den wir bauen, ist die Solidarität anderer Theater in Form von Gastspielen, Adaptionen, Übernahmen zu günstigen Konditionen. Da kommt mir viel Positives entgegen.

Ulrich Seidler: Wieso lassen sich auf einmal doch Eigenproduktionen finanzieren?
Klaus Dörr: Da bin ich mit der Verwaltung im Gespräch. Beim Kulturausschuss gab es über die Parteien hinweg Signale, dass man mitgehen würde, wenn die Ausgaben für Produktionen mit einer gewissen Nachhaltigkeit bestimmt sind. Man weiß nie, wie gut eine Inszenierung wird. Aber wenn man es aus eigenen Produktionsmitteln, mit eigener Kraft und mit Schauspielern macht, die perspektivisch an der Volksbühne arbeiten, dann kann man davon ausgehen, dass es auch genügend Vorstellungen gibt. Und unter dem Aspekt der Umsteuerung dürfte das wohl durchgehen.
Volksbühnen-Stück: witzig
Ist doch ganz witzig! Ich zumindest hätte Lust, das zu spielen und dabei vielleicht festzustellen, wie aberwitzig diese ganze Debatte war. Und auch wieder nicht, schließlich geht's dabei um Grundfragen der (Kultur)Politik, also der Demokratie, um moralische Dilemmata und persönliche Gekränktheiten, also im Grunde um das Theater schlechthin. Das hat Daniel Tharau scheinbar erkannt und präsentiert's uns mit Liebesmüh nochmal so, wie wir's am besten verstehen. Mir fehlt nur noch der Chor der entrüsteten Theatermacherinnen. Naja, und die Handlung, da helfen auch absurde szenische Anweisungen nichts. Das als Konferenzformat aka Kammerspiel à la Yasmina Reza zu reinszenieren, könnte ich mir aber durchaus reizvoll vorstellen.
Volksbühnen-Stück: Mobbing
Als einem der glücklichen Zuhörer bei dem Kongress fällt mir an dem Stück von Daniel Tharau auf, dass er das "Geschwafel" bei diesem ziemlich eingekürzt hat und, interessant, das Wesentliche wird daurch erst sichtbar! (Ja, die versammelten Theaterleute haben auch wichtige Gedanken von sich gegeben!) Doch fällt jetzt auch auf, worüber sie nicht sprechen. Das ja vielleicht doch stattgefundene Mobbing von Herrn Dercon, dem immerhin mal von einem Bürgermeister berufenen Intendanten. Vielleist ist das ja jetzt egal. Aber vermutlich wurden mit den vielen Einschüchterungen auch Chancen vertan, weil der Mann war doch eigentlich ziemlich clever, oder? Warum wurde da nicht drüber gesprochen bei dem Kongress?
Volksbühnen-Stück: entsorgt
Was für ein Unsinn von Herrn Sabi. Herr Dercon ist ein cleverer international agierender Kunstmanager, der an der Volksbühne mit viel Geld vor allem das Verschwinden des menschlichen Subjekts inszenieren ließ (Beckettsinnlosigkeit, Kennedypuppen, Serraverworrenheit ...), so lange, bis er eben selber verschwunden ist. Er hätte dem Angebot von Herrn Lederer zur Vertragsauflösung nicht zustimmen müssen. Ein wenig Kritik muss ein Intendant schon aushalten. Vielleicht sollte man mal fragen, inwieweit Herrn Tharaus Stück eigentlich Mobbing ist. Eine amtierende Präsidentin der Akademie der Künste auf der Bühne wie Müll entsorgen zu lassen, ist bodenlos.
Volksbühnen-Stück: "Tschüss Chris"
Also, ist das normal? Dercon wurde, bevor er überhaupt angefangen hatte, Scheisse vor die Tür gelegt, dann gab es eine Unterschriftenaktion gegen ihn, bei der 40.000 Menschen unterschrieben haben sollen, dann einen offenen Brief der Belegschaft gegen ihn, dann eine Besetzung seines Theaters, die von großen Teilen der Presse als tolle Spontanaktion gefeiert wurde, dann einen neuen Kultursenator, der sich auch gegen ihn stellte. Und wieviele Monate war jedes Plakat der Volksbühne mit Aufklebern geschmückt, auf denen "Tschüss Chris" stand? Und das sind doch nur die Sachen, die bekannt sind. Ein Herz wurde dem Mann einfach nicht zugestanden.
Volksbühnen-Stück: Chance
Es ist doch ein irrwitziger Gedanke, diese institutionelle Crème de la crème des deutschen Theaters als Comicfiguren, Rittershaufen, Irre etc. auftreten zu lassen. Vor allem nicht nur die "oberen", sondern jeden. Was für eine befreiende Respektlosigkeit, welche Komödie der Eitelkeiten! Die Theaterleute können sich zwar empören (werden sie aber nicht, sie sind ja nicht doof), sie könnten es aber auch als Chance begreifen, dieses kluge Stück zu spielen. Seid doch mal schwach, traut euch!
