Smombies taugen nicht zur Revolution

von Kornelius Friz

Plauen, 23. März 2019. Der Schlachthof erinnert an das Logo von Windows 95. Vier bunte Container stapeln sich auf der Plauener Bühne: grün, blau, rot und gelb. Sie liegen da wie Bausteine von Tetris übereinander, lückenlos gefallen bis auf den Grund oder bis es eben nicht mehr tiefer geht. Auch Johanna Dark wird fallen im Laufe dieses Schauspiels, doch ihr Abgang wird kein bisschen spielerisch.

In den oberen Containern sitzen die Fleischfabrikanten vor einer bunt blinkenden Armatur und versuchen an vergilbten Tastaturen, ihre Büchsen und ihr Vieh zu verschachern, so teuer, so schnell, so viel wie nur möglich. Doch Mauler sitzt am längeren Hebel, nebenan in seinem Rotlichtcontainer, wo er sich seines mit Fast-Food-Burgern gefüllten Kühlschranks erfreut, ebenso wie seiner hörigen Maklerin und den lukrativen Fleischbörsen-Insidertipps. An diesen scheinheiligen Geiern arbeitet sich Johanna von den Schwarzen Strohhüten ab. Die Schwarzen Strohhüte nennen sich selbst die Soldaten Gottes und stramm kommen sie auch hier daher, wobei ihr Strohhut zu einem dunkelblauen Plastikteller mit Nupsi (Kostüme: Thurid Goertz) verkommen ist.

Johanna 2 560 SermonFortapelsson uSoziale Verhältnisse als Stapelsystem © Sermon Fortapelsson

Roland May, Generalintendant des Theater Plauen-Zwickau, setzt um, was sich die Schlachthof-Kommunisten gewünscht hätten, und besorgt bei dieser Produktion nicht nur die Regie, sondern gibt in einem Video auch den einfachen Arbeiter, eine der kleinsten Nebenrolle des Abends. Zehn Darsteller*innen schart er um Brechts Version der Jeanne d'Arc, die Anna Striesow als tugendhaft melancholisches Mädchen gut auszufüllen weiß. In den unteren Containern sitzen die, um die es der gutherzigen Johanna geht: die armen Leute, die nicht nur kein Essen haben, sondern noch dazu keinen Gott. Indem sie ihnen aus der blaustichigen Kapelle mit der klapprigen Klimaanlage eine Kelle wässriger Suppe bringt, bringt sie ihnen auch das Wort ihres Herren, das wegen der leeren Mägen jedoch auf taube Ohren und vor Kälte taube Hände stößt.

Auf die Wände der Container werden Videos projiziert, die dem Stapelspieleklassiker aus den Achtzigerjahren treu bleiben. Ob Skylines, ratternde Börsenzahlen oder das ölverschmierte Proletariat: Alles sieht aus wie im 20. Jahrhundert, doch nicht nach dem gebeutelten Chicago der Zwanziger- oder Dreißigerjahre, in denen Brechts Stück entstanden ist, sondern nach dem Anfang des letzten Aufbäumens des Turbokapitalismus vor drei Jahrzehnten (das bis heute andauert?) und nach technologischen Anachronismen. So schauen die Figuren ständig in ihre Handys, klapp, klapp, machen sie auf, knipsen ein Foto von den hungernden Arbeitslosen, filmen den Ausraster einer unbestechlichen Protagonistin und, klapp, klapp, scheinen dabei manchmal gar nicht richtig da zu sein.

Johanna 1 560 SermonFortapelsson uHelfen will sie, aber wie hilft man richtig? © Sermon Fortapelsson

Diese Aufmachung stellt eine bizarre Spannung her, zumal zu Brechts Text, der in Plauen reichlich angestaubt klingt, punktuelle Bezüge ins nicht mehr ganz so neue Jahrtausend probiert werden: "Die haben ja alle ein Handy", schüttelt eine Heilsarmeesoldatin den Kopf als es in der Jogginghose eines Bedürftigen klingelt. Das Lachen der Ertappten bleibt dem Publikum im Halse stecken, wenn Johanna sich in ihrem Scheitern mit Greta Thunberg gemein macht, die kurzerhand zwischen lauter malochenden Männern eingeblendet wird. Denn hier wird Brechts Kritik einer fehlgeleiteten, weil oktroyierten Hilfe des Kleinbürgertums in ihr Gegenteil verkehrt: Auch wenn es dem Lehrmeister des Epischen in diesem Stück gewiss nicht um Moral ging, würde er das gegenwärtige Engagement gegen die Machenschaften der Mächtigen mit den lebensnotwendigen Ressourcen der Übrigen nicht als heillos naiv abtun.

Die unbestechliche Johanna

Roland Mays Johanna, bald schon aus der Uniform entlassen und eine unter 50.000 Armen, wirkt in ihrem aussichtslosen Kampf erfreulich vielschichtig. Während das Ensemble seine Texte oftmals mit illustrierenden Gesten unglaubwürdig macht und die mitgeschleiften Plastiktüten diverser Discounter die Inszenierung von prekärem Leben plakativer zeigen als nötig, kommt Anna Striesows zurückhaltende Spielweise stets auf den Punkt, nicht nur, wenn sie zugleich erschrocken und unerschrocken ins Publikum blickt, um das nächste Unheil über sich und ihre vermeintlichen Schutzbefohlenen ergehen zu lassen. Doch was auch passiert, bestechen lässt sie sich nicht, auch nicht vom zugänglichen, lüsternen Fleischkönig Mauler (als einziger Gast: Theo Plakoudakis), der das Schicksal der strohhütigen Heilsarmee in der Hand hat.

Auch wegen dieser Sturheit Johannas lässt sich früh erahnen, wohin die Spekulationen führen, da hilft auch die zynische Heiligsprechung nicht weiter. Sofern sie noch nicht in den Fleischwolf gefallen sind und als Büchsenspeck um die Welt gehen, fallen die ehemaligen Fleischereiarbeiter und ihre Johanna immer weiter und weiter, ganz wie die bunten Tetris-Steine.

 

Die heilige Johanna der Schlachthöfe
von Bertolt Brecht
Regie: Roland May, Bühne: Oliver Kostecka, Kostüme: Thurid Goertz, Musik: Chris Weinheimer, Choreografie: Jens Weber, Dramaturgie & Video: Maxi Ratzkowski
Mit: Anna Striesow, Theo Plakoudakis, Daniel Koch, Leonard Lange, Else Hennig, Julia Hel, Marcel Kaiser, Michael Schramm, Björn-Ole Blunck, Ute Menzel, Peter Princz; im Video: Nadine Aßmann, Roland May, Marvin Schaarschmidt, Robert Schwinger.
Premiere am 23. März 2019
Dauer: 2 Stunden und 45 Minuten, eine Pause

www.theater-plauen-zwickau.de

 

Unser Autor musste die Vorstellung wegen der Bahnverbindung kurz vor Ende verlassen.

Kritikenrundschau

Mit heller, trompetenhafter Stimme und mitreißender Ausstrahlung gehe Anna Striesows Johanna auf den Kreuzzug durch die Schlachthöfe. Theo Pladoudakis stelle sich ihr als Fleischkönig mit Geschmeidigkeit und Spielfreude entgegen, schreibt Lutz Kirchner in der Freien Presse (26.3.2019). "Julia Hell verkörperte ihre verelendete Witze Luckerniddle bis in die Feinheiten der Körpersprache und des aktuellen Slangs hinein verblüffend authentisch." In Mays Regie wirke das Stück hochaktuell.

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