Presseschau vom 30. März 2019 – die Berliner Zeitung führt ein großes Gespräch mit der Intendantin des Berliner Gorki-Theater Shermin Langhoff

"Her mit einem neuen deutschen Theater!"

30. März 2019. Shermin Langhoff leitet seit 2013 das Gorki-Theater und ist erst die zweite Berliner Intendantin seit Ruth Berghaus. Im Interview mit Arno Widmann in der Berliner Zeitung (online 29.3.2019, 17:07 Uhr) macht Shermin Langhoff klar, was sie vom deutschen Theater erwartet.

Intendantinnen-Findung

Ihr Ziel sei es nicht gewesen "ein Theater zu leiten". Ans Gorki-Theater sei sie nicht per persönlicher Planung gekommen. Und obwohl der damalige Staatssekretär für Kultur André Schmitz sie beobachtet und bei Personalfragen ins Spiel gebracht habe, sei es dem Senat und dem Regierenden Bürgermeister Wowereit nicht darum gegangen, ihrer Arbeit am Ballhaus Naunynstraße eine größere Bühne zu geben. Armin Petras sei aus seinem Intendanz-Vertrag am Gorki wegen zu geringer Förderung ausgestiegen. Auch der eigentlich als Nachfolger vorgesehene Nicolas Stemann habe aus demselben Grund abgesagt. Sie selbst sei dann nur Intendantin geworden, weil sie "billig" gewesen sei und zur Verfügung gestanden habe. Seither betreibe das Gorki "als einziges Staatstheater in Berlin massive Drittmittelakquise", um sein Programm "anbieten zu können". Bei den laufenden Haushaltsverhandlungen für 2020 und 2021 gehe es jetzt schlicht um die weitere Existenz des Gorki. Das wisse der Kultursenator. "Alternativ" nähme das Leitungsteam des Gorki aber "auch Angebote an "für eine größere Bühne mit mehr Möglichkeiten".

Höhere Weihen, größere Aufgaben?

"Vergessen Sie nicht, ich bin nicht nur Migrantin und Arbeiterkind, sondern auch eine Frau! Die Wahrscheinlichkeit, dass ich trotz großem Erfolg beim Publikum nicht die Karriere eines Herrn Wilms vom Gorki ins Deutsche Theater oder ein anderes großes Haus werde machen können, liegt bei fast 100 Prozent." Helene Weigel und ihre Nachfolgerin Ruth Berghaus seien die letzten Berliner Intendantinnen eines großen Hauses gewesen [was nicht ganz und gar korrekt ist, weil Andrea Breth zwischen 1992 und 1997 Künstlerische Leiterin der Schaubühne war – d. Red] In der DDR, vor bald einem halben Jahrhundert.

Das neue deutsche Theater

Obschon dramatisch unterfinanziert, sei das Gorki "trotzdem zum Role-Model" geworden. Doch könnte das Gorki-Team "mehr sein als Modellprojekt und Nachwuchsförderer in der postmigrantischen Kuschelecke". Das Gorki könne auch "das neue deutsche Theater".

Für die Zukunft besonders des wichtigsten Berliner Staatstheaters, des Deutschen Theaters nach Ulrich Khuon sei es "mehr als wünschenswert", wenn sich die Politik fragen würde, "wie ein deutsches Theater für dieses divers gewordene Deutschland aussehen muss und wie es in Europa und der Welt verortet werden könnte". Das geschehe "derzeit nicht".

Ihr Eindruck, sagt Langhoff, sei es, dass "viele in Politik und Medien" die Arbeit der "Multi-Kulti-Truppe" am Gorki begrüße. Das Gorki sei "dann aber auch genug". Dabei sei das deutsche Theater immer "Zukunftsmusik" gewesen. "Deutsches Theater gab es lange bevor es Deutschland gab". Von Anfang an habe das deutsche Theater darum gestritten, "wie Deutschland aussehen solle". Das Theater habe "die Narrationen" geliefert, "in denen sich die Nation bildete". Diese Narrationen seien viel umfassender gewesen als Bismarcks Reich. "Welches Deutschland wollen wir? Wie soll es in Zukunft aussehen? Diese Fragen sind doch heute wieder aktuell. Darum sollte es gehen."

Es komme doch darauf an, "wessen Geschichten erzählt und gehört werden". "Heimat“ werde zurzeit in "Großbuchstaben an jede Wand der Republik projiziert". Das bedeute aber nicht, dass "man Mitleid oder gar Solidarität empfindet mit den Menschen, die aus ihrer Heimat hinausgebombt wurden".

"Wir müssen es schaffen, die zu werden, die wir sind. Es hat keinen Sinn, werden zu wollen, wer wir einmal waren. Das ist nicht zu schaffen und muss in Mord und Totschlag enden."

(jnm)

 

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