Horror, Horror, Wahnsinn!

von Dieter Stoll

Nürnberg, 9. Dezember 2018. An Kronen mangelt es nicht in dieser gespenstischen Versammlung von gierigen Häuptern, wie sie Regisseur Philipp Preuss am Nürnberger Schauspielhaus für seine Inszenierung von William Shakespeares "Macbeth" organisiert hat. Letztlich darf, ja soll jeder Anwesende auf der Bühne einmal danach greifen. So wie er auch die vorübergehend verfügbare Titelrolle kurzzeitig instandbesetzen kann. Zum späteren Gruppenbild der sechs konkurrierenden Akteure hat die Königsdramen-Requisite dann sowieso hochkarätige Kopfbedeckungen für alle.

Märchenhafte Logik

Erst wenn der jeweils vorübergehende Schein-Sieger im zunehmend brutaler ausgetragenen Wettkampf die Macht an sich reißt, also in einer grotesken Anmaßungs-Attacke das ganze Geschmeide rundum als Zeichen der Selbstermächtigung zur mehrstufigen Juwelenhut-Pyramide für den Eigenbedarf stapelt, wird es richtig problematisch.

Macbeth 2 560 KonradFersterer uOh übermächtiges Schicksal, mir graut vor dir! Lisa Mies, Julia Bartolome, Felix Mühlen und Raphael Rubino (v. l. n. r.) © Konrad Fersterer

Doch die märchenhafte Logik der Geschichte des Feldherrn Macbeth, wie sie in Nürnberg nun ein bislang in dessen Nähe noch nicht gesehener Narr als bizarre Schauergeschichte mit milde höhnender "Es war einmal"-Verzierung erzählt, erlaubt solche Wendungen. Schließlich tragen die Figuren dieser selbstbewusst eigenartigen Fassung von Shakespeares Tragödie abwechselnd Fragmente des übergewichtigen Schicksals durch den Abend und die anhängende Weltgeschichte. Nicht wie ein Staffelholz, eher wie einen Bumerang. Es kommt alles zurück und fällt dem nächsten Akteur zur Weiterbearbeitung vor die Füße: "Horror, Horror, der Wahnsinn hat sein Meisterstück vollbracht".

In wechselnder Verpackung Jahrhunderte durchqueren

Die Spirale der Gewalt lässt Philipp Preuss absichtlich immer an der gleichen Stelle bohren. Nur die Epochen wechseln und das Personal wird austauschbar. Beweisen will die Inszenierung in "künstlerisch-theatraler Neuerkundung", wie das Unbewusste die Macht in der Gesellschaft, ach was: in den Gesellschaften, übernimmt. Freilich arbeitet er mit Freuden auch an kleineren Erkenntnissen, etwa der unvermeidlichen Irritation darüber, wer in dieser Story überhaupt noch lebt, wer Gespenst ist oder Opfer oder Restbestand.

Die deutsche Übersetzung von Angela Schanelec, mit der Jürgen Gosch 2005 seine legendär brachialpoetische "Macbeth"-Aufführung ausstattete, ist in der Nutzung dieser Endlosschleife mit Depressionsgarantie allenfalls eine tröpfelnde Quelle, erfrischend für Hitzewallung im Unbewussten. Das Assistenz-Quartett für den Einsatz am Titelhelden übernimmt den Mord mit Aussichten in anderen Epochen, tauscht Kostüme, wechselt Verpackung, durchquert Jahrhunderte und streckt die Körper ganzheitlich malerisch in Blutspuren.

Macbeth 3 560 KonradFersterer uAustauschbare Charaktermasken: Yascha Finn Nolting und Raphael Rubino (In der Mönchskutte: Sascha Tuxhorn) © Konrad Fersterer

Julia Bartolome, Yascha Finn Nolting, Raphael Rubino und Felix Mühlen bewegen sich bis in die Slowmotion-Räkelei hinein souverän am Kitsch vorbei zur perfektionierten Gruppendynamik. Das Eigenprofil bleibt ihnen versagt. Nur die skrupellose Lady Macbeth, die mit ihrer eiskalten Berechnung im Dunstkreis des Königsmörders ("Bist ohne Ehrgeiz nicht, doch mangelt dir die Schlechtigkeit, die ihn begleiten muss") schon bei tausenden konventioneller Aufführungen die Schuldfrage mit in die Garderobe nehmen musste, schreitet im vorgegebenen Rahmen unablösbar durch die Turbulenzen.

Denkanstoß im Sonderangebot

Die sichtlich um Charakter ringende Lisa Mies ist die einzige "Identifikationsfigur", die Philipp Preuss in seiner Inszenierung der eigenen Kürzel-Fassung unter Vorbehalt gestattet, ohne dass man genauer erfährt, warum das so ist. Eigenleben bleibt sonst nur dem erfundenen Narren: Sascha Tuxhorn wühlt sich wie der Duweißtschon aus der Mönchskutte, rappt der Fantasie einen Noteingang zum kopfgesteuerten Konzept und auch wieder raus, kann mit multikomödiantisch gleitender Sprachakrobatik über Stil- und Spielgrenzen hinweg den beschworenen Albtraum-Zustand fixieren.

