Von Rollstühlen, Igeln und einem brennenden Schwert

von Andrea Heinz

Wien, 22. März 2019. Sollte sich jemals ein außerirdisches Wesen für die Menschheit interessieren, es würde von ihr dieses vernehmen: "Hello from the children of planet earth." Das ist nicht nur deshalb rührend, weil da eine Spezies, die sich durch Mord, Rücksichtslosigkeit und Zerstörung hervorgetan hat, so tut, als könne sie kein Wässerchen trüben. Sondern auch durch den unerschütterlichen Glauben, mit dem sie daran festhält, dass es für ihre Botschaften immer einen Empfänger geben wird. (Der deutsche Text ist übrigens: "Herzliche Grüße an alle.") Auch in Jan Bosses Inszenierung von Wolfram Lotz’ "In Ewigkeit Ameisen" ist die Nachricht der unschuldigen Erdenkinder immer wieder zu vernehmen. Schließlich geht es in den Hörspielen "In Ewigkeit Ameisen" und "Das Ende von Iflingen", die im Akademietheater in der schlüssigen Fassung von Bosse, Gabriella Bußacker und dem Ensemble zur gemeinsamen Uraufführung kommen, genau darum: Was wird von der Spezies Mensch bleiben? Und: Wen, außer sie selbst, interessiert das eigentlich?

In Ewigkeit Ameisen 3 560 Reinhard WernerBurgtheater uEngel mit Aktenordner und dem Auftrag Massenmord: Peter Knaack und Katharina Lorenz  ©  Reinhard Werner

In "Das Ende von Iflingen" kommen Erzengel Michael und Engel Ludwig am Jüngsten Tag auf die Erde, um die Menschheit zu richten. Die Akte mit dem göttlichen Plan haben sie im Leitz-Ordner dabei. Der Zweck heiligt die Mittel, organisierter (Massen-)Mord in Gottes oder wessen Namen auch immer, man kennt das ja alles von den children vom planet earth. Alternierend zu Szenen vom (letztlich nicht ganz nach Plan verlaufenden) Jüngsten Tag in Iflingen erzählt "In Ewigkeit Ameisen" vom Ameisenforscher Professor Schneling-Göbelitz, der sich im Rollstuhl von seinem Assistenten Müller durch den Dschungel karren lässt, auf der Suche nach der bislang unentdeckten blauen Ameise. Das erinnert ein wenig an die Regenwälder in Lotz’ Hörspiel "Die lächerliche Finsternis", das 2014 ebenfalls am Akademietheater von Dušan David Pařízek in einer stilbildenden und zu Recht hoch gelobten Uraufführung auf die Bühne gebracht wurde. War dort Krieg, bricht hier der Atomkrieg aus. Noch maximal ein Tag, mutmaßt das Radio, dann ist es vorbei.

Jagd auf die blaue Ameise

Die Bühne (Stéphane Laimé) sieht tatsächlich ein bisschen nach Atomkrieg aus – oder vielleicht auch nach Gummizelle. Graue Schaumstoff-Fließen kacheln die Wände, bis auf eine gläserne Telefonzelle, die zwischendurch aus der Versenkung auftaucht, ist die Bühne leer. Hier schweben Christiane von Poelnitz und Katharina Lorenz als Engel von der Decke, der Erzengel mit schwarzen Flügeln und einem imposanten Langschwert (das später tatsächlich brennen wird), Assistent Ludwig mit weißen Flügeln und Posaune. Ein zynischer Routinier, der stur und deutsch seine Regeln befolgt, und der zarte, anhängliche Nachwuchs mit dem Herz am rechten Fleck – man kennt diese Paarung aus der "Lächerlichen Finsternis". Ähnlich gelagert ist das auch bei Professor Schneling-Göbelitz und seinem HiWi Müller, die zu Beginn von Peter Knaack und Klaus Brömmelmeier gespielt werden. Während Müller sich nach seiner Annemarie sehnt, benimmt sich der Professor, dessen Namen natürlich nicht zufällig an Goebbels erinnert, wie kurz vor dem Endsieg. Er will unbedingt die blaue Ameise entdecken, um vor der radioaktiven Verseuchung noch schnell unsterblich zu werden.

In Ewigkeit Ameisen 2 560 Reinhard WernerBurgtheater uAmeisen mit Katharina Lorenz und Christiane von Poelnitz  © Reinhard Werner

Die vier Schauspieler*innen wechseln ihre Rollen durch, tauschen auf der Bühne Flügel, Schwerter, Posaunen und Rollstühle. Bosse hat für vieles gute Bilder und Lösungen gefunden: Den Professor und seinen ihn bis zur Erschöpfung schiebenden Assistenten stellt er auf ein Laufband. Das Radio wie auch die Tiere, die in den Texten vorkommen, Igel, Mauersegler und Schwein, spielt allesamt Aenne Schwarz. Ob sie sich als Igel darüber empört, dass man ihr Im-Laub-Wühlen hinterfragt, als melancholischer Mauersegler dazu aufruft, dieses Ding Welt wegzuräumen, damit das ganze Elend endlich ein Ende hat oder als "Sweinchen" darum bittet, sie zu schlachten, sie ist eines der Highlights an diesem Abend. Die anderen Schauspieler*innen bekommen nur bedingt die Gelegenheit zu glänzen: Man schaut ihnen gern zu, aber ihre Figuren geraten durch den ständigen Rollentausch etwas beliebig, beinah schablonenhaft (was vermutlich intendiert ist, weil der Mensch ja letztlich in seinem eitlen Streben angesichts der Gleichgültigkeit des Universums immer gleich lächerlich bleibt).