Volksbühnen-Stück: kein Mobbing
Aber Herr Sabi, da muss man doch unterscheiden! Die Theaterleute, die da auf der Bühne saßen, haben mit Sicherheit keine Fäkalien verteilt und auch nicht Plakate begeklebt. Sowas ist klar zu verurteilen. Alles andere sind legitime demokratische Vorgänge. Selbst die Besetzung war nur grenzwertig. Jedenfalls wurde nie Gewalt gegenüber Herrn Dercon verübt. Vielleicht wird unterschätzt, welche Techniken in den Jahren der deutschen Teilung erlernt wurden. Die Berliner sind eben einfallsreich.
Volksbühnen-Stück: Kavaliersdelikt?
Ach, ich verstehe. Ein Kavaliersdelikt nur. Schweigen wir doch alle am besten.
Volksbühnen-Stück: Situation des Theaters
Lieber Herr Sabi, es ist doch so: Das Theater kann sich nicht immer nur mit sich sleber beschäftigen. Die Theater sind heute in einer schwierigen Lage. Ganz viele Häuser in Deutschland sind baufällig und müssen in den nächsten Jahren saniert werden. Gleichzeitig haben die Leute unglaublich viele andere Angebote. Die Gelder sind aber knapp. Und wer will schon was bei einer Firma kaufen, wo Unfrieden herscht. Genauso wollen unsere Politiker nicht, dass wir unsere Häßlichkeit zeigen. Wissn Sie, es gibt so viele Probleme woanders, die Flüchtlinge, die Altersarmut, die Naturzerstörung. Der Herr Grashof sagt das in dem Stück sehr schön: "Ich glaube, es gibt gar keinen, der hier was böses will." Ja, Sie sind unzufrieden und Sie glauben, dass hier über etwas geschwiegen wird, worüber man reden muss. Aber schauen Sie sich doch mal um. Ist Berlin so schlecht? Gibt es nicht auch viele wunderbare Errungenschaften? Dazu braucht man die Institutionen, eine baut auf der anderen auf. Und an den Theatern sitzen kluge Leute mit Erfahrung, die werdne sich schon überlegen, ob sie dieses Stück machen oder ein anderes. Und wenn sie sich gegen den Text von Herrn Thurau entscheiden, werden sie ihre Gründe haben. Man muss auch noch was stabiles haben und, ach, jetzt muss ich lachen, irgendwas müssen die Theater ja spielen! Also auch das von Ihnen so ernst genommene Problem, vielleicht ja auch zu Recht, wird abgewogen werden ob seiner Sinnhaftigkeit für eine Bühne. Ja, vieleicht hätte man gastfreundlicher sein müssen zu Herrn Dercon. Aber man muss auch mal Ruhe geben. Das Stück ist schon auch klug. Muss es ja sein, wenn so viele kluge Leute darin mitreden. Vielleicht ist es auch wirklich wichtig. Aber man kann nicht mit dem Kopf durch die Wand, besonders heutzutage nicht.
Volksbühnen-Stück: gelöschtes Publikum
Merkwürdig! Gerade nochmal in die bei Theater der Zeit erschienene Dokumentation des Kongresses gesehen. In dieser fehlt das Publikum! Dessen mal mehr, mal weniger interessante, jedenfalls oft verzweifelte Beiträge sind in dem schicken Sonderheft einfach weggestrichen. Dabei hat Klaus Lederer doch (zu seiner Teilnahme an dem Kongress) gesagt, ich zitiere aus dem Stück: "Es gab eigentlich nur ein paar Grundbedingungen für mich. Eine davon, dass das, was erzählt wird auf Podien oder in Inputs und das, was im Saal an Reflexion möglich sein, ungefähr den gleichen Anteil hat. Also, dass wir hier keinen Frontalunterricht bekommen oder machen, sondern dass es ein Raum ist, in dem alles auf den Tisch gepackt werden kann." Es wurde ja was aufden Tisch gepackt! Warum fehlt es in der offiziellen Dokumentation? Zu unhygienisch? Will Theater der Zeit mal dazu Stellung nehmen?
Volksbühnen-Stück: nicht politisch
Ich denke, dass ein Missverständnis vorliegt. "S" ist doch kein politisches Stück. Das ist doch erstmal komisch in seiner Merkwürdigkeit. Diese Diskrepanz zwischen "klugen" Reden und "verrückten" Handlungen!
Volksbühnen-Stück: nicht erwähnt
Stimmt, immer wenn das Podium geöffnet wurde und die Leute endlich Fragen stellen durften, ist im Heft von Theater der Zeit einfach Schluss. Und nirgends wird wenigstens erwähnt, dass die Nachfragen des Publikums rausgestrichen wurden. Deshalb musste das auch nicht begründet werden. (...)
