Unter Marginalisierten

von Jens Fischer

Hamburg, 19. Januar 2019. Schwarzer Raum, illuminiert in Dämmerstimmung. Langsam kommt die Drehbühne in Bewegung. Wie ein Karussell lässt sie einen ausgewachsenen Lkw rotieren. Nervenzerrende Musik macht deutlich, dass der Ort des Geschehens ein beängstigendes Viertel sein muss. Irgendein Umschlagplatz globaler Warenströme.

Das Elend der Online-Shopping-Auslieferer

Wider die allgemeine Morgenmuffeligkeit im erwachenden Fernfahrermilieu absolviert Maria wie ein Affenbaby eine Gymnastikeinheit an der Fahrerhaustür des Brummis. Geschlafen hat sie auf der Armaturenbrettablage. 18 Jahre jung ist die Frau und in ihrem unbehausten Leben schon fast ganz unten angekommen bei den Erniedrigten und Beleidigten in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Tagsüber reinigt sie Duschen in einem Fitnessstudio und nennt abends nicht mehr ihr Eigen, als das, was sie am Leib trägt – und was sie im Leib trägt: ein sechs Monate altes Baby. Scheint naturgemäß also in bester Hoffnung zu sein. So macht Simon Stephens sie zu seiner Heldin im emanzipatorischen Kampf gegen soziale Degradierung.

Maria1 560 KrafftAngerer uHeldin der Erniedrigten und Beleidigten der globalisierten Ökonomie: Maria (Lisa Hagmeister)
© Krafft Angerer

Sein neues, mit melodramatischen Effekten gespicktes Stück hat er auch gleich "Maria" betitelt. Lisa Hagmeister spielt die Hauptrolle am Thalia Theater. Versteckt Unsicherheit hinter forschem Gehabe, ist meist aber wirklich tollkühn unerschrocken. Und kindlich gerade heraus. Nie gibt sie auf. Hat das Herz am rechten Fleck. Und so viele Fragen im Kopf. Die ohne Unterlass aus ihr heraussprudeln. Zu Beginn ist ihr Reden vor allem eines gegen die Angst vor der Geburt und dem Mutterwerden. In Stephens' Text sucht sie dazu einen Arzt auf.

Der erscheint in der Uraufführungsinszenierung Sebastian Nüblings als Mechaniker beim Reifenwechsel. Ist er durch seine behauptete jemenitische Herkunft ebenfalls ein Deklassierter? Ein Compañero? Die den Lkw entladenden Packer sind das auf alle Fälle. Ihre Huschhusch-Choreografie ist gleich ein Verweis auf das Elend der Auslieferer prall gefüllter Online-Shopping-Warenkörbe. Die Empfänger machen sich derweil fit für den Konsum mit Tai-Chi im Technorhythmus und Gute-Laune-Hüpfern mit Cheerleading-Puscheln. Marias prolliges Umfeld tobt hingegen gern mal zu harten Beats die eigene Marginalisierung aus den Körpern. Wie schon in Nüblings letzter Stephens-Adaption Rage. "Das Problem ist – wie üblich –, dass uns niemand liebt", hieß es dort programmatisch, nun ist auf einer weiteren Lkw-Reklameplane zu lesen: Love is all you need.

Ping-Pong-Dramaturgie

Das gilt natürlich auch für Maria. Macht sie doch Bekanntschaft mit der geschmeidigen Brutalität der Arbeitswelt. Wegen ihres ärmlichen Outfits und Zuspätkommens droht ihr der Rauswurf. So wandelt sich ihr Reden zu einem gegen die Angst vor der totalen Joblosigkeit. Maria lädt sich frustprall mit Amoklaufideen auf, entsagt denen aber sogleich wieder. Sie kennt ihre dramatische Vorbildfunktion. Viel wichtiger ist ja auch, eine Begleitung für die Zeit im Kreißsaal zu finden. Der Vater des Kindes kommt nicht infrage, denn Maria weiß leider nicht, wer das ist. Oma will nicht mit, sie mag keine Krankenhäuser. Die beste Freundin befürchtet Ärger mit ihrem Liebsten.

Maria3 560 KrafftAngerer uSelbstinszenierung im Chatroom oder Die Suche nach analogem Kontakt in einer digital durchökonomisierten Welt. @ Krafft Angerer

Marias Mutter ist tot. Den an der Supermarktkasse arbeitenden Vater spricht sie bei seiner Zigarettenpause an. Augenklimpernd beschämt steht er da, kann nicht mal ein Eis spendieren. Wird also wohl auch beim Entbinden keine Hilfe sein. Aber ein Blick auf die familiäre Kommunikation vermittelt einen typischen Eindruck von Stephens Ping-Pong-Dramaturgie. Maria: Hast du in letzter Zeit irgendwelche Dokus gesehen? Vater: Nein, Liebes. Maria: Ich habe heute Morgen eine über Amanda Knox angeschaut. Vater: Wirklich? Maria: Ja. Vater: Wie war sie? Maria: Sie war gut. Vater: Das ist gut. Maria: Ich versuche jeden Tag eine Doku anzuschauen. Vater: Warum? Maria: Ich finde einfach, das wäre besser, als ständig auf Facebook zu sein. Vater: Ja. Wäre es wahrscheinlich.

