Der Traum vom Moonwalk

von Kai Bremer

Bielefeld, 22. November 2018. Ein lautes Krachen und drei Astronauten treiben nach der Explosion ihres Raumschiffs in verschiedene Richtungen auseinander. Sie haben offenbar in den 60ern die Erde verlassen. Ihre Anzüge sind poppig hellblau und mit farbigen und geometrischen Applikationen versehen – eine nette Weiterentwicklung der Kleidung, die auf der Enterprise getragen wurde. Ihre blonde, helmartige Haarpracht erinnert an die der Eloi, die harmlos-naiven, von den Morlocks unterdrückten postapokalyptischen Menschlein in der Verfilmung von H.G. Wells' "Die Zeitmaschine" von 1960. Und – als wäre das nicht genug Reminiszenz an die gute alte SciFi-Zeit – stimmen die drei bald schon Breathe an, den ersten Song nach dem Intro auf Pink Floyds Megaseller The Dark Side of the Moon. Immerhin ein Sprung in die frühen 70er.

Ab in die Schwerelosigkeit

Das mag Begeisterung bei denen auslösen, die damals schon dabei waren. Aber auch wenn sich Pink Floyds Album angeblich bis heute konstant gut verkauft, macht ein solches Arrangement im ersten Moment nicht den Eindruck, als könnte es einen formidablen Theaterabend abgeben und mehr bieten als die Erinnerung an eine Zeit, als Vinyl noch kein Distinktionstonträger war.

Was in Michael Heicks' Inszenierung in Bielefeld beginnt wie eine Verneigung vor der frühen Science-Fiction-Kultur ist dem Titel nach ein Remix aus der Kurzgeschichte "Kaleidoscope" von Ray Bradbury und eben Pink Floyds Album. In musikalischer Hinsicht funktioniert das eindeutig gut. 

 Kaleidoscope1 560 Joseph Ruben uSchönste Videoeffekte, Schwerelosigkeit und Pink Floyds "Breathing the air" in Michael Heicks' "Kaleidoscope" in Bielefeld © Joseph Ruben

Vor der Bühne spielen die Pianistin Dariya Maminova sowie das Arminio Quartett Pink Floyds Songs. Die drei Schauspieler Jan Hille, Christina Huckle und Thomas Wehling singen dazu recht präzise. Huckle meistert sogar den herausfordernden, textlosen Gesang von Clare Torry in The Great Gig in the Sky. Durch die Instrumentierung klingt aber selbst dieser Song ein wenig nach 'Pink Floyd goes Classic' – hübsch und nett, aber kaum mehr. Nicht nur der eine oder andere ältere Besucher dieses Abends wird das differenzierte Gitarrenspiel und das gegen Ende des Albums so markante Saxophon vermisst haben.

Ähnlich gut, aber letztlich nicht spektakulär wird die Darstellung der Schwerelosigkeit gemeistert: Von der Bühne erhebt sich eine Schräge, auf der sich die drei Darstellenden je an einem Drahtseil befestigt gewissermaßen mitten im Weltraum bewegen, da auf der Schräge immer wieder lange Filmsequenzen etwa vom Mond und der Erde projektiert sind (Video: Sascha Vredenburg).

Nächtlicher Sternschnuppen-Wunsch

So treiben die drei durchs All, wohlwissend, dass sie nicht mehr zu retten sind. In seiner Erzählung vergleicht Bradbury die auseinandertreibende Bewegung der Astronauten nach der Explosion ihres Schiffs explizit mit den immer wieder neuen, anmutigen Bildern eines Kaleidoskops. Doch ist die Erzählung nicht nur eine ästhetische Miniatur. Zugleich ist sie ein präzises Psychogramm, das die Frage nach dem absehbaren Umgang mit dem eigenen Tod aufwirft. Die drei streiten sich, werden melancholisch, hysterisch und reumütig. Schließlich entwickelt sich die Erzählung gar zu einem hoffnungsvollen memento mori, da der letzte Astronaut in die Umlaufbahn der Erde eindringt, verglüht und dabei von einem Jungen auf der Erde gesehen wird. Die letzten beiden Sätze der Erzählung lauten: "'Wünsch dir was', sagte seine Mutter. 'Wünsch dir was.'"

