O Theater! Abstraktionsort! Pfui! Pfui!

von Falk Schreiber

Hamburg, 10. Januar 2019. Diese Bühne ist ein repressives System. Lea Burkhalter hat die Performer zwischen riesige Schaumstoffmatten gequetscht, unmenschlich, erdrückend. Ein repressives System, das sich allerdings verhältnismäßig leicht ins Wanken bringen lässt – Julia Franz Richter muss nur einen Fuß aus der Enge zwischen den Matten strecken, ein, zwei Schritte gehen, den Kopf gegen die Wand lehnen, und schon versetzt sie das Bühnenbild in Schwingung. Und mit etwas mehr Druck bringt sie es zum Einsturz. War gar nicht so schwer, nein?

Klaus Heinrichs religionsphilosophischer Essay "Versuch über die Schwierigkeit nein zu sagen" erschien 1964. Ein mäandernder Text, der den Geist der Sechzigerjahre atmet, dessen Grundthese aber bis heute relevant ist: dass nämlich der Mensch, der "Nein" sagt, Solidarität aufkündigt und widerständig handelt, sich dabei aber gleichzeitig auch von sich selbst entfremdet und fortan diese Entfremdung austarieren muss. Henri Hüster dekliniert diese These am Hamburger Off-Theater Lichthof anhand verschiedener Texte durch: an Euripides "Bakchen", die sich der Hierarchie der antiken Götterwelt mittels Perversion und Ekstase verweigern. An Roberto Bolaños "Amuleto", in dem die Protagonistin Auxilio von der Toilette aus miterlebt, wie das Militär eine Universität stürmt, und beschließt, in dieser passiven Situation zu verharren. An Bertolt Brechts "Maßnahmen gegen die Gewalt", in der Herr Egge von einem staatlichen Agenten versklavt wird und diese Situation stumm erträgt, um nach dem Tod des Agenten endlich die Frage "Wirst du mir dienen?" zu beantworten. "Da wickelte ihn Herr Egge in die verdorbene Decke, schleifte ihn aus dem Haus, wusch das Lager, tünchte die Wände, atmete auf und antwortete: 'Nein.'"

Versuch ueber die Schwierigkeit nein zu sagen 2 560 c Jakob Schnetz uDie Neinsager © Jakob Schnetz

Als Diskurstheater findet Hüsters Konzept schnell in die Spur: indem der Abend Heinrichs nicht-dramatischen Text umkreist, mit Dramenfragmenten, mit Tanz (für dessen Choreografie Vasna Aguilar zuständig ist), mit hübsch hintergründigem Humor, der an einer Stelle das Theater als widerständige Neinsagerkultur hochnimmt. "O Theater!" wird da chorisch gesprochen. "Weltnichthaberort! Wahrheitvernichterort! Geschichtenichtkennerort!" Und dann aber: "Abstraktionsort! Pfui! Pfui!" Das ist vor allem deswegen schön, weil Hüsters Theater im Grunde das genaue Gegenteil von Abstraktion macht: Er nimmt eine abstrakte These und wendet diese ins Konkrete, allerdings eben mit den Mitteln des Theaters und der Literatur, mit Choreografie, Bühne, Schauspiel, Prosa. Pfui! Pfui!

