Hase Hase - Coline Serreau und die Theaterfamilie Besson-Thalbach-Schall legen ihre legendäre Inszenierung von 1992 in der Berliner Komödie am Kurfürstendamm (im Schillertheater) neu auf
27 Jahre Hase
von Gabi Hift
Berlin, 20. Januar 2019. "Krank. Die Hälfte des Ensembles", sagt ein Herr vor dem Vorhang bevor es losgeht, "richtig krank. Leider auch Katharina Thalbach und Pierre Besson. Sie wollen aber trotzdem für Sie spielen. Wir hoffen, dass die Kraft reichen wird." Nach so einer Ansage kritisieren – da ist man ja ein Unmensch! Vor allem, wenn eine Aufführung folgt, die stellenweise lustig ist, aber irgendwie matt, überschattet von einer seltsamen Betrübnis. Wie soll man beurteilen, ob das daran liegt, dass die Schauspieler Fieber haben, oder ob es an etwas Anderem krankt – ob vielleicht "Hase Hase" einfach nicht mehr geht, jedenfalls nicht mehr so wie damals.
Damals, 1992, war "Hase Hase" ein Paukenschlag, die Quadratur des Kreises: echtes Volkstheater, über "einfache Leute", aber dabei kein billiger Spaß. Benno Besson zauberte die französische Komödie seiner Partnerin Coline Serreau mit einer Mischung aus südlicher Leichtigkeit und schmissigem Brechtstil auf die Bretter des Schillertheaters, dass der ganzen Theaterwelt die Ohren schlackerten und so viele Leute ins Theater liefen wie sonst nur zu Rockkonzerten oder Fußballspielen.
"Hase Hase" handelt von einer gewöhnlichen Arbeiterfamilie, wenn man davon absieht, dass der jüngste Sohn (damals wie heute: Katharina Thalbach) ein Außerirdischer ist, was aber keiner bemerkt. Die Hases sind das Gegenteil der selbstzerfleischenden Familien, die man auf der Bühne, von Strindberg bis Tracy Letts, gewohnt ist. Ihre Probleme kommen von außen: Papa Hase ist arbeitslos, der kleine Hase ist von der Schule geflogen, die vier Großen sind allesamt missraten, Probleme mit der Polizei, Scheidung, alle vier landen wieder bei den Eltern in der winzigen Wohnung. Die Hases küssen und schlagen sich, halten zusammen wie Pech und Schwefel und verlieren nie ihren Witz und ihre Lebenslust. Die Berliner Schnodderschnauze wird zur Italianità.
Heute trügen sie gelbe Westen
Jetzt könnte man sagen: Opium fürs Volk! Solche Familien gibt's in Wirklichkeit nicht! Wenn nicht genau so eine Familie in echt auf der Bühne stünde – damals wie heute. Benno Besson hatte viele Frauen und viele Kinder, und genau wie Brecht hat er mit allen zusammen Theater gemacht. Auch jetzt, nach seinem Tod, stehen seine Kinder, Enkel und Urenkel gemeinsam auf der Bühne, Thalbachs, Bessons und ein Serreau, dazu noch Johanna Schall, die Enkelin seines Lehrmeisters Brecht – im Stück seiner Lebensgefährtin Coline Serreau, die nun auch selbst inszeniert.
Serreau hat zwar in Interviews gesagt, das Stück beschreibe exakt die Situation von heute, aber das stimmt nur insofern, als die Hases finanziell ins Eck gedrängt sind und Papa Hase von der Gewerkschaft im Stich gelassen wurde. Was nicht mehr stimmt, ist, dass ein unzerstörbares proletarisches Bewusstsein der Normalfall wäre. Papa Hase ist, obwohl deklassierter Arbeitsloser, immer noch ein aufrechter Sozialist, und seine Söhne, die Sprengstoff schmuggeln, hält er zwar für allzu radikal, aber dennoch sind sie alle auf derselben – linken, guten – Seite. Coline Serreau hat auch gesagt, die Familie Hase gehöre genau zu den Leuten, die jetzt bei den Vestes Jaunes, den Gelbwesten, auf die Straße gehen. Aber in einer solchen "modernen" Familie Hase wäre Fremdenfeindlichkeit heute bestimmt ein Thema. Darum hat die neue Fassung sich aber gedrückt, deshalb wirkt die Familie jetzt wie aus der Zeit gefallen.
