Fronten ohne Krieg

von Rainer Nolden

Trier, 25. Januar 2019. Der geplante (und dringend notwendige) Umbau des Trierers Theaters wirft seine Schatten voraus. Das nach Plänen des Architekten Gerhard Graubner 1964 eröffnete Haus ist für die Zeit der Restaurierung auf der Suche nach alternativen Spielplätzen. Einen hat es jetzt ausprobiert, und zwar in der Europäischen Kunstakademie auf der anderen Moselseite. Eine neue Spielstätte eröffnet man am besten mit einem neuen Stück, sagte sich Intendant Manfred Langner und entschied sich für die deutschsprachige Erstaufführung von "Politisch korrekt", bei deren Inszenierung er auch selbst Hand anlegte. Geschrieben wurde sie von Salomé Lelouch, Tochter des Filmregisseurs Claude.

Der wie aus dem Ei gepellte Anwalt Alexandre und die alternativ angehauchte Geschichtslehrerin Mado haben in einem Pariser Bistro ihre Handys vertauscht. Beim Rücktausch verlieben sie sich ineinander, wobei ausgiebiger Alkoholgenuss die gegenseitige Anziehungskraft verstärkt. Doch ihrer Liebe kommt die Politik in die Quere, denn was die angeht, könnten die beiden nicht weiter voneinander entfernt sein. Mado, eine junge Frau mit ukrainischen Wurzeln, ist links aus Überzeugung, und Alexandre nicht nur rechts, sondern ganz rechtsaußen: Er erhofft sich eine glorreiche Zukunft in Marine Le Pens "Front National" (mittlerweile "Rassemblement National"). Der hat im aktuellen Wahlkampf, über den auf zwei Bildschirmen unentwegt berichtet wird, gute Chancen, die Führung im Land zu übernehmen.

politisch korrekt 1 560 Kaufhold uMartin Geisen und Marsha Zimmermann © Martin Kaufhold

Martin Geisen und Marsha Zimmermann sind das ungleiche Paar, das seiner emotionalen Zerrissenheit eine schmerzhafte Glaubwürdigkeit verleiht. Lelouch und Langner als Regisseur haben die beiden ganz untypisch, frei von jeglichem Klischee angelegt: Alexandre ist kein pöbelnder, ungehobelter "Front"-Mann, sondern ein liebenswürdiger, höflicher Herr mit ausgezeichneten Manieren. Mado ist zwar ebenfalls unbeirrbar in ihrer politischen Einstellung, aber alles andere als eine Schlagwort-wiederkäuende Barrikadenjule: humorvoll, schlagfertig und intelligent sowieso. Und Pferde stehlen könnte man mit ihr auch.

"Kleiner Mann" gegen Feministin

Benjamin Schardt als Blumenhändler Louis, bester Freund sowie politischer Weggefährte Alexandres, verkündet mit furchterregender Überzeugungskraft seine Ansichten über Menschen, die keine Franzosen sind. Das Beunruhigende ist, dass man sich im Laufe seiner Reden dabei ertappt, Verständnis für seine Position aufzubringen. Und auch wenn er seine Argumente in das Gleichnis von den Blumen verpackt, die besser in Frankreich wachsen sollten, als sie "aus Afrika zu importieren", ändert das nichts an seiner Verachtung für alles Nichtfranzösische. Das Perfide an Schardts Louis: Er spielt ihn als durch und durch sympathischen Zeitgenossen, dem man in jedem Bistro "un p'tit rouge" ausgeben würde.

politisch korrekt 3 560 Kaufhold uJeder gegen jeden im Bistro © Kaufhold

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums darf Nadine Stönebergs Andrea als Kampffeministin so richtig aufdrehen und ihrer Empörung freien Lauf lassen, die in manchen Momenten freilich einen Tick zu überdreht anmutet. Dass sie permanent im Angriffsmodus agiert, sich auch mal ein "gilet jaune" überzieht, um dem ganzen Land den Krieg zu erklären, lässt sie zur komischsten Figur in diesem Spiel von Liebe und tragischem Zufall werden. Paul Behrens sorgt als Kellner weitgehend schweigsam, aber effizient dafür, dass die Gläser nicht leer werden und zwischen den endlosen Wahlberichterstattungen auch mal ein paar Bilder von Fußballspielen zu sehen sind.

