Ein Mann von 50 Jahren

von Michael Wolf

Berlin, 2. Dezember 2018. Aus gutem Grund gibt es keine deutsche Übersetzung für den Begriff well made play. Einheimische Autoren tun sich schwer mit diesem Genre. Selbst die spezialisierte Textmanufaktur von Lutz Hübner und Sarah Nemitz kann die Nachfrage nicht bedienen. Die Stücke müssen also importiert werden. Der US-Autor Tracy Letts hat sich so bei uns ein zweites Standbein aufgebaut. Gerade am Berliner Ensemble ist er gefragt.

Traum vom Neuanfang

Hier laufen schon Eine Familie und Eine Frau. Das neue Stück heißt "Wheeler", müsste aber konsequenterweise "Ein Mann" heißen, denn um ihn geht's. Um einen Mann, konkreter: um einen weißen, alten Mann. Als solche verdammt die Hauptfigur Kerle wie ihn selbst, vorausgesetzt sie haben im Gegensatz zu ihm etwas gegen Obama. "Diese rassistischen Schwanzlutscher." Politisch wird's aber nicht. 

Letts, selbst 53 Jahre alt, erzählt lieber die Geschichte einer Midlife-Crisis: Dick Wheeler – 50 Jahre alt, gescheiterter Fotograf, frisch geschieden – will noch mal neu anfangen. Und er hat Glück. Eine liebenswerte Life-Coacherin verliebt sich in ihn. Natürlich versaut er's. Wheeler macht Schluss und geht eine Beziehung zu einer halb so alten, schwangeren Vietnamesin an, die ihn bald darauf verlässt. Ein Tattoo lässt er sich auch stechen.

Wheeler2 560 Matthias Horn uBesuch bei der Life-Coacherin machts auch nicht besser: Stephanie Eidt und Felix Rech in "Wheeler" © Matthias Horn

Nein, "Wheeler" ist nicht das große, zeitgenössische Stück über Männlichkeit. Aber immerhin tritt der alte, weiße Mann hier leibhaftig auf, anstatt nur als abstrakter Pappkamerad herumgereicht zu werden. Die Häufung an Klischees sei Letts also verziehen. Ein well made play will das Rad schließlich nicht neu erfinden, es will nur mit gut geölter Dramaturgie durch den Abend schnurren. Der Treibstoff sind hier handwerklich saubere, schnelle, teils sehr lustige Dialoge.

Im falschen Stück

Es könnte richtig Spaß machen, zuzuschauen wie sich hier einer in zwei Stunden zum Trottel macht. Blöd nur: Auf der Bühne im Kleinen Haus ist er das von vornherein. Das hängt mit einer eigenwilligen Besetzung zusammen. Regisseur Oliver Reese hat Felix Rech die Hauptrolle gegeben. Die Krux: Rech ist Anfang vierzig und wirkt auch auf der Bühne kein Jahr älter. Letts' Stück aber verlangt lupenreinen Realismus. Reese lässt es sogar eilfertig auf einer um Authentizität ringenden Bühne spielen: Wohnung mit Couch und einem Fenster mit Blick auf Hochhäuser, Büro mit Bücherwand und Macbook, Kamera-Shop mit Theke und Kasse undsoweiter. 

In diesem psychologischen Setting darf man erwarten, dass einer mit Midlife-Crisis kein angry young man ist. Aber wenn bierbäuchiger Zynismus zu erwarten wäre, wirft Rech energisch die Hände in die Luft. Wenn Wheeler besserwisserisch die Popkultur der Gegenwart ablehnt, wirkt das eher pubertär als konservativ. Wenn der Text von Sehnsucht nach einem neuen, zweiten Leben erzählt, tigert Rech über die Bühne wie auf der Suche nach dem ersten.

Wheeler3 560 Matthias Horn uGroße Gesten eines Angry young man © Matthias Horn

Das verringert die Fallhöhe seiner Figur beträchtlich. Trotz aller Lächerlichkeiten, zu denen Wheeler fähig ist, müssen wir doch anerkennen, dass er mit seiner Angst vor dem Ende und seiner Sehnsucht nach einem Neuanfang nicht falsch liegt. Er will sich nicht abgeben mit einem Schicksal als alter Sack ohne Zukunft. Auch wenn er am Ende sein eigenes Opfer ist, so kämpft er doch immerhin. Nimmt man ihm diesen Kampf nicht ab, bleibt nicht viel.

