Die Guten sind überall

von Esther Slevogt

14. November 2018. Eigentlich ist das ja eine gute Nachricht: 140 Kultureinrichtungen haben allein in Berlin die "Erklärung der Vielen" unterschrieben. Auch in Hamburg, Dresden und Düsseldorf haben unterschiedlichste Kultureinrichtungen sich dieser Kampagne angeschlossen: von großen Leuchtturmhäusern wie Staatstheater und Museen bis hin zu kleinsten Kulturvereinen, Galerien und Stadtteilinitiativen. Das Redaktionsmailpostfach quillt über mit Erklärungen und Statements, seit am symbolträchtigen 9. November die Kampagne der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.

kolumne 2p slevogtDieser Zusammenschluss ist nicht nur überfällige Symbolpolitik einer immer massiver auftretenden Rechten gegenüber, die seit langem schon der Kultur(politik) Themen und Diskurse zu diktieren versucht. Die versucht, den offenen gesellschaftlichen Debattenraum Kultur für identitäre, rassistische und völkische Ideologien zu instrumentalisieren und in diesem Kontext eben noch gefeierte gesellschaftliche Errungenschaften wie Diversität, Gleichberechtigung und Toleranz unterschiedlichsten Lebensentwürfen und Glaubenssätzen gegenüber wieder abschaffen will.

Wie wichtig es ist, gegen diesen rechtspopulistischen Temperaturwechsel nicht mehr nur mit Sonntagsreden, sondern auch mit physischer Präsenz anzutreten, hatte schon am 13. Oktober 2018  die Großkundgebung #unteilbar in Berlin gezeigt, wo sich fast 250.000 Menschen auf den Straßen zur offenen Gesellschaft und den Werten der Aufklärung bekannten, sich gegen Rassismus und Diskriminierung von Minderheiten positionierten. Mitinitiiert wurde die Kundgebung vom Fonds Darstellende Künste, dessen Geschäftsführer Holger Bergmann auch dem Verein "Die Vielen" vorsteht.

Synergie-Effekte gegen Angriffe von rechts

Auch hinter den goldenen Glitzerfahnen und Flitter-Abzeichen der "Vielen" versammeln sich nun nicht einfach nur höfliche Kulturschaffende, die ein bisschen Wind machen wollen, sondern es geht neben dem Zeichensetzen um ganz konkrete Verteidigungsfragen. Das machte bei der Pressekonferenz am 9. November in Berlin insbesondere Berndt Schmidt deutlich. Schmidt ist Intendant des Berliner Friedrichstadtpalasts, einer Institution, in deren großem und international besetzten Tanzensemble Internationalität und Diversität schlicht gelebter Arbeitsalltag sind: "Wer einen von uns herausgreift oder angreift, hat von heute am 140 an der Backe", sagte er mit Blick auf das von ihm geleitete Haus in seinem Statement.

Schmidt weiß, wovon er spricht. Seit er sich im vergangenen Jahr öffentlich gegen die AfD positionierte, bekam er Morddrohungen und Hassmails. Nach einer Bombendrohung musste im Oktober 2017 eine Vorstellung mit 1700 Zuschauern geräumt werden. Vor allem, so Schmidt weiter, stehe der Angreifer ab sofort dem gebündelten Wissen von 140 Einrichtungen gegenüber. "Wir können zum Beispiel unsere Erkenntnisse über Verhaltensmuster und Vorgehensweisen von Rechtsextremen untereinander teilen. Wir können uns Anwälte empfehlen. Wir können uns gegenseitig in akuten Krisensituationen durch Manpower und Wissenstransfer unterstützen. Rechtsextreme und die Feinde der Kunstfreiheit haben ab heute ein mächtiges und immer klüger werdendes Netzwerk sich gegenüber." Gut so!

Falk Richters bürgerliche Held*innen auf Aktionskurs?

Trotzdem wurden die Bilder der Pressekonferenz in der vergangenen Woche vor meinem inneren Auge plötzlich von Bildern aus Falk Richters Inszenierung "Fear" überblendet, die im Oktober 2015 in der Berliner Schaubühne herauskam: Freundliche und irgendwie auch unbedarfte Metropolenbewohner*innen sahen darin mit großer Verwunderung und wachsender Unlust an den lästigen Verhältnissen ihr saturiertes Leben in den von ihnen bewohnten sexuell befreiten Ökooasen plötzlich von Zombies der Rechten bedroht, die unverhofft aus den Gräbern der Vergangenheit wieder aufzusteigen schienen. 

