Persona - Anna Bergmann inszeniert am Berliner Deutschen Theater den Filmstoff von Ingmar Bergman als deutsch-schwedische Koproduktion
Hinter den Spiegeln das Nichts
von Sophie Diesselhorst
Berlin, 30. November 2018. Und dann kommt endlich doch ein Laut aus ihrem verschlossenen Mund: "I'll be your mirror", singt Elisabeth Vogler, "reflect what you are in case you don't know." Ich werde dein Spiegel sein, dir spiegeln, was du bist, falls du es nicht weißt. Im silbernen Abendkleid tanzt die schwedische Schauspielerin Karin Lithman ihre Spielpartnerin Corinna Harfouch an, als wolle sie sie von der Bühne werfen.
Entfremdete Wahrnehmung
Sowieso sind diese Worte, im Lied von Nico und The Velvet Underground ursprünglich eine Liebeserklärung, hier ein Hohn. Ein Hohn für Schwester Alma (Corinna Harfouch), die gerade daran verzweifelt ist, dass sie sich über geschlagene anderthalb Stunden immer mehr aufgelöst hat in eine Projektionsfläche für Elisabeth Vogler, die verstummte Schauspielerin aus Ingmar Bergmans Film "Persona" aus dem Jahr 1966. Anna Bergmann hat den Stoff als Koproduktion des Malmö Stadsteater und des Deutschen Theaters Berlin inszeniert. In Malmö, wo im September die Premiere stattfand, spielte Corinna Harfouch die stumme Rolle der Elisabeth Vogler und Karin Lithman ihre Krankenschwester Alma. Für die deutsche Version tauschen die beiden Schauspielerinnen jetzt die Rollen.
Es beginnt in Elisabeths Kopf. Karin Lithmann liegt auf dem Boden, gerahmt von einer Muschel aus von der Decke hängenden weißen Papierbahnen. In ihrer entfremdeten Wahrnehmung sprechen die Ärztin (Franziska Machens) und Schwester Alma mit verzerrten Stimmen und bewegen sich verzögert wie Marionetten. Alma, die in Ingmar Bergmans Schwarz-Weiß-Film von der Kamera kühl beobachtet, geradezu abgecheckt wird, als hätte die stumme Beobachterin Elisabeth noch eine Doppelgängerin außerhalb des Bildes, ist bei Anna Bergmann von Anfang an neurotisch und brutal. Sie fasst Elisabeth ohne Grund ins Gesicht und jagt ihr eine Beruhigungsspritze in die Stirn, als wolle sie sich misstrauisch ihrer entledigen, noch bevor ihre gemeinsame Geschichte losgegangen ist.
Die liegende Elisabeth ist auf ihre Mimik reduziert, wird von Traumbildern aus ihrem Bühnen- und Familienleben heimgesucht, die als Videos über die Papierbahnen flirren. Die gefeierte Schauspielerin, in Bergmans Film von Liv Ullmann gespielt, hat am Morgen nach einer Vorstellung aufgehört zu sprechen. Da die Ärztin im Krankenhaus nicht feststellen kann, dass ihr physisch irgendetwas fehlt, und sie auch psychisch sonst keine Auffälligkeiten aufweist, wird sie aus dem Krankenhaus entlassen und mit Schwester Alma zur Erholung in ein Sommerhaus am Meer geschickt.
Almas Rachsucht
Ein Bühnenregen weicht die Papierbahnen auf, und es offenbart sich eine zweite größere, metallisch funkelnde Muschel. Im flachen Wasser platschen die Frauen herum, plappert Schwester Alma, um die Stille zu füllen, und erzählt der immer gelöster wirkenden Elisabeth aus ihrem Leben. Je länger diese ihren Geschichten stumm beiwohnt, desto mehr Vertrauen fasst Alma. Die Stimmung kippt, als sie einen Brief von Elisabeth an die Ärztin findet, in der jene Almas Geschichten weiterberichtet und sie eitel als Zeichen einer "unbewussten Verliebtheit" liest.
Ingmar Bergmans Film kippt an dieser Stelle ins Experimentelle, geht Almas Rachsucht aus enttäuschter Liebe also nicht psychologisch nach, sondern lässt die beiden Frauenfiguren ineinander fließen. Alma geht komplett in ihrer Rolle als Projektionsfläche für Elisabeth auf. Elisabeth wiederum treibt ihren künstlerischen Wahrheitsanspruch in das Extrem, sich aller Rollen entledigen zu können. Aber die Illusion, dass das möglich ist, kann sie nicht alleine entwickeln. Sie braucht dazu Alma, die sie erst durch ihr Zuhören öffnet und gefügig macht, um sie dann zu infiltrieren. Als Elisabeths Mann zu Besuch kommt, spielt Alma Elisabeth und lässt sich von ihm nehmen. So geschieht es auch bei Anna Bergmann, sowieso wird das Filmskript auf Jo Schramms Bühne getreulich nachgespielt.