Kaleidoscope2 560 Joseph Ruben u In anderen Sphären: Jan Hille und Thomas Wehling © Joseph Ruben

Je weiter die Astronauten auseinanderfliegen und je unausweichlicher der Tod wird, umso deutlicher wird an diesem Abend zugleich, wie funktional Heicks Pink Floyds Album einsetzt. Er mischt es nicht einfach mit der Erzählung, sondern nutzt die einzelnen Songs, um Szenen der Handlung zu kommentieren, etwa wenn ein Astronaut mit seinem Wohlstand prahlt und im Hintergrund die Melodie von "Money" einsetzt. Was zunächst wie ein hübsches Sci-Fi-unplugged-Musical anmutet, entwickelt sich so immer mehr zu einer artifiziellen Auseinandersetzung mit der conditio humana, deren Facettenreichtum in Bradburys Erzählung angelegt ist.

Hoffnungsschimmer

In der Schlussszene vom verglühenden Astronauten wird ein Bild von der Sonne auf die Schräge projektiert, vor die sich wie bei einer Sonnenfinsternis der Mond schiebt und so seine dunkle Seite zeigt – ein Pink Floyds Albumtitel aufnehmendes Symbol für die Möglichkeit, auch das vermeintlich Nicht-Sichtbare zu sehen. Schon im Barock wurden solche Motive für lyrische Meditationen genutzt und so emblematisch die Ambivalenz des menschlichen Daseins zum Ausdruck gebracht. Heicks aktualisiert diese Auseinandersetzung mit Leben und Vergehen nicht nur. Er stellt sich der vielleicht elementarsten Herausforderung des Daseins, dem Tod, ohne Fatalismus das Wort zu reden, indem er Bradburys abschließenden Hoffnungsschimmer symbolisch unterstreicht.

 

Kaleidoscope_to the Dark Side of the Moon
von Ray Bradbury und Pink Floyd nach einer Idee von Daniel Rohr
Regie und Bühne: Michael Heicks, Musikalische Leitung: Norbert Stertz, Kostüme: Anna Sörensen, Video: Sascha Vredenburg, Dramaturgie: Anne Vogtmann.
Mit: Jan Hille, Christina Huckle, Thomas Wehling; Dariya Maminova (Klavier), Arminio Quartett: Johanneke Haverkate (Violine), Julia Parusch (Violine), Friedemann Jörns (Viola), Max Grundermann (Violoncello).
Premiere am 22. November 2018
Dauer: 1 Stunde, keine Pause

www.theater-bielefeld.de



Kritikenrundschau

Antje Doßmann von der Neuen Westfälischen (online 23.11.2018) hat an diesem Abend "eine schlicht überzeugende, nachdenklich stimmende Botschaft" vernommen: "Auf welche Weise ein Mensch auf sein Leben zurückblickt, wenn es zu Ende geht, ob er glücklich ist oder verzweifelt, hängt einfach nur davon ab, ob er erfüllt gelebt hat." Auch musikalische Gestaltung des Abends ruft bei der Kritikerin höchstes Lob hervor. "Und das Trio auf der Bühne sorgte mit seiner fließend und mit beiläufiger Selbstverständlichkeit angestimmten Interpretation der Songs dafür, dass der Gesang immer wie ein Teil der Dialoge klang, nie wie ein musicalhaftes Anhängsel. Das alles war großartig und löste beim Premieren-Publikum kometensturmhaften Beifall aus."

Eine "musikalische Weltraumexpedition" und einen "Theaterabend über Sterblichkeit sowie die Frage, was uns Menschen im Kern ausmacht", hat Mario Graß von der amerikanischen Internetzeitung German Daily News (24.11.2018) in Bielefeld gesehen. Mit einer musikalischen Gestaltung, die sowohl die "Schönheit der Melodien als auch die Experimentierfreude" von Pink Floyd erhalte. "Trotz des finsteren Themas und der hoffnungslosen Situation der Protagonisten findet der Abend ein positives, poetisches und wunderschönes Abschlussbild", wenn "am Bielefelder Theaterhimmel" ein "Lichtstrahl" auftauche.

 

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