Wehen und Wirtschaftsstrukturen

Da blende ich jetzt mal aus. Es mag der Realität hübsch abgelauscht sein, aber die zumeist nur von zwei Personen geführten Dialoge des Stücks sind eher langatmig banal denn erhellend pointiert. Teilweise unangenehm klischeehaft. Werden auch nicht zu brodelnd Szenen verdichtet, sondern zerfließen. Vitalitätsfunken schlagen nur Maries unverstellt leidenschaftliche Suche nach Haltepunkten – und Oma (Barbara Nüsse). Als vom Leben ernüchterte Frau geht sie an die Rampe und sprechsingt in betörend rauer Kehligkeit "Love will tear us apart" von Joy Division. Woraufhin Maria ihr Kind bekommt. Als Hörspiel ist das mitzuerleben. Nun redet sie, allein unter Ärzten, gegen die Schmerzen der Wehen an. Wenn ihr die Worte ausgehen, zitiert sie Weisheiten aus den gestreamten TV-Dokus. Das ist dann auch lustig, wenn der Arzt ihr den Atemrhythmus einpaukt und sie hechelt: "Durch die heutigen Wirtschaftsstrukturen ist es so weit gekommen, dass sich Arbeit nicht lohnt und nicht mal Geldverdienen sich lohnt, sondern nur Besitz."

Selbstinszenierung mit Perversionseinlagen

Im zweiten Teil des Abends wechselt Maria dann den Job. Moderiert als Cam-Girl die Kontaktversuche der Sozio- und Psychopathen in ihrem Chatroom. "Echte" Geschichten wollen die Kunden von ihr hören, vor allem aber Aufmerksamkeit. Maria bleibt unverrückbar freundlich, offen, neugierig. Zu beobachten ist das auf extra installierten Bildschirmen. Nur: All dem Selbstinszenierungshokuspokus einer knappen halben Aufführungsstunde zu lauschen, ist trotz Perversionseinlagen ähnlich ermüdend wie es die zuvor geführten Gespräche waren. Denn erneut sind vor allem Klischees zu erleben, diesmal zum Thema soziale Isolation, wenn etwa ein einsamer Maskenmann sich stranguliert und ein Pizzafresser Küsse über die Webkamera austauschen will.

Zum Finale redet Maria gegen das Sterben ihrer Oma an. Die noch einmal aufspringt, wie eine Ballerina lostanzt und dann in ihren Armen den Odem aushaucht. Was auch Hagmeister erstmals zum Schweigen bringt. Sie hat triumphiert – in Nüblings spekulativer Bebilderung eines allzu blassen Textes über die Suche nach analogem Kontakt in einer digital durchökonomisierten Welt.

 

Maria
von Simon Stephens
Deutsch von Barbara Christ
Uraufführung
Regie: Sebastian Nübling Bühne: Evi Bauer Kostüme: Pascale Martin Dramaturgie: Julia Lochte Musik: Lars Wittershagen
Mit: Lisa Hagmeister, Thomas Niehaus, Barbara Nüsse, Tim Porath, Sylvana Seddig und Jirka Zett
Premiere am 19. Januar 2019
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.thalia-theater.de

 

 

Kritikenrundschau

"Nübling hat schon etliche Stücke von Simon Stephens uraufgeführt und besitzt ein Gespür für dessen Mosaik-Technik. Er strafft und bringt die Dialoge mit viel Musik und Bewegung in Fluss", berichtet Katja Weise im NDR (20.1.2019). "Dass die Uraufführung so gut gelingt, liegt zum großen Teil an Hauptdarstellerin Lisa Hagmeister: Sie verkörpert den Text. Selbst Passagen, die beim Lesen plakativ wirken, überzeugen plötzlich durch ihre Kraft."

Eva Maria Bauers Bühne verschaffe Marias Passionsgeschichte mit grandiosem Effekt das soziale und gesellschaftliche Fundament, so Michael Laages im Deutschlandfunk (20.1.2019). Sebastian Nüblings Inszenierung fokussiere "geschickt und schnell die szenischen Miniaturen vor dem kreisenden Truck". Laages lobt Lisa Hagmeister und Barbara Nüsse und schließt: "Gerade an Abenden wie diesem und in solchem Spiel erweist sich auch die Kraft des Theaters: einer Welt, der die Menschlichkeit verloren geht, steht hier echtes Leben gegenüber. "

Nübling mache aus "Maria" mehr als die Scripted-Reality-Shows im Billigfernsehen, findet Stefan Grund in der Welt (21.1.2019). "Durch die Entscheidung, den Laster nicht von der Bühne zu rollen, sondern ihn immer wieder in verschiedenen Kontexten zur Projektionsfläche zu machen, kommt es zu hübschen Verfremdungen. Die Plane wird im weiteren Verlauf auch mal zur Videoleinwand." Hagmeister spiele die quasselnde Antiheldin "zum Glück des Publikums derart ungerührt schlicht und intensiv, dass trotz des eher spannungsarmen Verlaufs der Handlung kaum Langeweile aufkommt". Auch helfe, dass die Dialoge bei Stephens gewohnt knackig seien.

 

