Der Schoß ist fruchtbar noch

von Gabi Hift

Wien, 31. Januar 2019. Dem Watschenmann, einer Figur mit einem dicken Lederkopf, konnte man seinerzeit im Wiener Wurstlprater gegen Einwurf von 1 Schilling eine Watschen (Ohrfeige) herunterhauen. Im Leben ist ein Watschenmann einer, an dem sich alle abreagieren. Heinrich, die Hauptfigur in Karin Peschkas Roman, den die Regisseurin Bérénice Hebenstreit zusammen mit Michael Isenberg fürs Volx in Wien dramatisiert hat, will freiwillig so ein Watschenmann sein, ein Märtyrer.

Wien 1954. Wirtschaftsaufschwung, alles, was im Krieg geschehen ist, wird unter den Teppich gekehrt, es zählt nur noch der Wiederaufbau. Aber es gibt auch Außenseiter, Gestrandete, die mit der neuen Welt nicht zurechtkommen. Lydia, Gelegenheitsprostituierte (Birgit Stöger) glaubt immer noch daran, dass ihr Verlobter aus der Gefangenschaft zurückkehren wird. Bis es soweit sein wird, hat sie sich mit Dragan, einem serbischen Exboxer (Rainer Galke) zusammengetan. Irgendwann ist den beiden ein gestörter junger Mann zugelaufen, Dragan nennt ihn "psiću", Hündchen, um den sich die beiden kümmern als wär's ihr Sohn. Dieser Junge, Heinrich (Katharina Klar), ist besessen von seiner Mission: Er läuft durch die Straßen und provoziert solange, bis ihn jemand verprügelt. In den Menschen steckt immer noch "der Kriegswurm", und wenn er sie dazu bringt, die Gewalt, die in ihnen steckt herauszulassen, dann, so glaubt er, werden sie geheilt – und er, der Watschenmann, hat sie erlöst.

Dass eine Geschichte über die totale Verdrängung des Faschismus in Österreich nach dem Krieg viel mit heute zu tun hat, mit einem Österreich, in dem seit den letzten Wahlen immer mehr Politiker mit Naziparolen von sich reden machen ist evident.

Watschenmann4 560 Christine Miess uKatharina Klar als "Watschenmann", Sebastian Klein © Christine Miess

Am Anfang erzählen die vier Schauspieler*innen die Geschichte vom Rand der Bühne her, im Dialog mit der sehr eigenen, fremdartigen Musik der Geigerin Hristina Šušak – bis Heinrich sich auf den ersten Gang "unter die Leute" macht, um sich verprügeln zu lassen. Katharina Klar spielt Heinrich. Sie ist eine flirrende, androgyne Figur, ein rätselhafter, hübscher und amüsanter Bursche, aber sie leidet genau wie die Darsteller der beiden anderen Hauptfiguren daran, dass die Form des Romans der Dramatisierung ein Bein stellt.

Die Autorin Karin Peschka mäandert zwischen den Figurenperspektiven und einer auktorialen Erzählstimme hin und her, für die sie eine Kunstsprache entwickelt hat, ein holzschnittartig verkürztes Wienerisch, ähnlich dem Kunstbayrisch der Marieluise Fleißer – eine Sprache, die ungerührt und kaltschnäuzig daherkommt, mit unvermittelten poetischen Einschüben und in der sie erklärt, wie alle Personen innen drin gebaut sind, wie sie ticken.

Nachkriegs-Menschen unter sich

In der Dramatisierung, an der die Schauspieler mitgearbeitet haben, werden diese Beschreibungen zu Dialogzeilen, die Figuren erklären sich selbst, und das widerspricht der Zeichnung dieser eigentlich schwer traumatisierten, maulfaulen oder verrückten Personen. Es ist ja gut, denkt man, dass Katharina Klar nicht den immer wieder in psychotische Zustände abdriftenden schwer gestörten Menschen spielt, der Heinrich laut Geschichte eigentlich sein müsste. Aber so eloquent, wie Heinrich sich jetzt selbst beschreiben muss, sieht man eine körperlich wie seelisch unversehrte Person, der man zwar in jedem Augenblick gern zuschaut, um die man aber nicht fürchtet.

Watschenmann1 560 Christine Miess uDrei sind wir: Rainer Galke, Birgit Stöger, Katharina Klar © Christine Miess

Am problematischsten sind die Prügelszenen. Dabei liegt entweder Heinrich allein am Boden und spielt, dass er getreten wird, oder der Prügler tritt pantomimisch auf die Stelle ein, an der man sich Heinrich denken muss. Einmal hockt sich die Geigerin zum am Boden liegenden Heinrich und spielt mit seinem Schrei ein Duett. All das ist gut gemacht, stilvoll, vermeidet die Peinlichkeit. Aber dass die Gewalt so wenig schockiert, ist gerade ein Spiegel dessen, was die Figur Heinrich in den Wahnsinn treibt. Er will ja erreichen, dass sie ausbricht, und die Menschen in Furcht und Schrecken geraten, auch und gerade vor sich selbst.