Ablehnung von allen Seiten

Allerdings macht es einem Heinrichs Text nicht so leicht, als dass man gefahrlos einen funktionierenden Theaterabend aus ihm bauen könnte. Dem Widerstand des "Nein" ist ein destruktives Element eingeschrieben: Das Subjekt, das sich für das "Nein" entscheidet, ist gefährdet, und tatsächlich nimmt diese Gefahr hier immer mehr Raum ein. "Ich sage Nein zum Zwang!" skandieren die Performer an einer Stelle, "Ich sage Nein zur Ordnung!", "Ich sage Nein zu alten, weißen Männern!", und dann plötzlich auch: "Ich sage Nein zur Prostitution!", "Ich sage Nein zum Genderwahnsinn!", schließlich "Ich sage Nein zur Islamisierung des Abendlandes!" Auch bei Pegida laufen Neinsager mit, und tatsächlich beschrieb schon Klaus Heinrich 1964, wie die aus Verneinung erwachsende Entfremdung ins Reaktionäre kippen kann. Das ist alles nicht einfach, und es ist Hüster hoch anzurechnen, dass sein "Versuch über die Schwierigkeit nein zu sagen" nicht zum konservativen Manifest wird, sondern bis auf weiteres erstmal "Nein" sagt zur dramaturgischen Stringenz. Will sagen: Der Abend verläppert sich ein bisschen, aber das macht er gut.

Versuch über die Schwierigkeit nein zu sagen 1 560 Foto c Jakob Schnetz uKein Zaudern bei der Verweigerung © Jakob Schnetz

Dass Hüsters Konzept sich im Laufe des Abends zunehmend selbst im Weg steht, ist konsequent. Einfache Antworten wird es nicht geben. Sobald eine Lösung angeboten wird, soll sie sofort wieder hinterfragt werden. "Die Liebe! Das ist doch was!", heißt es, nur um diesen Ausweg dann gleich wieder mit "Die Liebe ist ein konservativer Trieb!" zu relativieren. Und dann muss noch ein weiteres Mal die Mattenbühne umgestellt werden, müssen die Geschlechter geswitcht werden, müssen Protestschlager gesungen werden. Muss, muss, muss. Die Inszenierung besticht jenseits ihrer unbestreitbaren künstlerischen Qualität durch eine ästhetische und inhaltliche Unbedingtheit, die den Abend freilich ganz gehörig ausbremst. Hüster also ist irgendwie über Klaus Heinrichs Essay gestolpert, und nachdem er gestolpert ist, ist er liegengeblieben.

Im viel zu langen, immer weiter nach hinten geschobenen Schlussteil wird das Publikum auf die Bühne gebeten. Lukas Gander formuliert eine queere Utopie, mit grenzenlosen Körpern, mit Entscheidungen fürs Zweifeln und gegen den Schwindel. Einzelne Zuschauer stehen auf, andere haben etwas aus dem Abend gelernt und weigern sich, einige bleiben einfach stumm sitzen. (Aber Vorsicht: Protest ist die Aussage "Ich mache nicht mehr mit", echter Widerstand aber die Aussage "Ich sorge dafür, dass alle anderen auch nicht mehr mitmachen".) Und Richter lockt: "Die Utopie wird immer besser, während wir auf Sie warten." Warten. Locken. Nein.

 

Versuch über die Schwierigkeit nein zu sagen
von Henri Hüster mit Texten unter anderem von Roberto Bolaño, Euripides, Klaus Heinrich, Wolfram Lotz und Gerhild Steinbuch
Regie: Henri Hüster, Bühne: Lea Burkhalter, Kostüm: Marie Sturminger, Dramaturgie & Produktionsleitung: Lena Carle, Leïla Etheridge, Regieassistenz & Kommunikation: Christine Grosche, Lichtdesign und Technik: Sönke C. Herm.
Mit: Vasna Aguilar, Julia Franz Richter, Lukas Gander, Pauline Stöhr.
Premiere am 10. Januar 2019 am Lichthof Theater Hamburg.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause

www.lichthof-theater.de

 

Kritikenrundschau

Henri Hüster schneide "eine Vielzahl Stoffe ineinander, von denen jeder allein schon einen Theaterabend füllen könnte" schreibt Annette Stiekele im Hamburger Abendblatt (12.1.2019). "Hüster differenziert das Dilemma des Nein-Sagers, er vereinfacht nichts." Der Abend verhebe sich "auf so größenwahnsinnige wie großartige Weise an starken Texten und ästhetisch überbordender Form".

 

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