Wie Bälger an der Brennpunktschule

von Jens Fischer

Bremen, 28. Februar 2019. In der Kita des Bundestags. Grimmig der Zukunft entgegenblickende Abgeordneten-Kids bereiten ihre Karriere vor, indem sie rücksichtsloses Verhalten einüben und in Kindersprache daheim abgelauschte Polit-Schlagwörter interpretieren. Hocken aber auch auf Bobbycars und erzählen vom Schwimmbad. Alle seien vom Dreimeterbrett gehüpft. Nur ein Mädchen nicht. "Wir haben sie 100 Jahre angefeuert." Geschrien und geschimpft. Bis sie keine Lust mehr hatten und gehen wollten. Dann erst sei das Mädchen gesprungen. Zu spät. Denn das Wasser war längst verdunstet. Keine Fluten, kein Mensch mehr da, der auffängt. "Sie war sowieso langweilig", sagen die Kinder.

Ping-Pong-Dialoge, Kabarett-Pointen, Reime

Mit diesem neugierig machenden Bild definiert Katja Hensel die Fallhöhe ihres Stücks über Angela Merkel, die lebende Ikone des politischen Pragmatismus. Was reizte sie am Aufstieg, was machte sie dort oben so lange und warum wagte sie sich nicht mit hinab ins trubelige Treiben? Fragen von bundesweiter Tragweite, weswegen sich die Auftraggeberin des Werks, Bremens kauzig betuliche bis spaßwillig korrekte Shakespeare Company, mit überregionaler Vorberichterstattung und regional brodelnden Gerüchten konfrontiert sah. Ist "Angela I." eine groteske Demontage, wie sie Lukas Bärfuss dem Vorgänger Helmut Kohl (Der Elefantengeist) sowie Juli Zeh und Charlotte Roos mit Mutti der Merkel spendiert hatten? Eine Ode an die mächtigste Frau Europa? Eine Analyse der bis dato vierzehnjährigen Kanzlerinnenschaft?

Angela I 1 560 Marianne Menke uAlle sind mal Kanzlerin: Theresa Rose, Petra-Janina Schultz © Marianne Menke

Weder noch. Katja Hensel, vor Dekaden einmal im Ensemble der Company aktiv, kennt deren Arbeitsweise und überarbeitete ihr Material in langen Probephasen ständig. Nach Merkels Rückzug vom CDU-Vorsitz wurde das Konzept nochmal grundsätzlich geändert. Das nun uraufgeführte Szenen-Konglomerat wirkt eher vorläufig denn stringent entwickelt. Auch die Ping-Pong-Dialoge, Kabarett-Pointen, Reime, Anspielungen, Shakespeare-Zitate und Formulierungszaubereien scheinen wie für eine Rohfassung zusammengewürfelt.

Stefan Otteni, der schon mit Charles III. eine lebende Person der Zeitgeschichte auf die Company-Bühne brachte, nimmt in seiner Inszenierung diesen Work-in-progress-Charakter nicht auf, bringt vielmehr jede Szene bestechend klar in eine fein ironische Form. Dazu nutzt er beliebte Stadttheatereffekte – alle Darsteller geben mal kurz die Merkel – und Company-Traditionen wie Rollenwechsel auf offener Bühne, Interaktion mit dem Publikum und lustvolles Kommentieren, karrikiert hier, setzt dort fett auf Empathie. Auf einer leeren Bühne, die nur eine Skulptur-Wand schmückt aus Teilen, halb abgerundete Holzbauklötzchen, halb 3-D-Puzzlesteine.

Eier, Pudding, Babybrei

Das Stück spielt in der Zukunft. Merkel ist abgetreten und hat sich im Fundus des Bundestages verkrochen. Später kommt sie leibhaftig ins Rampenlicht. Silke Buchholz hat sich dazu den steifen Gang, die ruckartige Kopfbewegungen, das physisch gewordene Phlegma und die bockig heruntergezogenen Mundwinkel antrainiert. Und wirkt trotzdem neugierig. Diese Merkel will schauen, was sie hinterlassen hat und ihre Nachfolger so treiben. Ein Besuch im Bundestag zeigt, dass die Debattenkultur vollends auf den Hund gekommen ist. Dem Volk auf der Zuschauertribüne sei jedes Kaugummi verboten, "während ihre Vertreter sich benehmen wie Bälger an der Brennpunktschule", berichtet die Stylistin der Ex-Kanzlerin. Sogar der Bundesadler hat inzwischen die Flucht ergriffen. Merkel selbst erfährt, dass ihre einsame Entscheidungskultur weiterhin als autokratisch kritisiert wird.

