Opernball - Alexander Charim inszeniert den Roman von Josef Haslinger am Volkstheater Wien
Schlecht war's auch früher schon!
von Leopold Lippert
Wien, 17. März 2019. Zwar geben die rechtsextremen Terroranschläge in Christchurch vom vergangenen Freitag dem Theaterabend eine gar unheimliche Aktualität. Doch ansonsten ist Alexander Charims Inszenierung von "Opernball", nach Josef Haslingers Erfolgsroman der neunziger Jahre über ein rechtsterroristisches Giftgasattentat auf den Wiener Opernball, irgendwie aus der Zeit gefallen. In der Volkstheater-Außenstelle "Volx/Margareten" versucht man erst gar nicht, diskursive Brücken ins Heute zu schlagen.
Zum Teil ist das Absicht, retro eben: Da stehen Röhrenfernseher in unterschiedlichen Größen über die kleine, improvisiert wirkende Bühne verteilt, auf denen die nicht ganz so farbechten Live-Bilder einer kleinen Handkamera flimmern. Der Telefonhörer hängt noch am Kabel, und die Nachrichten kommen vom Anrufbeantworter. Die "Giftler" sind noch nicht aus der Karlsplatz-Passage verdrängt, und am Yppenplatz hat noch nie jemand etwas von Bobos oder Gentrifizierung gehört. Und Medienkritik heißt bloß Kritik an Privatsendern, die den Anstand der Quote opfern: kein Facebook, keine Smartphone-Zeugenvideos, keine YouTube-Stars.
Gebrüll, Gewalt
Zum Teil ist das aber auch bloß dem sensationsheischenden Abbildungsrealismus geschuldet, den Charims Inszenierung einfach nicht ablegen will. Mit sichtbarer Lust an Gewaltszenen und Schockeffekten arbeitet sich der Abend Schritt für Schritt durch die Entstehung einer faschistischen Terrorzelle: Der "Geringste" (Sebastian Klein) versammelt eine unheilvolle Mischung aus Arbeiterklasse (Stefan Suske im Blaumann), dumpfem Landei (Thomas Frank im Cowboy-Rauhleder) und völkischer Intelligenz (Bernhard Dechant im schicken Lodenjanker) um sich, und heizt sie mit religiös verbrämter und ziemlich redundanter Nazirhetorik auf. Er sagt Sätze wie "Große Ideen verlangen ihren Blutzoll, sonst gehen sie unter!" und ruft salbungsvoll zu Treueschwüren auf. Die Männer brüllen gerne mal drauflos (zuweilen auch chorisch), erzählen detailverliebt von Gruppenvergewaltigungen, "Türkenklatschen" und Brandstiftung, und erklären in derbem Arbeiterwienerisch, dass sie "Oslända" eben einfach wirklich nicht mögen. Es werden Finger abgeschnitten, Haut blutig geritzt, und jede Menge Prügel ausgeteilt.
Stefan Suske, Sebastian Klein, Bernhard Dechant, Lukas Watzl, Thomas Frank © Barbara Palffy/Volkstheater
Zwischendurch erzählt der britische Fernsehjournalist Kurt Fraser (Rainer Galke), dessen Vater Kurt Feuerbach 1938 aus Österreich nach London emigrieren musste, mit belegter Stimme von Fotos aus dem KZ Bergen-Belsen, und davon, wie er sich als Jugendlicher an der Nacktheit der Leichen aufgegeilt hat. Ach ja, und einen heroinsüchtigen Sohn hat er auch noch, den er erst resozialisiert, um ihn dann als Kameraassistenten beim Opernball-Attentat zu verlieren. Dass die Wiener Polizei angeblich von den Planungen wusste, erfährt er nach und nach bei der Recherche, die zugleich auch Trauerarbeit ist.
Rainer Galke, Thomas Frank, Lukas Watzl © Barbara Palffy/Volkstheater
Haslingers Romanhandlung ist völlig over-the-top, wie ein zu gut gemeinter "Tatort", den Charim aber in vollster handwerklicher Ernsthaftigkeit als großes Spektakel auf der kleinen Bühne inszeniert – mit flotten Kostümwechseln vom schwarzen Anzug bis zur blonden Perücke, Live-Videos, einer von Hand betriebenen Drehbühne und der obligatorischen Nebelmaschine. Doch über die schockierende Beschreibung und Darstellung von Gewalt und Mord geht der Abend nicht hinaus: keine Metaebene, und vor allem keine Form der politischen Diskursivierung oder Psychologisierung.
"Opernball" ist ein Stück über Männer, Täter, und Rechtsextremismus, das erstaunlich wenig über toxische Männlichkeit, Täterpsychologie und institutionalisierte rechtsextreme Machtpraktiken zu sagen hat. Auf welche Weise "Opernball" in der politischen Gegenwart angekommen ist, bleibt nach diesem Abend offen. Stattdessen: Blut, Schweiß, Tränen – und ein bisschen Verschwörungstheorie.
Opernball
Nach dem Roman von Josef Haslinger
Regie: Alexander Charim, Bühne und Kostüme: Ivan Bazak, Dramaturgie: Heike Müller-Merten, Regieassistenz: Lisa Anetsmann, Regiehospitanz: Sara-Maria Hemmerling.
Mit: Bernhard Dechant, Thomas Frank, Rainer Galke, Sebastian Klein, Sefan Suske, Lukas Watzl.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.volkstheater.at
Kritikenrundschau
"Darin liegt das Problem des dank kurzer und rasch wechselnder Szenen dichten Abends: er bleibt bloß eine Inszenierung von Haslingers Roman", heißt es im Standard (18.3.2019). "Den Stoff auf die Bühne zu bringen, als hätte sich in den vergangenen 20 Jahren realpolitisch nichts getan, schmeckt schal. Aufsehenerregende Opernballdemonstrationen sind passé. Regie und Dramaturgie haben es sich damit zu einfach gemacht."
Am engagierten Ensemble liege es nicht, dass Alexander Charims Inszenierung nicht zu packen vermöge, schreibt Christina Böck von der Wiener Zeitung (18.3.2019). "Die Idee, die Geschehnisse als (TV-)Dokumentation zu rekapitulieren, wird nur inkonsistent durchgeführt. Vieles, das durch theatralisches Spiel hätte vermittelt werden können, wird nur rezitiert, deklamiert und nacherzählt." Es sei leider kein nachhaltig wirkender Theaterabend.
Schön, dass Sie diesen Text gelesen haben
Unsere Kritiken sind für alle kostenlos. Aber Theaterkritik kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit Ihrem Beitrag, damit wir weiter für Sie schreiben können.
mehr nachtkritiken
meldungen >
- 01. April 2023 Berliner Theatertreffen findet 2023 nur digital statt (Aprilscherz)
- 31. März 2023 Marburg: Intendantinnen verlängern bis 2028
- 31. März 2023 Brandenburg erhöht Förderung der Freien Darstellenden Künste
- 31. März 2023 Jenny Schlenzka wird Direktorin am Gropius Bau Berlin
- 30. März 2023 Neues Leitungsteam für die Gessnerallee Zürich
- 30. März 2023 Bamberg: Intendantin Sibylle Broll-Pape wird nicht verlängert
- 29. März 2023 Die Auswahl für das 10. Schweizer Theatertreffen
neueste kommentare >