Zeiten des Aufruhrs - Am Deutschen Theater Berlin erzählt Jette Steckel mit Richard Yates' Roman vom schwachen Mann
Meine Frau, ihre Abtreibung und ich
von Michael Wolf
Berlin, 28. Februar 2019. Seit #metoo haben es Männerfiguren schwer auf dem Theater. Wer fortschrittlich wirken möchte, teilt sie in eine von zwei Gruppen ein: Täter oder Trottel. Regisseurin Jette Steckel gibt sich damit nicht zufrieden. In ihrer Adaption von Richard Yates' "Zeiten des Aufruhrs" am Deutschen Theater muss der Mann gleich beide Schemata bedienen.
Denunziation der Hauptfigur
Frank Wheeler heißt der arme Kerl. Mit seiner Frau April wollte er einmal die Welt erobern, wild und frei leben, sich selbst verwirklichen. Doch schon bald finden sie sich mit zwei Kindern in einem spießigen Vorort von New York wieder. An Franks dreißigstem Geburtstag (am DT ist's der vierzigste) präsentiert ihm seine Frau einen Fluchtplan. Die Familie soll in Paris neu anfangen. Ein schönes Luftschloss, das in sich zusammenstürzt, als April erneut schwanger wird. Frank besteht darauf, dass sie das Kind austrägt. Erst machen die beiden sich das Leben zur Hölle, dann stirbt April an den Folgen einer selbst durchgeführten Abtreibung.
Die Ehe als Einöde: Maike Knirsch, Alexander Khuon und Maren Eggert im Beziehungskorsett der 1950er Jahre © Arno Declair
Der Roman zeichnet ein düsteres Bild der Nachkriegszeit, des Konformismus, der Träume in vorgefertigte Maße presst. Vor allem aber war Yates ein sensibler und genauer Beobachter menschlicher Beziehungen. Jette Steckel interessiert sich aber weder für geschichtliche Belange noch für die Analyse einer katastrophalen Ehe. Ihre Adaption erschöpft sich in der Denunziation der Hauptfigur.
Wenn sie stirbt, trinkt er Kaffee
Yates erzählt überwiegend aus dessen Perspektive. Als wollte Steckel diese Ungerechtigkeit revidieren, streicht sie alle Feinheiten aus ihrer Fassung. So bleiben in ihrer Anklageschrift nur noch die harten, wenig schmeichelhaften Fakten. Frank, gespielt von Alexander Khuon, ist ein Schwätzer, ein Ehebrecher und Schwächling. Das mag zutreffen, aber Yates präsentiert in seinem Roman auch die Gründe für sein Verhalten, und lässt sein Versagen so nur noch schmerzlicher erscheinen.
Mit der Affäre zum Beispiel will er sein angekratztes Ego aufpolieren. Schwer vorstellbar, dass das mit der abgeklärten, coolen Geliebten möglich wäre, die Maike Knirsch hier verkörpert. Nicht nur neben ihr wirkt Khuon blass. Ist er wütend und sagt das Wort "Du" streckt er den Zeigefinger aus, beim Wort "denken" greift er sich an die Stirn. Khuon spielt den Text nicht, er exekutiert ihn. Falls das nicht genügen sollte, hat die Regie noch etwas belastendes Material fingiert. Als seine Frau stirbt, geht Frank sich in der Krankenhauskantine einen Kaffee holen. Im Original verzweifelt Frank im Wartesaal, den Kaffee holt sich der Nachbar der Familie. Gäbe es eine Ethik der Adaption, ließe sich dieser Trick nur als bösartig beschreiben.
Er, sie, ich
An einer anderen Stelle erreicht die Verabschiedung der Männerfigur einen peinlichen Höhepunkt. Im Buch versucht April ihrem Gatten und nicht zuletzt sich selbst einzureden, er sei "das Kostbarste und Wundervollste", was es auf dieser Welt gebe: "Du bist ein Mann!" Klar, dass dieser Satz im Jahr 2019 bescheuert klingt, aber warum dann ihn nicht einfach streichen? Im Deutschen Theater heißt es stattdessen: "Du bist das Schönste und Wunderbarste, was es auf der Welt gibt: ein Mensch!"