Angela I 2 560 Marianne Menke uRückzug in die Bauklötzchen-Puzzle-Wand: Markus Seuß, Silke Buchholz © Marianne Menke

Zwischen den Kita- und Merkel-Szenen stehen vier einheitsgraue Politikertypen, ununterscheidbar wie ihre Parteien der Mitte. Die Gefühlswelt ist gespalten: einander gestehen sie fraktionsübergreifende Liebe, die Partei "dieses kranken Oberhetzers samt dämlichem Gefolge" verachten sie hingegen, äußern auch Angst. Bei einer Rede bewerfen deren Anhänger die Politprofis – wie einst Merkel in Dresden – mit Eiern, Pudding, Babybrei. So sehe er halt aus heute, der "lebendige Bürgerdialog". Meinen die einen. Andere fordern, trotzdem weiterzumachen mit der Überzeugungsarbeit, dass Demokratie keine per Steuerzahlung eingekaufte Dienstleistung, sondern ein gemeinsames Projekt aller Beteiligten sei. Aber schon fallen erste, dann immer mehr Puzzlesteine aus der Bühnenskulptur.

Einmal beschimpfen die drei Hexen aus "Macbeth" Merkel: "Unter deiner Ägide ist das Land krepiert / Die Demokratie hast du zu Tode sediert." Warum ist das Vertrauen des Bürgers in seine Repräsentanten gerade in Merkels Legislaturen erschüttert worden? Das Thema durchzieht den Abend. Hensel macht es sich leider allzu leicht, indem sie vor allem Vorurteile der neuen Rechten bedient und die Arroganz der Macht bei der Kanzlerin und den hilflos wirkenden Politikerfiguren betont. Immerhin hat der Lösungsvorschlag Witz: Merkel lässt sich zur Königin von Deutschland krönen. Monarchie ist so knuddelig retro, da müssten die Menschen doch wieder in Liebe zu ihrem Land entflammen. Entsprechend für die Uraufführung zu empfinden, fällt schwer. Dazu irrlichtert sie zu sehr vor sich hin.

 

Angela I.
von Katja Hensel
Uraufführung
Regie: Stefan Otteni, Bühne: Ayşe Özel, Kostüme: Heike Neugebauer.
Mit: Silke Buchholz, Peter Lüchinger, Michael Meyer, Theresa Rose, Markus Seuß und Petra-Janina Schultz.
Premiere am 28. Februar 2019
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause

www.shakespeare-company.com

 

Kritikenrundschau

Hensels Stück wolle nicht nur der verschwundenen Kanzlerin auf der Spur bleiben, so Michael Laages auf Deutschlandfunk Kultur (28.2.2019), die Autorin kreiere auch ziemlich viele Handlungsebenen, um Bilder und Phantasien zu schaffen über das Phänomen namens Merkel. Stefan Otteni habe alle Hände voll zu tun, die verschiedenen Spielebenen miteinander zu verklammern. "So bleibt Hensels Fantasie des Erinnerns vor der Zeit eher unübersichtlich, führt mal hierhin, mal dorthin, aber eher selten mitten hinein in den Kern der Dinge. Der Abend hat viele schöne Momente, aber er flirrt und flimmert und funkelt überhaupt nicht."

Hensels Stück sei "eine engagierte Theaterburleske, ein assoziativer Reigen an Szenen, die von der Entfremdung zwischen Politik und Bürgern erzählen wollen", schreibt David Hugendick auf Zeit Online (1.3.2019). Das "Lernziel" allerdings bleibe in "Angela I." ein wenig unklar, schließlich käme zur verspannten und verkrampften Flottheit des Bühnentextes  der Anspruch, etlichen Gegenwartsdebatten gerecht werden zu wollen. "Dem Ensemble selbst kann man keinen Vorwurf machen, es spielt souverän über die Schwächen des Textes hinweg, der mit seinem exaltiert arrangierten Phrasenschotter – wovon es außerhalb des Theaters wahrlich schon genug gibt auf der Welt – über den Abend ein wenig auseinanderfällt."

"Chance vertan", findet Iris Hetscher im Weser Kurier (2.3.2019). Katja Hensel habe ein beliebig wirkendes Szenen-Konglomerat entworfen. "jongliert mit vielen sprachlichen und inhaltlichen Ebenen, breitet Klischees und Vorurteile aus, ohne sie zu brechen, und lässt nicht erkennen, was das alles eigentlich soll". Regisseur Stefan Otteni habe den Text- und Handlungswust durchaus flott inszeniert, Ayse Gülsüm Özel ein kluges Klötzchen-Bühnenbild dazu entworfen. "Auch die Schauspieler, allen voran Silke Buchholz, sind engagiert bei der Sache. Das ist allerdings vergebliche Liebesmüh, wenn ein Text so belanglos ist wie 'Angela I.' von Katja Hensel."

"Angela I." ist kein Stück über eine Königin geworden, genau genommen ist es nicht einmal ein Stück über Angela Merkel. Dafür trippelt es zu ratlos um seine politische Projektionsfläche herum," schreibt Anton Rainer in der Süddeutschen Zeitung (5.3.2019). Regisseur Stefan Otteni dirigiere "diese assoziativen Einfälle mit leichtem Humor, seine Schauspieler, allen voran Silke Buchholz als Angela Merkel und Theresa Rose als renitente Bundestagspraktikantin, schlagen die kurzweiligen Haken, die der sprunghafte Text vorgibt, gerne mit."

 

 

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