Wörter in Bewegung bringen

von Andrea Heinz

Wien, 23. Februar 2019. Die Frage nach Rauchen oder Nicht-Rauchen ist in Österreich nicht nur in Lokalen, sondern auch auf der Bühne ein ziemliches Geschiss: Ist das jetzt verboten, oder darf man eh? Auf der Bühne des Akademietheaters wird auf jeden Fall maßlos geraucht (wenn auch nur Kräuterzigaretten). Was an sich gar nicht der Rede wert wäre. Wäre solche artifizielle Behauptung von Entgrenzung und Maßlosigkeit nicht bezeichnend für diesen Abend.

Nuggets und Goldgräberrausch

Es handelt sich hierbei um die Uraufführung von Fiston Mwanza Mujilas "Zu der Zeit der Königinmutter", inszeniert von Philipp Hauß. Der Autor ist ein bisschen das, was man gehypt nennt – was ja immer schnell geht in der Literatur und am Theater. Sein Romandebüt Tram 83 stand 2015 auf der Longlist des Man Booker International Prize und erhielt u.a. den Internationalen Literaturpreis des Hauses der Kulturen der Welt. "Zu der Zeit der Königinmutter" ist der erste auf Deutsch verfasste Text des kongolesischen, französischsprachigen Autors, der seit 2009 in Graz lebt. Gehypt ist er auf jeden Fall nicht zu unrecht: Ein sprachlich starker, dichter Text ist das, anspielungs- und assoziationsreich, weit entfernt von stringentem Erzählen. Oder gar einem Plot.

Koeniginmutter 2 560 ElisabethGruber Burgtheater uVertauschte Rollen: Schauspieler*innen als Sprachmusiker*innen?   © Elisabeth Gruber | Burgtheater

"Ich komponiere meine Texte wie ein Jazzmusiker, wie ein Saxofonist", wird Mwanza Mujila auf der Seite des Hanser-Verlages zitiert, womöglich kam man deshalb in Wien auf die Idee, eine Band auf die Bühne zu stellen, die den Abend musikalisch (inklusive Sax-Solo) begleitet. Und vielleicht beginnt damit schon das Missverständnis. Mwanza Mujilas Text erzählt von einer Bar, der New-Jersey-Bar, die sich angeblich in der Gegenwart befindet, in der aber viel die Rede ist von Nuggets und Goldgräberrausch.

Ein Dorf namens Fucking

Überhaupt, Rausch ist ein großes Thema, Suff und (gekaufter) Sex, Gewalt, Entgrenzung, Maßlosigkeit auch in der Phantasie. Immer wieder erzählen die Figuren Geschichten von Menschen, die sich in massenmordende Schlangen verwandeln oder ihrerseits aus Lehm bestehen und sich im Regen auflösen. Von einem Fluch ist die Rede, und immer wieder von der Könginmutter: einer verehrten Frau, die es, entkommen aus dem Mief eines kleinen Dorfes namens Fucking, mit ihrer New-Jersey-Bar "geschafft hat".

Diese Puffmutter gibt bei genauerer Betrachtung ein ziemlich fragwürdiges Bild ab. Eine "außergewöhnliche", "wunderbare" Frau sei sie, die in 17 Sprachen lese, spreche und schreibe, in ihrem Leben jedoch hauptsächlich untergebene Positionen ausgeübt hat: "Kellnerin, Direktionsassistentin, Tänzerin, Masseurin". Sie habe immer ihr Lächeln behalten, heißt es weiter, auch dann noch, als man ihr ein Messer in den Bauch rammte.