An der Schaubühne arbeitete damals auch noch der Dramaturg Bernd Stegemann, der in seinem Buch "Das Gespenst des Populismus" genau jene globalisierten Eliten und Verfechter der offenen Gesellschaft verantwortlich machte für das Erstarken der Rechtspopulisten, die nun bei Falk Richter immer aggressiver und lauter gegen die Verhältnisse anzuschreien begannen. Für Stegemann sind nämlich ihre Interessen auf unselige Weise kongruent mit den Interessen des Neoliberalismus, weshalb sie mit Schuld am Aufstieg der Rechten seien. Inzwischen ist Stegemann der Spindoktor der Bewegung #Aufstehen der Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht, die u.a. an der Restaurierung des Klassenbegriffs als politischem Kampfbegriff arbeitet. Als wäre der komplexen Welt mit dieser aus dem 19. Jahrhundert stammenden Kategorie noch beizukommen.

Zersplitterungs-Bewegungen?

"We are the others" bringt der Schauspieler Frank Willens das Lebensgefühl der seinen (nach einem Lied der niederländischen Band Delain) auf den Punkt – also jener bürgerlichen Held*innen, die ihre gepflegten Lebensräume plötzlich vom rechten Pöbel bedroht sehen. "Wir sind die Anderen", also die Nichtnazis und folglich die Guten. Aber woher wissen sie das eigentlich so genau? Wir leben in Zeiten, wo Bewegungen selbsternannter Guter wie Pilze aus dem Boden sprießen. Die einen wollen die Welt vor den Rechten retten, die nächsten vor den Linken, die übernächsten vor wieder einem frisch identifizierten Zeitgeschwür. Die nicht sehr vorteilhaft als Zombies gezeichneten Rechtspopulistinnen Gabriele Kuby und Beatrix von Storch, die sich selbstredend für gut und die Schaubühne und Falk Richter für böse halten, klagten, wir erinnern uns, gegen die Schaubühne. Und verloren Gottseidank.

Jetzt hat "Die Erklärung der Vielen" dieser bewegten Zeit also eine weitere Bewegung hinzugefügt. Sind also endlich die aufgewacht, die in Falk Richters "Fear" noch mit wirrer Aggression in ihren durchdesignten bürgerlichen Reservaten stocherten? "Wir wollen mit und durch Kultur die Demokratie schützen!" lautet das Credo. Das ist schön und wichtig. Aber hilft es auch? Oder treibt es die Zersplitterung der Gesellschaft in Interessensgruppen, die erbittert um ihre Sphären kämpfen, am Ende nur in die nächste Runde?

 

Esther Slevogt ist Redakteurin und Mitgründerin von nachtkritik.de und außerdem Miterfinderin und Kuratorin der Konferenz Theater & Netz. In ihrer Kolumne Aus dem bürgerlichen Heldenleben untersucht sie: Was ist eigentlich mit der bürgerlichen Öffentlichkeit und ihren Repräsentationspraktiken passiert?

 

In ihrer letzten Kolumne machte sich Esther Slevogt Sorgen um den Lokaljournalismus.

 

mehr Kolumnen

images/stories/kolumne/visuals_2023/23_NAC_kolumnen_einzel_hussein_2x2.png
images/stories/kolumne/visuals_2023/23_NAC_kolumnen_einzel_hussein_2x2.png
images/stories/kolumne/visuals_2023/23_NAC_kolumnen_einzel_hussein_2x2.png
images/stories/kolumne/NAC_Illu_Kolumne_Kasch_2x2.png
Kommentare  
Kolumne Slevogt: am Ende Sammlung?
Ich verstehe das nicht. Treibt Esther Slevogt ihre tollen Gedanken am Ende doch nur wieder in eine Sammlungsbewegung?
Kolumne Slevogt: konkret?
"Wir können zum Beispiel unsere Erkenntnisse über Verhaltensmuster und Vorgehensweisen von Rechtsextremen untereinander teilen." Konkrete, ernst gemeinte Frage dazu: Wie stellt Schmidt sich das konkret vor? Will er einen quasi polizeilichen Algorithmus schaffen, der bestimmte Begriffe und/oder Handlungen als "rechtsextrem" filtert? Und dann?

