Verlasst eure Männer! Werdet Lesben!

von Sophie Diesselhorst

Berlin, 11. April 2019. Kreisch! So lange ist das schon her! 1971 – fast 50 Jahre. Da fand in New York eine Diskussionsveranstaltung mit dem Titel "A Dialogue on Womens's Liberation" statt, auf dem Podium die feministischen Publizistinnen Germaine Greer, Diane Trilling und Jill Johnston, und als Moderator der "amerikanische Schriftsteller und Macho" Norman Mailer – so wird er von Scott Sheperd von der Wooster Group vorgestellt, die die Veranstaltung in ihrer beim FIND gastierenden Produktion von 2017 "The Town Hall Affair" reenacten. Beziehungsweise: den Film "Town Bloody Hall" (1979), der sie dokumentiert.

Feminismus: a burning issue, damals wie heute. Aber fast könnte man auf den Gedanken kommen, die Wooster Group wolle die von #MeToo angestoßene aktuelle Geschlechtergerechtigkeits-Debatte ausbremsen, so zielsicher steuert ihre "Town Hall Affair" auf die Erkenntnis zu, dass alles, was der heutigen Debatte Momentum gibt, alte Hüte sind. Dass alles schon mal gesagt worden ist, und zwar eigentlich radikaler, sexier.

Geplante Provokation

Sexy wie die "Village Voice"-Kolumnistin Jill Johnston, deren Bericht über den "Dialogue on Women's Liberation" aus ihrem Buch "Lesbian Nation" das Film-Reenactment hier rahmt. Sie wird gespielt, nein: imitiert von Kate Valk im Seventies-Look mit Schlaghose und Sonnenbrille. Ihr gehört gleich der Anfangs-Monolog, in dem sie beschreibt, wie sie ihren Auftritt bei der Diskussionsveranstaltung als Provokation geplant hat – die Veranstaltung mit Mailer, dem Autor des feminismuskritischen Buchs "The prisoner of sex", war umstritten, andere Feministinnen wie Kate Millett hatten die Einladung aufs Panel abgelehnt.

FIND19 Town Hall Affair 560 SteveGunther uDie Wooster Groop zeigen ihr Reenactment von "The Town Hall Affair" © Steve Gunther

Johnston beschloss die Veranstaltung zu kapern mit einem flammenden Plädoyer an alle Frauen, den Männern ganz abzuschwören und Lesben zu werden. Mailer schneidet ihr das Wort ab, aber da hat sie den Saal schon gehörig aufgerührt. Ihr gehört dann auch der kleine Schrei der Ungläubigkeit, bevor in "The Town Hall Affair" zum Schluss das Licht ausgeht: der einzige heutige Moment. Er markiert den Schock darüber, dass die Debatte nicht schon viel weiter ist, sich nicht schon viel mehr verändert hat. Drehen wir uns im Kreis, gehen wir in alte Fallen? Aber diese Skepsis bekommt keinen Raum, denn die Wooster Group ist so verliebt in ihre hypernaturalistische Darstellung der Kombattant*innen, dass ihnen der Gegenstand aus dem Blick gerät. Das Publikum kann die Darsteller*innen an ihren Originalen im Film messen, der auf einem Bildschirm mitläuft. "The Town Hall Affair" lebt von ihrer Faszination für ihre echten! Figuren, allen voran Jill Johnston – aber auch Norman Mailer und wie er die eloquenten Frauen qua Moderatoren-, also Spielmacher-Macht in Grund und Boden quatscht.

Humorlose Feministinnen?

In einem durchaus kunstvollen Exkurs demonstriert die Wooster Group postdramatische Fitness: Parallel zum Debatten-Film-Reenactment verdoppelt Mailer sich als Hauptdarsteller seines Films "Maidstone" und ist plötzlich vierfach auf der Bühne vertreten – zweimal im Film-Bild, zweimal im Theater-Nachspiel des Film-Bilds (Scott Sheperd, Ari Fliakos). Ganz bestimmt ist das gedacht als atmosphärische Verstärkung seiner Figur des prototypischen Chauvi, der die Frauenbewegung mit dem Argument nivellieren will, dass "die menschliche Natur quälende Widersprüche bekämpft" und dass die Feministinnen ganz einfach nicht genug Humor hätten, diese Tatsache anzuerkennen. Aber im Endeffekt lassen die Performer*innen sich vor allem von Mailers Duktus faszinieren, die Suche nach einer eigenen Haltung zum Inhalt seiner Salven fällt unter den Tisch. Das Gleiche gilt für Johnston. Spannend wäre gewesen, was nach Kate Valks heutigem Schluss-Schrei gekommen wäre.

