Wie sieht die Bombe heute aus?

von Christian Rakow

Berlin, 20. Januar 2019. "Das ganze verdammte Ding war eine Farce, und jetzt wollen diese Leute eine Tragödie daraus machen." So mokierte sich der Atomphysiker Julius Robert Oppenheimer rückblickend über sein Verfahren vor der US-Atomenergiekommission 1954 und zugleich über das Theaterstück, das Heinar Kipphardt 1964 daraus gewann: "In der Sache J. Robert Oppenheimer", ein Dokumentarstück, das vielleicht nicht gerade eine Tragödie ist, aber definitiv keine Farce.

Ein kristallines Konversationsstück ist es, basierend auf den veröffentlichten Untersuchungsprotokollen, voll elegant geschliffener Argumentationen, Volten, Paraden. Mit Oppenheimer als "Vater der Atombombe" auf der Anklagebank vor den Behörden der McCarthy-Ära, die ihm kommunistische Umtriebe und die landesverräterische Verzögerung des Baus der Wasserstoffbombe nachweisen wollen. Nach dem Einsatz der Atombombe in Hiroshima und Nagasaki hatten den Wissenschaftler Skrupel an der Weiterarbeit befallen.

Skype-Konferenz Wissenschaft und Ethik

"Das ganze verdammte Ding war eine Farce." Der Satz scheint so zentral, dass er sowohl im Programmheft als auch auf der Bühne selbst auftaucht. Und wirklich gibt Christopher Rüping in seiner Inszenierung am Deutschen Theater dem Geschehen einen Hauch von Farce zurück, ohne das ernste, apokalyptische Moment einzubüßen. Eine bewundernswerte Gratwanderung – an dem Ort, an dem Heinar Kipphardt in den 1950ern Chefdramaturg war, ehe er Ost-Berlin in Richtung Westen verließ.

Oppenheimer1 280hf ArnoDeclair u© Arno Declair An einem kühl ausgeleuchteten Untersuchungstisch beginnt es, rundherum Kameras, die Anwälte verhören ihre Zeugen mit Knopf im Ohr. Vernehmbar wird ihnen Text durch den Kopfhörer vorgesagt. Das Dokudrama ist auf seine Ursprünge im historischen Protokoll zurückgeführt; die Figuren erscheinen als ferngesteuerte Exekutionsbeauftragte. Ein Kunstgriff aus dem Geiste des Brechtschen V-Effekts. Rüping hat ihn jüngst erst in "Trommeln in der Nacht" verwendet, wo's mit einer Brecht-Playbackshow begann, ehe sich die Figuren ins direktere Spiel und am Schluss in sphärische Reflexionsweiten vorarbeiteten. Die Dramaturgie dieses Kipphardt-Abends verläuft ähnlich.

Unter dem Ausschussvorsitz von Gordon Gray (Katharina Matz) nimmt Maike Knirsch als Anwalt der Atomkommission genussvoll Oppenheimer alias Felix Goeser in die Mangel, abgefilmt für Videoleinwände, wo's mitunter wie eine Skype-Konferenz ausschaut. Camill Jammal ist als Oppenheimers Verteidiger am Start, kontert mit trockenen Einlassungen. Zur Disposition steht nicht nur der konkrete Fall des wankelmütig gewordenen Physikers mit allen Fragen nach seiner politischen Einstellung, sondern generell die Rolle der neuzeitlichen Wissenschaft und ihre Verantwortung fürs Menschheitswohl (oder doch bloß fürs Regierungswohl?).

Es ist quasi ein Themenwochenende in Berlin: Wissenschaft und Ethik. Gestern erst hat Frank Castorf Brechts Modelldrama "Leben des Galilei" auf die Bretter des Berliner Ensembles gewuchtet und dabei Brecht ein gutes Stück in Richtung des schweißtreibenden, irrational wilden Surrealismus von Antonin Artaud verrückt. Rüping scheint angetreten, die Brecht-Linie mit Kipphardt zu rehabilitieren: analytisch, mitunter auch ein wenig didaktisch, stets gedanklich klar strahlend entfaltet sich das Spiel bei ihm.