Jazztrio im Buchstaben-Schatten auf der von Florian Lösche entworfenen Bühne © Arno Declair
Für die Zwischentöne ist an diesem Abend ein Jazztrio zuständig. Jette Steckel gibt nur allzu gern alle kleinlichen Details auf, um die Last dieser Geschichte auf den passenden Schultern zu verteilen. Und das möge ja angehen, wenn sie dadurch Maren Eggert den Rücken stärkte. Aber deren April bleibt diffus. Sie scheint die Hosen anzuhaben, hantiert bedrohlich mit dem Küchenmesser, Khuon tigert in hilflosen Zorn hinter ihr her. Warum hat sie ihn überhaupt geheiratet? Warum haut sie nicht allein ab nach Europa? Warum springt sie auf einmal ihren Nachbarn an? Sie wisse gar nicht, wer sie sei, sagt sie danach. Im Publikum weiß man es auch nicht.
Die Zwänge der 50er Jahre bleiben Behauptung, die Stufen zwischen turtelnder Liebe und blindem Hass muss man sich mühsam dazu denken. Im Spiel sind sie kaum zu entdecken, was auch daran liegen mag, dass die Bühne reichlich groß wirkt für ein Kammerspiel. Das elfköpfige Ensemble verliert sich in der Weite. Mit Mikroports versuchen sie die Distanz zu überbrücken, aber es bleibt bei der Imitation von Intimität. Bühnenbildner Florian Lösche lässt riesige, leuchtende Buchstaben umherschieben. "Home Sweet Home" steht da dann oder "He", "She" und "Me". Das sieht hübsch aus, erzählt aber nicht mehr als ein Pronomen allein eben zu erzählen hat. Kurzum: Wer den Roman zuvor gelesen hat, wird hier enttäuscht werden. Wer ihn nicht gelesen hat, sollte lieber den Roman lesen.
Zeiten des Aufruhrs
nach dem Roman von Richard Yates
Regie Jette Steckel, Bühne: Florian Lösche, Kostüme: Pauline Hüners, Musik und Komposition: Olaf Casimir, Christian von der Goltz, Bill Petry, Choreographie: Yan Revazov, Licht: Matthias Vogel, Dramaturgie: Anika Steinhoff.
Mit: Maren Eggert, Alexander Khuon, Kathleen Morgeneyer, Judith Hofmann, Helmut Mooshammer, Ole Lagerpusch, Maike Knirsch, Caner Sunar, Christoph Franken, Timon Fink, Fritz Müller. Band: Olaf Casimir (Bass), Bill Petry (Trompete), Christian von der Goltz (Piano). Tänzer*innen: Jelena Alempijevic, Rebekka Böhme, Aaron Carey-Burrows, Melissa Ferrari, Samantha Franchini, Beatrice Gantzhorn, Ina Gercke, Anna Graue, Laurenz Knill, Sarah Lauks, Gerardo Mussuto, Erica Passante, Nina Philipp, Ortrun Stanzel.
Premiere am 28. Februar 2019
Dauer: 3 Stunden 15 Minuten, eine Pause
www.deutschestheater.de
Ijoma Mangold findet in der Zeit (7.3.2019), der Inszenierung liege ein Missverständnis zugrunde: Während es im starren Mief der 1950er Jahre, in dem Richard Yates Roman spielt, unerhört gewesen sei, nach Paris gehen zu wollen, nur um sich mal wieder selbst zu spüren, seien Ausbrüche wie diese gesellschaftlich heute längst akzeptiert:Jede Epoche sei auf ihre "je besondere Weise einsam und unglücklich", und so "arbeitet sich dieser Abend drei quälende Stunden lang an einer gesellschaftlichen Problematik ab, die es nicht mehr gibt." Individuailität sei heute zum Produktivitätsfaktor geworden, Jette Steckel schicke ihre Spieler*innen in eine längst geschlagene Schlacht.