The show must go on
Dass das Grundgute und Frohe bei den Hases nicht mehr so ungebrochen funktioniert, sieht man auch an Bühne und Kostüm. Die Küche, 92 noch knallig rosarot, ist 2019 deprimierend wurstbraun und olivgrün. Die größten Unterschiede gibt es in der Grundidee der Besetzung. In der alten Variante waren alle Figuren mit Schauspieler*innen passenden Alters und Geschlechts besetzt. Nur Katharina Thalbach war auch 1992 kein elfjähriger Junge. Aber sie hat auch heute noch etwas von einem wachen kleinen Frechdachs. Die meisten Schauspieler sind nun wesentlich älter als die Figuren, die sie darstellen. Bei Anna Thalbach, die die kleine Schwester ihrer eigenen Tochter Nellie spielt, merkt man es nicht. Aber Philippe Besson als Bebert gibt sich gar keine Mühe wie ein jugendlicher Revoluzzer zu wirken. Das allgemein höhere Alter lässt Dialoge resigniert klingen, die einmal wütend oder voll Zuversicht waren. Sehr munter und lustig ist allerdings Johanna Schall als lästige alte Nachbarin.
Die größte Änderung findet sich im Gravitationszentrum der Aufführung- Pierre Besson ist Mutter Hase, er spielt also die Rolle, die 1992 seine eigene Mutter, die vielgeliebte Ursula Karrusseit, spielte. Er hat auch einen ähnlichen Tonfall wie sie, aber dadurch dass er ein Mann ist, wirkt es bei ihm ganz anders. Mutter Hase ist eine dominante, ewige schimpfende Mamma, ein Typus, den jeder kennt: Sie schimpft vor lauter Liebe. Von diesem Klischee wollte Coline Serreau diesmal wahrscheinlich weg. Wenn aber ein großer Mann mit tiefer Stimme auf dieselbe Art schimpft, dann wirkt es auf einmal einschüchternd, und der Wohlfühleffekt, der alle Figuren am Liebestropf von Mutter Hase hängen lässt, verfliegt.
Statt mit einem Plädoyer für eine bessere – weil weibliche – Welt endet das Stück diesmal mit einem ironischen Song. Kein Versprechen mehr, dass wir es alle schaffen können, wenn wir nur solidarisch sind, zusammenhalten und alle zu einer großen Familie werden. Nur noch das Versprechen auf ein Theater, in dem vielgeliebte Schauspieler alles geben, um uns so gut sie's können zu unterhalten. Das ist immer noch sehr rührend, aber auch ein bisschen traurig.
Hase Hase
von Coline Serreau
Deutsch von Marie Besson
Regie: Coline Serreau, Bühne: Momme Röhrbein, Kostüme: Jenny Schall, Musik & Sounds: Grégoire Michaud.
Mit: Katharina Thalbach, Anna Thalbach, Nellie Thalbach, Pierre Besson, Philippe Besson, Markus Völlenklee, Johanna Schall, Florian Rast, Raphael Dwinger, Marek Helsner, Nathanaël Serreau, Alexandra Broneske.
Premiere am 20. Januar 2019
Dauer: 2 Stunden 40 Minuten, eine Pause
www.komoedie-berlin.de
Kritikenrundschau
"Das Gute ist: Auch ohne dieses verwandtschaftliche Background-Brimborium im Kopf macht Coline Serreaus Neu-Inszenierung einen Heidenspaß", schreibt Patrick Wildermann im Tagesspiegel (22.1.2019). Die Geschichte habe mehr als ein Vierteljahrhundert nach der Schließung des Schillertheaters, wo sie bis zuletzt auf dem Programm stand, nichts an subversivem Witz verloren. So sei der Abend auch gar keine Zeitmaschine, sondern "taufrisch". Pierre Besson in der Rolle der Mutter Hase "ist eine Wucht", hervorragend sei auch Johanna Schall. "Und Katharina Thalbach sieht mit ihrem roten Haarschopf und in Latzhosen aus wie ein Sams ohne Rüssel und Wunschpunkte, lässt ihr Talent für die Farce sprühen und sucht immer wieder den Schulterschluss mit dem Publikum. Am Ende gibt's Standing Ovations. Alles wie früher."
