Provokation zur Selbsterkenntnis

12. November 2018. Der Preis des Festivals Politik im Freien Theater wurde gestern in München an die Schweizer Gruppe Thom Truong für ihre Produktion "Enjoy Racism" vergeben. Die Auszeichnung ist mit 15.000 Euro dotiert und dient als Zuschuss für eine Gastspieltournee in Deutschland.

""Enjoy Racism" ist eine Provokation, die selten zu erleben ist. Die Show führt vor, wie einer privilegierten Mehrheitsgesellschaft oft gänzlich das Verständnis dafür verschlossen bleibt, was Rassismus für die Betroffenen bedeutet und dadurch auch selbst Rassismus reproduziert. Diese Selbsterkenntnis ist bitter, aber ein erster Schritt zu einer konsequenten Auseinandersetzung mit Diskriminierung“ begründete die Preisjury, bestehend aus der Autorin Katharina Adler, der Schauspielerin Julia Riedler und dem Regisseur Rudi Gaul, ihre Wahl.

Gestern war die 10. Ausgabe von Politik im Freien Theater in München zu Ende gegangen. Die Jubiläumsausgabe des von der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb initiierten Festivals wurde in Kooperation mit den Münchner Kammerspielen und dem Spielmotor München e.V. / Spielart Festival ausgetragen. Es stand unter dem Motto "reich".

Die knapp 140 Veranstaltungen im Haupt- und Rahmenprogramm erfreuten sich eines regen Publikumszuspruches. Die 14 Gastspiele aus der Freien Theaterszene waren fast ausnahmslos ausverkauft (7165 Besucher/innen, Auslastung von 80%).

(www.politikimfreientheater.de / www.bpb.de / www.kammerspiele.de / www.spielmotor.org / jnm)

 

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Kommentare  
Preis Politik im freien Theater: Schade
Diese Show führt vor, wie das Label "Rassismus" zu einer Verhärtung auf beiden Seiten führt, zu einer scheinbar unlösbaren Problembeziehung, die nur noch von den Kategorien Macht, Schuld und Unterdrückung definiert wird. Das geht mE an der intersektionalen Realität meilenweit vorbei.
Die Einteilung von Menschen nach Haut- oder in dem Fall Augenfarben trifft auch nicht das Kernproblem von Rassismus, nämlich den unterschwellig immer wieder reproduzierten Glauben, dass eine Gruppe tatsächlich besser oder schlechter wäre. Da sind komplexere Narrative am Werk. Dazu gehört auch die Einsicht, dass von Rassismus immer jemand profitiert. Die privilegierte Gruppe der Blauäugigen hätte also durchaus ernsthafter verführt werden müssen als mit ein bisschen Essen, wenn man Rassismus "simulieren" wollte. Ich habe den Abend in der Blauaugengruppe trotz meiner Privilegien als quälend lang empfunden.

Nicht zuletzt, weil die Methoden, die die 'Performance' gezeigt hat, aus der Antidiskriminierung-Arbeit bestens bekannt sind. Der Film Blue Eyed (1996) basiert auf dem selben Experiment, führt dies aber deutlich besser und komplexer zu Ende. Das ist beim ersten Mal sicher ein Eye-Opener und endet nicht damit, dass alle sich gegenseitig beschimpfen. Ich empfand das als Missbrauch der Theatersituation, respektlos und dabei leider nicht einmal geschickt und/oder erkenntnisreich. Rassismus wird nicht besser, wenn man ihn umdreht. Auch nicht spannender.

Schade, dass diese unterkomplexe Performance aus den vielen sehenswerten in München nun hervorgehoben wird. Aber gut, es ist ja eine Gastspielförderung, und wenn sich wirklich irgendein Theaterhaus im Land noch nie mit Rassismus beschäftigt hat, ist das vielleicht ein allererster Einstieg.
Politik-im-freien-Theater-Preis: Politik?
Zu fragen ist auch, was dieses Stück und seine Aufführung mit "Politik" zu tun haben. Gesellschaftskritik ist noch keine Politik. Veranstaltern und Machern fehlt es anscheinend an einem Begriff von "Politik".
Paul Tostorf
Politik-im-freien-Theater-Preis: selbstgerechte Welt
Liebe enttäuschte,
So ganz einfach ist die Show auch wieder nicht. Am Schuss in der Diskussion wird die schwarze Schauspielerin Ntando Cele von einem zu über neunzig Prozent weissen Publikum aufs schärfste beschimpft und angegriffen. Und zwar nach jeder Vorstellung und überall. Wenn das nicht ein Lehrstück an Selbstgerechtigkeit ist, oder wäre, wenn das Publikum sich dass bewusst wäre, dann weiß ich auch nicht, was sonst enjoying racism bedeutete. Das Trennen nach Augenfarbe ist nur Mittel, so wie die Schauspielerin ja auch nur weiß geschminkt ist. Am Schluss verlässt sie das Theater als Schwarze Frau und wird in diese Selbstgerechte Welt entlassen, in der jeder und jede zu wissen meint, was Rassismus sei und was Politik.
Politik-im-freien-Theater-Preis: Handlungen
Wäre es möglich, dass sie nicht aufgrund ihrer Hautfarbe, sondern aufgrund dessen beschimpft wird, dass sie durch ihre Handlungen (!) eine unangenehme Situation für alle Beteiligten erzeugt und selbst ordentlich austeilt? Wenn man diese Reaktionen des Publikums dann als Rassismus wertet, ist man nicht selbst dem gleichen Schwarz-Weiß-Denken unterlegen?
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