Die Technik des Glücks - Am Berliner HAU widmen Annett Gröschner, Hanna Mittelstädt und Rosmarie Vogtenhuber einer der schillerndsten Figuren der linken Weimarer Republik eine Revue
Mehr Tempo, mehr Glück, mehr Macht
von Simone Kaempf
Berlin, 14. November 2018. Die Frauen hat er gewechselt wie seine Berufe. Franz Jung war KPD-Mitglied (und Abweichler), Schriftsteller, Dadaist, Überlebenskünstler, der die expressionistischen Zirkel aufmischte, eine kommunistische Splitterpartei gründete, sich verbündete und verkrachte. "Seine Vorliebe für den Berliner Sportclub Minerva blieb immerhin", heißt es einmal spöttisch eingeworfen an diesem Abend, der das bewegte, vergrabene Leben dieses Franz Jung, 1888 geboren und 1963 gestorben, am Berliner HAU ins Rampenlicht holt.
Werkausgabe gleich Lebensaufgabe
Und mit ihm die Zeit der Novemberrevolution, des Spartakusaufstands, der politischen Kämpfe und Wendungen der 20er bis in die 50er Jahre. "Die Technik des Glücks – Eine Franz-Jung-Revue" ist nach einem seiner Bücher benannt. Annett Gröschner und Hanna Mittelstädt haben die Bühnenfassung erarbeitet. Die Verlegerin Mittelstädt brachte in ihrem Verlag Edition Nautilus Jungs Gesamtwerk heraus, eine Lebensaufgabe, die den Verlag zwischendurch an Grenzen führte.
Kunst des Aufstands: Die Franz-Jung-Revue @ Dorothea Tuch
Die Lust, noch so kleine Details seines Lebens zu heben wie einen Schatz, ist auch der Franz-Jung-Revue anzumerken. Bohrend und ausschweifend zugleich erzählen sie sein Leben hier anfangs wie auf einer Zeitleiste. Der Gefahr des Spannungsabfalls, welchen die hohe Informationsdichte bei linearer Erzählweise birgt, entgeht das Projekt anfangs leider nicht.
Umbruchs-Phantasien aus einer anderen Zeit
Die Sterne stehen mit auf der Bühne, haben eigene Jung-Songs komponiert, und über weite Strecken ähnelt der Abend wirklich einem Konzert mit Teilen der Textfassung als Partitur. Daneben die beiden Schauspieler Robert Stadlober und Wolfgang Krause Zwieback an Notenständern, ihr Spiel, ihr Tempo, ihren Sprachduktus mit den Musikern verzahnend. Vor allem Stadlober wächst über die zwei Stunden zum eigentlichen Bandleader und Frontman, der die Show schmeißt und Stimmungen vorgibt. Als nach dem ersten Drittel ein Fehlalarm der Feuermelder im HAU2 die Vorstellung unterbricht und zu einer fünfminütigen Zwangspause führt, merkt man, auf welchem Energielevel er sich befindet. Er spielt erstmal weiter und performt in die Ratlosigkeit hinein.
Engagierte Ehefrau(en): Corinna Harfouch im Video-Einspieler @ Dorothea Tuch
Wolfgang Krause Zwieback agiert als sein abgeklärtes Alter Ego. Wie er im mehrteiligen Anzug dasteht und Stadlober stürmisch singt "Mehr Tempo, mehr Glück, mehr Macht", blitzt Berlin-Babylon-Stimmung auf, mit Aufbruchs- und Umbruchs-Phantasien aus einer anderen Zeit. Musikalisch ist der Abend jedoch aus dem Geist von Indie und Synthesizer-Beats geboren. In dieser stilistischen Gratwanderung führt vor allem Stadlober die historische Figur in die Gegenwart. Er diagnostiziert die Unruhe der Zeit, dass der Boden schwankt und nichts von dem bleibt, was man getan hat. Das wächst zu großen Momenten, in denen Stadlober seine Figur elektrisierend ganz wie von heute sprechen lässt. Corinna Harfouch gibt in Video-Einspielern den nicht minder politisch engagierten Ehefrauen ein Gesicht.