Zelebrierte Leichtigkeit
Fast unmerklich jedoch verschieben sich Fokus und Atmosphäre der Inszenierung. Das wird am deutlichsten in den Szenen, die Anna Bergmann dazu erfunden hat. Wenn Elisabeth Alma und sich Masken ins Gesicht malt und ihr einen rituell anmutenden Tanz beibringt, der später zu "I'll be your mirror" noch einmal zitiert wird, dann liegt auf einmal eine Leichtigkeit in der Luft, die es im Film nicht gibt: Was die beiden Frauen hier zelebrieren, ist die seltene Möglichkeit, Projektionsflächen füreinander zu sein und nicht, wie sonst, für die Männer. Elisabeths Mann hat Alma weggejagt, hier musste er (Andreas Grötzinger) seinen kurzen Auftritt auch noch splitterfasernackt absolvieren.
Vor diesem Hintergrund hat auch "I'll be your mirror" noch eine weitere Bedeutung, schwingt in dem Lied, für das Elisabeth auf einmal wieder eine Stimme hat, neben der Demütigung auch ein frauensolidarisches Bekenntnis mit. Dass man es so oder so lesen kann, ja so und so lesen muss, liegt in der Stärke der beiden Hauptdarstellerinnen, die die Konkurrenz um die Hauptrolle, die in dieser Konstellation ja auch angelegt ist, in ein spannungsvolles Zusammenspiel ummünzen.
Das Ende ist holperig, als würde der Inszenierung plötzlich erst klar, dass sie schon vor längerem von Bergman abgebogen ist. Elisabeth geht von der Bühne ab und setzt sich in den Zuschauerraum. Allein und ratlos lässt sie Alma zurück. Diese "War doch alles nur ein Trick?"-Volte hätte es nicht gebraucht. Den Eindruck eines dichten Theaterabends schmälert das aber nur kurz.
Persona
nach dem Film von Ingmar Bergman in der Übersetzung von Renate Bleibtreu
Regie: Anna Bergmann, Bühne: Jo Schramm, Kostüme: Lane Schäfer, Musik: Hannes Gwisdek, Licht: Sven Erik Andersson, Video: Sebastian Pircher, Dramaturgie: Sonja Anders, Felicia Ohly.
Mit: Karin Lithman, Corinna Harfouch, Franziska Machens, Andreas Grötzinger.
Malmö-Premiere: 15. September 2018
Berlin-Premiere: 30. November 2018
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.deutschestheater.de
www.malmostadsteater.se
"Im Film zoomt die Kamera häufig auf Gesicht und Mimik der Sprachverweigerin Elisabet alias Liv Ullmann, um sie trotz ihrer Textlosigkeit angemessen vorkommen zu lassen", schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (3.12.2018). "Das Theater setzt hier notgedrungen auf physischen Aktionismus und verstrickt Alma und Elisabet abendfüllend in Wasserspiele. (…) Das Planschen, Nassspritzen und In-Pfützen-Wälzen mit Kleidern, die anschließend in illustrativer Sacknässe an den Körpern kleben, birgt allerdings erhöhte Kitschgefahr." Außerdem sei der "Psycho-Gehalt" der Filmvorlage "betagt" und werde deshalb "punktuell eliminiert oder leicht transformiert", so Wahl. "Was aus dieser Perspektive zwar verständlich ist, aber den Abend, nicht immer plausibel, vom Film gelegentlich weg- und wieder zu ihm hinschlenkern lässt."
Eine "seltsam verwässerte Regiearbeit von Anna Bergmann" hat Doris Meierhenrich gesehen und findet in der Berliner Zeitung (3.12.2018) "die wunderbar rohen, harten, auch schnoddrigen Harfouch-Momente die einzig starken des Abends". Harfouch spiele die naive Alma "nicht nur sehr witzig. Sie steigert sich auch in genau jene schauerlich wahren Lebensmomente hinein, an denen Ingmar Bergman verzweifelte. Als sie in einem abgründigen Gemisch aus Gier und Angst von Almas heimlicher Sexorgie am Strand erzählt, macht Harfouch spürbar, wie Spiel eben doch auch Leben preisgibt." Aber im weiteren ließen die beiden Spielerinnen "ihre ohnehin blassen Nixenkonturen amöbenhaft verschwimmen und bleiben damit doch in einer Kunstlächerlichkeit, in der nicht mal das große F von Frage, geschweige denn ein G für Grausamkeit aufblubbert, die hier so wichtig wären".
