Nacht in Dunkeldeutschland

von Christian Muggenthaler

Bamberg, 18. Januar 2019. Die viel beschworene innere Sicherheit eines Staats hängt stark ab von der inneren Sicherheit seiner Bürger. Das ist dann vor allem eine interne Frage des Bewusstseins und keine externe, außerhalb liegende Bedrohungslage. Wie Julie Zehs Roman "Leere Herzen" andeutet, der jetzt am E.T.A.-Hoffmann-Theater in Bamberg dramatisiert wurde, hängt die Stärke einer Demokratie auch zusammen mit der inneren Überzeugung ihrer Bürger hinsichtlich ihres Werts, der mehr ist als eine Wohlstandsgarantie, mit der sie gern mal verwechselt wird. Bedroht wird das friedliche Miteinander auch durch Selbstmordattentäter, die ihre innere Mitte gänzlich verloren haben und als Zeichen dieser Ortlosigkeit nun noch so viele Opfer als möglich mit in ihren Freitod nehmen wollen.

Werteverfall zwischen Sushi und Silvaner

Zeh hat eine literarische Vision des Jahrs 2025 geschaffen, indem sie aktuelle Entwicklungen einfach in die Zukunft projiziert hat. Sie berichtet von einem Deutschland, in dem eine rechte "Besorgte-Bürger-Bewegung" Demokratie zunehmend beseitigt und damit einen Verfall von Werten und die Befreiung des blanken Egoismus bewirkt. "Ich genieße es in vollen Zügen, dass mich die allermeisten Dinge nichts angehen", sagt eine Vertreterin des Bürgertums im Stück, die sich zwar den Zerstörern der Demokratie nicht zu-, aber von ihr aus purer Nachlässigkeit abgewandt hat. Beider Herzen sind leer geworden. "Demokratie", heißt es, "ist nicht mehr so romantisch wie vor 50 Jahren."

Leere Herzen 560 MartinKaufhold uBürgerland ist abgebrannt: Anna Döing, Marcel Zuschlag, Ewa Rattaj © Martin Kaufhold

Julie Zeh ist eine sehr politische Autorin, die sich Gedanken über die Zukunft des Staats macht, in dem sie lebt. Das Bamberger Theater hat sich ebenfalls zu einem sehr politische Nachdenkort entwickelt, in dem immer wieder auch Utopien und Dystopien auf die Bühne kommen, die die Zuschauer dazu einladen bis zwingen, sich Gedanken über die Gegenwart zu machen. Dass jetzt beide Parallelen sich in der Unendlichkeit der Bamberger Bühnenwelt treffen, ist da nur logisch und setzt synergetische Kräfte frei. Die Autorin hat einen Zukunfts-Thriller geschrieben, Hausdramaturg Remsi Al Khalisi ihn für die Bühne bearbeitet und Regisseurin Daniela Kranz das Ergebnis zupackend und mit kräftigem Rhythmus umgesetzt.

Was da klappt, klappt ja nicht immer: Der Inhalt ist so schrill wie eine Alarmglocke, da müssen es Form und Spiel gar nicht mehr sein. Britta Söldner ist Psychologin und Leiterin einer Organisation namens "Die Brücke", die scheinbar suizidgefärdeten Menschen hilft, tatsächlich aber die wirklich Entschlossenen herausfiltert und sie für ein finales Hallo als Selbstmordattentäter an Terrororganisationen vermittelt. Eine Gegenorganisation namens "Empty Hearts" formiert sich, eine wild entschlossene Attentäterin stößt hinzu, eine gruselgraue Eminenz taucht auf, die Atmosphäre wird dicht, die Handlung spannend. Und ganz im Nebenbei versackt das Bürgertum zwischen Sushi und Silvaner.

