Bambi oder eine Suche - Statt der Uraufführung von Bonn Parks neuem Stück inszenieren Charlotte Sprenger und das Ensemble eine offene Werkschau am Staatstheater Karlsruhe
Menschwerdung der Dinosaurier
von Steffen Becker
Karlsruhe, 1. März 2019. "Also für mich stand der Text irgendwann gar nicht mehr zur Debatte", sagt einer der Schauspieler im Nachgespräch des Abends, der eigentlich die Uraufführung eines neuen Stücks von Bonn Park hätte sein sollen. Regisseurin Charlotte Sprenger fällt ihm rasch ins Wort: "Wir sagen nichts Schlechtes über Bonn Park". Nein, nein, so war das natürlich nicht gemeint. Dem Team am Staatstheater Karlsruhe habe das erste Textfragment des Autors einfach etwas anderes gesagt, als er beschreibt und während der Proben habe man sich dann immer mehr davon entfernt. Auch aus Not, weil die finale Textfassung zum Probenbeginn noch nicht vorlag.
Pay what you want
Als die Endfassung dann eine Woche vor der Premiere eintraf, sei sie in die Proben nicht mehr zu integrieren gewesen, heißt es. Die Schauspieldirektorin Anna Bergmann spult die Fakten ab: Man habe die Aufführungsrechte an Verlag und Autor zurückgegeben, mache heute eine offene Werkschau, Gäste zahlen nach dem Prinzip "pay what you want". Und die Hand des Schauspiels bleibt ausgestreckt: Das Staatstheater Karlsruhe könne sich vorstellen, das Auftragswerk zu einem späteren Zeitpunkt aufzuführen - "wenn es dann final-final ist, also vielleicht in zehn Jahren". So viel Seitenhieb muss sein.
So weit das Drama im Vorfeld dieses Abends. Das auf der Bühne nimmt Bezug auf ein Kindheitstrauma, dass alle Generationen seit 1942 kennen. Die Szene aus dem Disney-Film "Bambi", als der Hirsch-Junge begreifen muss, dass seine Mutter tot ist. Regisseurin Sprenger sagt im Nachgespräch, sie habe vor allem der unausweichliche Bruch interessiert – der Verlust der Mutter und der Prozess, in dem man seine kindliche Unschuld verliert.
Verlust der Unschuld
Dass diese Unschuld, der Zustand, in dem man mit den fiesen Fragen des Mensch-Seins nichts zu tun hat, ein Trugbild ist, dafür findet Bühnenbildner Thomas Garvie einen stimmigen Ausdruck: Zu Beginn ist da nichts als ein Bällebad. Aus dieser "Ursuppe" erheben sich vier Dinosaurier-Kostüme (von Janina Warnk). Zu Musik, die an “Also sprach Zarathustra” bei der Menschwerdung der Schimpansen in Odyssee im Weltraum erinnert.
Die T-Rex beschnuppern sich und das Publikum, haben Sex, animalisches Glück durch Unwissen. Zäsur ist der gemeinsame Anblick der Sterbeszene in Bambi. Die Dino-Hüllen fallen und es zeigen sich Menschen, die nicht wissen, was sie anziehen sollen (es werden am Ende hauptsächlich lila Abendkleider sein). Die Menschen wissen nicht, wer sie sind und ahmen nach – der Bambi-Fernseher scheint eine Fitnesschoreografie zu zeigen, Anna Gesa-Raija Lappe tanzt diese professionell nach, worauf sie sich unbeholfen mit ihren Mitspielern fortpflanzt.
Sprung ins Bällebad
Die Menschen wissen auch nicht, wie sie ihre Umwelt benennen und wahrnehmen sollen – ganz nach dem Vorbild des Stinktiers "Blume" aus Bambi freut sich Meik van Severen über die unverhoffte Zuschreibung. Er kommt aber gleichzeitig nicht mit den Liebesbekundungen seiner Mitspieler zurecht, was in einer Kitzel-Folter durch deren Schattenspiele zum Ausdruck kommt.
Die Menschen wissen zudem keine Antworten auf die im Verlauf des Abends immer größeren Fragen. "Was ist da unten, weiß man da noch was von sich", schreit Lappe ihre Mitspielerin Lisa Schlegel an. Die hat sich im Glitzerkleid und mit Geweih ins dunkle Bällebad geschmissen – weit fröhlicher als Bambis Mutter und zur Liedzeile "Welcome to the final show". Die wütenden Fragen verderben ihr jedoch die Auferstehung und führen nur zu einem pampigen "keine Ahnung".
Dem Darsteller-Quartett Lappe, Schlegel, van Severen und Alexander Küsters merkt man an, dass es im Prozess hin zur offenen Werkschau eine tragende Rolle gespielt hat. Ihr Zusammenspiel zeigt, dass es auch ihr Stück ist. Vertrautheit, Zutrauen, stimmige Chemie und eine Sicherheit (meistens), die sonst nicht zu erwarten ist, wenn keine Zeit mehr für eine Generalprobe war.