Magdalena Bienert schrieb und sprach die Frühkritik im Inforadio des rbb (21.1.2019): Mit der Überarbeitung, die Regisseurin Coline Serreau selbst vorgenommen habe und in der nun "Cyberkriminalität auf Terrorismus" treffe, sei sie auch 26 Jahre nach der Uraufführung auf der "Höhe der Zeit". Aber es wird nicht ganz klar, wohin sie mit "Hase Hase" 2019 wolle. Die Inszenierung sei "eher arm" an Witz und Emotionen. Es bleibe das "unbefriedigende Gefühl" zurück, "nicht wirklich gelacht und auch nicht geweint", lediglich vielen großen Namen auf der Bühne "im Einzelkampf "zugeschaut zu haben, als "wäre die Zeit zum gemeinsamen Proben zu kurz gewesen. Wirklich schade."
Irene Bazinger schreibt in der Berliner Zeitung (online 23.1.2019): Wie vor 26 Jahren im Mittelpunkt der Inszenierung stünde Katharina Thalbach als Hase, "das fidel-verrückte Ausrufezeichen in dieser Aufführung". Dem Publikum könne eigentlich "das Lachen an diesem Abend öfter mal im Halse stecken bleiben, denn das Elend der Familie Hase ist aussichtslos". Doch leider könne sich "die Regisseurin weder zu erkennbarer Sozialkritik noch zu überzeichneter Satire entschließen". Das Tempo sei "gemächlich", die Spielweise "sehr spätbrechtianisch". So höre sich das "Hohelied auf die Familie" "äußerst abgedroschen und peinlich folkloristisch verbrämt" an. Das Ensemble sei "trotzdem sympathisch, allerdings unterfordert".
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Vorweg: Die Schauspieler haben (erwartungsgemäß) sehr sehr gut gespielt und man hat sehr schnell vergessen, dass das halbe Ensemble krank war. Besonderer Respekt gilt Pierre Besson, der die langen Monologe nicht nur extrem gut bewältigt hat trotz Erkrankung, sondern sich auch als Idealbesetzung erwiesen hat. Es war schon eine Freude, zu sehen, wie alle agiert haben, allerdings war es auch deutlich, dass es ihnen viel Spaß gemacht hat, teilweise massiv zu chargieren.
Insgesamt war es jedoch enttäuschend, wie altmodisch und platt das Stück doch mittlerweile ist. Dass es über das klassische Boulevard hinausgeht und damit den typischen Zuschauer des Genres zu einer Thematik mitnimmt, die normalerweise nicht zu erwarten ist, macht es am Ende doch nicht wirklich besser.
Die Modernisierung des Textes (Islamkritik, Jugendbashing) wirkt sehr platt und zielte allzusehr auf die Reaktionen des Publikums, die laute Zustimmung machte es deutlich, wie sehr das Publikum danach lechzte, Pointen zuzustimmen im Sinne von "Endlich sagt das mal jemand öffentlich".
Das Bühnenbild war furchtbar altmodisch, fast piefkig, bis zur Pause auch vollkommen statisch, so nahm das Häuschen weniger als die Hälfte der großen Bühne ein und der freie Raum auf der anderen Seite diente praktisch nur am Anfang einer dargestellten Fernsehsendung, danach war er nicht weiter in Verwendung. Nach der Pause gab es leichte Veränderungen, bis es, aha! endlich einer boxringartigen Szenerie Platz machen durfte.
In dem großen Saal des Schillertheaters war es ohne Mikrophonierung der Schauspieler nicht möglich, zu sprechen, in den hinteren Reihen war die Verständlichkeit daher eher dürftig, was sich bei den Liedern noch deutlicher zeigte. Die waren zwar hübsch choreographiert, ließen mich jedoch ohne Erkenntnis hängen.