Volksbühnen-Stück: rechtliche Gründe
Vielleicht hatte das „Löschen des Publikums“ aber auch einfach rechtliche Gründe. Man konnte dieses schlecht zitieren bzw. einkürzen, weil nach dem Kongress niemand mehr greifbar war, um die Texte zu autorisieren. Offensichtlich sind ja auch die Beiträge der Podiumsteilnehmer von diesen nochmal überarbeitet worden, was eine übliche Praxis bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen ist. Also, ich denke, das einzige, was man Theater der Zeit vorwerfen kann, ist, dass sie genau diese Erklärung in dem Heft vergessen haben.
Volksbühnen-Stück: komisch, einfach komisch
Wie gesagt, ich glaube, das Stück ist und will kein politisches Stück sein. Das möchte erstmal gut unterhalten und vor allem was über den Menschen erzählen. Die Komik darin hat nämlich noch einen anderen Grund. Tharau hat sehr genau hingesehen, was da während des Kongresses passiert ist und auch, wie sich die einzelnen Protagonisten dargestellt haben. Es stimmt einfach, dass Teil eins in einer römischen Arena spielt, die Castorf-Ritter in einer zugigen Burg den alten Zeiten nachjammern, die Strukturüberleger nur noch gespritzt funktionieren und am Ende die pure Akademie auch nicht viel besser ist. Und wenn Kapitän Khuon Frau Bergmann ein Weilchen das Steuer halten lässt, ist damit auch eine Situation genau getroffen.
Volksbühnen-Stück: Heimat
Schön, dass das Publikum jetzt wenigstens bei nachtkritik.de eine Heimat gefunden hat.
Volksbühnen-Stück: Zweifel
Habe das hier so kontrovers diskutierte Stück jetzt gelesen und muss sagen, es fehlen einfach Dialoge, schnelle, so wie im Leben. Hier wird doch sehr hochgestochen miteinander gesprochen. Gleichzeitig werden ohne Zweifel wichtige Fragen besprochen und als Theaterzuschauer sollte man sich da schon für interessieren. Warum das alles mit so verrückten Regieanweisungen versehen ist, das verstehe ich nicht. Will Herr Tharau damit zeigen, dass alles nur komisch ist? Auch wenn über wichtige Dinge gesprochen wird? Er lebt doch selber und müsste wissen, dass es schon einen Unterschied macht, was letztlich von Politikern entschieden wird, auch für sein Leben. Das ist doch nicht nur lächerlich, was da bei dem Kongress gesagt wurde. Obwohl, so hat er es auch nicht geschrieben, es gibt auch ernste Momente, am Ende besonders. Es bleibt also ein Zweifel bei mir. Vielleicht sollte das Stück mal an einer Nebenbühne inszeniert werden, als Experiment.
Volksbühnen-Stück: Warum diese traurigen Ritter?
Vielleicht bin ich manchmal zu direkt. Aber ich habe mich gefragt, warum hat sich da eigentlich jemand soviel Mühe gegeben, den ganzen gesprochenen Text eines Kongresses abzutippen, dann zu kürzen (scheinbar sehr bewusst) und endlich sogar noch zu interpretieren. Da muss es doch irgendein Anfangsmoment gegeben haben. Wenn ich den Text lese, glaube ich, es war ein Missbehagen. Irgendwas fand Tharau an dem Kongress nicht richtig. Nur daraus erklärt sich, dass er alle Teilnehmer in irgendwelche Phantasiegestalten, Ritter von der traurigen Gestalt verwandelte. Okay, etwas missfiel ihm. Aber was? Vielleicht, wie harmlos das alles daher kam, wie wahnsinnig demokratisch scheinbar. Vielleicht gefiel ihm nicht, dass Leute später denken würden (wie der erste Kommentator hier auf dieser Seite): "Wieso Daniel Tharau der Meinung ist, eine Veranstaltung der Berliner AdK könne eines Theaterstücks würdig sein, ist mir völlig unerklärlich." Für Tharau war es eben nur scheinbar langweilig, uninteressant, was da in der ADK verhandelt wurde. Es war für ihn mit Sicherheit wahnsinnig wichtig! Warum aber?
Volksbühnen-Stück: weltberühmt
Ich vermute, der bislang nicht so bekannte Herr Tharau wollte berühmt werden. Da war ihm jedes Mittel recht und das Dichten hat er sich auch noch gespart.
Volksbühnenstück: Liberté unvergessen
(...) Fragen zur Offenheit des Symposiums (wie sie Herr Lederer herausstellte und von einem Zuschauer zutiefst infrage gestellt wurde) samt seiner daraus resultierenden Dokumentation sollten deshalb möglich sein. Komisch, diese nuschelige Inszenierung "Liberté" von Albert Serra während Dercons Intendanz wird mir immer unvergesslicher.

(Eine unüberprüfbare Tatsachenbehauptung wurde aus diesem Kommentar entfernt. Die Redaktion)
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