Kommentare  
Maria, Hamburg: Rias Methode
Das ist wieder so ein wundersamer Nachtkritik-Moment: Gerade fällt mir auf, daß Alexander Scheer für "Gundermann" einen Preis erhalten hat, und ich bin doch just auf dem -höchst analogen- Weg von der HMT-Rostock, jetzt und hier, zum Hölderlinweg 20 ("Alte Schmiede" in Rostock-Toitenwinkel, wo der Film gezeigt werden soll), will sagen: gleich muß ich mich dahin aufmachen, denn noch befinde ich mich ja einerseits in der Netzwelt und auf Nachtkritik de., andererseits auch in dem Haus, wo der Regisseur des mich erwartenden Filmes seit geraumer Zeit lehrt. Aber genug der persönlichen Vorrede, auch wenn "Hölderlinweg" sich nun auch gut und gerne in meine "Maria"-Betrachtungen zu mischen drängt ! Da die Zeit aber noch ein wenig mehr drängt, möchte ich es an dieser Stelle mit einem Hinweis bezüglich des Pressespiegels und einer kleinen Anwendung von Rias Methode bewänden lassen. Auf den Titel "Maria" ist in einigen Kritiken recht "bibelfest" reagiert worden; seltsamerweise allerdings
wurde, soweit ich es sehe, nicht so sehr nach "Maria" in Verbindung
mit "Elisabeth" (der Name des KIndes von Ria schließlich) gefragt;
nun, Ria würde wohl schlicht googeln unter "Maria und Elisabeth".
Ich habe dazu einmal die Probe aufs Exempel gemacht. Der erste Eintrag lautet "Eine heilsame Begegnung" (unter "katholisch de."). Klicke ich das an, es handelt sich um einen "Katholisch für Anfänger"-Artikel zu Mariae Heimsuchung (Visitatio), lese ich folgendes Vorwort: "Die Heimsuchung bezeichnet die Begegnung von Maria und Elisabeth , die Lukas in seinem Evangelium schildert (Lukas 1, 39-45 - AZ). Maria ist ungeplant schwanger.Sie hatte es nicht leicht: jung, ohne die Sicherheit einer Ehe und eines geregelten Lebens". Soweit zu dem Eintrag. Natürlich möchte ich einer christlich-religiös aufgeladenen Interpretation des Stückes wie seiner Inszenierung in Hamburg nicht das Wort reden, zumal der Autor Stephens selbst von Mal zu Mal kritischere Töne sendet über das, was die Kirche(n) so anzubieten haben (!!); aber , ich denke, daß das Bild eines Ineinsfallens von Schwangerschaft und Heimsuchung für die dann folgende "Coming-of-Age-Geschichte" der Ria ein guter Ansatz ist, auch wenn die Pointe der Namensgebungen in diesem Stück, das sehr irdisch ist !, ist, daß sie wohl ähnlich zu verstehen sind, wie daß der Weg, den ich gleich aufsuche, "Hölderlinweg" heißt (manchmal macht so ein Name auch etwas mit dem dadurch Bezeichneten, manchmal steht hinter der Benennung eine Hoffnung dahingehend dahinter), er wurde aus der näheren (kulturellen) Umgebung geholt. Nicht umsonst sagt Rias Oma trocken zu dem Namensvorschlag Rias für ihr Kind:"Hm, so heißt die Queen .!" Wer zu diesem Google(be)fund nach einem analogen Gegenpart sucht (und nicht auf die jetzt wieder ins Kino drängenden Königinnen Maria und Elisabeth zurückgreifen will), mag sich die Sehenswürdigkeiten Stockports (ich mogele ein wenig, denn die google ich nicht minder; für Stephens gehört das gewiß zu seiner analogen Welt und für die fußläufige Ria ohnehin) vergegenwärtigen, ua. die beiden größeren Kirchenbauten: St. Mary und St.Elisabeth ..
Zum Pressespiegel dann später, nach "Gundermann" !.
Maria, Hamburg: Pressespiegel
Und nun zu den beiden Kritiken aus dem nördlichsten Bundesland zur Inszenierung, die ich zum "Pressespiegel" hinzufügen möchte.
Die erste von ihnen befindet sich sowohl in den Kieler Nachrichten
(23.1.) als auch den Lübecker Nachrichten (22.1.) und ist aus der Feder
Ruth Benders. Sie ähnelt ein wenig der Nachtkritik von Jens Fischer, ist aber deutlich ins Positive gewendet dabei, was, denke ich, aus folgender Textzeile gut zu erahnen ist: "In einem Rundumschlag faßt der akribische Beobachter Stephens die Realität zusammen zu einem Text zwischen Abschied und Aufbruch, der in seinen guten Momenten das Leben im Turbokapitalismus zu fassen bekommt, aber auch häufig im Flachwasser der Banalität gründelt.So richtig zum Klingen bringen ihn erst Nüblings lakonisch pointierte Regie und das spielfreudige Ensemble."
Die zweite Kritik ist aus der Feder von Susanne Oehmsen, welche ich im Flensburger Tageblatt fand (22.1.) . Susanne Oehmsen war durch diesen Abend sichtlich gerührt und berührt , was diese Textstelle deutlich belegt, in der es heißt: "Hagmeisters Ria bricht einem das Herz, weil sie trotz allem ihre Wärme bewahrt und die Einsamkeit der anderen erkennt, ohne zynisch zu werden. Viel Beifall."
Maria, HH: Die Autos und der Tod 1