Das kann dem Zuschauer, wird dem Regisseur genügen. Sofern man ihm nicht bis zum Vorschlag folgen mag, dass das Publikum in den drei Hexen mit ihren raunenden Hetz-Kommentaren bitteschön sich selber erkennen möge. Der Regiseur sagte es im Interview und filmt das voll besetzte Parkett live als wär's das Sonderangebot für einen Denkanstoß.

Macbeth 4 560 KonradFersterer uViel Bild, wenig Handlung: auf der Bühne von Ramallah Sara Aubrecht  © Konrad Fersterer

Schall und Wahn

Ausstatterin Ramallah Sara Aubrecht hat aus golden schimmernden Plastikbahnen ihre "Echokammer" gebaut, ständiger Hinweis auf Spiegelung der Eitelkeiten, und im Hintergrund einen Flügel mit Mikrophonen integriert. Grundausstattung für ein Leben aus "Sound and Fury", Schall und Wahn. Der große Bühnenvorhang war derweil schon vor Beginn der Vorstellung und während der laufenden Aufführung immer wieder geöffnet und geschlossen worden, auf und zu und auf und zu wie ein Zeichen der unbeherrschbaren Wiederholungs-Anmahnung eingesetzt. Weiter als bis zum ersten Königsmord des Originalstückes, seiner ständig neu aufgelegten und umgekleideten Analyse, kommt man dabei lange nicht.

Für so etwas wie "Handlung" interessiert sich die auf Bildbeschaffung im Gedankenspiel setzende Regie nämlich bis zum Schluss nicht sonderlich. Aber am Ende bewegt er sich doch, der Wald. Und der dann etwas um seinen Humor besorgte Narr legt nach mit einer Macbeth-Spezialversion, die da lautet "Es war einmal ein Tyrann von Osaurusrex" …

Dann wurde es still und die Nürnberger Shakespeare-Premiere versickerte im freundlichen Applaus.

 

Macbeth
von William Shakespeare
Übersetzung: Angela Schanelec, Fassung von Philipp Preuss,
Inszenierung: Philipp Preuss, Bühne und Kostüme: Ramallah Sara Aubrecht, Video: Konny Keller, Musik: Kornelius Heidebrecht, Licht: Kai Luczak, Dramaturgie: Sascha Kölzow
Mit: Julia Bartolome, Lisa Mies, Felix Mühlen, Yascha Finn Nolting, Raphael Rubino, Sascha Tuxhorn.
Premiere am 8. Dezember 2018
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

www.staatstheater-nuernberg.de

 

Kritikenrundschau

"Alles lustig. Aber drehte Preuss die Mordschraube mit mehr Klarheit von Runde zu Runde weiter, es könnte viel mehr sein als ein imposanter Blutrausch", schreibt Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (10.12.2018). "Subtil ist Preuss nicht. Auch nicht sonderlich präzise. Aber seine Sturheit wirkt. Von Runde zu Runde variiert er ohne rechte Stringenz den Text und auch die Kleidung. Erst Mittelalter, dann Viktorianismus, Gegenwart, Unterwäsche. Jedes Mal klingt dadurch der Text anders, auch wenn er durchgehend supercool verhandelt wird."

Wer sich auf die besondere Regiesprache einlasse, werde belohnt: "Shakespeares resignativer Blick auf die ewige Wiederkehr von Gewalt, Macht, Intrigen und Skrupellosigkeit erfährt durch diese Dramaturgie der Warteschleife eine stimmige und bildstarke Aktualisierung", schreibt Wolfgang Reitzammer in den Nürnberger Nachrichten (10.12.2018). Er sah "ein lebendes Gemälde über die Verrohtheit der Welt ohne erhobenen Zeigefinger". Der passendere Titel für diese experimentierfreudige Inszenierung wäre 'Macbeth — deconstructed & reconstructed' gewesen.

"Durchaus schlüssig, dieses Konzept, und Preuss und sein Team verfolgen es konsequent. Shakespeare als Shakespeare-Remix", so Wolf Ebersberger von der Nürnberger Zeitung (10.12.2018). Allerdings: "Wer das Stück 'Macbeth' nicht kennt, versteht nur Macbahnhof – oder wird seine liebe Mühe haben, sich die Geschichte aus diesem dramaturgischen Hackfleisch zusammenzuset- zen." Preuss inszeniere ein willig rotierendes Theater der Macht, in dem alle inhaltliche Spannung schnell zur Blutpfütze gerinne, "zur zwanghaften Sportübung, zum willkürlich verschnittenen Zitateaufsagen". Ganz daneben seien die komischen Momente.

DK schreibt im Donaukurier aus Regensburg (online 11.12.2018):  Die Inszenierung versuche sich an "einer künstlerischen Vivisektion der ewiggleichen Mechanismen von Macht und Gewalt". Die Stückfassung konzentriere sich auf die ersten zwei der insgesamt fünf Akte. "Der Clou dabei" sei "der Loop": Prophezeiht und gemordet werde nämlich dreimal, "mit demselben Text, nur in wechselnden Konstellationen und Kostümen". Ab der zweiten Rund habe das "durchaus Spannung" und entwickle "einen rhythmischen Sog". Der zweite Teil des Dramas werde nur "gestreift" bevor die Inszenierung in eine "grausig-resignierte Coda" münde. "Trotz mancher Längen" am Ende lebhafter Applaus

 

 

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