Unterdrückte Grausamkeit

Wenn man hört: junger Mann lässt sich vor aller Augen immer wieder absichtlich aufs Brutalste verprügeln denkt man an "Fight club" von David Fincher. Und – in Wien – an die Wiener Aktionisten. Auch sie wollten, wie Heinrich, durch drastische Aktionen und aggressive Tabuverletzung Mechanismen unterdrückter Grausamkeit und Perversion in der bürgerlichen Gesellschaft darstellen und damit schockieren – was auch gelang. Interessanterweise gibt es gerade eine Ausstellung im Wiener Dommuseum, in der solche Aktionen (nahezu unerträglich die von Valie Export) den Bildern von christlichen Märtyrern gegenübergestellt werden. Auch im Watschenmann ist die christliche Symbolik gegenwärtig, es ist sehr empfehlenswert, sich das Theaterstück und die Ausstellung im Doppelpack anzusehen.

Dass Gewalt und Selbstverletzung als Reaktion auf das alles erstickende Nachkriegsschweigen hier so wenig schockierend dargestellt werden, erstaunt. Vielleicht ist es die Absicht der Inszenierung, den Akzent eher auf die brüchige Solidarität und ihre Bedingungen zwischen Außenseitern zu legen – berührend gespielt auch von Stöger, Galke und Klein. Über den Sinn oder Unsinn von Schockwirkungen sowohl bei politischen Aktionen als auch in der Kunst, lässt sich an Hand dieser Aufführung ausgezeichnet nachdenken.

 

Watschenmann
nach dem Roman von Karin Peschka
Regie: Bérénice Hebenstreit, Bühne und Kostüme: Mira König, Musik: Hristina Šušak, Licht: Markus Hirsch,ramaturgie: Michael Isenberg.
Mit: Rainer Galke (Dragan), Katharina Klar (Heinrich), Sebastian Klein (Elmer), Birgit Stöger (Lydia), Hristina Šušak (Musikerin).
Premiere am 31. Januar 2019
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.volkstheater.at

 

Kritikenrundschau

"Stimmen aus dem Off kommentieren und versuchen Antworten auf die bizarre Figur Heinrichs zu geben", schreibt Laurin Lorenz im Standard (2.2.2019). Vor allem Heinrichs Ersatzeltern verlören dadurch ihre Ambivalenzen: Lydia sei die Böse, Dragan der Gute. "Als Zuschauer ist man gut damit beschäftigt, die einzelnen Szenen einzuordnen: Wer spielt hier eigentlich gerade wen? In welchem Winkel Wiens befinden sich die Protagonisten?" Das Haus aus durchsichtigem Stoff, das von der Decke hängt, tauge auch nicht dazu, die unterschiedlichen Orte der Geschichte darzustellen. "Allerdings gelingt es Hebenstreit, trotz der Brutalität des Stoffes Motive wie Heilung und Hoffnung aufblitzen zu lassen."

Norbert Mayer schreibt auf diepresse.com (1.2.2019, 18:30 Uhr, hinter Paywall): Die Rolle des Heinrich werde von Katharina Klar "meist emotional stark reduziert, aber doch höchst intensiv gespielt". Man fürchte um ihre Gesundheit, "wenn diese schmächtige Person verprügelt, durch den Raum gezerrt oder geworfen wird". Klar spiele "äußerlich meist lakonisch, innerlich voll Energie, stets aufrüttelnd". Das helfe über Längen hinweg, denn nicht alles wirke "einleuchtend in dieser Kurzversion" des Romans. Die drei anderen Schauspieler*innen zeigten in Mehrfachrollen ihre "Verwandlungskünste". Doch auch Hebenstreits Inszenierung verstehe es "auf ihre Art", eine "Atmosphäre zu erzeugen, die karge Jahre nach finsterer Zeit glaubhaft nachempfindet".

 

Kommentare  
Watschenmann, Wien: was denn nun
Ich werde nicht ganz schlau aus der Kritik. Einerseits klingt es, als sei die Inszenierung eher langweilig, andererseits heißt es, es lohne sich, sie anzusehen und sie sei ein guter Anstoß für Gedanken über Darstellungen von Gewalt, was für mich eigentlich wieder einen guten Abend ausmachen würde.
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