Das Wesentliche einer Revolution geht nach Innen
Einen "Franz Jung braucht es vielleicht heute dringender denn je", schreiben die Macherinnen im Programmheft. Den Beweis dafür bleibt der Abend schuldig. Welchen Jung meint das genau? Den Revoluzzer oder den Desillusionierten? Eben noch sang Stadlober atemlos von Tempo, Geld, Macht. Dann heißt es: "Das Wesentliche einer Revolution geht nach Innen". Solche Sprünge meistern die Schauspieler und Musiker leichthändig. Man erlebt am Ende zu ruhiger werdenden Klängen einen verstummenden Brausekopf, der sich wünscht, einfach aus der Welt zu verschwinden, statt sie auf den Kopf zu stellen.
Mit seinem aufrührerischen Aktionismus war Franz Jung eine der schillerndsten Figur der linken Weimarer Republik. "Die Technik des Glücks" macht das deutlich. Und doch rauscht der politische Aktionist an dem Abend durch seine eigene Biographie, sieht sich mehr erzählend selbst zu, was das für Zeiten waren und "nichts bleibt von dem, was man getan hat". Das hinterlässt ein sentimentales Feeling, man sinniert über die Abgründe der Zeit, die Jung erlebte. In der Mischung des Abends ist's als Konzert ein Genuss. Als politisches Aufklärungsstück bleibt es zu diffus.
Die Technik des Glücks – Eine Franz-Jung-Revue
Textfassung: Annett Gröschner, Hanna Mittelstädt, Rosmarie Vogtenhuber unter Verwendung von Texten Franz Jung
Künstlerische Leitung: Annett Gröschner und Hanna Mittelstädt, Regie: Rosmarie Vogtenhuber. Raum und Film: Constanze Fischbeck, Kostüme: Katja Schmidt, Kamera: Siska.
Mit: Wolfgang Krause Zwieback, Robert Stadlober, Corinna Harfouch (im Film), Live-Musik: Die Sterne (Christoph Leich, Frank Spilker, Dyan Valdes, Thomas Wenzel).
Premiere am 14. November 2018
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.hebbel-am-ufer.de
Eine Art Lecture Performance entstehe, bei der Jungs Biografie die Struktur vorgibt, schreibt Patrick Wildermann im Tagesspiegel (17.11.2018). "Auf ein so schillerndes, wild bewegtes Leben wie das des Franz Jung lassen sich nur Schlaglichter werfen. Und wo der Schein auch hinfällt, es wird spannend." Insofern kein Vorwurf, dass diese Revue kein dramatisches Feuerwerk abbrenne, "sondern mehr oder weniger chronologisch durch Werk und Wirren der Zeit marschiert."
Wer war Franz Jung? Unter anderem ein "überzeugter Weltverbesserer, der, wie Robert Stadlober nun, immer mit ganzer Kraft in die Welt rief, aber nie mehr als halbes Echo zurück empfing", schreibt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (16.11.2018). Dass eine Franz-Jung-Revue auf die Bühne gebracht werde, sei eine mehr als begrüßenswerte Sache. Der messerscharf bellende Robert Stadlober, der faserig über die Bühne wuselnde Wolfgang Krause Zwieback sowie die ergreifend intensive Corinna Harfouch tragen die zwei Sprech-Sing-Stunden. "Leider beschränkt sich das Programm inhaltlich darauf, die bloße Werk- und Lebenschronik Franz Jungs abzuklappern, statt einen zentralen dramaturgischen Zugriff herauszuarbeiten der über das bloße Frontal-Sprechen hinausginge." Fazit: Jung suchte wie kaum jemand sonst "das Innere der Revolution". Mag sein, dass er daran verzweifelte, "an diesem eher gehetzten, als sein Tempo erlebbar machenden Abend hört man es kaum".
Im HAU2 schreie Robert Stadlober wie ein Getriebener Biografisches ins Mikrofon, "kurze Spots auf einen Lebensweg, der eine Epoche exemplarisch beleuchtet und doch radikal individuell bleibt", so Katja Kollmann in der taz (16.11.2018). Nah komme einem dieser Zeitgenosse. "Verantwortlich ist Stadlobers ungeschützte Unmittelbarkeit der Darstellung, die dramaturgisch kluge Zusammenstellung der Texte und die Qualität der Jung’schen Texte an sich." Man werde melancholischer Fan dieses Menschen.
