Kunstparty im Klimawandel

von Grete Götze

Frankfurt am Main, 12. Januar 2019. Vor genau einem Jahr hat Robert Borgmann zuletzt am Schauspiel Frankfurt inszeniert. Kafkas Romanfragment "Das Schloss", mit Max Mayer als Landvermesser K. Ein rätselhafter, vieldeutiger Abend, dessen ungeheure Figuren sich ins Gedächtnis eingraben. Mit Samuel Becketts "Warten auf Godot" hat sich Borgmann nun wieder einen schwer zu dechiffrierenden Text vorgenommen, der durch seine Zeitlosigkeit Parabelcharakter hat.

Aber leider entscheidet sich der Regisseur und Bühnenbildner dieses Mal anders. Er versucht aus dem Stück über zwei Männer, die auf einer Landstraße vergebens auf eine Figur namens Godot warten, es könnte ebenso Gott sein wie der Tod, einen irgendwie heutigen Abend zu machen. Auf der riesigen weißen Bühnenwand prangt in der Mitte ein Smiley aus Leuchtstäben, der die Mundwinkel zu einem Lächeln hochziehen oder senken kann oder einen Strich bilden. An einem langen weißen Baumstamm versucht sich Samuel Simon als Estragon empor zu ziehen, bekleidet nur mit einem weißen Leibchen. Er trägt wie sein Kompagnon Wladimir, gespielt von Isaak Dentler, und der Live-Gitarrist (Philipp Weber) eine weiße Perücke. Von oben dringt Nebel herunter. Rechts liegen ein riesiges transparentes Plastikkissen und ein Eisblock. Man könnte im Himmel sein, aber auch in einer Klinik. Oder auf einer sehr angesagten Party.

Bunte Strumpfhosen, Kunstblut und ein schmelzender Eisblock

Doch da wo Beckett kunstvoll mit der Erwartung spielt, ein Stück müsse eine Handlung haben, Wladimir und Estragon Ping Pong mit Worten spielen, damit die Zeit vergeht, da lässt Borgmann die Protagonisten ihre Sätze einfach so wegsprechen. Die Textbausteine wiederholen sich ständig, "Du hättest Dichter werden sollen", "Ist der Baum ohne Blätter nicht eher ein Busch?" "Kann nicht auch Dienstag sein, oder Samstag?" Simon und Dentler spielen so vor sich hin, hüpfen ein wenig auf dem Kissen, bevor Pozzo und Lucky auftreten, der grausame Unbekannte und sein Sklave. Sie werden mit schauriger Musik, rotem Licht und Befehlen aus dem Lautsprecher angekündigt. Dann kommt Heiko Raulin als Pozzo in Strumpfhose auf die Bühne und klatscht seine mit dunkler Farbe durchtränkte Kleidung an die Bühnenwand. Dazu Lichtpainting. Gerade ist es wohl eine Kunstparty.

WartenaufGodot3 560 Birgit Hupfeld uSamuel Simon, Max Mayer, Isaak Dentler, Heiko Raulin © Birgit Hupfeld

Raulin, bekannt für seine schöne klare Stimme, positioniert sich mit rotem Umhang auf einem Campingstuhl und schimpft. Sein Untergebener Lucky trägt eine gelbe Strumpfhose und eine Langhaar-Perücke aus Perlen. Max Mayer gibt gewöhnlich – körperlich bis in die Zehenspitzen zur Verausgabung bereit – jeder Figur etwas völlig Entrücktes, Überspanntes. Hier darf der Schauspieler nur ins Leere starren, bevor er seinen kleinen Monolog halten darf. Didi und Gogo, wie sich die verlorenen Kumpels nennen, rutschen unbeholfen auf dem Wasser des schmelzenden Eisblocks umher. Die unerklärliche Szene, in der Lucky Estragon angreift, ist aufgelöst, indem Estragon nach einer kurzen Umklammerung durch Lucky mit roter Farbe übergossen wird.

Das Theaterstück als Panzerwagen

"Reizender Abend. Unvergesslich. Und er ist auch noch nicht vorbei", spricht Dentler ins Publikum. Und später: "Was machen wir denn hier, das muss man sich mal fragen?" Ja, das fragen sich die vereinzelt lachenden Zuschauer seit Beginn der Inszenierung. Aber auch diese Publikums-Adressen stellen weder intelligent die Funktion heutigen Theaters infrage noch lenken sie darauf, worauf unsere Generation (der 30-somethings) wartet. Der zweite Akt ist eine Wiederholung des ersten. In der Zwischenzeit muss etwas Grausames passiert sein, da Pozzo blind geworden ist und Lucky verstummt. Aber die Tatsache, dass die Figuren nichts mehr von ihren Begegnungen im ersten Akt wissen, wird schnell weggespielt und in allgemeine Verzweiflung und Langeweile getaucht. "Becketts Stücke haben die Eigenart von Panzerwagen und Idioten", hat der Regisseur Peter Brook mal gesagt; "man kann sie beschießen, man kann sie mit Kremtorten bewerfen: Sie setzen ihren Weg gelassen fort." Das mag stimmen, ist aber kein Grund, Stillstand, absurdes Theater mit Belanglosigkeit zu verwechseln.

