Boulevard mit Boulevard

von Reingart Sauppe

Saarbrücken, 3. Februar 2019. Die Königin liebt Hunde, und deshalb muss in jedem Theaterstück ein Hund mitspielen. Piraten gehen auch. Hauptsache lustig. Der Erfolgsdruck im Unterhaltungsgeschäft ist schon in elisabethanischen Zeiten riesig. Produzent Fennyman geht dem abgehalfterten Theaterdirektor Henslowe bisweilen rabiat an die Gurgel, wenn der nicht schleunigst mit einem neuen Stück rauskommt. Henslowe und Konkurrent Burbage setzen darauf, dass der aktuell gehypte Autor Will Shakespeare liefert. Doch der leidet gerade unter einer kreativen Blockade und bekritzelt DinA4 Blatt um DinA4 Blatt, ohne dass dabei etwas Gescheites herauskäme. Wenn nicht Kumpel Christopher Marlowe ab und zu mit einer Idee rüberkäme oder beim Sonnettschreiben soufflieren würde, wäre unser junger Starautor völlig aufgeschmissen.

Eine mit scharfzüngig-britischem Wortwitz gespickte Parodie auf den kommerziellen Theaterbetrieb schrieben Tom Stoppard und Marc Normann 1998 mit ihrem Drehbuch zur Hollywood-Komödie "Shakespeare in Love", die damals sieben Oscars und drei Golden Globes erhielt. Doch mehr noch: Der populäre Stoff funktionierte ebenso als romantische Liebesgeschichte und er war trotz aller Ironie eine wunderbare Hommage an den erfolgreichsten Theaterautor aller Zeiten und dessen berühmtestes Liebesdrama "Romeo und Julia".

Knallchargen auf der Showtreppe

Bettina Bruinier dagegen treibt nun in ihrer Inszenierung am Saarländischen Staatstheater dem Stoff erstmal alle romantischen Träume aus. Sie versetzt Shakespeare ins populäre Boulevardtheater, dorthin, wo das Theater die ganz große Geste zeigt und die Komödie am Abgrund des Lächerlichen segelt. Hier bekommt jede Figur ihr Fett weg: Will stolziert als selbstverliebter, gelegentlich auch cholerischer Schönling in kurzen Höschen und mit schwarz-goldenem Glitzerjacket über die Bühne, mehr Geck als Genie, der von Marlowe nicht nur die Liebeslyrik kopiert, sondern den Dichterkollegen auch als Feuerleiter braucht, um den berühmten Balkon zur Angebeteten zu erklimmen. Das verkannte Talent Marlowe wiederum nervt mit penetrant-gutgelaunten Hallööchen-Grüßen, die ihn als Sprachkünstler miskreditieren.

ShakespeareLove 1 560 Kaufhold uShakespeare in Schreibblockade © Kaufhold

Theaterdirektor Henslowe duckmäusert mit langen fettigen Haaren vor Produzent Fennyman, einem albern bunten Lackaffen mit Pilotenbrille. Konkurrent Burbage versucht als halbseidender Theatermafioso mit Macho-Gehabe zu imponieren, und ganz dem Kasperltheater anheimgegeben wird Lord Wessex, der mit stets weit aufgerissenen Augen und in lächerlichem Strumpfhosenkostüm zur Verlobten Viola de Lesseps hüpft wie Komiker Otto. Shakespeare-Zitate werden von einer vierköpfigen Band auf der Bühne weichgespült (Achim Schneider). Eingängige Popschlager dienen den Schauspielern als Gesangseinlage. Das Schauspielensemble am Saarländischen Staatstheater ist stimmfest, keine Frage. Dass Will Shakespeare zwischendurch davon faselt, dass die Kunst nicht dem ökonomischen Prinzip gehorche, macht die Sache nicht besser. Im Gegenteil: Das Theater ist hier zur anbiedernden, klamaukigen Provinzklitsche verkommen.

Und die Frauen? Sind schon zu Elisabeths Zeiten auf der Bühne verboten und bleiben im Theater immer noch auf der Strecke. Anne Rieckhof als Viola de Lesseps alias Thomas Kent ist eine begabte Musicaldarstellerin mit toller Stimme. Ironie ist nicht ihr Ding. Ihr fehlt an diesem Abend der romantische Anspielpartner, und so schnurrt die Liebesgeschichte zwischen ihr und Will zusammen auf ein Blatt Papier, das sie vom Liebesspiel abhält. Denn verliebt ist sie nicht in den eitlen Will, sondern nur in seine Verse. In all dem Schmierentheater sticht Queen Elizabeth I. (Verena Bukal) als echtes komödiantisches Talent heraus. Sie ist die einzige, die die Gesetze des Theaters und der Liebe durchschaut und mit pragmatischem Witz ihre Untertanen vom Sockel holt und ihnen die richtigen Rollen (des Lebens) verpasst.

