Die um den Knacks tänzeln

von Sophie Diesselhorst

Berlin, 30. Januar 2019. Und jetzt nochmal zum Mitschreiben: Repräsentation versucht immer, die Grenzen zu sichern. Die Grenzen einer Welt, in der der weiße Mann unsichtbar ist und daher der einzige, dem es völlig freisteht, sich in etwas anderes zu verwandeln und ein Drama zu veranstalten. Aber das Drama hat nichts mit dem Knacks zu tun. Und der Knacks ist das, was uns in echt verbindet. Also ist es ein paradoxes Unterfangen, ihn auf die Bühne zu zerren. René Pollesch versucht's trotzdem – oder tut er nur so?

Es wirkt in der neuen Berliner Folge seiner hopefully never ending tour durchs deutschsprachige Theater ein bisschen so, als hänge Pollesch gerade fest. Was man von seiner letzten Arbeit am Schauspielhaus Zürich liest, klingt recht ähnlich, nur dass dort King Kongs Hand das Bühnen-Utensil war, an dem andere Schauspieler*innen zu den Themen Repräsentation und Knacks vorturnten, und in den Kammerspielen des Deutschen Theaters ist es nun "Black Maria", der maßstabgetreue Nachbau des ersten Studios der Welt zur Produktion kommerzieller Filme.

Zusammentreffen in der Unendlichkeit

Eine mit schwarzer Teerpappe beschlagene Hütte, deren Dach sich öffnen lässt für das Tageslicht als Scheinwerfer. Mit vereinten Kräften schieben die fünf Schauspieler*innen sie im Kreis und tun ihr Bestes, um heißzulaufen. Bei Astrid Meyerfeldt liegt der Knacks in ihren großen rollenden Augen, Katrin Wichmanns Stimme biegt sich und knackt unter den souverän hervorgebrachten Texten. Überhaupt sind Wichmann und Meyerfeldt ein tolles Duo, wenn sie gleich zu Anfang im größten Vertrauen auf das Zusammentreffen der Parallelen in der Unendlichkeit so aneinander vorbeireden, dass Franz Beil nur fassungslos daneben stehen kann, als weißer Mann zudem vom Kostümbild mit einer Art Häftlings-Uniform gestraft. Während Meyerfeldt sich als Gold-Diggerin in Alaska wähnt – "ein Königreich für einen Drink!" –, besteht Wichmann zunehmend empört darauf, dass man sich hier in einem Filmstudio befände.

black maria 3 560 arno declair uVerwischte Bilder: "Black Maria" statt Blackbox © Arno Declair

Die "Black Maria" soll, erweist sich dann bald, als Gründungsort eines "Anti-Repräsentationstheaters" dienen. Als Labor einer neuen "optischen Politik", die um Undeutlichkeit kämpft, um verwischte Bilder, wie sie die ersten, in der echten "Black Maria" produzierten Filme aufweisen. Und tatsächlich wirkt das Stück in seiner durch Wiederholungen betonten Thesenhaftigkeit bisweilen direkt wie ein ernstgemeinter Beitrag zum politischen Theater, besonders bei Benjamin Lillie, der sich als Pollesch-Masche einen Proseminar-Ton angeeignet hat.

Mit verächtlichen Seitenhieben gegen den Dramaturgen und Spin-Doktor der linken Bewegung "Aufstehen", Bernd Stegemann, und sein "Lob des Realismus" auf der einen Seite und mit lustvollen Perücke-Hut-Brille-Bart-Verwandlungsspielen zur endgültigen Auflösung der Identitäten auf der anderen Seite markiert Pollesch seinen Weg und lebt "Black Maria" dann doch zwischendurch zum scharfsinnigen Kommentar zu aktuellen Scheingefechten zwischen Klassenbewusstsein und Identitätspolitik auf. All diese Kombattanten sind gefangen im Repräsentationstheater, die einen ignorieren das entscheidende Problem der Sichtbarkeits-Hierarchie, die anderen ziehen die falschen Schlüsse draus, und das muss in der Tat immer wieder gesagt werden und eigentlich noch viel lauter. Allerdings hat Pollesch es gerade erst in einem Interview stringenter formuliert als nun in "Black Maria".

Bestellt zur Unsichtbarkeit

Und auch um den Knacks tänzeln die fünf Spieler*innen eben nur herum, selbst wenn sie dabei die schönsten Kunststücke vollbringen. Sogar Franz Beil wird irgendwann in diesen Reigen mit hineingezogen, er, der anfangs noch dazu bestellt war, die Unsichtbarkeit des weißen Mannes zu konterkarieren, indem er sich mit pointenlosen Geschichten verzweifelt gestikulierend zum Horst machte und "Versteht der überhaupt, wovon wir gerade sprechen?"-Blicke der anderen erntete, dabei selbst kurz zum Knacks wurde. Aber dann muss er in einem barocken Schnörkel die Schnupftabakkanone einweihen, ein aufwändiges Holzgestell, das den Tabak erst in die Nase schießt und sie dann sauber pinselt. Das ist natürlich sehr lustig. So lustig, dass erst beim zweiten oder dritten Einsatz der Kanone auffällt, dass sie wohl in ihrer Überkonstruktion die Selbstreferentialität des ganzen Abends symbolisieren soll.

black maria 2 560 arno declair uImmer rein in die Selbstreferentialität! © Arno Declair

Wie auch die italienische Plätschermusik, die zum Ein- und Auslass läuft: "Senti come piove", murmelt der Sänger Jovanotti und macht die selbstironische Absicherung wasserdicht. Pollesch rettet das Theater, indem er es am Leben hält, hat die Neue Zürcher Zeitung neulich geschrieben. "Verhandelt wird der Diskurs im Speziellen und die Liebe im Allgemeinen. Das Publikum fühlt sich angesprochen." Das stimmt, und nicht nur für Zürich. Aber ein bisschen drehschwindlig wirkt er, der Retter. Vielleicht wär's mal Zeit für eine schöpferische Pause.

