Othello, alter weißer Mann

von Falk Schreiber

Berlin, 14. April 2019. Nackt und blutig steht Ingo Hülsmanns Othello an der Rampe. Ein Typ, der dampft vor Gewalt und Männlichkeit. Auch seine Frau Desdemona (Sina Martens) ist nackt, aber nicht blutig, sondern milchfeucht, und die Umarmung zwischen ihr und Othello ist entsprechend eine Weißwaschung. Was zunächst eine kluge Idee ist, auch wenn sie optisch nur ein paar halbspannende Softsex-Bilder hergibt.

Verschwundene Farbe

Bloß: Gereinigt wird der Feldherr Othello erstmal nur vom Blut, was nicht wirklich schlüssig ist, weil die Gewalt Shakespeares Tragödie bis zum Ende prägt, das Blutige also nie ganz in den Hintergrund tritt. Aber vielleicht denkt Michael Thalheimers Inszenierung am Berliner Ensemble ja noch eine Ecke weiter, und die Tatsache, dass die Sex-Reinigung des frischvermählten Paares eine eher oberflächliche bleibt, ist Hinweis darauf, dass die Geschichte nicht gut ausgehen wird. Vielleicht.

Othello 1 560 Katrin Ribbe uBlutige Liebe: Ingo Hülsmann und Sina Martens © Katrin Ribbe

Auch die wahrscheinlich originellsten "Othello"-Deutung der vergangenen Jahre, bei Stefan Pucher 2004 am Hamburger Schauspielhaus, hatte eine Reinigungsszene: Alexander Scheers Othello duschte da ausgiebig und wusch sich so seine schwarze Hautfarbe ab. Bei Thalheimer, vierzehneinhalb Jahre später, gibt es natürlich kein Blackfacing mehr: Othello ist hier nicht schwarz, zumindest verschwindet seine Hautfarbe unter soviel Maskenschichten, dass sie schlicht unsichtbar wird. Verloren geht dabei allerdings die 400 Jahre alte Geschichte über Rassismus, die "Othello" bei Shakespeare eben auch ist.

Zwar behauptet der von Peter Moltzen als fieses Milchgesicht gezeichnete Jago, dass er "den Mohren" hasse, zwar fallen ein paar eklige Kommentare über den Sex zwischen schwarzem Bock und weißem Lämmchen, zwar thematisiert das Programmheft mit Texten von Achille Mbembe, Slavoj Žižek und Frantz Fanon ausführlich das Rassismusthema (und kommt dann zu dem Schluss, dass Political Correctness und Identity Politics einer Erkenntnis eher im Weg stehen – Dramaturg Bernd Stegemann macht ja auch sonst mit solchen Thesen von sich reden). So ist Rassismus hier keine Kategorie, die die Figuren irgendwie motiviert oder antreibt.

Schnarrende Stimme, kantiges Kinn

Woran Othello am Ende scheitert (und womit Jago ihn erfolgreich zu packen versteht), hat nichts zu tun mit Hautfarbe, sondern nur mit Testosteron: Othello ist am Berliner Ensemble ein Typ, der immer das Heft in der Hand behalten muss, und den seine forcierte Souveränität immer tiefer in die Irrationalität treibt. Othello ist, wie gesagt, ein Typ, der dampft vor Gewalt und Männlichkeit, ein Typ, der durchdrungen ist von soldatischer Disziplin. Anders ausgedrückt, ist Othello ein alter, weißer Mann, der die Vorstellung nicht aushält, dass seine Frau mit einem anderen schläft (und dann auch noch mit einem eher weichen Typen, wie Nico Holonics’ Cassio einer ist).

Othello 2 560 Katrin Ribbe uDas kann nur ungut enden: Peter Moltzen und Ensemble © Katrin Ribbe

Das ist als Idee nicht uninteressant, führt auf der Bühne allerdings zu einem Kraftmeiertheater, das über knapp zwei Stunden zunehmend öde wirkt. Hülsmann hebt sein kantiges Kinn, Hülsmann präsentiert seine Muskeln, Hülsmann schnarrt mit der Stimme, Hülsmann kann vor Kraft kaum gehen. Und Martens' Desdemona ist derweil reines Begehren, das nichts anderes macht als dem Gatten entgegenzuzüngeln, ein hechelndes Hündchen, das von den das Drama orchestrierenden Männern beliebig auf Olaf Altmanns funktional-spartanischer Drehbühne hin- und hergeschoben wird. Bert Wredes wuchtiger Schlagzeugscore derweil wummert jedem, der es bis jetzt noch nicht verstanden hat, ins Hirn, dass Zwischentöne in diesem Abend nichts verloren haben. Puh.

Welt ohne Hoffnung

Einzige Irritation ist der böse Humor, der sich manchmal in die Inszenierung einschreibt. Mit der grotesken Clownerie Jagos, mit dem bodenständigen Berlinertum seiner Frau Emilia (Kathrin Wehlisch, der freilich bald final das Wort abgeschnitten wird), schließlich mit Othellos Kontrollverlust, als die Eifersucht sich als epileptischer Anfall in seinen Körper schleicht – und dass der Text an dieser Stelle in wirres Lallen übergeht, ist dann schon nicht mehr lustig, sondern vielmehr diskriminierend, aber da nimmt es Thalheimer nicht so genau.