ShakespeareLove 2 560 Kaufhold uTralala – Action! © Kaufhold

Man kann Bettina Buiniers Inszenierung als Parodie auf die Zwänge des Drei-Sparten-Betriebs lesen, in dem die Position populäres Musical für Abonnenten seinen festen Platz hat wie das Weihnachtsmärchen für Kinder oder der Hund im elisabethanischen Theater. Doch der Schmerz überwiegt: Denn letztlich bedient auch die Regisseurin mit diesem Abend eben die Erwartungen, unter denen die Kunst verschütt geht. Wer das Boulevardtheater mit den Mitteln des Boulevard auf die Schippe nimmt, bewegt sich auf dünnem Eis und macht auch den besten (Shakespeare)Versen und den Stoppardschen Pointen den Garaus.

Mehrfacher Befreiungsschlag

Wäre da nicht das Wunder auf der Bühne, von dem Theaterdirektor Henslowe immer wieder faselt: Nach der Pause verändert Bruinier die Perspektive, und der Zuschauer wird Zeuge des Geschehens hinter den Kulissen. Man sieht auf große Vorhänge, vor denen schattenhaft die Vorstellung beginnt. Die Premiere von Wills endlich fertiggeschriebenem Liebes-Drama "Romeo und Julia" wird von allerlei Missgeschicken durchkreuzt. Fennyman will eine große Rolle als Apotheker spielen, der Schauspieler der Julia ist stimmlich unpässlich. Ein Chaos, von dem der fiktive Zuschauer nichts mitbekommt. Viola springt in letzter Sekunde für die Julia ein und ihr Bühnenauftritt wird für sie für diesen einen Moment zum Akt der individuellen Befreiung. Bruiniers empathischer, selbstreferentieller Blick auf die Akteure des Theaters ist wie eine späte Wiedergutmachung an diesem Abend. Und nicht nur Viola, auch die Schauspieler wirken plötzlich befreit von der Qual des albernen Klamauk. Das nächste Mal etwas Fröhlicheres, befiehlt die Queen zum Schluss. Na hoffentlich, denkt die eine Hälfte des Publikums, die andere tobt vor Freude ...

 

Shakespeare in Love
Schauspiel mit Musik nach dem Drehbuch von Marc Norman & Tom Stoppard, Bühnenfassung von Lee Hall
Deutsch von Corinna Brocher, Musik von Achim Schneider
Inszenierung: Bettina Bruinier, Musikalische Leitung: Achim Schneider, Bühnenbild: Volker Thiele, Kostüme: Elisabeth Vogetseder, Kampfchoreographie: Philipp Seidler, Licht: Daniel Müller, Dramaturgie: Simone Kranz.
Mit: Philipp Weigand, Anne Rieckhof, Verne Bukal, Thorsten Loeb, Gregor Trakis, Thorsten Köhler, Ali Berber, Raimund Widra, Philipp Seidler, Die Band: Achim Schneider (Keyboards), Marc Sauer (Gitarre), Jochen Lauer (Bass) und Max Popp (Drums).
Premiere am 3. Februar 2019
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.staatstheater.saarland

 

Kritikenrundschau

"Kaum zu glauben nach diesem Abend, der nahezu über drei Stunden dicht am Abgrund krachenden Missratens balancierte und sich dann plötzlich zu ungeahnten Humorhöhen empor katapultierte," schreibt Cathrin Elss-Seringhaus in der Saarbrücker Zeitung (4.2.2019) über die von ihr als "Knallbonbon-Abend" empfundene Inszenierung, den das Publikum ihrem Bericht zufolge mit standing ovations quitierte. Schauspieldirektorin Bruinier habe das handwerklich perfekt gedrechselte rasante Stück zu einer Klamotte umfunktioniert. "Das mit einer seltenen Konsequenz. Üblicherweise zählt letztere zu den Regie-Tugenden", hier werde sie zum Schock für alle, die den mit sieben Oscars dekorierten Film „Shakespeare in Love“ (1998) mochten. "Im Staatstheater vermissten sie nun restlos alles, was dessen Charme ausmachte: das verwirrende Spiel mit historisch-biografischer Authentizität und Fiktion, den feinnervigen Humor, den doppelten Boden, der zwischen Kitsch und Emphase vibrierte."

Kommentare  
Shakespeare in Love, Saarbrücken: gehen
"standing ovations" habe ich nicht feststellen können.
Nach der Pause war die Hälfte des Publikums nicht mehr da und ich wäre auch besser gegangen!
Shakespeare in Love, Saarbrücken: sehr gut
Wir fanden es sehr gut, dass die Hälfte der Leute "gegangen" sind kann ich nicht bestätigen, wir saßen oben im 2. Rang und in der zweiten Hälfte war der Saal so voll wie zu Beginn
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