Es gibt schöne Bilder an diesem Abend, etwa, wenn Professor und Assistent mit ihrem Rollstuhl auf der Bühne herumirren. Absurdes Theater in Zeiten von Klimawandel und neuem Wettrüsten. Lotz’ großartiger Text trägt den Abend, doch der Regisseur findet keine zwingende, stringente Bühnensprache für ihn, die Aufführung hat immer wieder Längen. Das liegt auch daran, dass Bosse manches zu deutlich ausspielen lässt – allen voran das im Hörspiel nur angedeutete Ende von "In Ewigkeit Ameisen". Auf der Bühne wird Schneling-Göbelitz zu Techno-Beats von riesigen blauen Ameisen empfangen. Das wirkt wie ein großes Missverständnis, geht es in Lotz’ Texten doch gerade auch um das Spiel mit der Vorstellungskraft. Die  Fantasie ist schließlich auch etwas, das die Kinder vom Planeten Erde auszeichnet. Im Guten wie im Schlechten. Herzliche Grüße an alle.

 

In Ewigkeit Ameisen
von Wolfram Lotz. Fassung von Jan Bosse und Gabriella Bußacker mit dem Ensemble
Regie: Jan Bosse, Bühne: Stéphane Laimé, Kostüme: Kathrin Plath, Licht: Michael Hofer, Musik: Arno Kraehahn, Dramaturgie: Gabriella Bußacker.
Mit: Klaus Brömmelmeier, Peter Knaack, Katharina Lorenz, Christiane von Poelnitz, Aenne Schwarz.
Premiere am 22. März 2019
Dauer:  1 Stunde und 45 Minuten, keine Pause

www.burgtheater.at

Kritikenrundschau

"Zweimal konfrontiert Wolfram Lotz sein kurioses Personal mit dem Untergang und gewinnt aus der Endzeitstimmung seine drollige, kindlich märchenhafte Katastrophenkomik", schreibt Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (28.3.2019) Der Regisseur Jan Bosse hat nun gemeinsam mit der Dramaturgin Gabriella Bußacker die beiden zehn Jahre alten Hörspiele miteinander verzahnt, doch "über eine skurrile Petitesse kommt der Abend, in dem die genannten Schauspieler unnötigerweise ständig die Rollen und Attribute wechseln, nicht hinaus". Man merke ihm auch seine Abkunft vom Hörspiel noch an. Fazit: "Dem höheren Unsinn einen Schrecken abzugewinnen, gelingt leider nicht. Dafür bleibt der Abend zu possierlich. Ins furios Groteske hebt er auch nicht ab. Dazu fehlt es allein schon an Tempo."

Bizarr und hintersinnig humorvoll seien die Hörspiele, so Günter Kaindlstorfer vom Deutschlandfunk (23.3.2019). Jan Bosse verarbeite sie zu einem sagenhaft witzigen Theaterabend. "Zentrales Thema der Produktion: die Kleinkariertheit, Dummheit, Eitelkeit und Autoritätshörigkeit der menschlichen Spezies, die es einfach nicht schafft, diesen Planeten auf Dauer bewohnbar zu halten." Maßgeblich mitverantwortlich für den Erfolg des Abends seien "die fünf phantastischen Schauspieler".

Die kunstvoll verwobenen Hörspiele behandelten den "zirka vorletzten" Tag der Menschheit. "Dieser bietet die allerletzte Gelegenheit, über unser (als postkoloniale Bescheidwisser) noch einmal herzlich-ironisch zu witzeln. Das ist, ganz im Gegensatz zu Lotzens letztem Geniestreich mit Titel 'Die lächerliche Finsternis', genau eine halbe Stunde lang witzig. Und dann nurmehr noch einschläfernd langweilig", schreibt ein genervter Ronald Pohl im Standard (23.3.2019). "Uraufführungsregisseur Jan Bosse hat sich von der tückischen Heiterkeit des Textes allzu bereitwillig anstecken lassen."

Bei der Lektüre und beim Hören möge der Text funktionieren, aber auf der Bühne sei es ein Desaster. "Die beste Eingebung hatte Bosse noch, als er die beiden Texte, nach Szenen aufgeteilt, miteinander verwob. Völlig ohne Sinn jedoch bleiben die Rollenwechsel", schreibt Martin Lhotzky in der FAZ (25.3.2019), der den Abend für eine Schnapsidee hält. "Außer Spesen nichts gewesen."

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