Zurück zu Ria ! Ich kann die Rührung Susanne Oehmsens sowie den abschließenden Satz in der Kritik von Michael Laages sehr gut nachvollziehen: Ria wird bleiben !! Ich denke nicht, daß mir das nur so geht, weil in meiner Heimatstadt Kiel Simon Stephens-Stücke regelrecht gepflegt werden - Ulrike Maack inszenierte am Schauspielhaus Kiel bereits 5 Stephens-Stücke: "Port" (2005), "Am Strand der weiten Welt" (2007), "Punkrock" (2010), "Three Kingdoms" (2013) und "Blindlings" (2016 / auch hier auf Nachtkritik de. besprochen)-, ähnlich wie in Hamburg ("Harper Regan" zB. fällt noch in die Schirmer-Zeit am Deutschen Schauspielhaus HH, damals mit Martina Gedeck in der Titelrolle, aber auch beispielsweise mit einem meiner erklärten Favoriten, im Film ("Utopia", "Der freie Wille", "Fabrik der Offiziere") wie auf der Bühne: Manfred Zapatka), ich mich also auf Stephens-Stücke hinreichend eingrooven konnte, sondern tatsächlich vor allem an dieser Ria-Figur sowohl in dem Setting der ebenso bewegungsreichen wie lakonisch-besonnenen, unaufgeregten, bei allem Sprachfluß !, unzwanghaften, tänzerischen Atmosphäre in der Regiearbeit Sebastian Nüblings als auch im Umfeld jener Theaterabende, die ich zuvor, am 17.1. im Malersaal "Rainer Gratzke oder das rote Auto" und am 18.1. im Deutschen Schauspielhaus "Wer hat Angst vor Virginia Woolf ?" erleben durfte. Die Abende begannen in mir unvermutete Verbindungen miteinander eingehen zu wollen, so als wollten sie durch mich sich als eine Art "Trilogie" in die offene Nachtkritikwelt hinein sich verabschieden; ich mußte mich daran erinnern, was Friedrich Torberg im TheaterHeute-Jahrbuch 1964 zur
Uraufführung von "Wer hat Angst vor Virginia Woolf ?" (die dieser am 13.10.1962 in New York erleben durfte) geschrieben hatte , die ihn zuerst recht kalt gelassen habe, dann aber wie in einem Mal im Umfeld anderer Inszenierungen als etwas Neues, Befreiendes, Eröffnendes auf ihn zu gewachsen sei ("It grows on me", schrieb er); war es mir jetzt mit diesen drei, garnicht zusammengehörigen irgendwie, Abenden nicht recht ähnlich gegangen ?? Und so zog ich dann durch die Woche nach den drei Theaterabenden durch Kiel, besuchte meine Mutter, meinen Vater, fußläufig weitestgehend, jene Verbindungen der Abende nahmen zu, begannen zu gären, und jedenfalls bei all meiner Fußläufigkeit dort so nach jenen Abenden sah ich "Ria" schlicht als eine Artverwandte von mir, das Lied "Analog/Digital" (gesungen von der Schwester Winter (Gala O. Winter)) im Jens-Rachut-Stück verstärkte diesen Effekt, der wohl nur mich betreffen will (?), geradezu kongenial; erste Formulierungen für das Erfahrene schwebten mir vor,
und in fast träumerischer Atmosphäre zeichneten sich Umrisse einer kleinen Serie ab, so für den Leserkritikenthread gedacht, und ich gab mich dieser Träumerei natürlich so bereitwillig hin, daß es wohl kaum zu jener Serie kommen konnte -und dann ja auch nicht kam; dennoch leitete ich ein wenig von der Energie aus diesen Erfahrungen dann in das hinein ab, was ich hier in Rostock, durchaus mich selbst trainierend, schrieb; "Rias Methode" darf als Wink dahingehend verstanden werden, denn ich hatte zunächst vor, die diversen "Wer hat Angst vor Virginia Woolf ?"-Einlassungen quasi in der Rollenattitüde der Ria anzugehen, munter drauf los zu fragen, mich hier und da mit Quellen und Dokus zu speisen, mithin, wie es Stephens von sich im "Harper Reagan"-Stückheft selbst bezeugt: zu lesen wie ein Dieb; einen Kommentar dieser Art meinte ich dann auch verschickt zu haben; da war aber etwas schief gelaufen. Im Kern aber hatte sich so eine Art Gerüst für das auf mich zu und in mir gewachsene Verbindungsgeflecht dieser "Trilogie, wie sie vermutlich nur für mich eine war", ergeben. An allen drei Abenden wurde gestorben oder hat sterben lassen, und wie unterschiedlich gestorben wurde !, und an allen Abenden spielten Autos so ihre Rolle, so daß die Trilogie nun heißen mochte "Die Autos und der Tod".
Maria, HH: Die Autos und der Tod 2
Bei Jens Rachut im Malersaal haben wir kein so großes Problem mit etwaigem "Bildungballast" aus Literatur-, Kunst-, Religions- oder Kulturgeschichte vermittels einer Bezugnahme, Aktualisierung, Überschreibung eines historischen Werkes, Stoffes und/oder Motives
oder vermittels des Stückheftes (siehe "Westendthread"); der Abend ist durch und durch von ihm geschrieben, die Lieder, die Rollentexte, die Gedichte, und, wie einst Orson Welles, spielt er auch eine Rolle (einen "Caveman-Pfleger" mit gehörigem Waffenarsenal zB.) und führt Regie. Sein Abend ist aber ein kleines, wundervoll dosiertes, atmosphärisches Theaterwunder von nur einer Stunde Dauer, das den Zuschauer, trotz der Kürze, weder gedrängelt und mit Eindrücken bombadiert hat , noch in irgendeiner Weise mit einer Art von halbem oder halbgarem Theatererlebnis abspeist und das Publikum schal wie bedrückt zurück auf die Straßen Hamburgs treten läßt; es ist ein regelrechter und vollmundiger und zudem überraschend sinnlicher, sogar leichter, Abend - über: den Tod ? Ja, schon. , das Sterben ?? Ja, von Schritt zu Schritt quasi ..,