Die Männer sind böse Intriganten, die Frauen willenlose Opfer, und am Ende gibt es keine Hoffnung mehr: "Othello" ist ein typischer Thalheimer (und tatsächlich hat sich der Regisseur schon einmal mit dem Stoff auseinandergesetzt – 2016 inszenierte er Verdis Oper "Otello" nach Shakespeare in Antwerpen, eine Inszenierung, die später auch an der Oper am Rhein in Düsseldorf und Duisburg zu sehen war). Heißt: Es gibt eine klare ästhetische wie inhaltliche Setzung, es wird alles eliminiert, was dieser Setzung im Wege stehen könnte, das Stück ist konsequent gebaut und gleichzeitig nicht so hermetisch, dass es eine Kontroverse nicht zulassen würde.

Und doch wirkt der Abend am Ende zu kalkuliert, als dass einen der Niedergang dieser Welt wirklich zu interessieren wüsste. Und das ist ein wenig schade, weil: Der Niedergang der Welt der alten, weißen Männer und die damit einhergehenden Verwerfungen sind ja nun mal ein Thema der Stunde.

 

Othello
von William Shakespeare
Deutsch von Werner Buhss
Regie: Michael Thalheimer, Bühne: Olaf Altmann, Kostüm: Nehle Balkhausen, Musik: Bert Wrede, Musiker: Ludwig Wandinger und Johann Gottschling, Choreinstudierung: Marcus Crome, Dramaturgie: Bernd Stegemann.
Mit: Ingo Hülsmann, Sina Martens, Peter Moltzen, Kathrin Wehlisch, Nico Holonics
Premiere am 13. April 2019
Dauer: 1 Stunde 55 Minuten, keine Pause

www.berliner-ensemble.de



Kritikenrundschau

Michael Thalheimers "Othello"-Deutung kreise um "Sexualität und Todestrieb", teilt Ullrich Seidler in der Berliner Zeitung (online 14.4.2019) mit. "Irgendwann kriegt man das Bild nicht mehr aus dem Kopf: Der rote Macho ragt als dauererigierter Brüllpenis in die Finsternis der leeren Bühne (…), die weiße Frau fliegt ihm als eine personifizierte Wonnevulva zu, aus der es gierig züngelt. Gespuckt wird auch viel."

"(A)uch dieser Shakespeare von Michael Thalheimer setzt auf Triebsteuerung und ist auf Krawall gebürstet", berichtet Nadine Kreuzahler für rbb 24 (14.4.2019). "Die Männer sind spuckende, brüllende, sich auf die Brust klopfende Testosteronkeulen, bemitleidenswert im Grunde genommen. Ein Auslaufmodell, verzweifelt gegen den Untergang ankämpfend. Daraus hätte man mehr machen können. Nur bleibt am Ende bei Thalheimer vor allem Geschrei und Gespucke übrig."

Über einen "gewalttätig vor sich hin stampfenden Abend" schreibt Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung (15.4.2019). Es gäbe "keinerlei Spannung, null Perspektivwechsel. Szenen von Zweifel, Skrupel oder gar Selbstreflexion über die eigenen Zwänge sind kategorisch ausgeschlossen. Das erste Bild einer von rassistischen und egoistischen Minimalzielen bewegten Gesellschaft wird einfach erfüllt mit Wucht und Lautstärke."

Thalheimer nehme "eine deutliche Akzentverschiebung" weg vom Rassismus-Thema "hin zum Militärischen" vor, "und zwar als Männlichkeitszuschreibung par excellence", erläutert Christine Wahl im Tagesspiegel (15.4.2019). Er erzähle das Stück "als Männlichkeitstragödie; als Rachedrama des zurückgesetzten Beta-Mannes am erfolgreichen Alpha-Male". Der "betamännliche Vernichtungsangriff auf den Alpha-Mann" münde in "genüsslich ausgekosteten Brüllorgien über feldherrisches Mansplaining bis hin zu sehr großzügig ausgelegten Rampen-Redezeiten".

Vor al­lem vom En­de her gesehen bleibe von diesem Abend "nur leid­li­ches Zit­tern und vor­ge­täusch­tes Wür­gen", so Simon Strauß in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (23.4.2019). Ent­täu­schend sei die Über­sicht­lich­keit: "Von Be­ginn an ist hier schon al­les klar, das Blut strömt, die Män­ner­hand legt sich um den Frau­en­hals, Ja­go blin­zelt, Cas­sio wim­mert." Da­zu komme die am­bi­ti­ons­lo­se Über­set­zung von Wer­ner Buhss. Dabei sei Hüls­manns Spiel mit den Hän­den wirkungsvoll, und der Mo­ment gräss­lichs­ter Er­nied­ri­gung durch Jago bleibe im Ge­dächt­nis.

 

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