Paradoxe Technikkritik

Die Farce kommt in kleinen, aber feinen Unzen herein, wenn Michael Goldberg mit kurios angeklebten Schnauzern in den Zeugenstand tritt oder sich als genialischer Physiker Edward Teller ("Vater der Wasserstoffbombe") mit einem Serviertablett auf dem Handteller vorstellt. Charmant skizzieren sie die Zeit, als Männer noch ihrem Geniekult frönten, unbefangen Oberlippenbärte trugen oder gravitätisch Pfeife rauchten, vor einer vertäfelten Bücherwand, die bald auf die DT-Bühne geschoben wird (Bühnenbild: Jonathan Mertz). Rüping verschlankt das gut 140seitige Drama gehörig, ohne dessen Dialogkunst zu verraten. Und ohne den apokalyptischen Basston zu ignorieren. Mit großer, stiller Dringlichkeit kündet Felix Goesers Oppenheimer – nah gefilmt, den Schrecken im Gesicht – von der ersten Zündung der Atombombe.

Oppenheimer3 560 ArnoDeclair uAlte Zeit mit Schrankwand: Katharina Matz, Camill Jammal, Michael Goldberg, Maike Knirsch, Felix Goeser © Arno Declair

Dabei wird der Akzent gegenüber der Stückvorlage deutlich verschoben. Bei Kipphardt geht es dezidiert um die politische Rolle der Wissenschaft im Kalten Krieg und um die Sorge vor dem Aufkommen des Überwachungsstaats, der sich bereits ankündigt, wenn der Ankläger Oppenheimer am Ende des "Gedankenverrats" beschuldigt (ein Wort wie Orwells Diktaturroman "1984" abgelauscht). Rüping tauscht dieses Schlussplädoyer gegen ein moderneres, aber auch abstrakteres, nicht mehr konkret politisch verortetes Finale aus: Düstere Elektroniksounds wogen herein (von Komponist Christoph Hart mittels Künstlicher Intelligenz-Programme generiert), kleine Lichtroboter wuseln selbstfahrend über die Bühne. Und Maike Knirsch feiert mit futuristischem Furor den ungebremsten Maschinenbau, den technologischen Overkill, die Politik der Beschleunigung, den Akzelerationismus.

Oppenheimer2 560 ArnoDeclair u(Wie) geht es weiter? © Arno Declair

Mit großer Techniklust bastelt sich Rüping eine paradoxe Technikkritik. Der skrupulöse Wissenschaftler gehöre der Vergangenheit an, triumphiert Knirsch. "Die Zukunft muss neu konstruiert werden." Sie schreit es in garstigem Ton heraus, dass man es ja nicht gut finden möge. Danach kehrt Ruhe ein, ratlose Ruhe. Wie ein Gespenst erscheint Oppenheimers Gesicht an der Rampe, auf Nebel projiziert. Wiebke Mollenhauer rekapituliert ätherisch, abgewandt Schnipsel der Protokolle, und Felix Goesers Oppenheimer serviert O-Saft-Frühstück. Ein Bild versunkener Idylle? Man weiß nicht vor noch zurück. "Alles Neue ist besser als alles Alte", hieß es bei Brecht. Ein Satz, den man mit Rüping schwer glauben kann, aber seine Umkehrung gilt auch nicht.

 

In der Sache J. Robert Oppenheimer
von Heinar Kipphardt
Regie: Christopher Rüping, Bühne: Jonathan Mertz, Kostüme: Lene Schwind, Musik: Christoph Hart, Dramaturgie: John von Düffel.
Mit: Felix Goeser, Michael Goldberg, Camill Jammal, Maike Knirsch, Katharina Matz, Wiebke Mollenhauer.
Premiere am 20. Januar 2019
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.deutschestheater.de

 

 