Für mich persönlich müssten sich "Die Vielen" mit anderen politischen und/oder sozialen Bewegungen und/oder Akteuren zusammenschließen, um gesellschaftlich wirksam werden zu können. Oder noch genauer: Für mich würde eine gesellschaftliche Veränderung im Kopf UND im Herzen jedes einzelnen Bürgers beginnen. Und zwar im Bewusstsein der Tatsache, dass Gesellschaft immer nur zwischen Menschen stattfindet bzw. sich allererst darüber herausbildet, dass wir einander als gleichwürdig gegenübertreten, uns in die Augen schauen und uns vertrauen, mit dem Risiko, dass dieses Vertrauen immer auch wieder gebrochen werden kann, durch wen auch immer, das heisst unabhängig von Kategorien wie "Volk" bzw. "Klasse", "Kultur", "Rasse", "Geschlecht" usw.

Das heisst auch, dass man besonders die Menschen von vornherein mehr einbindet, die aggressiv werden, weil sie sich als wertlos empfinden bzw. in ihrer Entscheidungsfreiheit und Autonomie übergangen fühlen. Anders formuliert: "Sündenböcke" und die "Schuldfrage" sind immer schnell zur Hand, es geht aber um tieferliegende Ursachen. Nicht nur ausserhalb, sondern AUCH innerhalb der jeweiligen Person. Ich würde sagen: Beziehungen stärken, anstatt zu verurteilen. Wer sich erst einmal entschlossen hat, die falsche Partei zu wählen, erst der ist, wenn er nicht (mehr) argumentativ vom Gegenteil zu überzeugen ist, für mich leider wirklich verloren bzw. auf dem falschen Weg. Apropos, das Schlimmste an der Naziherrschaft waren für Hannah Arendt nicht die Nazis, sondern die Tatsache, dass sich manche Freunde plötzlich von ihr abwandten.
Kolumne Slevogt: mit Lautstärke
#2 Ja, Manifeste und Erklärungen treiben in die nächste Runde.
Sie machen nicht abwehrbereiter oder stärker, sondern kontrollierbarer.
Sie gleichen einander alle in ihrer Lautstärke und in ihrem Hang zur Sensation, in ihrer mit Unbedingtheit angestrebten Theatralität.
Man kann auch ohne unterschriebene Erklärung Anwälte einfach einander empfehlen.
Man kann- und wird sich garantiert!, wenn man rigid betroffen ist, über Verhaltensmuster und Vorgehensweisen von Rechtsextremen in geeigneter Weise austauschen und so Wissentransfer in dieser Sache betreiben.
Welche Manpower genau meint denn Herr Schmidt, dass sie ihm jetzt schwarz auf weiß zur Verfügung stünde, wiederholte sich, was er wegen seines Ensembles erlebte?
Wer als Intendant*in einer Bühne nach entsprechenden Medienberichten bisher nicht demonstrativ zeitnah in einer Vorstellung der Bühne der/des Kollegen*in war, macht der das jetzt ab sofort unterschriftsversprochen?
Wo bitte wird das Parlament des gerade erst mit staatlichen Fördergeldern für Öffnung von Balkonen von geöffneten selbigen herab ausgerufenen Europa gewählt?
Was ist das B e s o n d e r e daran, wenn ein namhafter Schauspieler an ein von rechtsextremistischem Volks-Theater bedrohtes Theater fährt um mit Schiller dagegen zu lesen? Das, was die Siondermeldung wert ist? Dass das die weniger namhaften Schauspieler vor Ort es mit Schiller nicht so draufhaben? Dass der Namhafte das für umsonst tut, während die ortsansässigen Schauspieler*innen Geld dafür bekommen? Dass er sich und seinen Geist in diesem Fall gewiss verschenkt hat an ein bedürftiges, offenbar gegen rechts ohne ihn zu schwaches Theater? Oder hat er gar nicht verschenkt, sondern war sein Auftritt einen hyterischen Notgriff in die Portokasse des Theaters vor Ort wert? -
So viele Fragen, so viele Berichte...
