Ich bin die Bewegung!

von Annemarie Bierstedt

Greifswald, 16. März 2019. Verstörend, wenn die Fassade brökelt. Leere dort, wo nichts mehr zum Festhalten bleibt. Stefan Heyne leistet mit seinem Bühnenbild der Regieanweisung von Lars Werners "Weißer Raum" wortwörtlich Folge. Alles ist weiß. Ein weißes Chaos. Eine archäologische Müllhalde. Weiße Stühle stapeln sich auf weißen Tischen zwischen weißen Schränken. Vor einer weißen Badewanne ruht ein weißer Autoreifen. Daneben ein weißer Weihnachtsbaum.

Bunte Schlaglichter

Die Farbe weiß symbolisiert das Nichts und damit Unverbindlichkeit und Unsicherheit. Sie wird aber auch anders assoziiert. Von rechts wird gefordert, dass alles "Multikulti", alles Fremde sich assimilieren, gefälligst verschwinden, weiß werden soll. In der Kunstwelt dient weiß als bevorzugtes Display, das das Dargestellte erhöht, um es genauestens auf seine Details zu durchleuchten.

In seinem 2018 mit dem Kleist-Förderpreis ausgezeichneten Stück schuf Werner ein fein nuanciertes Abbild der aktuellen Kontroversen um den Rechtspopulismus: Wie konnte es dazu kommen, dass rechtsextreme Ideen wieder salonfähig werden? Dass eine rechtspopulistische Organisation wie PEGIDA Tausende zu Protesten mobilisiert? Dass eine Partei wie die Alternative für Deutschland (AFD) in Landtage und Bundestag einzieht?

WeisserRaum1 560 Vincent Leifer u Alles weiß. Und dazwischen schwarz-rot-golden im Bühnenbild am Theater Vorpommern © Vincent Leifer
Oberspielleiter Reinhard Göber inszeniert "Weißer Raum" nun für das Theater Vorpommern. Sich des Risikos bewusst, dass Theaterbesucher im äußerten Nordosten Deutschlands eher Musicals und Klassiker wie "Rocky Horror Show" und "Faust" bevorzugen, reservierte er sogar das Große Haus in Greifswald dafür. Leider war das Stück zur Premiere keineswegs ausverkauft. Dies völlig zu Unrecht, denn die zweite Inszenierung des "Weißen Raumes" nach der Uraufführung im Sommer 2018 bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen fesselt und wirbelt auf.

Misstrauen gegen den Helden

Im Zentrum steht der Gleiswärter Uli aus Lampertswalde bei Dresden, der die Journalistin Marie vor einer Vergewaltigung rettet, indem er den nordafrikanischen Täter totschlägt. Von Vielen als Held gefeiert, traut Marie seinem Rettungsmotiv nicht. Sie recherchiert, knapst an ihrem Opfer-Stigma und versucht Uli für einen Artikel über Rechtsextremismus zu benutzen, um ihre Journalistenkarriere voranzutreiben. Ulis Sohn Patrick, der wegen eines Angriffs auf einen Araber im Knast sitzt, versucht derweil seine rechtsradikale "Bewegung" voranzubringen.

WeisserRaum2 560 Vincent Leifer u Saskia von Winterfeld als Lotte und Mario Gremlich als Gleiswärter Uli © Vincent Leifer

Vor dem Zuschauer entspannt sich ein Psychogramm unterschiedlicher, sich ineinander verstrickender Ambivalenzen. Ein Haufen schuldiger Unschuldiger. Dabei gelingt es Werner, sich jeder Bewertung zu enthalten. Frei nach dem Motto, die Wirklichkeit ist ein Vexierspiel, hat er seine Beobachtungen aufgezeichnet. Denn nach eigener Aussage hat der 1988 in Dresden Geborene als aktives Mitglied der linken Szene in einer sächsischen Kleinstadt einiges miterlebt und in dem Stück verarbeitet.

Göber schafft es, diese nicht wertende Haltung (fast) während der gesamten Spielzeit von gut eineinhalb Stunden beizubehalten. Wie geplant, fungiert die Bühne als Plattform, auf der sich die verschiedenen Positionen gegeneinander ausspielen. Wie authentisch, ja fast leidenschaftlich die acht Schauspieler die unterschiedlichen Figuren verkörpern! Ob dies auch daran liegen könnte, dass das Stück im Osten spielt und im Osten aufgeführt wird, bleibt dahingestellt. Mario Gremlich nimmt man die Figur des anständigen, doch nur für Recht und Ordnung in "unserem Deutschland sich sorgenden" Gleiswärters Uli ab, ohne dass dies klischeemäßig oder überheblich wirkt.

Politischer Diskurs

Tobias Bode spielt authentisch den cholerisch-aggressiven Provinz-Nazi, der mit rassistischen Schlagworten wie "Schoki" oder "Bimbo" um sich wirft. Er warnt vor Überfremdung in Form von Werbeplakaten auf arabisch und brüllt: "Ich bin die Bewegung!" Vor allem auch Maria Steurich begeistert als linksliberale Journalistin Marie. Treffend wechselt sie zwischen ihrer professionellen Journalistenidentität und der puren Verzweiflung angesichts der Instrumentalisierungen im politischen Diskurs. "Warum schreiben wir nicht, dass es ein rechtes Problem gibt, dass rechts nicht mehr nur der Rand, sondern längst die Mitte ist?"

Der Oberspielleiter übernimmt Werners klare Sprache und die präzisen Dialoge. Bis auf die letzte Szene. Die streicht er und lässt das Ende offen. Schade, vielleicht wäre dann noch deutlicher geworden, dass die Arbeit gegen rechts tagtäglich erfolgen muss – frei nach dem Motto "Ich bin die Bewegung."

Weißer Raum
von Lars Werner
Regie: Reinhard Göber, Bühne und Kostüme: Stefan Heyne a.G., Dramaturgie: Oliver Lisewski, Regieassistenz: Oliver Scheer, Inspizienz: Jürgen Meier.
Mit: Mario Gremlich, Saskia von Winterfeld, Tobias Bode, Maria Steurich, Stefan Hufschmidt, Markus Voigt, Susanne Kreckel, Mike Hermann Rader.
Premiere am 16. März 2019
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.theater-vorpommern.de

 

Kritikenrundschau

"Eigentlich ein spannendes Thema," schreibt Reinhard Amler in der Ostsee-Zeitung (18.3.2019). Trotzdem war das Interesse an der Premiere seiner Beobachtung zufolge eher mäßig und das Große Haus zur Hälfte leer. Statt eigener Positionen gibt der Kritiker Reaktionen des Publikums wieder (aus einem anschließenden Publikumsgespräch?). Hier werden tendenziell zwar die Schauspieler gelobt, die Inszenierung insgesamt wird aber als überfrachtet beurteilt. Das weiße Bühnenbild schließlich kommt ganz schlecht.

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