"Ein bisschen viel Druck liegt auf der Textfassung", findet Tobi Müller auf DLF Kultur Fazit (14.11.2018). "Es wurde zu viel reingequetscht. Ganze Werklisten wurden vorgetragen. Ich hätte mir mehr Entscheidungen gewünscht: Was genau interessiert die Autoren denn an Franz Jung?" Besser sei die zweite Hälfte des Abends, "da kommt der Abend zur Ruhe" und zeige Franz Jung als einen "Intensitätsmenschen". Einen Mensch, der viel vom guten Leben verstand, sich oft überwarf mit anderen und sich von keinen Positionen einnehmen lies.
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Jung engagierte sich nicht nur für die Revolution in Deutschland und Russland, sondern kreuzte auch die Wege namhafter Künstler*innen seiner Zeit von Erich Mühsam bis Lotte Lenya. In den zwei Stunden erfährt man jedoch nicht wesentlich mehr über ihn als das, was bereits auf dem zweiseitig eng bedruckten Handzettel „Franz Jung – eine unvollständige Chronik“ steht.
Wie ein Fremdkörper wirkt Corinna Harfouch in dieser kurzatmigen Inszenierung. Sie hat nur wenige Auftritte in Videoeinspielern. Diese Momente der Ruhe durchbrechen den aufgewühlten Rhythmus des restlichen Abends. Sie verkörpert die zahlreichen Partnerinnen, die Jung häufig wechselte, oder eine begeisterte Rezensentin seines Werks, das als Schlusswort nach dem Applaus eingespielt wird.
Komplette Kritik: daskulturblog.com/2018/11/15/die-technik-des-gluecks-franz-jung-revue-hau-kritik/
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Die Spieler zucken und schwanken und mäandern durch ihre Welt, stürzen durch atemlose Aufzählungen und kontextfreie Anekdoten, die voraussetzen, dass der Zuschauer die zweiseitige Biografie, die am Eingang ausliegt, gelesen hat. Was als Nacherzählung beginnt, wird zu einem Manischen Suchen. Nach dem roten Faden, dem Ziel, dem Sinn. Vieles ist albern, mancher Einfall unnütz. Vor allem die Auftritte Corinna Harfouchs per Videoeinspieler, welche die Perspektive der vielen Frauen in Jungs Leben beisteuern sollen, wirken aufgesetzt, Fremdkörper, welche die Atmosphäre brechen, den Fluss aufstauen und wie Inseln in einem Abend stehen, der mit ihnen wenig anzufangen weiß. Gerade zu Beginn stockt der Aufbau von Spannung und Atmosphäre spürbar, doch dann reißt diese Revue, die gleichzeitig keine ist, weil sie sich selbst genauso wenig sicher ist wie ihres Sujets. Songs, Melodiefetzen werden wiederholt, Texte ebenso.
Am Ende steht das Bild vom Torpedokäfer, der in High-Speed durch die Welt schießt und jedes Mal, wenn er endgültig ausgeknockt scheint, sich wieder aufrappelt, und weitermacht. Dort, wo er einst anfing. Ein plakatives Bild, klar, aber auch eines, das, von Krause Zwieback mit fast kindlichem Staunen vorgetragen, passt zur fiebrigen Spannung dieses Abends. Der vieles nur streift, anekdotisch fragmentiert, doch in seiner mehrschichtigen Unruhe einen Sinn und eine theatrale Sprache entwickelt für ein Leben, dass sich von Unsicherheit zu Unsicherheit pflügt, Ziele verfolgt, verwirft, wieder ausbuddelt, sich verliert, wiederfindet, sich irrt, sich wieder irrt, und ein weiteres Mal, und doch immer weiter schießt. Durch eine Welt, ein Jahrhundert, das die größten Glücksversprechen vereint mit den katastrophischsten Schrecken der Menschheitsgeschichte, die in Fetzen sichtbar werden, vor allem aber spür-, hör-, mitleidbar. Ein Fiebertraum, der eine fiebrige Zeit, erzählt, die ihre Fühler ausstreckt in unsere, deren Temperatur stündlich steigt, die sich in Unsicherheit und Wünschen und Ängsten, in Liebe und Hass hochschaukelt. Und die anklopft an die Tür dieses Franz Jung, der sich jeden Moment aufrappeln wird, um wieder loszufliegen.
Komplette Rezension: stagescreen.wordpress.com/2018/11/16/zur-unruhe-geboren/