Es freut mich, dass Esther Slevogt wieder einmal von ihren Gedanken getrieben wurde sie zur kritischen Form zu disziplinieren. Danke dafür. (Sie sollte sich wirklich nichts draus machen, wenn dann so kleine, hässliche grüne Pseudo-Männchen mit Fledermausohren und Ganzkörpertoupets ihr Tipps für die sich recht entfaltende Manpower erteilen wollen)
Kolumne Slevogt: Klassenblindheit
Dass Slevogt den Versuch der 'aufstehen'-Bewegung, an der 'Restaurierung des Klassenbegriffs' zu arbeiten, mit dem Hinweis auf unsere 'komplexe Welt' für obsolet erklärt, erscheint symptomatisch, wenn man die Analysen von Andreas Reckwitz in "Die Gesellschaft der Singularitäten" (Reckwitz' und Stegemanns Diagnosen überschneiden sich ja übrigens oftmals) hinzuzieht. Reckwitz schreibt explizit: „Es gibt eine Klassenblindheit der Privilegierten“ und zeigt, dass das Klassenbewusstsein in Kreisen wenig Privilegierter weitaus stärker ausgebildet ist als in jenen der neuen, akademischen, metropolischen, international parkettsicheren, kulturaffinen, ihr Leben kuratierenden Mittelklasse, die sich ihm zufolge zur kulturellen Hegemonie aufgeschwungen habe. Der Rechtspopulismus ist laut Reckwitz' Argumentation auch ein Aufbegehren derer, die gegenüber der Hegemonie jener neuen Mittelklasse eine Abwertung erfahren. Dies nun zu verkennen in der Annahme, die Welt sei per se zu komplex, um aus bestimmter Perspektive doch als Klassengesellschaft wahrgenommen werden zu können, erscheint als Teil des Problems.
Kolumne Slevogt: der sog. Proletarier
Wer soll denn das heutzutage sein, der Proletarier? Der unterhalb der Armutsgrenze arbeitende promovierte Journalist, der zum Millionär gewordene Rapper, der weder lesen noch schreiben kann. Ich hatte sogar mal einen adeligen Briefträger. Die Bourgeoisie wäre vielleicht noch am leichtestens zu identifizieren. Hier übrigens spielen sich untereinander ja die heftigsten Verteilungskämpfe ab. Auch Friedrich März zählt sich mit seinen Millionen zum gehobenen Mittelstand. Aber sonst? Auch der Zerfall der Volkspartein hat mit diesem Sachverhalt zu tun, dass die Klassengesellschaft eben nicht mehr so schön übersichtlich wie in den Hochzeiten den Kapitalismus aufgeteilt ist. @commedia, dann liefern sie doch mal einen brauchbaren Klassenbegriff. Ihn bloß zu fordern ist reine Rhetorik.
Kolumne Slevogt: Begrifflichkeit
Ist Klasse nichtder einzige Begriff, der auf ökonomischen Kriterien basiert?Der millionenschwere Rapper gehörte dann zur Klasse der Bestverdiener.
Kolumne Slevogt: Ausbeuter und Unterdrückte
Das ist ziemlich schwer geworden mit dem Klassenbegriff heute. Wessen Arbeitskraft wird von wem am meisten ausgebeutet und wessen Kreativität wird von wem am meisten unterdrückt? Nehmen wir den Rapper, der sich mit seiner Krativität einst aus einer Perspektivlosigkeit mit seiner Arbeitskraft seinen Lebensunterhalt verdienen zu können befreitete - Wer arbeit jetzt mehr mit seiner Kreativität: Er selbst oder sein Management mit seiner Vermarktung? Und wer verdient mehr: er selbst oder diejenigen, die ihn vermarkten? Da er selbst doch schon sehr viel verdient, müssen diejenigen, die ihn vermarkten, noch mehr als er verdienen daran. Wenn nicht, wären die die neue " unterdrückte Arbeiterklasse". Also wer von denen verdient nun mehr an dem Sprechgesang? Macht der den noch selber? Hat er den je selber gemacht? Wird er eher dafür bezahlt, dass er sich als Marke des Selbermachers dauerhaft behauptet oder ist er der dauerhafte Rapp-Selbermacher?