Manfred Langner lässt in seiner Inszenierung das Publikum hautnah bei den Akteuren sein, quasi Gäste des Bistros, das Dietmar Teßmann mitten in den Saal gebaut hat. Schlägt er zu Beginn einen leicht-boulevardesken Ton an, der den Schauspielern ausreichend Raum lässt, ihr Talent für treffsichere Pointen und schlagfertige Reaktionen zu beweisen, arbeitet er nach und nach die tragischen Untertöne dieser modernen Romeo-und-Julia-Variante à la française heraus. Dabei achtet er sorgfältig darauf, dass seine Figuren in keinem Moment klischeehaft wirken, um irgendwelche Vorurteile zu bestärken. Was einen allfälligen Gedankenprozess beim Betrachter in Gang setzt: Die Menschen soll man nicht auf ihre politische Einstellung reduzieren, auch wenn es den Umgang mit ihnen sehr viel einfacher machen würde. Eine Schublade ist schnell auf- und wieder zugezogen. Schwierig wird es immer dann, wenn man nicht weiß, um welche Schublade es sich gerade handelt. Diesen Konflikt herauszuarbeiten ist das große Plus dieser Regie.

Ende mit Schrecken

"Politisch korrekt" – der Titel ist natürlich pure Ironie, denn politisch korrekt ist in Salomé Lelouchs Stück gar nichts. Doch gelingt es der Autorin auf überzeugende Weise, am Beispiel ihrer vier Protagonisten die Ratlosigkeit und Zerrissenheit einer gesamten Nation (nicht nur der französischen) aufzuzeigen, deren Einwohner von so tiefen Gräben getrennt sind, dass eine Verständigung nicht mehr möglich scheint. Der Versuch eines klärenden Gesprächs bei einem gemeinsamen Abendessen scheitert kläglich und endet in Gebrüll, dessen Ziel das Übertönen und nicht das Verstehen des Gegners ist. Zurück bleiben umgeworfene Bistrotische und -stühle als Symbol für einen politischen Scherbenhaufen im Miniaturformat.

Und das Ende – ja, wie bringt man eine solch unmögliche Liebesgeschichte zu Ende? Lelouch entscheidet sich für den Blick in eine ausgesprochen gruselige Zukunft: Wir werden ins Jahr 2035 gebeamt, und Le Pens Partei ist seit langem tonangebend im Land. Über die Fernsehschirme marschieren Heerscharen furchterregend Uniformierter in Reih und Glied; fehlt nur noch der Fackelzug in der Nacht. Alexandre hat es bis zum Minister in der neuen Regierung geschafft; seine Uniform ist von einem grässlichen Grau mit zackigen Emblemen (die Kostüme hat Yvonne Wallitzer erfunden). Unversehens wird er mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Eines Tages erhält er einen Brief von seiner ihm bis dato unbekannten Tochter. Sie erzählt von ihrem Leben in der Ukraine, wohin sie mit ihrer Mutter zurückgekehrt ist. Und jetzt, nach Mados Tod, möchte sie ihren Vater treffen. In diesem Moment spiegelt sich in Martin Geisens Miene das ganze Drama eines – zumindest in einer und vermutlich der wichtigsten Beziehung – verkorksten Lebens. Mag dieses Ende auch ein wenig aufgesetzt und konstruiert wirken: Es hinterlässt einen starken Eindruck.

Politisch korrekt!
von Salomé Lelouch
Deutsche Erstaufführung
Inszenierung: Manfred Langner, Bühne: Dietmar Tessmann, Kostüme: Yvonne Wallitzer, Videoproduktion: Gideon Rapp, Dramaturgie: Philipp Matthias Müller.
Mit: Paul Behrens, Martin Geisen, Benjamin Schardt, Nadine Stöneberg, Marsha Zimmermann.
Premiere am 25. Januar 2019
Dauer: 1 Stunde 35 Minuten, keine Pause

theater-trier.de

 

Kritikenrundschau

"Mit 'Politisch korrekt' gelingt ein sehr zeitgenössisches Schauspiel, das die Gefahren des Extremismus deutlich aufzeigt und dabei in kurzweiligen 95 Minuten eine schauspielerisch sehr gut erzählte Geschichte präsentiert", schreibt Julia Nemesheimer im Trierischen Volksfreund (28.1.2019). Das Stück banne den realen Graben zwischen links und rechts auf die Bühne und zeige, wie erbittert sich die gesellschaftlichen Fronten gegenüberstehen. Gelobt wird die Regie-Entscheidung keine frontale Bühne zu wählen: "So entstehen andere Perspektiven, als man es bei der klassischen Frontalsicht gewohnt ist, und kann zwischendurch auch die Reaktionen der gegenübersitzenden Besucher wahrnehmen."

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