Warten auf Godot
Von Samuel Beckett
Deutsch von Elmar Tophoven
Bühne und Regie: Robert Borgmann, Kostüme: Bettina Werner, Musik: Philipp Weber, Video und Lichtdesign: Carsten Rüger, Dramaturgie: Lukas Schmelmer.
Mit: Isaak Dentler, Max Mayer, Heiko Raulin, Samuel Simon, Joel Borod / Shai Hoppe.
Premiere am 12. Januar 2019
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten, keine Pause

www.schauspielfrankfurt.de

 

Kritikenrundschau

"Dieses Stück kommt nie aus der Mode", konstatiert Shirin Sojitrawalla im Deutschlandfunk (13.1.2019): "Das Menschsein in einem absurden Theaterabend kondensiert: eigenwillig poetisch, niederschmetternd traurig und dramatisch komisch." Regisseur Robert Borgmann denke nicht daran, sich auf eine Interpretation festzulegen, sondern begegne dem Stoff mit unbedingtem Kunstwillen, in dem Sojitrawalla allenfalls Ansätze zu einer Neubefragung des Klassikers entdeckt. Letztlich sei die Inszenierung kein großer Wurf – aber in ihr "ein Regisseur am Werk, der bereit ist, ausgetrampelte Pfade zu verlassen", und der auf neue Weise die seherische Kraft und die verzweifelte Bilanz des Stückes betone.

Robert Borgmann begebe sich in die Welt der Kunst, schreibt Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (14.1.2019): "da sind wir irgendwie zu Hause, irgendwie leicht zu beunruhigen und auch ganz interessiert." Das hundertfach gespielte Stück, von dem in der gekürzten Fassung viel Wissen vorausgesetzt werde, einmal "im hippen Künstlerambiente aufgehen zu sehen", findet sie anregend, den Abend aber letztlich "bei allem Buhei unheimlich eindimensional".

Leider habe das Schauspiel Frankfurt Robert Borgmann "mit der Einrichtung von Becketts düsterem Befund vom leerlaufenden Leben beauftragt", schreibt Jens Frederiksen im Wiesbadener Kurier (14.1.2019). Und wenn Borgmann ins Spiel komme, sei plötzlich überhaupt nichts mehr einfach. In Frankfurt könne man zwei Kunstfiguren beim Zeit-Totschlagen zusehen, doch das Treiben im White Cube erschließe sich nicht und habe keinerlei Konsequenzen für das Verständnis des Stückes. So gehe es dem Zuschauer ein wenig wie den Beckett‘schen Figuren: "Wir verstehen nichts und hoffen unverdrossen weiter auf Erleuchtung. Doch sie kommt nicht."

"Schrecklich viel Sinn ergibt das alles nicht, aber es tut, was es vermutlich tun soll: Es macht Effekt, suggeriert wie der zuverlässig vor sich hin schmelzende Eisblock auf der Bühne eine gewisse, freilich überwiegend unbestimmbare Bedeutung und sorgt im Laufe des knapp zweieinhalbstündigen Abends immer wieder für starke Bilder", schreibt Hubert Spiegel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (14.1.2019). "Borgmanns Beckett wirkt nicht aktuell, aber auf diffuse Weise heutig, denn er ist emotionalisiert und widersprüchlich und bewirtschaftet die Gegensätze, die er hervorbringt."

Isaak Dentler und Samuel Simon seien das Herz der Inszenierung. "Die stets richtige Betonung der oft repetitiven Dialoge und das perfekte Timing zwischen den beiden bei dem Quatsch, mit dem die Figuren ständig versuchen, einander herauszufordern, schaffen etwas, woran viele Inszenierungen des Stücks scheitern, indem sie den Witz des Textes nicht gegen die Unheimlichkeit dieser leeren Welt ausspielen, sondern die beiden miteinander in Einklang bringen", so Nicolas Freund in der Süddeutschen Zeitung (16.1.2019). 'Warten auf Godot' und Robert Borgmanns Inszenierung könne man verstehen als ständige Suche nach irgendwelchen Dingen, mit denen sich der leere Bühnenraum füllen lasse. "Seine Bühne ist der Ort, an dem sich das, was der Text in der Sprache versucht, als Farbe und Form materialisiert."

 

 

 

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