Philipp Hauß scheint zu dieser Figur nicht allzu viel einzufallen. Und während das Stück ursprünglich nahezu Geschlechter-Parität vorsieht (unter anderem jeweils drei namenlose, durchnummerierte Männer- und Frauenfiguren), stehen hier eine Frau (Die Schauspielerin Gertraud Jesserer, die über weite Strecken schweigend auf einem Lautsprecher herumsitzen muss) und vier Schauspieler auf der Bühne. Sven Dolinski und Simon Jensen übernehmen in Frauenkleidern und mehr oder weniger deutlicher Travestie nicht nur die Passagen der namenlosen Männer – sondern auch weitestgehend jene der Frauenfiguren. In einer Zeit, in der andernorts heftig über eine Frauenquote und die Marginalisierung von Frauen am Theater diskutiert wird, ist das zumindest ungeschickt – zumal sich kein inhaltlich zwingender Grund für diese Entscheidung erkennen lässt.

Wert der Worte

Dem Stück wird die Inszenierung letztlich auf zwei Arten nicht gerecht. Da ist zum einen die Diskrepanz zu jener Forderung, die der Text selbst formuliert, am deutlichsten wohl wenn Gertraud Jesserer ins Publikum spricht: "Es ist wirklich eine Kunst, Wörter in Bewegung zu bringen, ihnen Inhalt zu geben, ihnen Leben und Atem einzuflüstern, ihnen ihre Verantwortung bewusst zu machen, sie süß oder salzig zu machen." Und weiter: "Worte besitzen keinen Wert, wenn sie nicht in den Zustand der Existenz gebracht werden."

Koeniginmutter 3 560 ElisabethGruber Burgtheater uOrdentlich choreografiert: das Ensemble  © ElisabethGruber | BurgtheaterDas ist ein Anspruch an die Sprache, dem die Inszenierung oft nicht genügt – herausragend allerdings in der großartigen Szene, in der Mirco Kreibich als der "Neue", sich zunehmend selbst beschmierend, die Geschichte vom Menschen aus Lehm erzählt, der sich im Regen auflöst. Diese fesselnde Präsenz und Ernsthaftigkeit fehlt an anderen Stellen, besonders die Passagen der "Frauen" werden eher verkaspert. Markus Hering überzeugt als Zuhälter-hafter Jimmy mit Plauze und Perücke, im Großen und Ganzen aber wird nicht klar, wie die Inszenierung nun zu diesem Text und seinen Figuren steht.

Konzept Oberfläche

Das zweite ist: Die Bühne ist bis auf die Band, ihr Equipment und einen etwas kryptisch auf der Vorderbühne herumlungernden Menschen im Bärenkostüm leer, hintereinander hängende Vorhänge in knalligen Farben teilen jeweils den Bereich ab, auf dem gespielt wird. Das ganze Setting (die Ausstatterin ist immerhin Katrin Brack) hat eine artifizielle, ästhetisierte Sauberkeit, die in seltsamem Widerspruch steht zu der (im positivsten Sinne) Unordnung und Maßlosigkeit des Textes, die dieser inhaltlich thematisiert und formal spiegelt. Wenn hier getanzt wird, dann ordentlich choreographiert.

Es scheint, man ist nicht wirklich durchgedrungen zum Kern der Vorlage – was vermutlich auch schwerlich möglich ist, weil der Kern des Textes wohl ist, dass es keinen gibt. Vielmehr geht es um das Spiel mit Assoziationen, Geschichten. Auf dieses Verspielte, das letztlich auf einem großen Vertrauen in die Sprache basiert, lässt sich die Inszenierung aber kaum ein, dafür ist sie zu sehr Oberfläche und Konzept. Beim Schlussapplaus steigt die Lautstärke deutlich, als der Autor die Bühne betrifft. Das sagt eigentlich eh schon alles.

 

Zu der Zeit der Königinmutter
von Fiston Mwanza Mujila
Regie: Philipp Hauß, Bühne und Kostüme: Katrin Brack, Licht: Norbert Piller, Musikalische Leitung: Patrick Dunst, Dramaturgie: Eva-Maria Voigtländer.
Mit: Sven Dolinski, Markus Hering, Simon Jensen, Gertraud Jesserer, Mirco Kreibich. Musiker*innen: Patrick Dunst, Christian Pollheimer, Elena Todorova. Komparse: Julian Gruß, Manuel Niederkofler.
Premiere am 23. Februar 2019
Dauer: ca. 1 Stunden 30 Minuten, keine Pause

www.burgtheater.at

Mehr lesen? Fiston Mwanza Mujila Roman Tram 83 wurde von Dominic Friedel im September 2018 in Graz für die Bühne adaptiert.