Immerhin könnte man genau benennen: Klasser der Ausbeuter und Klasse der Unterdrückten. Und in beiden gäbe es nur Schichten. Man wird "Klasse" nicht neu und heutig definieren können, scheut man sich "Schichten" heutig zu definieren! Woher kommt diese Scheu, Schicht nicht definieren zu können oder auch nur benennen zu wollen? Vor allem durch die Gut- und Besserverdiener, sofern die priviligierten oder elitären Schichten entstammen?
Welcher Schicht gehört z.B. Merz an? Wen beutet er bereitwillig und für guten Verdienst aus durch seine anwaltlichen Tätigkeiten für die WWF (WorldWideFinance) und von wem wird er zu diesem Zwecke als Arbeits-Maniac ausgebeutet??? -
So viele Fragen, so viele Berichte...
Wo ist denn Frank Patrick Steckel, der hierzu noch immer klarsichtig dialiektische Kommentar-Antwort weiß?
Kolumne Slevogt: Klassenbewusstsein
Nein #6. Ihr Steuererklärungsdenken beruhrt auf rein individualistischen (also im Grunde neoliberalen) Kategorien und hilft hier nicht weiter. Bitte Marx lesen. Einleitung 2. Band Kapital. Oder auch Lenin: "Klassenbewusstsein ist die spezifische Vorstellung einer Klasse über ihre grundlegenden Interessen und ihre Rolle in der Gesellschaft ..."
Kolumne Slevogt: Anamorphose
@Jamie Zee #5 Erstens: Ich schreibe ja davon, dass aus einer bestimmten Perspektive Reckwitz zufolge unsere Gesellschaft sehr wohl als Klassengesellschaft erscheinen kann - nämlich aus einer 'von unten', also einer wirtschaftlich und/oder kulturell unterprivilegierten. Da ich selbst von einem privilegierten Standpunkt aus schreibe, kann ich diese Perspektive nicht ohne Weiteres einnehmen oder aus ihr heraus einen 'brauchbaren Klassenbegriff' entwickeln. Daraus folgt zweitens: Wir können sehr wohl versuchen, uns dieser Persektive anzunähern oder sie in die Bemühungen der 'Vielen' zu integrieren - also eine, aus der man sich bpsw. verarmt, übersehen oder nutzlos vorkommt und den Eindruck bekommen kann, 'für die Rettung der Banken sind Millionen da, aber mir wird das Hartz IV gekürzt.' (siehe z.B. https://www.derstandard.de/story/2000090755265/globaler-rechtsruck-etwas-geht-gerade-weltweit-schief oder auch https://www.zeit.de/2017/02/afd-bitterfeld-fluechtlinge-kapitalismus-arbeiterstadt) Ich denke an die Perspektive von Menschen, die den Eindruck haben, in eklatantem Maße nicht mithalten zu können mit den materiellen und kulturellen Werten, Dynamiken und Anforderungen der diversen gobalen Eliten. Diese wären dann vielleicht die heutigen 'Proletarier', weniger als ein millionenschwerer Rapper, der ja Ansehen und materillen Wohlstand genießen kann. Die Argumentation, die Existenz einer Klassengesellschaft von sich weisen zu können mit Hinweis auf millionenschwere Rapper und adelige Briefträger tendiert ja selbst dazu, der Doktrin des Neoliberalismus zu folgen, also gewissermaßen: 'Einer hat es aus dem Ghetto geschafft, dann können das ja auch alle anderen - also ist ein Klassenbewusstsein völlig unangebracht.' Diejenigen, die dies nie schaffen werden und denen auch anderweitig kein Interesse oder Wertschätzung entgegengebracht wird, werden das vermutlich anders sehen. Die Aufgabe besteht darin, sich dieser offenbaren Anamorphose anzunähern, um mehr zu sehen. Dann kommen wir einem brauchbaren Klassenbegriff näher.
Kolumne Slevogt: Spaltung überwinden