Black Maria
von René Pollesch
Regie: René Pollesch, Bühne und Kostüme: Nina von Mechow, Video: Ute Schall, Live-Kamera: Ute Schall, Hannes Francke, Tonangler: Dorian Sorg, Arseniy Kogan, Licht: Marco Scherle, Animation: Luis Krawen, Dramaturgie: Juliane Koepp.
Mit: Franz Beil, Benjamin Lillie, Astrid Meyerfeldt, Jeremy Mockridge, Katrin Wichmann.
Premiere am 30.Januar 2019, Deutsches Theater Berlin
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause

www.deutschestheater.de

 

Kritikenrundschau

"Viel komplizierter Text geht da aufs Publikum nieder, aber auch einige herrliche Diskurs-Entkrampfungen, irrlichternder, subversiver Witz und ein vor Charme und Wärme geradezu vibrierendes Darsteller-Quintett", so André Mumot von Deutschlandfunk Kultur (30.1.2019). "'Black Maria' ist eine furiose Liebeserklärung an die Kunst der Uneindeutigkeit, ein vor jeder selbstgerechten Besserwisserei gefeites Debattiertheater, das bei geöffnetem Dach künstliches Licht einfängt und komplexe Gedanken, Geschwätz und Humor und einen unerschütterlichen, belebenden, fröhlich stimmenden Widerspruchsgeist."

Die "Diskursschleifenherrlichkeit" an diesem Abend könne es locker mit Polleschs Großtaten aus der Spätphase der Castorf-Volksbühne aufnehmen, so Fabian Wallmeier vom RBB (31.1.2019). Federleicht flössen die Details in Polleschs Text voran, das Ensemble biete sie hochkomisch dar. "Wenn sich dann noch zu dramatischer Filmmusik die Black Maria dreht und die Scheinwerfersonne erst das Publikum und dann wieder das Maria-Innere erleuchtet, kommt dieser Abend dem perfekten Pollesch-Stück verdammt nahe."

"Wohl bei keinem fragt man sich mit derartiger Grundsätzlichkeit, was um Gottes Willen man da macht, wenn man im Theater sitzt − und warum das nun eigentlich so beglückend ist", schwärmt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (31.1.2019). "Die drei DT-Ensemblemitglieder mithin ausgewiesen mittelsichere Verwandlungs- und Figurenschauspieler Katrin Wichmann, Benjamin Lillie und Jeremy Mockridge schlüpfen mit ungeahnter Coolness in den Pollesch-Modus. Dass sie nicht auf die konkrete und festgelegte Kenntlichkeit der Pollesch-Stars Martin Wuttke oder Sophie Rois zurückgreifen können, öffnet die Inszenierung, schafft neue Zugänge zu dem eigentlich hermetischen Theaterkosmos."

"In einer Theaterwelt, die vorgibt, permanent Sinn und Kritik zu produzieren, bleibt Polleschs neues Stück 'Black Maria' wieder vollkommen sinnfrei und eine verlässliche Marke. Pollesch ist immer Pollesch, die Zutaten treten in den Hintergrund. Es geht um nichts, niemand kommt zu Schaden, und das Meiste ist schon wieder vergessen, wenn man den Mantel an der Garderobe abholt", schreibt Rüdiger Schaper im Tagesspiegel (31.1.2019).

"Es gibt kleine Längen und einige unnötige Wiederholungsschleifen, aber ansonsten war und ist das ein höchst vergnüglicher Theaterabend. Pollesch bietet in 'Black Maria' alles auf, was er draufhat: Wortspiele, Albernheiten, Selbstironie, Verdrehtheit", schreib René Hamann von der taz (1.2.2019). "Der Wechsel von der Volksbühne zeigt Vorteile – es ist eine andere Tradition, an der man sich abarbeiten kann (nämlich eben das bürgerliche Repräsentationstheater, allerdings Max Reinhardt’scher Prägung). Und die Zeiten des gewollten ­Underactings à la Volksbühne scheinen endgültig passé."

Peter Laudenbach von der Süddeutschen Zeitung (1.1.2019) unterzieht Polleschs Werk zunächst dem sogenannten Gelbwesten-Test, der so verläuft: "Man fragt sich für einen Moment, wie das Kunstereignis aus der Perspektive der Berliner Banlieue, auf Bewohner der Hochhausghettos am Stadtrand mit vielen Hartz-IV-Abhängigen und AfD-Wählern wirken dürfte." Das Ergebnis: "Im Gelbwesten-Test wirkt das eigentlich großartige, schnelle, kluge, virtuose Theater von René Pollesch, das jeder geistig halbwegs wache Mensch seit etwa zwanzig Jahren liebt und bewundert, plötzlich seltsam anachronistisch und Ulf-Poschardt-kompatibel." Pollesch stelle lauter gute Fragen. "In den gemütlichen Zeiten von halbwegs fairen Teilhabe-Chancen im Sozialstaat waren es wahrscheinlich die besten Fragen, die das Theater stellen konnte. Heute wirken sie etwas zu tiefenentspannt, Postkarten aus den friedlich dekadenten Zeiten der Nullerjahre." Schaffe man es, die Befunde aus dem Test mal kurz zu vergessen, sei 'Black Maria' aber großartig. Natürlich variiere Pollesch seine alten Themen, aber er mache das so lässig und lustig, dass in keinem Augenblick das Gefühl von Routine oder Resteverwertung alter Ideen aufkomme.

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