Am Königsweg - Puppenspielmeister Nikolaus Habjan verneigt sich am Landestheater Niederösterreich vor Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek
Elfriede sei mit uns
von Martin Thomas Pesl
St. Pölten, 16. März 2019. Elfriede Jelinek hat oft Tagesaktuelles zu sagen, zeigt sich aber ungern in der Öffentlichkeit. Also ist es seit der Nestroyverleihung 2013 üblich – wird mittlerweile geradezu erwartet –, dass der Puppenspieler Nikolaus Habjan auszieht, ihre Botschaft zu verkünden. Er hatte für Matthias Hartmanns Burg-Inszenierung von Jelineks "Schatten (Eurydike sagt)" eine seiner großäugig furchterregenden Klappmaulpuppen mit Jelinek-Frisur ausgestattet und performte später, die Hand in dieser vergraben, ihren Dank für den Nestroy-Autorenpreis. Habjan, der so das von Nicolas Stemann eingeführte Stilmittel, Jelinek selbst durch eine Schauspielerin auftreten zu lassen, einen Schritt zurück in Richtung Künstlichkeit trug, wurde in Österreich weltberühmt und begann, sich als Regisseur auszuprobieren. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er auch einen Text der Nobelpreisträgerin in Angriff nehmen würde.
Weltpolitik Muppet Show
"Am Königsweg" wirkt schon durch die einleitende Regieanweisung "Überhaupt hätte ich in der Folge gern Figuren aus der Muppet Show" wie für Habjan erdacht. Zur sonst ungreifbaren Autorin scheint ihn auch eine persönliche Nähe zu verbinden, in Ankündigungen der österreichischen Erstaufführung führte das Landestheater Niederösterreich sie gar unter "Kostümmitarbeit". Dieser Hinweis ist wieder verschwunden, dafür wird Jelinek im Programmheft für kostümspezifische Inspiration und ihre Stimme gedankt – sie hat etwas Text für die Aufführung eingelesen. "Von wem will ich da überhaupt sprechen?", fragt sie eingangs vom Band, und auf der Bühne ergänzt ihr Puppenkörper im Kimono, wie das Vorbild selbst gealtert und mit rot gefärbtem Haar: "Darüber muss ich mich mit mir verständigen."
Sprüchesängerin im Kimono: Manuela Linshalm mit der Jelinek-Puppe © Alexi Pelekanos
Die Antwort dieser Inszenierung lautet: von Elfriede Jelinek. Natürlich geht es auch darum, wie die Welt im Zuge der Trump-Präsidentschaft und des Rechtspopulismus mit Blindheit geschlagen ist – König Ödipus ist die mythologische Referenzfigur für den namentlich nie genannten "König" Donald. Doch den in Jelineks Textflächen üblichen selbstreferenziellen Passagen über ihr fortschreitendes Alter, ihre Eltern und ihre Ohnmacht als "Sprüchesängerin" ("Sprücheklopferin!", korrigieren die Muppets quiekend) widmet sich der Regisseur am liebevollsten.
Schnitte mit dem Skalpell
Manuela Linshalm – Habjans Vertreterin im Puppenspiel – spricht und bewegt die Puppe hochkonzentriert und treffend. Die Blindheit bleibt auch ihr nicht erspart, fachmännisch werden ihr mit einem Skalpell die Augen aus dem Gesicht geschnitten. Im Laufe des Abends verdreifacht sich die Figur, Sabrina Ceesay und Bettina Kerl verantworten dann, ebenfalls höchst adäquat, jüngere Versionen der Autorin. Natürlich gibt es auch Trump, ein quengelndes Baby im goldenen Anzug, dem Tilman Rose mit vorgeschobenem Unterkiefer die Stimme leiht. Und eben Kermit, Miss Piggy, die zwei Alten, wie sie alle heißen.
Der schönste Moment kommt aber nach eineinhalb Stunden, wenn die drei Elfrieden ungelenkt und schlaff auf einem Sofa übereinanderliegen wie eine glücklich kuschelnde Familie, während sich hinter ihnen das Bühnenbild vorbeidreht – eine modular versatiles Oval Office – und darüber unverfälscht und uninszeniert die Stimme der echten Elfi erklingt. Das wäre ein friedvoller Schluss für eine überraschend versöhnliche Jelinekiade gewesen, doch folgt noch die am wenigsten überzeugende Stelle: Abraham opfert seinen Sohn Isaak, was das Ensemble in roten Samtkleidern als Schmierenoper darbietet.
Besuch im Oval Office bei König Donald: Das Bühnenbild ersann Jakob Brossmann © Alexi Pelekanos
Sehen lassen kann sich der Abend als abwechslungsreiche Aneinanderreihung einfallsreich gebauter Szenen, unmittelbar inspiriert von den vielen verspielten Worten, die bei Jelinek geschrieben stehen. Um Schauwerte ist man nicht verlegen, immer passiert was, aber nie zu viel, das Ensemble entwirft diverse Choreografien und nuanciert gekonnt – bei einem puppenlastigen Abend keine Selbstverständlichkeit, denn Puppen können keine Mimik.
Über die Gesamtdauer von zwei Stunden ermüdet aber doch die inhaltliche Ziellosigkeit des Unterfangens. Habjans österreichische Erstaufführung von "Am Königsweg" ist im Vergleich zur vierstündigen Horrorparty der Uraufführung durch Falk Richter eher ein Debütant*innenball. Indem er ihn zwar halbiert, aber oft wörtlich nimmt, tut er dem – hier zahnlos wirkenden – Text keinen Gefallen. Eine Hommage an ihre Person braucht Elfriede Jelinek nicht, sie geht ja eh nicht mehr ins Theater. Bei aller Liebe zur Autorin hätte der Regisseur stärker den letzten Satz ihres Stückes beachten sollen: "Bitte seien Sie mir nicht böse und hören Sie lieber nicht auf mich."