 

Kritikenrundschau

Uwe Mattheiss schwärmt in der tageszeitung (26.2.2019) von dem Autor und Gegenwarts-Chronisten Fiston Mwanza Mujila und befindet, sein erster auf Deutsch verfasster Text sei eine Aneignung, "die in der Lektüre Genuss verspricht." Abgesehen von Markus Hering, "der sich seine Gourmandisen der Sprache intensiv schmeckend einverleibt" und Gertraut Jesserer als interessantem Kontrapunkt organisiere "Hauß Mujilas feine Polyphonie recht einförmig nach vorne." Fazit: "Wieder einmal hat das Theater auf seinem Prokrustesbett ein literarisches Talent hübsch eingespannt."

Margarete Affenzeller schreibt in Der Standard (24.2.2019), die New Jersey Bar irgendwo außerhalb von Europa sei in Mujilas Stück "ein Reflexionsraum über nichts weniger als das Dasein in einer komplizierten Welt, die aus lauter kleinen und großen, eigenen und fremden Geschichten besteht." Mwanza Mujilas Text sei ein relativ beweglicher Strom aus Beschreibungen und Erzählungen, "in dem Rollenverteilungen nebensächlich werden", Identitäten verschwimmen und es nur um Geschichten gehe. Hierfür habe Regisseur Philipp Hauß szenisch jedoch "nur eine leidliche Antwort gefunden: frontales Erzählen bei reichlich Zigarettenkonsum."

Die Inszenierung folge dem Muster eines Jazzkonzerts, findet Hans Haider in der Wiener Zeitung (24.2.2019): "einzelne Figuren treten mit Soli hervor, lyrisch und erzählend, in einer [...] Kühnheit und Dichte von Bildern und Metaphern. " Statt einer szenischen Handlung  gebe es aber nur "gestisch gestützte Textaufsagungen".

"Der Regie von Philipp Hauß und seiner Dramaturgin Eva-Maria Voigtländer ist auf jeden Fall zugutezuhalten, dass man den ohnehin nicht sehr langen, aber kaum zusammenhängenden Text noch etwas gestrichen hat", schreibt Martin Lhotzky in der FAZ (27.2.2019). "Das Ensemble ist tänzerisch ge-, schauspielerisch ziemlich unterfordert. Die Mission, kein Stück zu schreiben, aber einen mit etwas Anstrengung als unterhaltsam durchgehenden Text auf die Bühne zu bringen, hat man an diesem Abend erfüllt."

Atmosphärisch sehr stimmig fand Wolfgang Kralicek von der Süddeutschen Zeitung (7.3.2019) die Uraufführung. "Das Stück – das erste, das der Autor auf Deutsch geschrieben hat – ist hauptsächlich ein Rahmen für die fantastischen Geschichten, die die Figuren einander erzählen." Richtig dramatisch werde es nie. "Die Hauptrolle spielt Mujilas lyrische, bildersatte, musikalische Sprache."

Kommentare  
Königinmutter, Wien: Link
Eine informierte, differenzierte Rezension lesen Sie hier: http://www.mottingers-meinung.at/?p=32130
Wiewohl mir klar ist, dass nachtkritik.de diese nicht freischalten wird ...

--
Ach, Frau Mottinger, warum denn nicht?
Grüße aus der Redaktion! (miwo)
Kommentar schreiben

nachtkritikregional

nachtkritik podcast

neueste kommentare >

nachtkritikcharts

charts modTOP TEN DES THEATERS

dertheaterpodcast

nachtkritikvorschau

charts mod

 

nachtkritiknewsletter

charts modJETZT ABONNIEREN

digitalerspielplan

charts modDIGITALER SPIELPLAN