FIND19 Popular Mechanics 560 LuoChuhui u"Popular Mechanics" von Zhuang Jiayun und Li Jianjun © Luo Chuhui

Authentizitätsfixiert ist auch die chinesische Dokumentartheaterproduktion "Popular Mechanics" der New Youth Group von Zhuang Jiayun (Konzept, Text) und Li Jianjun (Regie), die erste chinesische Produktion beim FIND Festival der Schaubühne. Hier wird das Theater als Medium selbstbestimmter Selbstdarstellung genutzt: 13 Darsteller*innen, einige von ihnen Laien, spielen hintereinander weg je eine Wunsch-Szene aus dem chinesischen und internationalen Theater- und Filmrepertoire und finden dafür unterschiedliche Formen: Ein studierter Tänzer lässt seinen Körper als Rosenkranz und Güldenstern aus Shakespeares "Hamlet" sprechen, indem er zum Playback mit dem Mikro seinen nackten Körper abtastet und nach den Stellen sucht, wo der Text austritt. Eine Rentnerin singt eine Arie aus einer Peking-Oper, in der sie als 14-jährige eine Hauptrolle gespielt hat. Am anschlussfähigsten fürs Gastspiel-Publikum ist der Unternehmer und Pokerspieler Cui Wei, der als Lopachin aus Tschechows "Kirschgarten" über die leere Bühne tigert, und – implizit – die Angst des kriselnden Europa vor der neuen Großmacht China heraufbeschwört.

Aber dann klingelt wieder der Wecker für die nächste Szene, und über interessante Ansätze und schöne Momente kommt "Popular Mechanics" nicht hinaus, bremst sich selbst aus mit seiner repetitiven Form. Jede*r bekommt seine five minutes of fame, aber es ergibt sich keine größere Erzählung – zumindest nicht in Unkenntnis der vielen Szenen-Vorlagen, die möglicherweise für ein chinesisches Publikum eine eigene Geschichte erzählen über einen kulturellen Kanon, oder damit gerade brechen.

 

The Town Hall Affair
von The Wooster Group
Nach dem Film "Town Bloody Hall" von Chris Hegedus und D.A. Pennebaker
Regie: Elizabeth LeCompte, Licht: Jennifer Tipton, Ryan Seelig, David Sexton, Audiogestaltung: Eric Sluyter, Gareth Hobbs, Video und Projektionen: Robert Wuss, Wladimiro Woyno, Zusätzliches Video: Zbigniew Bzymek, Kostüme: Enver Chakartash, Dramaturgie: Matthew Dipple, Inspizienz: Erin Mullin, Technische Leitung: Jacob Bigelow, Produktionsmanagement: Bona Lee.
Mit: Enver Chakartash, Ari Fliakos, Greg Mehrten, Erin Mullin, Scott Shepherd, Maura Tierney, Kate Valk.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

 

Popular Mechanics
Text/Kurator: Zhuang Jiayun, Regie: Li Jianjun, Bühne: Hu Yanjun, Yang Cheng, Licht: Chen Xiaji, Liu Hengzhi, Video: Liu Tang, Mitarbeit Regie: Yang Mingchen, Xiao Jing, Dramaturgie: Hong Tianyi, Huang Bing, Film: Luo Chuhui, Sounddesign: Xu Bo, Inspizienz: Gao Jing, Produzent: Wang Qingyang.Mit: Cui Wei, He Yanpeng, Jiang Hongna, Li Chenchuan, Li Dechi, Li Zhuo, Liu Xueli, Ma Jiandong, Meng Jin, Shan Wancheng, Sun Yuexing, Zhang Shu, Henri Li/Mia Yilin Wang.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.schaubuehne.de

 

Mehr dazu: Auf Deutschlandfunk Kultur sprechen Mitglieder der Wooster Group über "The Town Hall Affair".

Kritikenrundschau

Dem Abend der Wooster Group widmet Patrick Wildermann vom Tagesspiegel (12.4.2019) eine lange positive Besprechung. In den Zeiten der Präsidentschaft von Donald Trump "hat sich die Debattenkultur bekanntlich derart zersetzt, dass dieses Reenactment der frühen Siebziger einen ungeahnten Resonanzraum aufmacht. Nicht nur, weil die feministischen Positionen (besonders von Germaine Greer) kein bisschen retro wirken. Sondern weil mit neuer Dringlichkeit auch der Appell an Solidarität zwischen den Diskriminierten durchklingt (...)."

 

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