Stimmen zu den Aufführungen der Produktion beim Berliner Theatertreffen 2019
Eine Inszenierung, "die tatsächlich so etwas wie einen 'weiblichen Blick' aufzeigt" und "zwei berückend einnehmende Protagonistinnen" sah Christine Dössel von der Süddeutschen Zeitung (22.5.2019). "Der muschelartige Raum, in dem die beiden Frauen im Wasser planschen und sich ineinander spiegeln und gespiegelt werden, hat etwas von einer Mutterhöhle. Das ist so feminin und intim, so irisierend und befremdend, mitunter auch melodramatisch kitschig und stereotyp, jedenfalls im Gesamttableau so weiblich anders, dass diese Inszenierungsart, ob man sie mag oder nicht, die Sehgewohnheit herausfordert, ins Schwimmen bringt."
Wie hätte die "unter dem Feminismus-Aspekt allenthalben gefeiertste Inszenierung der diesjährigen Theatertreffen-Auswahl ... im Blindfold-Test abgeschnitten"?, fragt sich Christine Wahl in ihrem die neu eingeführte zweijährige Regiequote als roten Faden verwendenden Theatertreffen-Resümee im Tagesspiegel (20.5.2019). Anna Bergmann werde die beiden Charaktere, die ohnehin "nicht zum Fortschrittlichsten gehören, was der Geschlechterrollenmarkt zu bieten hat", in "abendfüllende Wasserplanschspiele", wie man sie auch von Regisseuren quer durch die Generationen kenne, von Armin Petras bis Claus Peymann, so Wahl. "Nichts gegen dekorative Wasserpfützenchoreografien, aber als Ikone eines neuen Bühnen-Feminismus leuchten sie beim besten Willen nicht ein."
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Auch ist die großartige Corinna Harfouch leider zu alt für die Rolle der Alma, was in Ihrem Orgien-Monolog sehr deutlich wird und leider fremdschämend wirkt.
Kann man sehen, muss man aber nicht!
Bergmans „Persona“ ist nicht nur traumspielartiges Drama über zwei Frauen, deren Konturen sich auflösen, sondern vor allem auch eine Meditation über das Kino. Schon im Prolog mit den schnell geschnittenen, nur scheinbar willkürlichen Bildern, die ein Projektor abspult, wird dies überdeutlich. Das Spiel mit Lichteffekten bis zu einem kompletten Filmriss durchzieht den gesamten Film.
Die Rätselhaftigkeit und Sperrigkeit des Films prägen auch diesen Theaterabend. Interessant ist, welche Akzente Bergmann anders setzt als ihr schwedischer Fast-Namensvetter Bergman: die Homoerotik zwischen Alma und Elisabet wird in der Theateraufführung wesentlich plakativer ausgespielt als es Bergman im Jahr 1966 wagen konnte. Jo Schramm baute für die beiden Spielerinnen eine Grotte, in der sich die aus Schweden-Krimis bekannte Karin Lithman (als verstummte, erst kurz vor Schluss ein paar Sätze ausspuckende Elisabet Vogler) und Corinna Harfouch (als Schwester Alma) bei einer Wasserschlacht wälzen.
Andere Motive wie die Fotografie des Kindes, an das sich Elisabet erinnert, treten auf der Bühne stärker in den Hintergrund. Bergmann hat darauf verzichtet, diese Rolle zu besetzen, und besetzte neben den beiden zentralen Spielerinnen nur Franziska Machens (als strenge Ärztin) und Andreas Grötzinger (als Elisabets Mann) für zwei Kurzauftritte.
Der gravierendste Unterschied: Bergmann macht gar nicht erst den Versuch, die berühmten Szenen, in denen sich die Gesichter der beiden Schauspielerinnen auf der Leinwand übereinander schieben, für die Bühne zu kopieren.
