Der Staat greift zu schärfsten Waffen

3. April 2019. Die Thüringer Staatsanwaltschaft in Gera ermittelt seit November 2017 gegen die Künstlergruppe Zentrum für politische Schönheit (ZpS) wegen des Verdachts der "Bildung einer kriminellen Vereinigung" nach Paragraph 129 des Strafgesetzbuches. Das berichten neben anderen Spiegel Online und netzpolitik.org (3.4.2019), unter Bezugnahme auf eine Antwort des Thüringer Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz auf eine Kleine Anfrage des Linken-Landtagsabgeordneten Steffen Dittes.

Der Schnüffelparagraph 129

Der "eigentlich gegen Organisierte Kriminalität im Jahr 1871 eingeführte" Paragraph 129 werde "seit jeher auch benutzt, um gegen politisch missliebige Akteure vorzugehen", erläutert Markus Reuter auf netzpolitik.org. Er gelte deswegen als "Schnüffelparagraf" und stelle den Ermittlungsbehörden ein breites "Arsenal an Ermittlungsmethoden zur Verfügung", unter anderen "Postkontrolle, Telefonüberwachung, langfristige Observation, Einsatz von V-Leuten und verdeckten Ermittlern, Rasterfahndung und der große Lauschangriff", schreibt Reuter im Rückgriff auf Informationen des Berliner Strafverteidiger Peer Stolle.

Björn Höcke als Stichwortgeber?

Das Ermittlungsverfahren gegen das ZpS wurde eine Woche nach Beginn der Aktion "Deine Stele" aufgenommen, in der auf einem Grundstück neben dem Wohnhaus des AfD-Politikers Björn Höcke in Bornhagen/Thüringen ein an das Berliner Holocaust-Mahnmal angelehntes Stelenfeld errichtet wurde, um Höckes Umgang mit dem Holocaust und der deutschen Geschichtsaufarbeitung zu kritisieren. Höcke hatte in Reaktion auf die Aktion das ZpS auf einer Konferenz in Leipzig 2017 selbst als "kriminelle Vereinigung" und "terroristische Vereinigung" bezeichnet.

Stele Patryk Witt ZpSBild von der Aktion "Deine Stele" © Patryk Witt / Zentrum für Politische SchönheitDas ZpS, das regelmäßig mit umstritten Aktionen in Erscheinung tritt (zuletzt etwa "SOKO Chemnitz"), kommentiert die Ermittlungen auf seiner Website wie folgt: "Der Staat packt eine der schärfsten juristischen Waffen – die sich gegen Schwerstkriminelle richtet – gegen das Zentrum und die verfassungsrechtlich garantierte Kunstfreiheit aus. (…) Wenn radikale Kunst kriminalisiert wird, handelt der Staat kriminell." Mit Verweis auf das laufende Verfahren war zuletzt Philipp Ruch, Kopf des ZpS, von einer Konferenz der Bundeszentrale für politische Bildung ausgeladen worden.

Reaktion des Maxim Gorki Theaters Berlin

In einer Presseaussendung reagiert das Berliner Maxim Gorki Theater, das bereits mehrfach Aktionen des ZpS mitproduzierte: Das Landgericht Köln habe schon im vergangen Jahr die ZpS-Aktion als "von der Kunstfreiheit gedeckt" bewertet. "Wir schätzen die Kolleg*innen als kritische, kreative und streitbare Künstler*innen, die gerne auch mal die Grenze des Provokativen austesten." Die Kriminalisierung ihrer Arbeit durch die Staatsanwaltschaft Gera "ist skandalös und macht uns fassungslos".

(spiegel.de / netzpolitik.org / chr)

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