Kritikenrundschau

Christopher Rüping bringe diesen 55 Jahre alten Text geradezu lehrstückhaft auf die Bühne, "die Methode kennt man aus seiner Münchner Brecht-Arbeit 'Trommeln in der Nacht'", schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (22.1.2019). "Aus der historischen Distanz entdecken die Darsteller im Laufe des Abends mehr und mehr Anknüpfungspunkte und spielen sich entsprechend in die Figuren hinein." Bald gehe es im Kipphardt-Text um heutige Überwachungsmöglichkeiten und dem Recht auf Schutz der Privatsphäre. Und "ohne je den Grundernst der Lage auszuhebeln, lässt Rüping männliche Unterredungen zu Spionage-Thriller-Parodien mutieren".

Einen "kaum greifbaren, formal komplexen Wandlungsgang des Abends", erlebte Doris Meierhenrich (Berliner Zeitung, 22.1.2019). "Ganz prosaisch beginnt er als fernes Nachsprechen, Einfinden in die historischen Protokolle, nimmt mit Camill Jammal als Oppenheimer-Anwalt und Maike Knirsch als Anklägerin Robb Fahrt auf" und rutsche langsam von der Dokumentation ins immer persönlichere, suggestive Bewusstwerdungsspiel. Dennoch verliere der Abend dabei nie den dokumentarischen Charakter, "und genau das ist das herrlich kreative Gelingen daran. Ganz in Kipphardt'scher Weise betet Rüping die Vorlagen nicht nach, sondern erfasst sie in ihrem Sinn und führt ihre ungelösten Fragen weiter".

Cora Knoblauch schrieb und sprach die Frühkritik im Inforadio des rbb (21.1.2019): Nach gut der Hälfte des Abends gebe Christopher Rüping "leider" die Spielweise mit Befragung Oppenheimers am Tisch und Übertragung durch Kameras auf und die Schauspieler wechselten zum "klassischen Sprechtheater". Ein "düster-sphärisches Soundbett", komponiert von Christoph Hart, drücke "bleiern auf die eh schon ernste Atmosphäre". Für "ein paar heitere Momente" sorge nur Michael Goldberg, der "mitten auf der Bühne Schnurbärte und Dialekte" wechsele. Das Ensemble brauche am Anfang etwas, um in Schwung zu kommen.

 

Kommentare  
Sache Oppenheimer, Berlin: mit großem Ernst
Die Spieler*innen bekommen ihre Texte von Wiebke Mollenhauer als „Stimme des Protokolls“ vorgekaut und wiederholen die Wortfetzen mechanisch, während sie um den Konferenztisch herumsitzen.

Im Lauf des Abends verwandelt sich ihr steriles Tonstudio in ein Biedermeier-Wohnzimmer und schließlich wieder zurück in eine futuristische, noch sterilere Design-Landschaft mit gleißendem Licht und Scheinwerfern, die langsam ihre Pirouetten am Boden drehen.

Von dem manchmal fast noch etwas pubertär wirkenden, albernen Energieüberschuss, der Rüpings bisherige Arbeiten oft prägte, ist in „Die Sache J. Robert Oppenheimer“ nichts mehr zu spüren. Mit großem Ernst, ebenso spröde wie – von Rüping mittlerweile leider schon gewohnt – verqualmt, folgt er dem Text aus der frühen Nachkriegszeit.

Eigene Akzente setzt er vor allem an zwei Stellen: Erstens bei Dr. Jean Tatlock, eine ehemalige Verlobte Oppenheimers und kommunistische Parteigängerin, die Suizid begangen hat. Während der langen Befragungen in Kipphardts Stück taucht sie nur an einigen Stellen auf. Durch Rüpings Theaterabend geistert Wiebke Mollenhauer ganz in Weiß wie ein gepenstischer Wiedergänger vor allem während der zweiten Hälfte.

Zweitens sind Oppenheimers Gegenspieler diesmal keine Kommunistenfresser und Kalte Krieger-Betonköpfe aus der McCarthy-Ära. Das Schlussplädoyer der Militäranwälte reichert Maike Knirsch mit Passagen aus dem Beschleunigungsmanifest für eine akzelerationistische Politik an, die in der Ära von Digitalisierung und Gentechnik fortschrittsgläubig, technikoptimistisch und neoliberal gegen alle Skrupel und Bremsen wettert.

