Let's talk about sex

von Theresa Luise Gindlstrasser

Wien, 4. Dezember 2018. Ole steht auf Männer. Früher, da war und wollte ihm das nicht so klar sein, da hatte er mal was mit einer Frau und deren Bruder und war "total verwirrt, durch, fix und fertig mit der Welt". Schauspielerin Michèle Rohrbach umhüpft als Ole eine tapezierte Trennwand, als wäre die ein Weihnachtsbaum. Sie serviert ihren Kolleg*innen Frühlingszwiebel, Paprika, eine Aubergine und griechisches Joghurt. Das Ensemble schnabuliert – lieber Paprika oder Frühlingszwiebel, lieber Penis oder Vagina?

Was ist hinter der Wand?

Das Kosmos Theater und makemake produktionen präsentieren die Österreichische Erstaufführung von Gesine Schmidts "Begehren". Das passt zum gleichlautenden Spielzeit-Motiv. Die "doku-fiktionale Feldforschung" versammelt Biografisches von vier Frauen und drei Männern zwischen 26 und 75. Tinder, Porno, komplizierte Beziehungen, Sex als Arbeit am Kinderkriegen, BDSM, Erfüllung von Wünschen und so weiter und immer so fort – eine Bestandsaufnahme. Regie führt Sara Ostertag. Vor Kurzem erhielten makemake für die Vorgänger-Arbeit am Kosmos Theater (Muttersprache Mameloschn von Sasha Marianna Salzmann) den Nestroy 2018 für die beste Freie-Szene-Produktion.

begehren 1435 560 c bettina frenzelSex-Monologe unter Plastiktüten: Michèle Rohrbach, Sabine Muhar, Christoph Griesser © Bettina Frenzel

Nanna Neudeck und Pia Stross haben eine Art "Hier ist ihr Herzblatt"-Trennwand zwischen die beiden gegenüberliegenden Publikums-Tribünen gebaut. Nicht sehen können, was die auf der anderen Seite sehen, das aktiviert den Voyeurismus. Dass dann immer mehr und größere "Schlüssellöcher" in die Tapete gerissen werden, macht das Versprechen klein. Rohrbach, Christoph Griesser, Florian Haslinger, Sabine Muhar und Suse Lichtenberger sprechen die durcheinander verschnittenen, auf Interview gestylten Monologe, schlüpfen in und aus Rollen und in und aus pastell-farbene Hipster-Kleidung.

Wenn die Luftpolsterfolie platzt

Aus dem Nebeneinander von Gschichtln entkoppelt sich ein Themenstrang. Es geht um Gero und Julia. Die bekommen eine durchgehende Szene. Lichtenberger, mit aufgeklebtem Schnauzer und Jeans-Jacke, spielt Gero und sagt: "Ich bezeichne mich als Dom oder als Top". Julia findet das aufregend. Dass sie gerne devot ist, erzählt der Text über eine gestörte Beziehung zur Mutter. BDSM scheint so erklärungsbedürftig zu sein, dass es über alle anderen Alltags-Phantasien herausgehoben und mit Küchenpsychologie unterfüttert werden muss – eine sensationsgeile Dramaturgie.

begehren 1178 560 c bettina frenzelGeschmackvoll choreografierte Bilder © Bettina Frenzel

"Das eigene Begehren zu erforschen, zu erkennen und dann eventuell sogar zu erfüllen", steht im Pressetext, "klingt simpel". Dann: "Ist es aber nicht". Die sieben stellvertretenden, biografischen Bekenntnisse wollen wohl dazu anleiten, über eigenes Begehren zu sprechen, um dann Befriedigung herstellen zu können. Ein pädagogischer Theatertext also. Wir müssen das Tabu laut aussprechen, dann verpufft es, dann kommen wir zu dem, was wir wollen. Mei! Da haben andere schon gehaltvoller über Sexualität und Macht nachgedacht.

Regisseurin Ostertag und Choreografin Martina Rösler überlagern den Text mit geschmackvollen Bildern und zarten Arrangements von Körpern im Raum. Der Musiker Imre Lichtenberger Bozoki gibt dazu allerlei Pop, Instrumental und Choral. Wenn Luftpolsterfolie zerdrückt wird, um körperliche Gewalt genüsslich zu machen, wenn Rohrbach und Haslinger gemeinsam in einer Unterhose stecken, wenn Muhar auf Griessers Schultern sitzt, den Rock aufknöpft und sein Kopf wie neugeboren zwischen ihren Schenkeln hervorlugt, dann ist das schön anzusehen. Aber auch beliebig.

 

Begehren
von Gesine Schmidt
Regie: Sara Ostertag, Bühne: Nanna Neudeck, Pia Stross, Kostüm: Mael Blau, Pia Stross, Choreografie: Martina Rösler, Musik: Imre Lichtenberger Bozoki, Dramaturgie: Anita Buchart.
Mit: Christoph Griesser, Florian Haslinger, Sabine Muhar, Imre Lichtenberger Bozoki, Suse Lichtenberger, Michèle Rohrbach.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

www.kosmostheater.at

 

Kritikenrundschau

Einen "fährtenreiche(n) text-choreografischer Bekenntnisabend", erlebte Angela Heide von der Wiener Zeitung (5.12.2018). Die Geschichten verlören nie an existenzieller Tiefe. Man könne sich schwer entziehen. "Eines will dieser Abend wohltuend nicht: Erklärungen anbieten und das komplexe Gewinde, das sich im Spiel sexueller Begehrlichkeiten und tabuisierter Fantasien manifestiert, vereinfachen."

Der Erkenntnisgewinn des Stücks bleibe zwar aus, "aber zumindest gibt es ein paar amüsante Anekdoten oder Formulierungen" in der kurzweiligen Performance-
Revue, so Thomas Trenkler im Kurier (6.12.2018). Regisseurin Sara Ostertag und Choreografin Martina Rösler illustrierten den Text assoziativ mit Miniszenen; die zunächst nackten Akteure probiert en binnen 70 Minuten alle in Plastiktüten von der Decke hängende Kostümteile durch und schlüpften, unabhängig vom Geschlecht, in
verschiedene Rollen.

 

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