Eine interessante Randnotiz zu dieser Inszenierung ist, dass Bergmann ihre beiden Protagonistinnen die Rollen tauscht lässt: In Malmö schweigt die Deutsche und spielt die Schwedin die redselige Krankenschwester. In Berlin ist es umgekehrt: Lithman ist die stumme Patientin, Harfouch die plappernde Schwester. Hier liegt auch die größte Abweichung vom Film: Bibi Anderson ist als Alma bei Bergman eine naive junge Frau, die den Star anhimmelt und verletzt ist, als sie erkennt, dass diese sie nicht ernst nimmt und nur mit ihr spielt. Valery Tscheplanowa war 2009 in einer ihrer ersten Theaterrollen eine ideale Besetzung für diese Alma. Corinna Harfouch, die seit Jahrzehnten in großen Rollen brilliert, nimmt man diese jugendliche Naivität nicht ab. Ihre Alma ist plötzlich nicht mehr 25, sondern 55 Jahre alt, was das gesamte Kräfteverhältnis zwischen den beiden Frauen in Schieflage bringt.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2018/12/20/persona/
Ein äußerst ästhetisches und zugleich funktionales Bühnenbild, eine in sich schlüssige Inszenierung, eine starke Ensembleleistung (allem voran die grandiosen Schauspielerinnen Corinna Harfouch und Karin Lihtman) und ein cineastisches Dé-jà - Vu, als Corinna Harfouch am Anfang des Stücks als Krankenschwester Alma Frau Elisabeth Vogler geräuschvoll drei Tabletten verabreicht hat. Man wurde unmittelbar an den Film "Der Untergang" aus dem Jahr 2004 erinnert, in dem Corinna Harfouch als Magda Goebbels ihre sechs Kinder mit Giftkapseln tötete. Das Knacken der gewaltsam zwischen die Kiefer geschobenen Kapseln vergisst man nie mehr. Viele Theaterabende wirken im Moment stark, aber nicht unbedingt nach. Der gestrige wird vermutlich lange im Gedächtnis bleiben.
Denn bei aller gegenseitigen Projektion, liegt ihre Tragik an diesem Abend eben weniger in der Nichtgreifbarkeit fester Identitäten, die Regisseurin Bergmann anders als ihr Fast-Namensvetter durchaus als Chance zu begreifen scheint. Im Gegenteil: Am Ende steht Corinna Harfouch mit flehendem Blick erstarrt auf leerer Bühne. Lithman hat sich ins Publikum gesetzt, um sich das Ende anzusehen, die Interpretation zulassend, dass sie vielleicht doch nur Almas Projektion war, was dem Vorangegangenen ein wenig in den Rücken fallen und das Grundthema zu einer privaten Identitätskrise verzwergen würde. In jedem Fall ist Almas Problem am Ende nicht die entgrenzte Identität, sondern die Einsamkeit, die Isolation des viel zu sehr abgegrenzten Ichs. Die vorherige Annäherung, die Raumerweiterung weiblicher Gemeinschaft, ist gescheitert. Aber warum? Die Antwort bleibt dieser (von einem Kurzauftritt Andreas Grötzingers als Elisabets Mann abgesehen) männerfreie Abend schuldig. Die gesellschaftliche Ebene, die er andeutet, entzieht er sich wieder und so bleibt ei letztlich in unsicherer Schwebe. Getreue Adaption des Originals und Versuche einer (post)modernen Neuinterpretation wollen nicht recht ineinander greifen, bleiben separat wie schließlich auch die vermeintlichen Spiegelbilder. Hier scheitert das Theater an sich selbst. Nicht weil es keine Antwort findet, sondern weil es sich nicht über die Frage einigen kann. Die eine an sich selbst ist oder sein sollte. Dabei öffnet dieser Abend immer wieder Pfade, sich widersprechende, denen sich aber folgen ließe. Pfade, die vielleicht zur richtigen Frage führen könnten, Pfade, deren Quelle das Spiel ist. Und hier ist das Theater wieder ganz bei sich.
Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2019/01/28/spieglein-spieglein/
https://artsandculture.google.com/asset/the-birth-of-venus/MQEeq50LABEBVg?hl=de
Und ja, im Film, welchen ich ebenso gesehen habe, geht es um das Thema Projektion, um Seele und Maske, um Authentizität und Rolle. Wir alle, Frau und Mann, entsprechen mal mehr diesem, mal mehr jenem. Die beiden Frauen repräsentieren für mich also die zwei Seiten des Schauspielerberufs bzw. des Menschseins. Was mich allerdings stört, sowohl im Film als auch in der Inszenierung, ist der dennoch klischeehafte Blick auf "die Frau" in Bezug auf diese zwei Seiten: Entweder Krankenschwester oder Schauspielerin, entweder Heilige (Aufopferung für andere) oder Hure (Selbstgefühlaufopferung). Das stimmt so nicht. Eine Frau ist sowohl im Alltag als auch auf der Bühne weder nur für andere da (Krankenschwesetr). Noch ist sie nur Projektionsfläche anderer (Schauspielerin). Ich erkenne darin eher die Bedürfnisse des Mannes Ingmar Bergman wie die Bedürfnisse der Regisseurin, dieses zu kritisieren. Bloß, warum wählt sie dann diesen Stoff? Und warum sieht die Kritik daran dann trotzdem so frauenfeindlich aus? Frauensolidarität sieht für mich anders aus. Ganz anders.