"Der psychologische Realismus präsentiert sich hier in einer allzu profanen Spielart. Die Inszenierung von Jette Steckel haftet für nichts, nicht für die Lebenskrise, nicht für den Wahnsinn einer Frau", schreibt Simon Strauss in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (5.3.2019). "Es geht eigentlich um ein Liebespaar bei Yates, aber so wie Alexander Khuon und Maren Eggert es spielen, wirkt das an diesem Abend von Anfang an eher wie eine geschäftliche Verbindung."
"Jette Steckel stellt Aprils Schicksal ins Zentrum und erzählt die Geschichte als eine der gescheiterten Emanzipation", so Barbara Behrendt im DLF Kultur vom Tage (2.3.2019). Frank werde bei Steckel zum reinen Verhinderer von Aprils Lebensglück. "Damit macht es sich die Regisseurin natürlich zu leicht. Und doch ist der Abend mit seinem feinsinnigen Schauspielduo in den Hauptrollen oft beklemmend. Nicht zuletzt, wenn April nach dem 'schönen Frühstück', das sie Frank bereitet hat, das Blut zwischen den Beinen herabrinnt."
"Selten wurde in den vergangenen Jahren auf einer fortschrittlichen Bühne wie der des Deutschen Theaters so schamlos der alten Schule des psychologischen Realismus gehuldigt wie in vielen Szenen" dieser Inszenierung, schreibt Wolfgang Höbel auf Spiegel Online (1.3.2019) und diagnostiziert zugleich einen Hang zur Didaktik: Wenn etwa die Figur der April ihrem Mann vorhält, "Männer wie er hingen immer noch dem Wahn an, dass Frauen, die keine Kindern wollten, nicht vollwertig seien, dann scheint die Inszenierung jeden Satz auszustellen, als gelte es, den Theaterzuschauerinnen und -zuschauern eine Lektion zu erteilen", so der Kritiker. "Stark und berührend ist Jette Steckels Inszenierung immer dann, wenn sie Abstand zum Beziehungsnahkampf sucht."
"Steckel scheint es weniger um die Genauigkeit zu gehen, mit der Yates die Wheeler-Ehe seziert, als um den Bau möglichst steiler Startrampen für archetypisch-dramatische Gefühlsausbrüche", schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (3.3.2019). Was am Roman wirklich wehtue, falle ersatzlos weg: "ein Problem, das Steckels Inszenierung mit vielen Romanadaptionsabenden teilt. Übrig bleiben dann vor allem Stereotype." Die nur eine Figur durchkreuze: "Ole Lagerpusch hat als vermeintlich geisteskranker, de facto aber einzig wahr sprechender Vollbart-Träger der Vorstadt-Ödnis mindestens den Auftritt seines bisherigen DT-Lebens, wenn nicht mehr", so Wahl: "Die Konzentration, Genauigkeit und Ruhe, die durch schmerzhafte Eruptionsenergie-Unterdrückung so sichtlich hart erkauft ist und mit der er den Wheelers auf den Kopf zusagt, was mit ihnen los ist, hätte man sich für den ganzen Abend gewünscht."
Viel Lob für den "Geschlechterkampf" der Wheelers und also das Spiel von Maren Eggert und Alexander Khuon hat Anna Fastabend in der Süddeutschen Zeitung (6.3.2019) übrig. Jette Steckel stelle "den Niedergang dieser Ehe wirklichkeitsgetreu dar". Der "abstrakten Kulisse" sei es "zu verdanken, dass die von Klavier, Bass und Trompete untermalte Inszenierung nicht in Hollywoodkitsch abrutscht, sondern zu einer mitreißenden Sozialkritik geworden ist. Einzig ein paar Redundanzen hätte die Regisseurin bei diesem dreieinhalbstündigen Abend ruhig streichen können."
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Jette Steckels „Zeiten des Aufruhrs“ ist ein Lehrbeispiel dafür, woran Romanadaptionen häufig scheitern: das Handlungsgerüst des Romans wird bis auf das Skelett abgenagt. Nur die oft recht banalen Dialoge bleiben übrig. Fast alles, was den Roman lesenswert macht und die Charaktere lebendig werden lässt, nämlich die Reflexionen der Figuren und die kommentierenden Anmerkungen des Erzählers fällt in der Bühnenfassung zum Opfer.