Kaum zwingend daher, dass Stephanie Eidts Jules diesem ständig schlecht gelaunten Typen verfällt. Nur selten finden sie und Rech in ihren Zweierszenen in einen gemeinsam Ryhthmus. Trang le Hong tut sich noch schwerer. Als vietnamesische Freundin kennt sie nur eine Tonlage: genervt zickig. Ein Lichtblick des Abends ist Veit Schubert in einer Doppelrolle. Als bester Freund liefert er sich noch die gelungensten Wortgefechte mit Wheeler. In einer weiteren Rolle als dessen Chef gibt er ein mindestens so depressives wie perverses Arschloch.

Geradlinige Dialoge

Aber es bleibt bei ein paar sehenswerten Einzelleistungen. Reese verschleppt das Tempo und erschwert seinem Ensemble dadurch zusätzlich die Arbeit. Die meisten Pointen versanden, sowohl die humoristischen als auch die emotionalen. Letts traut sich Sätze zu, über deren geradlinige Seichtheit ein deutscher Dramatiker eine Woche Rechenschaft ablegen müsste. Sätze wie "Ich liebe dich". Damit hat der Mann aus Amerika kein Problem, auf einer deutschen Bühne braucht's dafür Courage und ein exaktes Gespür für Timing. Hier fließt eine solche Replik nicht automatisch dem Herzen entgegen, sondern tropft leicht auf den Bühnenboden hinab. Da rutscht man dann drauf aus, fällt durch ein Spannungsloch und findet sich mit einem Mal in einer Soap wieder.

 

Wheeler
von Tracy Letts
Regie: Oliver Reese, Bühne: Hansjörg Hartung, Kostüme: Elina Schnizler, Musik: Jörg Gollasch, Dramaturgie: Tobias Kluge.
Mit: Felix Rech, Trang Le Hong, Stephanie Eidt, Franziska Junge, Josefin Platt, Veit Schubert.
Premiere am 2. Dezember 2018
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.berliner-ensemble.de

 

Mehr über Genretreue schrieb Wolfgang Behrens in einer seiner Kolumnen "Als ich noch Zuschauer war".

 

Kritikenrundschau

Tracey Letts lege seinem Wheeler "keinen einzigen hellhörigen Dialogfetzen in den Mund (…), nur unfassbar leere Phrasendrescherei und trostloses Galoppieren über tausend flache Pointen", schreibt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (3.12.2018). "Schwer zu begreifen, was Intendant Oliver Reese (...) an diesem eklatant schwachen Stück aufführenswert findet." Immerhin habe der Regisseur im Intendanten "an diesem Mini-Stoff noch einmal seine Regieroutine aktivieren können", so Meierhenrich. Am dankbarsten sei man als Zuschauer für die junge Trang Le Hong, die "in ihrer laienhaften Grobheit die ganze Schaumschlägerei einfach in sich zusammensacken" lasse.

Das Stück habe gut gebaute Szenen und pointierte Dialoge, "aber es wird nicht klar, warum wir uns diese Geschichte des alternden Mannes, der sich selbst bedauert und sich junge Frauen ins Bett holt, anschauen sollen“, so Barbara Behrendt im Deutschlandfunk Kultur (2.12.2018) und ähnlich auf Deutschlandfunk (3.12.2018). Reese sei als Regisseur eher "ein solider Handwerker, kein begnadeter Künstler", die Bühne im Kleinen Haus wirke wie eine amerikanische TV-Serie aus den 90er Jahren, das habe man alles schon gesehen.

"Tracy Letts hat schon stärkere Stücke geschrieben", befindet Patrick Wildermann im Tagesspiegel (5.12.2018). Oliver Reese inszeniere "mit stückdienlichem Realismus" und stelle seine Regie "ganz in den Dienst der Geschichte, lässt die Stationen gut geölt ineinander greifen und die Zwischentöne eines echten Dramas anklingen". Doch: "'Wheeler' schreit nicht unbedingt danach, auf die Bühne zu kommen – schon gar nicht in einer deutschen Fassung, die notgedrungen viele der smarten Punchlines prätentiös klingen lässt."

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