Schlammland Gewalt - Christina Tscharyiski berichtet im Grazer Schauspielhaus von alten weißen Männern und der Apokalypse à la Ferdinand Schmalz
Testosteron mit Backhendlfett
von Reinhard Kriechbaum
Graz, 28. März 2019. Auf zum Volksfest! Beim Eingang gibt's ein Bändchen ums Handgelenk, ein Fläschchen Bier darf man mitnehmen. Eine Reihe Brauereibänke steht im Geviert um die über und über mit bunten Glühbirnen behängte Spielfläche. Da ist also jeder gleich nah dran am Geschehen, ungefähr so nah wie der Hendlbrater, aus dessen Perspektive Ferdinand Schmalz vom "Schlammland Gewalt" erzählen lässt. Eine Blechblaskapelle sitzt auch da, zumindest eine sechsköpfige Delegation, was auf der kleinen Studiobühne (Haus Drei im Grazer Schauspielhaus) schon was hermacht.
Ausgemalt mit sagenhafter Lust
Mit ihrer Produktion "Ja, eh! Beisl, Bier und Bachmannpreis" auf Texte von Stefanie Sargnagel (uraufgeführt 2017 im Wiener Rabenhoftheater) wurde die junge Regisseurin Christina Tscharyiski für den österreichischen Musiktheaterpreis und den Nestroy-Preis nominiert. Sie wurde damit auch zum Heidelberger Stückemarkt eingeladen. Beim Radikal Jung Festival in München heimste sie den Publikumspreis ein. Dorthin ist sie auch mit ihrer Debüt-Inszenierung am Berliner Ensemble "Revolt. She said. Revolt again. / Mar-a-Lago." von Alice Birch und Marlene Streeruwitz eingeladen.
Vom Bier ist's nicht weit zum Brathendl, und vom Bachmannpreis nicht zu Ferdinand Schmalz (den er 2017 gewonnen hat). Mit Christina Tscharyiski ist in Graz jetzt also eine zugange, die des Volkes wahren Himmel mit sagenhafter Lust auszumalen versteht. Da bleibt's nicht bei Aquarell-Wölkchen, auf Ferdinand Schmalz' Himmel dräuen dunkelste Wolken. Vor den maskulinen Unwetterbericht hat die Regisseurin, die zum ersten Mal in Graz inszeniert, eine Art Feuilleton über die Männlichkeit gestellt, die in "Schlammland Gewalt" seltsamste Blüten treibt. Aus Sophie Passmanns brandaktuellem Buch "Alte weiße Männer. Ein Schlichtungsversuch" hat sie dafür pointierte Aussagen ausgewählt, die dem Publikum erst mal um die Ohren geknallt werden.
Dorfidylle oder Dorfhölle? @ Lupi Spuma / Schauspielhaus Graz
Rasch ist man gut weichgeklopft für die testosteronschwangere Dorf-Apokalypse von Ferdinand Schmalz. Immerhin: "Alte weiße Männer sind Männer", das hört man gern, und so haben beim Volksfest "der Zeiringer" und sein Handlanger, "der Schauersberger", nicht nur das Sagen. Die "Fettgemeinschaftskörper" (Copyright by Ferdinand Schmalz) laufen im Festzelt zur Vollform auf. Schlechte Karten für die patriarchatskritische Sandra, über die sich Zeiringers Sohn Toni hermacht, was wiederum ihm zuletzt schlecht bekommen wird. Bessere Karten hat die frustrierte Schauersbergerin, die immerhin den Kühlwagen des Hendlbraters und diesen selbst mitsamt seinen nackten Hühnerkeulen zum Schaukeln bringen wird...
Leitmotivische Lobgesänge auf Fetttriefendes
Der Hendlbrater: Die Regisseurin setzt Schmalz' Theatermonolog für zwei. In ihren verschmierten Arbeitsschürzen stehen sie da. Als Werktätiger im Hühner-Verarbeitungsgewerbe muss man selbst hart gesotten sein, aber man hat immerhin die Chance "so eine Art Gesamtkunstwerk" zu generieren. Und zum Beobachten bleibt Zeit. Hass, Machtgefühle, Triebe: Der Blick weg von den Grillspießen führt in die dörflichen Abgründe, in die das ganze Festzelt zuletzt von der titelgebenden Schlammlawine gerissen wird.
Das Duo des Grazer Theater-Duetts: Eva Mayer und Clemens-Maria Riegler @ Lupi Spuma / Schauspielhaus Graz
Das schildern Eva Mayer und Clemens Maria Riegler in einer urgewaltigen Doppelconference. Er hat was überlegen Schelmisches an sich. Sie, oft leicht gebückt und mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund, lässt manchmal an Figuren in Bildern des Bauern-Brueghel denken. Wenn die beiden über weite Strecken den Text unisono zitieren, gewinnt die Sache beinah archaische Gewalt, was urkomisch wirkt im Kontrast zu den leitmotivisch angestimmten Lobgesängen aufs fetttriefende Backhendl.
Immer wieder wechselt das Licht, von der Glühbirnen-Buntheit auf mysterisches Magisch-Blau. Dann bekommt es schon seine eigene Bedrohlichkeit, wenn die Lebzeltherzen sich mit Regenwassser vollsaufen. Vieles ist ja Masche in der Dichtkunst von Ferdinand Schmalz, aber auf Tragikomik quasi im Handumdrehen versteht er sich wie wenige.
Schlammland Gewalt
von Ferdinand Schmalz (Österreichische Erstaufführung)
Regie: Christina Tscharyiski, Ausstattung: Sarah Sassen, Dramaturgie: Laura Kohlmaier
Musiker: Franz Eckhart, Daniel Fuchsberger, Reinhold Kogler, Paul Kogler, Bernhard Potzmann, Heinz Rauscher
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Mit: Eva Mayer, Clemens Maria Riegler
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Premiere am 28. März 2019
Dauer: 1 Stunde, keine Pause
www.schauspielhaus-graz.com
Mehr dazu: ein paar Bilder gab es hier im ORF vorab.
Kritikenrundschau
Ferdinand Schmalz' Text stehe dessen bisherigen Werken an Gesellschaftskritik und Sprachgewalt um nichts nach, schreibt Teresa Guggenberger in der Kleinen Zeitung (30.3.2019). "Es ist ein Abend voller Emotionen, geschickter Wortspiele und Lachem, die einem im Hals stecken bleiben."
Margarte Affenzeller schreibt im Wiener Standard (2.4.2019, online 1.4.2019, 19:18 Uhr): Den "immer heißer werdenden Monolog" habe Christina Tscharyiski "ohne Firlefanz" als zweistimmigen, "prononciert agierten Einstünder" inszeniert. Eva Mayer und Clemens Maria Riegler ließen sich in der Arenabühne die Sätze "auf der Zunge zergehen". Dabei könnten ihre "vom Bratenfett glänzenden Gesichter" das Geschehene oft nicht fassen. Tscharyiski gebe dem Text Raum, einzig "weniger Mimikspiel wäre mehr gewesen".
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