den Tod und das Sterben bis zuletzt, auf der Bühne, analog !, den wortwörtlichen Bühnentod ??? Ja, genau, den Bühnentod quasi des gesammten Settings , den Bühnentod eines Hospizes, welches dem Abriß geweiht ist, so das letzte Stündlein des letzten "Patienten" (?), "Gastes" (??), letzten Klienten (???) , eben Rainer Gratzke (Joseph Ostendorf), das wir 1:1 durchleben mit ihm, fast an seiner Seite ,
geschlagen haben wird, ein Abend, der so eine Stunde mit allen möglichen Theatermitteln und Beckettscher List quasi leerräumen läßt, daß wir als Zuschauer diese "Leere" als Freiraum begreifen lernen, über unsere letzte Stunde ,irgendwie aber seltsam gebannt ganz im Setting und beim Vollblutspiel vor allem Joseph Ostendorfs und Gala Otero Winters bleibend, weniger nachdenken als nachspüren können.
Es ist natürlich vor allem ein Theaterabend über das begleitete Sterben, das durch menschliche Personen aus Fleisch und Blut begleitete Sterben und eben: die Bedrohtheit dieser letzten "analogen Bastion" am Rande unseres, gelegentlich sehr vereinsamten Lebens.
Werden die Klienten Rias, aus dem Stück zwei Tage darauf, in ihren letzten Stunden auch nur den Hauch eines Zipfels von einem Sterben in Würde erhaschen können ?; oder wird Ria sie dann auch, so sie jeweils in der Lage sind, einen Coin mehr einzuschmeißen und noch einen und noch einen, ganz bis zuletzt begleiten, nicht mehr analog, weil Gratzke der letzte Analoge war in etwa, sondern digital ?? Wachsen nicht, um nur eine dieser Verbindungen, welche sich zwischen den Abenden (mir) so ergeben haben, zu benennen, jene Klienten Rias, die ich keineswegs als Soziopathen oder derlei verstehe, sondern auf ihre Weise als Suchende, die sogar einen Kanal gefunden haben und diesen auch aktiv zu nutzen suchen, was längst nicht jeder schafft bzw. jedem vergönnt ist, nicht nur weil, ganz banal, der Coin und der Laptop fehlen könnten (die ja auch ihre analoge Münzseite, die physische Seite schlicht haben, die Deliveryseite, denn auch die abheben lassendsten Geräte, müssen transportiert werden, sind physisch, analog also in ihrer Physis; diesen Gegensatz in Einheit zeigt Nübling hervorragend mittels seiner Laster-Lösung), wachsen diese nicht auf den Tod des einsamen, aber begleiteten Rainer Gratzke zu, chancenlos als Achilles im Wettlauf mit der Schildkröte, selbst einen solchen Tod "erreichen" zu können ?? Jetzt ist hier aber an der HMT eine Sache zu Herrmann Schmitz (Jahrgang 1928), dem letzten lebenden Systemphilosophen wohl in diesem Land (dessen Forschungsstelle im übrigen auch hier in Rostock befindlich ist)..
Maria, Hamburg: Autos
Besagte Verbindung ist mir freilich mal wieder direkt beim Schreiben in dieses hineingeraten, denn die erste, die sich zwischen dem Rachut-Stück und dem Stephens-Stück in mir ergab, bezog sich auf einen der letzten Eindrücke Rainer Gratzkes , den er -uns miterleben lassend- beim Blick aus seinem Zimmerfenster auf den dem Hospiz "Moostropfen" (man kann dies fast wie eine Single-Auskopplung aus dem Sterbesimulationsraum in der Signa-Installation "Söhne und Söhne" (2015/2016) lesen) benachbarten Verladebahnhof (das Delivery-Thema teilen die Abende gleichsam) zunächst mitteilt und dann kommentiert: er sieht, wie fabrikneue Autos auf einen Zug geladen werden beziehungsweise entlang der Reihung der bereits zahlreich verladenen Wagen und bemerkt dazu in etwa "Schwarz-grau-weiß, schwarz, grau, weiß, schwarz, grau, weiß ... -lange geht das so, bis er auf einen roten Wagen stößt-: rot !?" Warum nur all diese unbunten, gedeckten Autos, diese frappant kleine Variationsbreite ?? Als beinahe letzte Fragestellung eines Lebens macht das noch einmal einen ganz speziellen Eindruck; ich hatte dabei aber auch noch eine Art von Deja vu, da ich selbst, auch das hätte seinerzeit mein letzter Satz sein können, vor einigen Jahren wohl, hier auf Nachtkritik de. zum Thema "Konformismus(druck)" in der Gesellschaft auf genau diesen Gegenstand, leicht variiert, ich sah beinahe nur schwarz, silber und , ganz originell, schwarz-silber, als Exempel zu sprechen gekommen bin (ich glaube , das war zu der Zeit, als dem Bismarck bei den Landungsbrücken der Steinbock auf den Kopf gesetzt worden war, "schwarz" und "silber" gelten ja als Steinbockfarben, symbolisieren Besitzstandswahrung und Sicherheitsdenken, nun darauf muß man nicht viel geben, aber es kam hier nun einmal zusammen); ich hatte dann noch sarkastisch hinzugesetzt, daß die Farbpalette bei den Trabants größer war als auf unseren Straßen oder solchen Lieferwaggons. Ich teile also nicht nur mit Maria die Fußläufigkeit, mitunter ihre wie ein Dieb lesende Methode, sondern mit jenem Rainer Gratzke auch diese öffentlich gemachte Beobachtung der unbunten Farbpalette bei des Deutschen liebsten Kind: dem Auto ! Nein, nicht daß hier falsche Vermutungen grassieren; ich denke nicht, daß Jens Rachuts Text an dieser Stelle irgendwie auf meinen Eintrag zurückgeht, da halte ich es schon für wahrscheinlicher (unmöglich ist dies nicht !), daß