Souveräne Beiläufigkeit

Das Bühnenbild (Ausstattung: Martina Suchanek) sieht denn auch aus wie ein dreidimensional gewordenes Bild aus "Schöner Wohnen", alles, von Kochgeräten bis zu den Kostümen, ist klassisch-bürgerlicher mutloser Mainstream. Das Getriebe der Handlung wird mit souveräner Beiläufigkeit der eingesetzten Mittel im Schwung gehalten, das Tempo ist schnell, Musik, Lichtwechsel, fließend ineinander übergehende Szenen werden unaufdringlich auf die Bühne getupft, nicht mit breitem Demonstrationsgestus hingewaschelt. Al Khalisis Dramatisierung hat zudem manche allzu aufdringliche Botschaftenhuberei des Romans so weit reduziert, dass sie jetzt sehr eindringlich wirkt.

Leere Herzen2 560 MartinKaufhold uDie Psychologin (Ewa Rattaj) und ihr Opfer  (Anna Döing). Links: Kompagnon Babak Hamwi (Marcel Zuschlag)
© Martin Kaufhold

Im Zentrum der Handlung steht eindeutig die sehr präsente, charismatische Ewa Rataj als Britta Söldner, die immer wieder auch von außen Handlung kommentiert und deren eigentliche Chefin ist. Daniel Seniuk ist ihr Mann mit wohlerzogener Pflegeleichtigkeit, Marcel Zuschlag ihr Kompagnon Babak Hamwi, erst saucool, dann zunehmend darüber erschrocken, wie die Dinge sich entwickeln. Anna Döing und Stefan Herrmann haben Doppelrollen als befreundetes Pärchen und als Attentäterin Julietta (roboterhaft entschlossen) und Staatsschützer Guido Hatz (dämonisch wie eine Hoffmann-Figur).

Mit Auftragsarbeiten und Dramatisierungen einschlägiger Romane erzählt das E.T.A.-Hoffmann-Theater seit Jahren eine Fortsetzungsgeschichte über das Wollen und Werden von Gesellschaft und Politik. "Leere Herzen" passt sich da wunderbar ein.

 

Leere Herzen
von Juli Zeh
Regie: Daniela Kranz, Bühne und Kostüme: Martina Suchanek, Dramaturgie und Spielfassung: Remsi Al Khalisi.
Mit: Ewa Rataj, Daniel Seniuk, Anna Döing, Stefan Herrmann, Marcel Zuschlag.
Premiere am 18. Janaur 2019
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

theater.bamberg.de


Kritikenrundschau

"Leere Herzen" sei von Juli Zeh zwar ambitioniert, aber hölzern erzählt, so Christoph Hägele im Frankischen Tag (22.1.2019). Zwangläufig ebenfalls hölzern musste geraten, was Daniela Kranz und Dramaturg Remsi Al Khalisi aus dem Roman für die Bühne machen. So wenig wie der Roman entscheide sich die Inszenierung, ob sie ein Thriller oder eine anspruchsvolle Analyse spätmoderner Gesellschaften sein möchte. In einigen Alltags- und Partnerschaftsszenen enttarnen sich die Figuren zwar als genusssüchtige, ansonsten aber an Harmlosigkeit nicht zu überbietende Wohlstandsbürger, aber das Fazit des Kritikers: "Ein mittelmäßiges Buch wird nicht besser, indem man es auf die Theaterbühne bringt."

"Leere Herzen" sei nicht Zehs stärkster Roman, so Florian Welle in der Süddeutschen Zeitung (6.2.2019): "Er hat Längen, ist zu plakativ." Chefdramaturg Remsi Al Khalisi aber habe aus dem Zukunfts-Thriller eine stimmig gekürzte Theaterfassung erstellt. "Ergebnis: ein von Regisseurin Daniela Kranz stringent, mitunter richtig spannend erzählter Abend mit Ewa Rataj als eiskalter Britta im Zentrum." Es herrsche eine unterkühlte Atmosphäre, ergänzt um den gelungenen Einfall, das Draußen mit einzubinden. "Nach 90 Minuten ist dann die Message unter die Leute gebracht: Die Demokratie ist das beste aller politischen Systeme, verteidigt sie!"

 

 

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