Bis sich die Welt endlich richtig herum dreht

von Christian Muggenthaler

Regensburg, 13. April 2019. Das Bild ist bekannt von deutschen Autobahnen: die Tiertransporter, in denen jedes Lebewesen nur ein kleines Kästchen Raum hat. Darin sitzen Kreaturen, die zum ersten und einzigen Mal in ihrem Dasein die Sensation der Frischluft erleben, bevor's ins Schlachthaus geht. Diese Kästchen prägen neben einer Ladung Stroh auch das Bühnenbild (von Valentin Baumeister) in dem Theaterstück "Die letzte Sau", das Regisseurin Julia Prechsl für das Theater Regensburg aus dem Drehbuch des gleichnamigen Films entwickelt hat.

Etwas ist falsch in dieser Welt

Sie verlegt den Handlungsbeginn nach Bayern, wo die Massentierhaltung in manchen Landstrichen schon längst katastrophale Zustände angenommen hat: Der Zwang zur permanenten Expansion von agrarindustriellen Betrieben bedroht Gesundheit und Grundwasser, zieht Lohndumping nach sich und den Verlust jeglicher Achtung vor dem Leben.

Letzte Sau 1 560 Martin Kaufhold uDie Schweinehaltung-Bühne von Valentin Baumeister mit Franziska Sörensen, Gerhard Hermann, Thomas Weber, Verena Maria Bauer, Jonas Hackmann © Martin Kaufhold

"So geht's nicht weiter", wäre also eine nahe liegende Losung. Der Jungbauer Huber, dessen Betrieb viel zu klein ist, um noch konkurrenzfähig zu sein, wird vom Unheil getroffen, zwangsgepfändet, zündet den eigenen Hof an und macht sich auf eine Reise quer durch Deutschland, begleitet von der letzten Sau, die ihm noch geblieben ist. Er macht sich die Losung zu eigen, wird zum Kohlhaas der Tierbefreiung, redet nicht viel, weil er halt ein Bayer ist, schafft aber mit Radikalität und Schießgewehr neue Realitäten, verfolgt von der Polizei, anderen Anarchisten und Aktivisten begegnend, zugleich immer auf der Suche nach seiner großen Liebe Birgit. Dazu erklingen immer wieder Lieder von Ton, Steine, Scherben aus ihrer Keine Macht für Niemand-Zeit, Posaunist Florian Burgmayr und Schlagzeuger Fiete Wachholtz begleiten live die Handlung.

Volkstheater mit rebellischem Elan

Und tatsächlich hat die junge Regisseurin Julia Prechsl keinerlei Scheu davor, die Agit-Prop-Ästhetik der 70er Jahre zu zitieren, mit chorischem Sprechen beispielsweise, einer sehr eindeutigen Ansprache ans Publikum, mit dem rebellischen Geist und Elan derjenigen, die "So geht's nicht weiter" sagen. Am Anfang kriechen die Schauspieler aus den Kästchen ins Stroh, und eine krachbairische Viecherei beginnt, die sich schnell als wunderbares Beispiel für zeitgenössisches Dialekt-Volkstheater entwickelt, wo's auch ums Saufen geht, um Kraft und Gewalt und um die subversive Kraft der Körperausscheidungen, ebenfalls ganz im Sinn der 70er: Sperr, Kroetz, Achternbusch. Die Regie zieht nie zurück, und das lohnt ihr eine Geschichte, die voll Emotionalität und Elan ohne größere Grübelei direkt in die Herzen, Hirne und Mägen der Zuschauer fährt.

Letzte Sau 3 560 Martin KaufholdSchweinebefreiung: Verena Maria Bauer, Jonas Hackmann, Thomas Weber, Gerhard Hermann  © Martin KaufholdKomik, Tragik und ganz viel Liebe: Volkstheater ist, wenn die Handlung große Politik auf die kleinen Leute runterbricht; hier geschieht das beispielhaft. Prechsl nutzt dazu eine permanente Dynamik zwischen laut und leise, zwischen intim und nach draußen gehend, zwischen quick und behutsam; auch der revolutionäre Gestus wird immer wieder ironisch gebrochen, wenn er allzu pathetisch zu werden droht. Diese Dynamik unterstützen die Spieler mit einem permanentem Wechsel von oft schön verspielten Kostümen (von Olivia Rosendorfer) und Rollen: Da wird Gerhard Hermann vom Schlachter zur Sau, Verena Maria Bauer von der empathischen Geliebten zur herzlosen Bankangestellten, Thomas Weber vom friedlichen Imker zum wütenden Aktivisten und Franziska Sörensen von der bairischen Dorfbäuerin zur brandenburgischen Widerständlerin. Und dazu sprechen sie allesamt schönsten Dialekt: Weil genau das nämlich auch schon Widerstand sein kann.

Is eh ois a Scheißdreck

Der Held in diesem Widerstands-Märchen ist Bauer Huber, in Regensburg prächtig verkörpert von Jonas Hackmann, der sich tatsächlich die Seele aus dem Leib spielt und in dessen Körper die ganze Dynamik der Inszenierung drinsteckt; er schuftet, spuckt und schwitzt, von Beginn an wie besessen von Wut und Liebe zugleich. Zuletzt zeigt sich, dass auch besinnungslose Rebellion allein nichts bringt, Zuneigung schon viel mehr. Eine gemeinsame Zigarette führt zur schlussendlichen fast zärtlichen Erkenntnis, dass eh "ois a Scheißdreck" ist. Aber weitermachen muss trotzdem sein.

 

Die letzte Sau
Nach dem gleichnamigen Drehbuch von Stephan Irmscher und Aron Lehmann für die Bühne adaptiert von Julia Prechsl
Regie: Julia Prechsl, Bühne: Valentin Baumeister, Kostüme: Olivia Rosendorfer, Live-Musik: Florian Burgmayr, Fiete Wachholtz, Licht: Wanja Ostrower, Dramaturgie: Saskia Zinsser-Krys.
Mit: Jonas Hackmann, Gerhard Hermann, Verena Maria Bauer, Thomas Weber, Franziska Sörensen.
Premiere am 13. April 2019
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.theater-regensburg.de

 

Kritikenrundschau

"Eine gelungene Adaption des gleichnamigen Films" hat Andreas Wenleder erlebt, wie er im Bayrischen Rundfunk berichtet (14.4.2019). "Durch die vielen lebendig-hektischen Szenen kommt auch auf der kleinen Bühne des Theaters am Haidplatz durchgängig ein bewegendes Roadmovie-Gefühl auf." Das Stück erzähle vom tief sitzenden Wunsch nach ein wenig Anarchie im Leben. "Dass harte Themen wie Tierwohl, Braunkohleabbau und industrielle Landwirtschaft nur sehr oberflächlich und stereotyp behandelt werden, fällt deshalb auch nicht ins Gewicht. Bei einer rasant erzählten Handlung ist Schwarz-Weiß-Denken vorherzusehen. Andererseits: eine Revolution wie die des Bauern Huber lässt sich wohl mit leisen Zwischentönen kaum gewinnen."

Die filmische Möglichkeit der Darstellung ersetze Regisseurin Julia Prechsl mit der Allzweckwaffe der Bühne: "Das Ensemble formiert sich in unerbittlichem Stakkato-Bericht zum Chor und treibt das Publikum von Szene zu Szene", schreibt Wolfgang Spornraft in der Mittelbayerischen Zeitung (15.4.2019). Was die Inszenierung glätte, sei das Spiel der Darsteller, "die auch einschlägig moralische Kost schlucken lassen". Die schauspielerischen Details seien es auch, für die man knapp zwei Stunden gerne stillsitze.

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