Kennedys "Ich bin ein Berliner" auf Albees "Ich gebe Berlin nicht auf" zurückgeht, zumal; nun, selbst wenn dem so wäre, Jens Rachut es wunderbar gelungen ist, dem Trabbieinwand gleich mit zu begegnen mit dem roten Auto, denn rote Trabbis gab es ursprünglich ja auch nicht (selbst wenn ich tatsächlich mal einen solchen von meinem Vater aus im Dauerverleih hatte, Trabbi-Cabrio, NVA-Modell, verkauft im Zuge der Abwicklung durch den damaligen Minister für Frieden und Abrüstung (neben Orwells "Ministerium für Wahrheit" und dem auch im Programmheft zu Maria thematisierten "Ministerium für Einsamkeit" , richtig, Orwell wird da auch erwähnt, ein drittes Ministerium mit ungewöhnlichem Namen), porscherot, schwarzes Verdeck); allerdings zieht Rainer Gratzke (Josef -mit f- Ostendorf -es heißt auch Gala Othero Winter -mit h- offenbar-) keineswegs meine "Konformismuskarte", sondern geht damit viel gleichmütiger um, wie es Zyklen in der Natur, ein Aufsteigen, ein Absteigen gäbe, so daß er dann schließt etwa: "Und irgendwann haben die Leute genug davon, und die Autos sind dann bunt, alle möglichen Farben, und dann, dann wird man wohl die schwarzen, grauen, weißen "vermissen"".
Und der Bezug zu "Maria" ? Naja, was beinahe der letzte Eindruck Gratzkes in dem einen Stück war, wurde dann just zum ersten Eindruck, in langsamen Kreisfahrten, wie wohl auch Autos, die zum Verkauf stehen, wohl gelegentlich (oder auf Messen beständig gar) kreisend gezeigt werden, vor sich gehend, des Publikums von Maria; was da so kreiste: Ein schwarzer Laster mit grauer Plane !.
Maria, Hamburg: Hagmeister und Nüsse
"Maria" Simon Stephens neustes Stück ist die Geschichte des Lebens von der Geburt bis zum Tod. Maria genannt Ria (Lisa Hagmeister) ist 18 und hoch schwanger. Sie hat Angst vor der Geburt und den damit verbundenen Schmerzen. Deshalb sucht sie Beistand für die Geburt, aber niemand hat Zeit für sie: nicht der Vater, keine Freundin, keine Kollegin und nicht mal die geliebte Großmutter (Babara Nüsse). Ria bringt ihre Tochter ohne emotionalen Beistand zur Welt. Im zweiten Teil betreibt Ria eine Internetplattform auf der sie menschliche Nähe und Zuwendung an vereinsamte Menschen verkauft. Im letzten Teil geht es um das Sterben, das Sterben ihrer Großmutter. Ria (Lisa Hagemeister) erschlägt ihre Umwelt und sich mit nie enden Wortsalven, um sich zu betäuben und Ängste zu verdrängen. In diesen endlosen Wortfluten tauchen für kurze Augenblicke Träume und Alpträume sowie Visionen und philosophische Gedanken auf, die die Realität unserer globalen, neo-kapitalistischen Gesellschaft reflektieren. Nur am Ende des Stückes beschließt sie mal zu schweigen. Sebastian Nübeling (Regie) verlegt die gesamte Story in die Welt der Trucker und so besteht das Bühnenbild (Eva-Maria Bauer) konsequenter Weise aus einem LKW dessen Plane den Aufdruck „Love is all you need“ trägt, der zentralen Sehnsucht in einer Welt der Isolation und Vereinsamung. Der Truck schafft das soziale und gesellschaftliche Fundament der Welt Marias. Ein unmenschlicher, mörderischer Neo-Kapitalismus in dem alles Ware ist, die immer verfügbar ist für Geld – nur menschliche Nähe nicht mehr. Nübeling schafft durch rasche ineinandergreifende Szenen ein hohes Tempo, und Ria ist rastlos auf Achse. Es gibt keine Beruhigung in ihrem haltlosen Leben. Lebendig und ergreifend wird die Inszenierung durch Rias (Lisa Hagmeister) leidenschaftliche Suche nach mitmenschlichem Halt in einer entmenschlichten Umwelt und einer vom Leben ernüchterten Großmutter (Barbara Nüsse). Ein ganz inniger Moment dieser Inszenierung ist, wenn Barbara Nüsse mit rauer Stimme und dem Schmerz der bitteren Erfahrungen des Lebens das Lied „Love will tear us apart“ singt. Stark ist auch der Schluss und dem Sterben der Großmutter. Maria versucht mit gewaltigen Wortfluten gegen das Sterben ihrer Großmutter anzukämpfen. Die Großmutter kommt noch einmal zum Bewusstsein und die Macht des Geschichtenerzählens zu beschwören bevor sie in den Armen Rias stirbt. Was auch Hagmeister erstmals zum Schweigen bringt. Maria hat in drei Abschnitten Geburt – Leben – Tod erfahren in einer globalen, neo-kapitalistischen Welt, in der die sozial Schwachen die Opfer der Besitzenden sind. Sie hat in einer digital durchökonomisierten Welt nach persönlichen menschlichen Kontakten gesucht. Sie ist erwachsen geworden und vielleicht bleibt ihr die Macht des Geschichtenerzählens in einer entmenschlichten Welt. Das dieser Abend mich als Zuschauer packte, ist vor allem der Verdienst zweier grandioser Schauspielerinnen Lisa Hagmeister und Barbara Nüsse. Merci.
Maria, Hamburg: Das Ende