Erst die letzte der drei Stunden von „Zeiten des Aufruhrs“ löst dies besser: die Hektik der Drehbühne weicht größerer Ruhe. Der Abend konzentriert sich stärker auf die Konfrontation der beiden Hauptdarsteller*innen: April und Frank erhalten mehr Konturen, Streitgespräche werden nicht mehr nur behauptet, sondern tatsächlich geführt.
Komplette Kritik: daskulturblog.com/2019/03/01/zeiten-des-aufruhrs-jette-steckel-deutsches-theater-kritik/
Hier, in seinen letzten 30 Minuten, erreicht der Abend endlich Betriebstemeperatur. Es ist eine frösteln machende Kälte, eine seelische Eiszeit, die endlich mehr ist als pure Behauptung, getragen von dem, was Jette Steckel am besten kann: Schauspielertheater. Wie Eggert, Khuon, Lagerpusch und der Rest des Ensembles (eine lobende Erwähnung wie stets an Christoph Franken als berührend lächerlicher Nachbarsgatte) sich diese Figuren erkämpfen, sich ihren Kern erspielen und so doch etwas wie eine Brücke ins Heute andeuten, wie sie in der Leere ihrer Existenz (und der viewlzu großen Bühne) aus- und zueinander driften und steckenbleiben, ist dann doch atemberaubend und hätte eine konsequentere und risikofreudigere Regie verdient. Die sich immerhin einen schönen Seitenhieb auf die Ideologie von Ordnung und Effizienz, die hier ihre Opfer fordert, erlaubt – auf eine Weise, wie sie nur dieser Hort der Anarchie, das Stadttheater, ermöglicht. Da leistet man sich schon mal zwei Kinder, deren einzige Aufgabe es ist, zweimal über die Bühne zu laufen, und 14 Tänzer*innen, die eigens für eine kurze Diskoszene in Stroboskoplicht und Nebel (Aufwand!) auf die Bühne dürfen. Das Theater kann mehr. Auch mehr als an diesem Abend.
Komplette Rezension: stagescreen.wordpress.com/2019/03/01/geeiste-buchstabensuppe/
Der geplatzte Theater-Traum kommt auch in Jette Steckels Inszenierung an prominenter Stelle ganz am Anfang vor. Es hat mich auch gewundert, dass die Nachtkritik nicht darauf einging.
Christoph Franken muss sich ständig den Text vorsagen lassen. Maren Eggert scheint völlig neben sich zu stehen. Alexander Khuon traute sich gar nicht auf die Bühne, sondern versteckte sich im Publikum. Nach wenigen Minuten senkt sich der Vorhang am Deutschen Theater Berlin am Premierenabend von „Zeiten des Aufruhrs“ schon wieder.
Dieser irritierende Auftakt ist von Regisseurin Jette Steckel und ihrer Dramaturgin Annika Steinhoff klug gewählt und eine der überzeugendsten Szenen des Abends. Mit einem völlig verunglückten Theaterabend beginnt auch der Roman, den sie sich vorgenommen haben: Eine Laienspielgruppe, die „Laurel Players“, möchte der amerikanischen Vorstadt-Tristesse etwas kulturelles Leben einhauchen, scheitert aber schon bei der Premiere kläglich. April Wheeler, Hauptdarstellerin des Abends und ehemalige Schauspielstudentin, und ihr Mann Frank leiden sehr darunter.
Die Spielfassung, die sie mit ihrer Dramaturgin Annika Steinhoff aus der Roman-Vorlage entwickelte, greift zu einem interessanten Kniff: die gut ausgebildeten Staatstheater-Schauspieler, die eine Laienschar mimen, dilettieren sich hier nicht wie bei Yates durch das fiktive Stück „Versteinerter Wald“, sondern nehmen das tödliche Ende des Romans vorweg.