Recht auf Körpersprache
Will man jemanden herausheben, müsste es Meik van Severen sein. Vom Willen sich selber zu vernichten, wird er abgehalten durch die Herausforderung Sexualität ("Sag mir, was ist eine Muschi?"). In hohem Maße irritiert wirft er sich feminin und unbeholfen in klassische Männlichkeitsposen – und endet als eine Art Jesus am Kreuz: Er sagt kein Wort, das Thema Körperwelten und Identität erzählt er im wahrsten Sinne des Wortes (und meisterhaft) in Körpersprache.
Will man dem Abend einen Vorwurf machen, dann der, dass seine Selbstbezeichnung Fragment voll und ganz zutrifft. Man verliert sich als Zuschauer leicht in den Assoziationsketten, Songdeutungen, Umschwüngen – vor allem, wenn man "Bambi" zuletzt vor 30 Jahren gesehen hat. Der Rhythmus ist phasenweise unrund. Das Ende etwa – eine Hommage an die Künstler Fischli/Weiss, die während einer der Venedig-Biennalen scheinbar sinnlose Fragen projizierten – gerät deutlich zu lang. Die Darsteller wälzen sich im Bällebad und wollen wissen, ob sie ihrem angenehmen Wesen etwas Fieses beimischen sollen, wie die Vorwahl von Russland lautet, warum die anderen nicht ihre Sprache sprechen und ob "du immer bei mir bleiben wirst". Lustig, zieht sich aber. Der tiefere Sinn liegt darin, dass die Fragen des Lebens zwar alle unbeantwortet bleiben (müssen), die Figuren im Bühnen-Bambi aber Wege suchen, damit umzugehen. Den Äußerungen der Beteiligten nach liegt genau hier der Unterschied der Karlsruher Bilderwelten zum weit weniger hoffnungsvollen Ursprungstext des Autors Bonn Park.
Bambi oder eine Suche
nach Motiven von Felix Salten
Regie: Charlotte Sprenger, Bühne: Thomas Garvie, Kostüme: Janina Warnk, Dramaturgie: Stefanie Frauwallner, Nele Lindemann, Theaterpädagogik: Benedict Kömpf.
Mit: Meik van Severen, Anna Gesa-Raija Lappe, Alexander Küsters, Lisa Schlegel.
Premiere am 1. März 2019
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause
www.staatstheater.karlsruhe.de
Mehr dazu: Sebastian Hartmanns Inszenierung von In Stanniolpapier entfachte im vergangenen Sommer eine Diskussion über Uraufführungen und den Umgang mit zeitgenössischer Dramatik.
"Eine dramaturgisch offene Szenenkollage mit originellen Kostümen und einem gelungenen Bühnenbild" hat Andreas Jüttner gesehen und hätte dem Darstellerinnen-Quartett in den Badischen Neuesten Nachrichten (4.3.2019) "mehr inhaltliche Substanz an die Hand gewünscht, um das Gezeigte erzählerisch zu erden".
"Der Wegbruch des Textes, das gestrige Scheitern der Uraufführung am Staatstheater Karlsruhe ist – man kann es nicht anders sagen – ein hinreissender Glücksfall für die Bühne", jubelt hingegen Eva Marburg auf SWR2 (2.3.2019). "Die erst 28jährige Regisseurin Charlotte Sprenger entfaltet – erzwungener Maßen mit wenig Sprache – einen ebenso witzigen wie klugen Bilderreigen, der entlang an der Figur Bambi –eine Zivilisationsgeschichte des Menschen erzählt." Sprenger, "auf deren weiteren Weg man noch sehr gespannt sein darf", bewege sich dabei sicher durch die Referenzen der Kultur- und Popgeschichte "und bedient vor allem auf beeindruckende Weise die Grundmittel des Theaters: Licht, Atmosphäre, Rhythmus, Klang, Raum, Kostüm und Körper", so Marburg: "Der Abend ist ein äußerst charmantes und intelligentes Spiel mit Formen und Ideen, durch den sich die tollen Schauspieler leichtfüssig bewegen."
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Und wer sich darauf nicht einlassen will -
der wird aus dem Theaterbetriebe ganz schnell ausgestoßen.
Die Bemerkung... "Das Staatstheater Karlsruhe könne sich vorstellen,
das Auftragswerk zu einem späteren Zeitpunkt aufzuführen -
"wenn es dann final-final ist, also vielleicht in zehn Jahren" ...
... deutet in genau diese Richtung. Anders gesagt, mit Bonn Park will
Karlsruhe die nächsten Jahre nix mehr zu tun haben.
Dass sich BONN PARK auf Vorgaben nicht eingelassen hat - ehrt ihn -
denn es geht hier auch um die Freiheit des Autors/der Autorin,
die das meist staatlich geförderte Theatersystem mehr und mehr auszutreiben versucht.