Es ist sehr schön, an dieser Stelle dann doch noch auf eine weitere Stimme zu dem Stück zu stoßen durch die Kritik Reiner Schmedemanns. Nun ja, ich hatte damals den Faden zu "Die Autos und der Tod" dann nicht wieder aufgenommen, obschon ich diese Sache für mich noch ein wenig weitergesponnen habe (unheimlich war geradezu, daß ich mir eines Abends dann "Anton der Zauberer" auf DVD angesehen habe, da ich noch irgendwie mit dem Label "DDR-Schauspieler" beschäftigt war sowie den "Luther" mit Ulrich Thein auch gerade erst frisch erwähnt hatte, und das Schlußbild dann all die hellgrauen/weißen Autos zeigt mit der Ausnahme des roten Wartburgs, den Anton fuhr ...), ua. um die Redaktion, die plötzlich nur noch "Autos" titelte, nicht länger mit Beschlag zu belegen, aber auch, weil es an jenem Tag bei mir zu einer jähen Müdigkeit gekommen war, die mich sagen ließ :"Warte erst einmal ab, ob dieser Thread noch irgendein Leben, gar Resonanz auf das "Deinige" entwickelt, und entscheide dann, was Du von dem quasi Erwirtschafteten noch als Zug in die laufende Partie stellen möchtest." Nun gut, ich will es jetzt tatsächlich kurz halten und an dieser Stelle vor allem noch einmal das Ende des Stückes mir ansehen.
Ria schweigt, "wird zum ersten Male zum Schweigen gebracht", wie Herr Schmedemann es formuliert. In der Quintessenz aus meiner Parallel- und Ineinanderschaltung dreier nicht zusammengehöriger Abende hinsichtlich gemeinsamer Motive und Bilder (fast sehe ich jetzt eine Verwandtschaft zum Bernhardabend nachträglich) war ich bezüglich des Endes von "Maria" auf die Frage gekommen, welches Ende ich wohl für das hoffnungsvollere halte, jenes in der "Wer hat Angst vor VW ?"-Inszenierung Karin Beiers vom Vortage oder jenes dann in "Maria", und ich kam letztlich zu dem Schluß, daß die offenen Enden beider Abende letztlich garnicht so meilenweit auseinanderliegen, ja, daß es so eine Art zweistöckige Ebene (siehe meine Sätze dazu hinsichtlich der VW-Inszenierung) letztlich auch bei "Maria" gibt. Erst schweigt sie gegenüber ihren Klienten, dann schweigt sie auch uns an, und in diesem zweiten Schritt befinde ich mich Ria gegenüber plötzlich (potentiell) in einer Situation, die mich zu einem weiteren Klienten Rias werden läßt; sie schweigt, hat mich aber bis dahin ebenso gekonnt, wenn auch vielleicht (!) auf einer anderen Ebene, unterhalten wie ihre Klienten, so daß am Ende die Frage auf der Hand liegt, was meinen Theaterbesuch von "Maria" denn so sonderlich abheben sollte von den, die neueste Kommunikationstechnik nutzenden, Anwählungen Rias durch ihre Klienten. Da die diversen Personen im Stück durch Regie und Ensemble nicht denunziert werden, prekäre Aktualität der Jetzt- und Hierzeit thematisiert wird, von der sich Publikum schwerlich abheben kann, liegt dieser Ineinsschluß mit seiner Kernfrage besonders nahe, wohl mit der Pointe, daß das Publikum sich immerhin zum Stück und seiner Virulenz nicht abschottet, sondern , am Schluß auf sich zurückgeworfen, im Bewußtsein eines möglichen Überschusses der Theatersituation eines sich öffentlich INFRAGESTELLENLASSENS, am Schweigen Rias wiederfindet und so ua. die Theatersituation (neu/aktualisiert) schätzen lernt. Diese Kernfrage durch das Stephenstück bestimmt meineserachtens das Ende jener Nübling-Inszenierung, wie überhaupt der offene Fragegestus. Es ist auch stückinhaltlich überaus fraglich, ob Ria letztlich zu jener Macht des Geschichtenerzählens finden wird, welche der "Schwanenseetod" der Großmutter ins Werk setzt; immerhin reagiert sie darauf ja nicht wie vom "Blitz der Erkenntnis" getroffen, sondern mit einem "Das ist grotesk" (oder ähnlich), was einen gehörigen Abstand, einen zum Schweigen "zwingenden" markiert, zumal ihre wirtschaftliche Situation sehr schnell (beispielsweise durch Trittbrettfahrer ihres "Erfolgsmodells") eine (wieder) prekärere sein könnte.
Da für meine Begriffe die Kernfrage, inwiefern wir uns am Ende eines Theaterabends so sonderlich anders befinden sollten als Rias Klienten, augenfällig sowohl durch Stücktext als auch Inszenierung , durch die spielfreudige Atmosphäre, die gleichsam vor allem Ensembleleistung mir ist, zudem, getragen scheint, wundere ich mich auch ein wenig über die, ich möchte es so nennen,(immerhin einseitige) Eilfertigkeit, mit der dieser Abend unter dem Label "Neoliberalismuskritik" etwa von diversen Kritikern firmiert, beinahe im gleichen Atem-Zuge einer dann auch noch interpretativen Überhöhung des biblischen Maria-Motivs, als ginge es um eine Verteufelung von Alexa, Amazon und "Samsnug" zugunsten einer modernen Heiligenlegende oder dergleichen, um etwas wissend forciert Didaktisches mindestens, um ein Aufzeigen mehr denn um ein (Kern-) Fragen. Ich finde, wenn man gerade in jenem "Love will tear us apart" (es ist nicht so lange her, da dieses Lied seine Rolle in "Psychose 4.48" Im Malersaal des Deutschen Schauspielhauses, bei Katie Mitchell, spielte im übrigen, noch spielt, denke ich, denn "Psychose 4.48" läuft wohl noch dort, so daß sich jemand gut und gerne "Love will tear us apart"-Abende ansehen gehen mag wie ich solche zu "Die Autos