Noch "schlimmer" war das dann beim Schlusslied, das leider sehr versank, statt da tonal noch einmal einen guten Abschluss zu bauen.
Und wenn man schon so viele bedeutende Schauspieler versammelt, fällt es um so mehr auf, den arg chargierenden (Sohn der Regisseurin?) daneben zu stellen, der, der deutschen Sprache nicht mächtig, entsprechend schlecht schauspielerte und dem offenbar der Sinn seiner Texte nicht ausreichend von einem Coach nahe gebracht worden war.
Insgesamt kann ich sagen, dass ich mich zwar an dem guten Handwerk der Hauptdarsteller vergnügt habe, aber nicht zu tiefgreifenden Erkenntnissen angeregt wurde.
Das soll sicher auch nicht der Sinn von Boulevard sein. Aber ich finde, es war eine vertane Chance, gerade da noch genauer zu arbeiten. Und der Spaß muss ja deshalb trotzdem nicht in der Theatergarderobe abgegeben werden.
uns "modernen" proletariern zu unterstellen,wir seien doch jetzt alle fremdenfeindlich ist schlicht quatsch,zumal auf der bühne eine gute familie gezeigt wurde,keine deutsche.es ist der autorin hoch anzurechnen,daß "hase hase" nicht mehr endet mit einem plädoyer für eine "bessere,weil weibliche welt";nicht nur die judenhasserinnen vom women`s march lassen grüssen. ausserdem gab es sicherlich auch seinerzeit einen zusammenhang zwischen den ausverkauften vorstellungen im schiller und der bevorstehenden schließung.
jetzt beschwert sich dann also eine,es wäre "arm an witz und emotionen",sie hätte nicht "wirklich gelacht und auch nicht geweint".soll sie sich eine zwiebel mit ins theater nehmen und beim schälen darüber nachdenken,daß die äusserung manchmal mehr sagt über die äussernde person als über den gegenstand.zu frau triebsees nur soviel:"der deutschen sprache nicht mächtig, entsprechend schlecht schauspielerte und dem offenbar der sinn seiner texte nicht ausreichend von einem coach nahe gebracht worden war" jezus maria! da rennen die fehler ja um die wette mit dem rassismus und der boshaftigkeit.auch heißt es heißt "piefig" und nicht "piefkig".
so schließe ich also mit zwei empfehlungen;für die erkenntnis: "b.drewniak,das theater im ns-staat" und für das herz:"hase hase" in der komödie im schillertheater.
zu jane blond: wenn sie mich schon so fragen, antworte ich herzlich gern mit ja. zufällig trage ich heute meine spendierhosen und darin habe ich für sie ganz persönlich zwei kostbarkeiten: "s.chamberlain, adolf hitler, die deutsche mutter und ihr erstes kind" und "l.fleischmann, dies ist nicht mein land". nun sag`ich zum abschied leise servus und trolle mich zurück in meine steppe.
Das Stück „Hase Hase“ ist leider nicht das Pointenfeuerwerk, das starkes Boulevardtheater á la Yasmina Reza ausmacht. Die Idee, von einem älteren Ehepaar zu erzählen, dass sich statt der erhofften Ruhe plötzlich in einer zum Matratzenlager umfunktionierten Wohnküche wiederfindet, ist nett und produziert viele Szenen zum Schmunzeln. Aber so richtig zündet der Abend um die Kinder (u.a. gespielt von Katharina Thalbachs Tochter Anna und Enkelin Nelly) und die einsame, schwerhörige Nachbarin (Johanna Schall), die alle bei Familie Hase einziehen, nicht.
Bemerkenswert macht die Aufführung vor allem, dass fast alle Spieler*innen miteinander verwandt und verschwägert sind: ein theaterbegeisterter Familienclan erzählt uns die sympathische Geschichte von einer Arbeiterfamilie, die in schwierigen Zeiten etwas enger zusammenrückt.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2019/01/23/hase-hase-komodie-am-kudamm-im-schillertheater/