Am Königsweg
von Elfriede Jelinek
Regie: Nikolaus Habjan, Bühne: Jakob Brossmann, Kostüme: Cedric Mpaka, Musik: Kyrre Kvam, Video: Johannes Hammel, Puppenbau: Nikolaus Habjan, Marianne Meinl, Fassungsdramaturgie: Amely Joana Haag, Dramaturgie: Ludwig zur Hörst.
Mit: Hanna Binder, Tim Breyvogel, Sabrina Ceesay, Bettina Kerl, Manuela Linshalm, Tilman Rose.
Premiere am 16. März 2019
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.landestheater.net
Das Fazit der Niederösterreichischen Nachrichten, in denen "dl" schreibt (19.3.2019) , lautet: "Wuchtige Groteske, bei der die Worte und die Puppen die Stars sind - sehenswert."
Dass "mit den überpräsenten Puppenfiguren" zwangsläufig eine Verflachung der Thematik einhegeht, ist für Margarete Affenzeller von der Wiener Tageszeitung Der Standard (17.3.2019) ein Hauptproblem dieser Inszenierung. "Die Inszenierung erklärt Jelinek und Trump (und überstrapazierend auch dessen Privatleben) zu Protagonisten, was eine seltsame figürliche Duellsituation ergibt. Sodass die eigentlichen Themen dahinter (also die Bedingungen des Faschismus), obwohl sie ausgesprochen werden, szenisch verdrängt werden. Habjan bleibt da zu sehr in einer Oval-Office-Muppet Show hängen, die zwar blutrünstig abläuft, aber die einen falschen Fokus ergibt."
"Der Puppenspaß pustet Ahnungen von Faschismus und Apokalypse hinweg", schreibt Hans Haider in der Wiener Zeitung (18.3.2019) über die Inszenierung von Jelineks "Präsidentenpopanz". Manuela Linshalm mit ihrer 'Jelinek' am Arm sei stark. "Verblüffend die virtuosen Animationen durch die Neulinge in der Hand-und-Stimme-Kunst Hanna Binder, Tim Breyvogel, Bettina Kerl, Tilman Rose und Sabrina Ceesay. Als Chor in schwarzen und roten Overalls - Musik: Kyrre Kvam - und in Ku-Klux-Klan-Verhüllung fallen sie auf Stadttheater-Niveau zurück." Das Publikum gehe so klug nach Hause wie es gekommen sei.
"Man sieht, Elfriede Jelinek hat sich bei ihrer neuesten Politikfarce viel überlegt, auch Psychologisches. Habjan hat das Gebilde grell und krass ausgemalt, doch fehlt ihm Jelineks Humor", schreibt Barbara Petsch von der Presse (17.3.2019). Die Jelinek-Puppen seien "das Großartigste an dieser Aufführung". Jelineks Texte dagegen "scheinen endgültig dem Bildertheater überantwortet zu sein. Früher gab es noch manchmal strenge Wortopern. Heute wird illustriert, überillustriert." Die Stücke bekämen so etwas Karnevaleskes. "Immerhin, Habjan ist ein Meister seines Handwerks, wie er Jelineks Wortkunst in ein Grand-Guignol-Spiel verwandelt hat, das ist teilweise atemberaubend." Das Landestheater zeige mit dieser österreichischen Erstaufführung Flagge. "Intendantin Marie Rötzer hat sich etwas getraut."
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www.sn.at/kultur/allgemein/jelineks-am-koenigsweg-in-st-poelten-67384324
www.pressreader.com/
www.news.at/a/elfriede-jelinek-feinripp-10695304
Das ist giftig und niveaulos. Man sollte lieber froh sein, dass es so einen politischen Künstler gibt, der sich offen zur politischen Situation in Österreich bekennt.
(...)
danke für Ihren Kommentar, Sie sprechen mir aus der Seele.
Ein derart niveauloser persönlicher Angriff gegen einen Künstler hat in einer seriöse Kritiken nichts verloren und ist letztlich nichts anderes als ein Armutszeugnis für den Rezensenten und das Medium, das ihn beschäftigt. Traurig.
(Sehr geehrte Marie Goldegger, ich muss als Redakteur, der diesen Text betreut hat, doch mal vorsichtig fragen: Halten Sie die in der besagten feuilletonistisch zugespitzten Wendung enthaltene Einschätzung, dass Nikolaus Habjan in Österreich einen phänomenalen Ruf genießt, während er in der Schweiz und in Deutschland doch wohl erst noch so richtig zu entdecken wäre, für dermaßen verkehrt, dass Sie damit den Autor und das Medium Nachtkritik für völlig diskreditiert halten? Mit freundlichen Grüßen, Christian Rakow / Redaktion)
Hier ein Link zur New York Times. Die waren ganz begeistert
www.nytimes.com/2019/04/25/theater/elfriede-jelinek-am-koenigsweg.html
Bin gespannt, ob dieser Kommentar auch wieder zensiert wird.
(Liebe Frau Altmayer, unserer Auswahl der in der Kritikenrundschau aufgeführten Medien liegen gewisse Kriterien zu Grunde: zitiert werden relevante regionale und überregionale Medien, jedoch keine Nachrichtenagenturen oder internationale Tageszeitungen. Aber selbstverständlich können Sie den Link zum Artikel in der New York Times hier gerne selber posten. Freundliche Grüsse aus der Redaktion, Esther Slevogt)