Bedienungsanleitung für eine Revolution - Zur Eröffnung des "Liminale"-Festivals am Z-Bau in Nürnberg gibt das Zentrum für politische Schönheit eine Schulung
Im Revoluzzer-Kolleg
von Christian Muggenthaler
Nürnberg, 3. April 2019. Das Publikum dürfe sich durchaus bewusst sein, es an diesem Abend mit Kriminellen zu tun zu haben, hieß es süffisant bei der Begrüßung zum Eröffnungsabend der Liminale, einem mehrtägigen Treffen freier Theatergruppen im Nürnberger Z-Bau. Denn diese Eröffnung wurde vom Zentrum für politische Schönheit gestaltet, und gerade war der Öffentlichkeit und der Künstlergruppe bekannt geworden, dass gegen das Zentrum seit 16 Monaten wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt wird.
Man muss nicht unbedingt jede Aktion dieser Gruppe grandios finden, aber dass die Gegenwehr gegen den hasserfüllten Rechtsdrall im Land mit staatlichem Autoritarismus kriminalisiert wird, gibt zu denken und bestätigt letztlich im Umkehrschluss die unbedingte Notwendigkeit ihres "aggressiven Humanismus", wie das Projekt vom Zentrum für politische Schönheit selbst genannt wird.
Happening für Demokraten
Nun also diese Eröffnung, angeleitet von mehreren Mitgliedern des Zentrums (Philipp Ruch war nicht zu entdecken): eine Art Mitmach-Happening als Proseminar rebellischer Haltung, als "Bedienungsanleitung für eine Revolution", wobei diese Haltung vor allem als Verteidigungslinie der Demokratie gedacht ist. Es geht um eine eher abstrakte Selbstertüchtigung zum bürgerlichen Engagement (wofür auch immer). Der Begriff "Revolution" wird bewusst offengehalten.
"Agressiver Humanismus" ganz friedlich: der Zentrums-Workshop in Nürnberg © Zentrum für politische Schönheit
Der Haupttenor des Abends, der eine Art Mut- und Muntermacher zum Miteinander sein sollte, richtete sich gegen allfällige Ohnmachtsgefühle, und vielleicht ist es insofern sogar ein interessantes Zeichen, wenn von der seltsamen Geraer Staatsanwaltschaft Kunst als Waffe begriffen wird. Stimmt schon: als Waffe des Pluralismus, des Humanismus und des Austauschs. Im Festivalprogrammheft spricht Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD) vom Theater als "Ermöglichungsraum", und so kam das kleine, friedliche Revoluzzer-Kolleg nicht als Theaterstück mit Bühnenzauber daher, sondern als Prozess einer kollektiven Bewusstwerdung: Besser als Gleichgültigkeit ist Verzweiflung, besser als Verzweiflung ist der Glaube an die eigenen Kräfte.
Kein Ho-Chi-Minh-Pfad zur inneren Erleuchtung
Alles Glaubenssache also. Kriminell ist da gar nix. An der Oberfläche kam der – durchaus auch mal langatmige – Abend daher als eine Mischung aus Kindergeburtstag und Selbstfindungspädagogik: Mit den üblichen selbst beschrifteten Zetteln an der Wand, denen wie gewöhnlich so auch hier gleich danach nie wieder Beachtung geschenkt wurde, einer Meditationsübung, Impulsreferaten zum Schärfen der Sinne für bürgerschaftliches Engagement und gegenseitiges Interviewen der – zumeist sehr jungen – Gäste über ihre Stärken und Schwächen.
Impulsreferate: zum Schärfen der Sinne © Zentrum für politische Schönheit
Nichts Sensationelles also und kein Ho-Chi-Minh-Pfad zur inneren Erleuchtung, aber eben doch von einiger Notwendigkeit: Nicht was man tut, sondern dass man etwas tut heißt die Devise gegen besagte Ohnmachtsgefühle; darauf arbeitet der gut organisierte Abend hin.
Und weil auf die Theorie am besten gleich die Praxis folgt, ging's anschließend hinaus zum Demonstrieren. Beziehungsweise: Erst mal eine rauchen… Mit diversen Bussen wurden die Kursteilehmer danach zum nahe gelegenen Nürnberger Reichsparteitagsgelände gekarrt. Und das deshalb, weil dort unlängst ein Fackelzug von Neonazis stattgefunden hatte; jetzt standen da die Eröffnungsgäste und hielten der Fackelsymbolik buntschillernde Knicklichter entgegen. Und was ist nach so einer "Bedienungsanleitung für eine Revolution" geplant? Auch hier eine klare Ansage: "Saufen!"
Das Liminale-Festival der Freien Theater am Z-Bau in Nürnberg läuft vom 3. bis 6. April 2019.
www.z-bau.com
www.politicalbeauty.de
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