Pro Quote Berlinale

von Lara-Sophie Milagro

26. Februar 2019. 69. Internationale Filmfestspiele in Berlin und ich freue mich. Die erste Berlinale, an der ich wieder richtig teilnehme, seit ich vor zwei Jahren Mutter geworden bin. Ich habe Einladungen zu zahlreichen Veranstaltungen und mein Mann arbeitet auf dem European Filmmarket, das heißt günstige Tickets zu Filmen aus aller Welt. Läuft!

Kinderwagen-Kontrolle

Zum Festivalauftakt bin ich an den Round Table der "Pro Quote Film"-Veranstaltung im Auswärtigen Amt geladen. Da die Kita kurzfristig geschlossen hat und sich keine Nanny findet, packe ich mein Kind in den Buggy, hänge mir die Windeltasche übers Sakko und mache mich auf den Weg nach Mitte. Am Veranstaltungsort angekommen, muss alles aufs Band und das Kind aus dem Wagen, Sicherheitskontrolle. Während ich versuche Windeln, Fläschchen und Bilderbücher wieder einzusammeln, die aus der Tasche auf das Förderband gefallen sind, meine Tochter sich brüllend dem Screening verweigert und jemand hinter mir bemerkt, das würde aber alles ganz schon lange dauern, weist mich der Sicherheitsbeamte darauf hin, dass der Kinderwagen "hier auf keine Fall stehen bleiben kann".

17 NAC Kolumne Visual Milagro V3Ich setze gerade an, ihm etwas sehr Unhöfliches zu sagen, da öffnet sich das Dach des Auswärtigen Amtes und ein Engel in Gestalt meiner Schauspielkollegin M steigt herab. Sie lockt meine Tochter mit gutem Zureden durch das Screening, schleppt den Buggy in Ermangelung eines Fahrstuhls zwei Treppen hoch zum Veranstaltungssaal, stellt das Kinderprogramm auf meinem Tablet ein und holt mir ein Glas Wasser, derweil ich meine Tochter daran zu hindern versuche, das Rednerinnenpodest zu erklimmen. Als ich schließlich zerrupft und verschwitzt am Round Table sitze und mein Kind von Elmo im Duett mit Beyonce bespaßt wird, diskutieren wir über die Quote vor und hinter der Kamera, angemessene Repräsentation in den Medien und gleiche Bezahlung und ich frage mich, wie viele filmschaffende Frauen wohl heute nicht hier sind, weil sie keine Kita oder kein Netzwerk oder kein Geld haben, um sich Betreuung zu kaufen. Mal ganz abgesehen von all den Galas und Abendveranstaltungen. Und wie machen das die Männer? Oder stellt sich denen die Frage gar nicht?

Netzwerken mit Kleinkind

Ein paar Tage später mein nächster Versuch, Berlinale und Familie unter einen Hut zu bekommen: Der Saarland-Empfang in der Landesvertretung. Beginn: 16 Uhr, Kita-Schließzeit. Also habe ich meine Tochter wieder im Schlepptau. Gemeinsam mit ihrem best buddy, der ebenfalls mit seiner Schauspielmutter vor Ort ist, flitzt sie durch die Menschenmenge, um die Beine der Kellner herum und an der Bar entlang. Zwei Kleinkinder im Blick zu behalten und dabei zu netzwerken ist zwar eine Herausforderung, aber es geht zunächst besser, als ich dachte. Ich bin richtig stolz darauf, wie lässig ich die working mom gebe.

Als ich angeregt mit einem Regisseur plaudere, der im Begriff ist, mir seine Karte zu geben, zupft mich die kleine Hand des besorgten best buddy am Ärmel. Er deutet auf eine offene Tür, die in den Botschaftsgarten führt, der an eine stark befahrene Hauptstraße grenzt: "Sie ist eben da raus gelaufen". Der Regisseur darf nun 10 Minuten lang zuschauen, wie ich, auf Highheels und panisch den Namen meiner Tochter schreiend, durch die Gartenanlage renne, flankiert vom Sicherheitsdienst, der übers Handy Verstärkung anfordert. Als wir sie endlich unter dem Kuchenbuffett finden, ist der Regisseur mitsamt seiner Karte weg. Ich versuche mich damit zu trösten, dass er jetzt zumindest meine große emotionale Bandbreite sehen konnte, so was wird ja händeringend gesucht.