An dieser Stelle hätte der bis dahin zähe Abend noch wirklich spannend werden können. Seine These bleibt aber in einer Kopfgeburt stecken.

Komplette Kritik; https://daskulturblog.com/2019/01/20/in-der-sache-j-robert-oppenheimer/
Sache Oppenheimer, Berlin: Öffnung
(...)Immer fragiler wird Oppenheimers Position, auch als irgendwann der Geist seiner Ex-Verlobten Jean Tatlock (Wiebke Mollenhauer, die auch die Protokollstimme spricht) auftaucht, einer Kommunistin, die sich das Leben nahm und nun vom Staat als sich nicht mehr wehren könnendes Beweisstück hervorgezerrt wird. Der Zweck heiligt die Mittel, das sieht Robb so und auch Goldbergs ein wenig zu arrogant seifig geratener Teller. Dazwischen sieht sich Goesers Oppenheimer sichtlich geschwächt. Während die anderen feste Positionen auf der Bühne finden, irrt er ziellos herum, aufgerieben zwischen Verantwortungen unterschiedlichster Ordnung. Denn folgen nicht auch die Gegner solchen, wenngleich anders verstandenen? Am deutlichsten wird das, wenn Knirsch an der Rampe Robbs Schlussplädoyer umwandelt in ein flammendes und reichlich aggressives Plädoyer für den Mut, nach neuem zu forschen und gegen eine Herrschaft der Angst, die sie auch Oppenheimer vorwirft. Die heutige Zeit sei „aus der Angst geboren“, sagt sie.

Und plötzlich wackelt das Denkmal Oppenheimer, stellt sich die Frage, ob seine Verantwortung nicht Selbstgerechtigkeit, sein Mut nicht eigentlich Verantwortungslosigkeit sei, weil er die Wissenschaft einer persönlichen Moral unterordnete? Die Bühne ist wieder leer, bereit für die Zukunft. Und da ist sie: Mit Lampe ausgestattete Roboter mäandern über die Bühne, eine von Rüpings geliebten Nebenwänden zeigt Projektionen einen Menschen als reproduzierbares Echo. Mollenhauer spricht Oppenheimers Schlussworte: nicht den flammenden Appell aus dem Stück, sondern die echten, eine kurze leere Dankesformel, dazu des Physikers eigene Worte an Kipphardt, dieser habe aus einer Farce eine Tragödie gemacht. Für die benötigt es eine Gewissheit, was gut ist und was böse. Die hatte schon Oppenheimer nicht, und der Abend verwirft sie gänzlich. was so glasklar und sicher begann, endet in der Ambiguität. Die Darsteller*innen blicken in ein grelles Licht und treten ab in selbiges hineintretend. ist es die Vernichtung der Atombombe oder das Licht die Menschheit zu neuen Zeiten führender Erkenntnis. Es bleibt unklar. Dieser subtile, zuweilen verspielte, in Detail auch mal alberner und hin und wieder ein bisschen selbstverliebte Abend sucht keine Antworten. er hinterfragt die Prämissen und Gewissheiten sowohl Oppenheimers und seiner Gegner als auch Kipphardts. Wo jener die Diskussion als beendet charakterisiert, will Rüping sie wieder eröffnen, sieht sie am Anfang, eine Diskussion über Verantwortung, Fortschritt, Sicherheit, Freiheit. Dieser Theaterabend ist ein Gesprächsangebot: offen, widersprüchlich, sich selbst nie ganz sicher und diese Unsicherheit stets reflektierend. Ein sehr stiller, im Zwischenreich der Frage schwebend, wie der Klang des Zweifels, den Christoph Hart ihm komponiert hat, einer, der sich verstärkt, der laut und eindringlich nachtönt. Hoffentlich für längere Zeit.

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2019/01/21/der-klang-des-zweifels/
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