und der Tod")-Moment einen der bewegendsten des gesamten Abends ausmacht, wie nicht wenige es tun dürften (die Kritiken legen dies nahe), dürfte es schon sehr verwundern, dann im nächsten Schritt nicht auch von den technischen Möglichkeiten, Errungenschaften, Chancen , die mit der rasanten Entwicklung einhergehen, zumindestens nicht weniger zu reden als über die Gefahren, Verwerfungen, das Prekäre; ich denke, im Gegensatz zu einer ganzen Reihe von Kritikern, daß es Stephens und auch Nübling und dem Ensemble schließlich daran gelegen war, genau diese positiven und negativen Momente , bei aller Rasanz, in der Balance zu halten, was, wie ich finde, zur Bekräftigung der quintessenzlichen Kernfrage dann auch wunderbar gelungen ist durch diese Inszenierung. Begebe ich mich , "Rias Methode" !, auf Youtube und frage nach "Love will tear us apart" stoße ich neben der Joy Division-Version noch auf zig andere, zu Babara Nüsse gesellen sich Björk, The Cure, Depeche Mode und und und bishin zu jener Yat-Kha-Version, die ich bereits zu "Psychose 4.48" ansprach; es ist für mich auch berührend, zu sehen, wenn Dave Gahan diesen Song covert, obschon er doch quasi der König des Synthiekosmos ist, jenes Kosmos , der ua. Wärme und Gefühle in die seinerzeit neuartige synthetische Instrumentenauslage brachte, schöpferisch wurde in verlassenen Industriehallen, Kellern, Abseiten aller Art (davon zeigt auch das offizielle Video des Songs von Joy Division); zu Ähnlichem ermuntert so ein Abend wie "Maria" beispielsweise mich, wenn ich hin und wieder in so einen "Nachtkritikkeller" gehe , etwas wie "Love will tear us apart" auf Threads bezogen steht meiner Einschätzung nach noch weitestgehend aus..
Maria, Hamburg: Spaziergang durch Rostock
Ich weiß nicht, woran es liegt oder wie es kommt, daß mir immerzu seltsame Dinge im Zusammenhang mit "Theatersachen" widerfahren, aber diese Anekdote möchte ich zum diesmaligen Abschied von Rostock dann doch gerne noch erzählen. Ich erwähnte am 10.3., daß auch ein anderer aktueller Theaterabend in Hamburg (die nächsten Termine von "Psychose 4.48" im Malersaal sind im übrigen der 10. und 11. April) "Love will tear us apart" covert, und gestern fuhr ich, Herr Rakow wird die Strecke kennen", nichts ahnend mit der Straßenbahn vom Hauptbahnhof in Richtung Neuer Markt, und erblickte in der Höhe Blücherstraße, besser: da, wo diese sonst beschildert ist, plötzlich "SARAH KANE"-Straße. Offiziell gibt es eine solche in Rostock nicht, aber, wohl vom Frauentag herrührend, sind einige Straßennamen, recht gekonnt, finde ich irgendwie, überklebt wurden, wobei ich "SARAH KANE" dann drei Male fand (einmal war "Richard Wagner", einmal "Friedrich Engels" (zu SARAH KANE s PLatz) und, wie gesagt einmal "Blücher" mit diesem Schriftzug überklebt worden) -zu "SARAH KANE" gesellen sich, vermutlich habe ich nicht alle Überklebungen zwischen Kröpeliner Straße und Hauptbahnhof entdeckt
(aber, das war durchaus auch ein installativer Parcours irgendwie, bei dem kaum abzusehen ist, wie lange er Bestand haben wird), noch "AUDRE LORDE" , "CAMILLE CLAUDEL", "HANNAH ARENDT", "ANAIS NIN" und
"GRET PALUCCA". Es gibt in Rostock also offenbar ein Publikum für Sarah Kane, wie es aussieht, und mindestens als ein Wink für die kommende(n) Spielzeitplanung(en) des Volkstheaters wäre das meineserachtens äußerst zu begrüßen (da auch Richard Wagner, Rostock war ja mal eine Hochburg, überklebt wurde, liegt ja sogar die Überklebung des Ringes durch das Kanesche Gesamtwerk nahe (warum nicht in 5 kleinen Abenden im Ateliertheater in Kooperation mit der HMT zum Beispiel ??), was der Frauentag hier irgendwie anregt, anregen könnte und durch "Rias Methode", nämlich auch ein wenig durch die Straßen zu schlendern, um sich "anzuschauen, wo man nicht wohnt" (wie es im Stück heißt), zu erschließen ist. Ob es desweiteren ein "Zufall" ist, daß Sylvana Seddig im August 2010 (LOFFT Leipzig) an einer Produktion namens "Zig Körper- Oi Division" beteiligt gewesen ist oder in "Eine Familie" ihrer Johnna gut und gerne einen "Maria Tallchief-Charme" verliehen hat, mag zudem bezweifelt werden, ein Indiz , denke ich, für die nochmalige Unterstreichung und Charakterisierung beider Abende, "Maria" und "Eine Familie" (deren Schnittmenge quasi Sylvana Seddig bildet, wenn man so will), als ausgesprochene (bemerkenswerte)
ENSEMBLELEISTUNGEN ! Und nun wieder gen Toitenwinkel (Blüchers Geburtsort ...): auf eine "MARIA TALLCHIEF" - Überklebung werde ich wohl kaum stoßen, passen würde die schon (der Hintergrund in Rostock für die Überklebungen von Straßennamen - es gab im letzten Jahr beispielsweise eine solche Aktion mit den Namen der NSU-Opfer- ist ua. beispielsweise das Bestreben (seitens der CDU und AFD ) gewesen, die "Rosa Luxemburg Straße" umzubenennen in "Helmut Kohl Straße")..
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