Mit Mitte 30 aufs Altenteil

Schaue ich mir die von Pro Quote Film für Deutschland veröffentlichten Statistiken aus dem Jahr 2017 an, habe ich allerdings wenig Hoffnung, dass meine emotionale Bandbreite allein mich entscheidend weiterbringen wird. Frauen bekommen eklatant weniger Filmförderung (zwischen 2007 und 2016 vergab der DFFF nur knapp 13 Prozent seiner Fördermittel an Filmemacherinnen), in den Bereichen Regie, Produktion und Drehbuch sind sie mit durchschnittlich knapp 28 Prozent gnadenlos unterrepräsentiert. Das traurige Schlusslicht bildet die Filmmusik, hier werden Schlüsselpositionen gerade mal zu rund 6 Prozent von Frauen besetzt.

Vor der Kamera sieht es nicht viel besser aus. Bis Mitte 30 sind Frauen und Männer zwar noch gleich häufig zu sehen, aber von da an heißt es für uns Schauspielerinnen langsam, aber stetig: ab aufs Altenteil. Nur rund ein Drittel der Rollen über 40 sind weiblich besetzt, Charaktere ab 50 werden nur noch zu 25 Prozent von Frauen gespielt und ab 60 kommt auf vier Schauspieler nur noch eine Schauspielerin. Dies gilt senderübergreifend und für TV-Formate sämtlicher Genres. Dabei steht das Theater dem Film in Punkto Unterrepräsentation von Frauen in Schlüsselpositionen in nichts nach.

Kita Berlinale Lounge 2020

Wie hoch der Anteil filmschaffender Frauen auf der Berlinale bei Get Togethers, Abendveranstaltungen oder als Expertinnen auf Panel Diskussionen ist, weiß ich nicht. Aber wäre es sehr vermessen, für eines der größten und bedeutendsten Filmfestivals der Welt eine reguläre Kinderbetreuung zu fordern? Sowie eine Pro Quote-Veranstaltung für ausschließlich männliche Filmschaffende, bei der zur Abwechslung mal nicht die Betroffenen, sondern die Verursacher des Problems darüber diskutieren, wie es sein kann, dass Frauen ab Mitte 30 kontinuierlich vom Bildschirm verschwinden und Männer in fast allen kreativen Schlüsselpositionen die Mehrheit bilden?

Zum 70. Jubiläum der Berlinale 2020 könnte meine Heimatstadt Geschichte schreiben: Das Who is Who männlicher Filmschaffender aus aller Welt beschließt am Round Table konkrete Schritte zur Umsetzung der 50-Prozent-Quote. Nach getaner Arbeit holen sie ihre Kinder in der "Kids Berlinale Lounge" ab, nie wieder schreiende Mütter in Ministergärten. Stattdessen immer mehr großartige Filme mit weiblichen Protagonistinnen über 50, die nicht weiß sind, keine Enkelkinder haben und keinem Mann zu Füßen liegen. Mag absurd klingen, aber das war die Einführung des Frauenwahlrechts im Appenzell 1990 für viele auch. Die Normalität von gestern ist die Absurdität von morgen.

Lara-Sophie Milagro ist Schauspielerin, in der Leitung des Künstler*innen Kollektivs Label Noir, Berlinerin in der fünften Generation und fühlt sich immer da heimisch, wo Heimat offen ist: wo sie singt und lacht, wo sie träumt und spielt.

 

 Zuletzt schrieb Lara-Sophie Milagro über Land, Hautfarbe und Sprachgebrauch oder darüber, wie beim Casting für Werbeclips verleugnet wird, was Heimat wirklich ist.

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