Der Text endet mit einer Frage, dürfte man eine Antwort wagen, so lautete sie schlicht: nein. Initiativen wie #dievielen, #wirsindmehr oder die Großdemonstration #unteilbar zeigen es: Es geht um die unteilbare Republik. Es ist die AfD, die ihren Gegner*innen vorwirft, sie würden die Spaltung in der Gesellschaft vorantreiben - wie immer: Verkehrung, so lautet ihr Spiel (ein andere kennen sie nicht), immer wieder: Täter-Opfer-Umkehr usw. Nein, da muss man nicht ins Grübeln kommen, ob die Vielen u.a. die Spaltung der Gesellschaft vertiefen - sie helfen, sie die Spaltung zu überwinden, bzw. die Spalter, diese sog. Rechtspopulist*innen, die das Wir vs. Die (Volk vs Elite) völkisch aufladen. Und diese Aufsteher, die ... am Ende auch nichts anderes tun. Nein, das ist ein trauriges Häuflein, die Pressekonferenz der Vielen war schon lange vorbei, da tauchten diese Figuren plötzlich am Brandenburger Tor, lass es 300 gewesen sein, das ist noch höflich geschätzt - mit Deutschland-Wimpeln, Putin-Plakaten, z.T. Syrien-Schildern ... "wer ist das: Pegida, AfD, Friedenswinter ...ach so, die Wagenknecht-Leute." Traurig.
Kolumne Slevogt: Beispiel
#9 Das Bankenrettungthema ist ein gutes Beispiel für das verkürzte, oft ahnungslose Fuchteln mit Argumenten. Dieser Rettungsschirm wurde ja u.a. auch aufgespannt, um die Guthaben der normalen, ja "kleinen" Leute bei den Banken abzusichern. Er beruhte auf der historischen Erfahrung, daß der Crash von 1929 nicht nur die Banken zusammenbrechen liess, sondern das Vermögen der Leute vernichtete und Millionen ins Elend stürzte. (und damit den Faschismus mitbegünstigte).
Kolumne Slevogt: Auseinandersetzung
@ #10: einer von vielen: Ja. Die Frage ist für mich hier allerdings, ob man mit dieser Initiative allein aus der Kultur, im Sinne von Kunst, wirklich alle Menschen der Gesellschaft erreicht. Es gibt ja auch eine (vergangene) Arbeiterkultur, zum Beispiel. Braucht es also einen Rahmen, um alle Menschen einzuschließen oder nicht vielmehr ein verändertes Bewusstsein bei allen? Und noch eine Frage: Was genau meinen Sie mit "Täter-Opfer-Umkehr"? Ist dem Problem mit diesen Begriffen beizukommen? Oder geht es nicht vielleicht doch um eine differenziertere Analyse? Ich plädiere damit für keinen Rahmen, sondern für eine dialogische, offene Auseinandersetzung zwischen allen, auch Politikern als Menschen und nicht als Machtmenschen.
Kolumne Slevogt: WTF?
Nur mal am Rande: es gibt a) durchaus gebildete, erfolgreiche Rapper, auch mit Abitur und sogenannt besserer Herkunft. Und b) welcher rappende Millionär kann denn bitte nicht lesen und schreiben?
Kolumne Slevogt: Klassenbewusstsein?
@ Erstaunter: Zu b): Warum so erstaunt? Wer nie an einer Schule war, der kann auch nicht lesen und schreiben. Nun können wir also fragen, woher derjenige kommt bzw. warum er nie an einer Schule war. Es gibt Kinder, die anstatt in die Schule zu gehen, arbeiten müssen. Global betrachtet. Und es gibt Kinder, die entziehen sich der Schule und niemand, auch nicht ihre Eltern, interessiert es. Individuell/familial/sozial betrachtet. Was ist daran Klassenbewusstsein? Tja.
Kolumne Slevogt: Proll oder Proletarier
Ein gut verdienender Proll oder ein schmatzender Prolet machen noch keinen Proletarier. So wenig wie aus einem spießigen Mittelständler ein Mitglied der Oberschicht wird, bloß weil er 1 Mio Euro verdient wie Friedrich Merz.
Kolumne Slevogt: 1 Mio
#15... wir reden aber schon von 1 Mio per anno mindestens, nicht wahr? Und warum sind Mittelständler und spießig ein und dasselbe?
Kolumne Slevogt: abwertend
Liebe Michelle, liebe Redaktion, ich schlage vor, mit den Wörtern "Proll" und "Prolet" im abwertenden Sinn ebenso umzugehen wie mit dem "N-Wort". In Brechts "Einheitsfrontlied" schmatzt der Prolet nicht, sondern er hat Stiefel im Gesicht nicht gern.
Kolumne Slevogt: Marx
Das Stichwort lautet: Klassenbewusstsein! Kann mir nur wiederholen, Marx lesen.
Kommentar schreiben