Wie auf der Titanic

von Andrea Heinz

Wien, 16. April 2019. Demnächst startet das Theatertreffen in Berlin. Und während draußen die Kinder für ihre (und unsere) Zukunft demonstrieren, fragt man sich, wie viele Flugmeilen eigentlich so ein Theaterfestival verbraucht. Überhaupt besteigen Journalist*innen, Jury-Mitglieder, Dramaturg*innen, Regisseur*innen .... ja mit größter Selbstverständlichkeit und quasi in einer Tour irgendwelche Flugzeuge. Weil es halt wichtig ist. Weil man unbedingt was sehen muss. Weil Eddie Redmayne in München sitzt und der Filmverleih es eh zahlt. Es ist ein bisschen wie mit dem Orchester der Titanic: immer weiterspielen. Der Klimawandel? Um den kümmern sich ja eh schon die Anderen.

19 NAC Kolumne Heinz 2PIn vorbildlichen Schweden gab es bereits 2017 eine Debatte über den fliegenden Kultur-Zirkus: Malena Ernman, Mutter von Greta Thunberg und überaus erfolgreiche Opernsängerin, veröffentlichte gemeinsam mit ihrem Mann, dem Schauspieler Svante Thunberg, und sechs weiteren Künstler*innen, Forscher*innen und Sportler*innen einen Beitrag in der Tageszeitung Dagens Nyheter. Darin verkündeten sie, dass sie, nicht zuletzt als Antwort auf Donald Trumps Ausstieg aus dem Pariser Klima-Abkommen, künftig nicht mehr fliegen würden. Auch, weil sie sich nicht selber unglaubwürdig machen wollten. Sprich: öffentlich als Klima-Aktivist*innen auftreten, aber privat Bonusmeilen sammeln.

Flygskam = man schämt sich, wenn man fliegt

In ihrem Buch "Scener ur hjärtat" (erscheint Anfang Mai auch in deutscher Übersetzung) erzählt Ernman auch von den Sorgen, die ihr diese Entscheidung bereitet hat. Für eine Opernsängerin ist Mobilität ja durchaus ein karriererelevanter Aspekt – zumal, wenn sie in Schweden, also quasi am Arsch von Europa lebt. Sie setzt diese Sorgen aber auch in Relation: Der ewige Menschheitstraum würde tatsächlich wahr, etwas wird uns überleben. Jedoch weniger unsere Kunstwerke als das Kohlendioxid, das wir in die Atmosphäre geblasen haben. Sie und ihre Familie jedenfalls haben sich dazu entschieden, auf das Fliegen zu verzichten. Mittlerweile gibt es sogar ein neues Wort im Schwedischen: flygskam. Man schämt sich, wenn man fliegt.

Mit dem (Be-)Schämen alleine ist noch nichts erreicht. Es ist aber eine Taktik, die ja auch auf der Bühne gerne verfolgt wird: sich hinstellen und von der vermeintlich richtigen Seite aus mit dem Finger auf die falsche zeigen. Dabei wäre das Theater eigentlich ein wichtiger Ort für die Auseinandersetzung mit dem Klimawandel – und vor allem unserem Umgang damit. Weil es die Möglichkeit hat rumzuprobieren, spielerisch und kreativ neue Wege zu finden. Und damit die Macht, den öffentlichen Diskurs nicht nur zu spiegeln, sondern auch zu beeinflussen. Bei anderen gesellschaftspolitischen Fragen, etwa wenn es um Flucht, Migration oder den Wert von Demokratie geht, hat es sich längst und oft deutlich positioniert. Was den Klimawandel betrifft, steht das noch aus.

Was ist meine / was ist unsere Aufgabe?

Es gibt zwei Seiten, auf denen das Theater dem Thema begegnen könnte. Da wäre zum einen die Reflexion des eigenen Handelns: Wie können Theater und Festivals klimaneutraler wirtschaften? Man braucht ja aus dem Fliegen keinen Fetisch machen – aber ist echt jeder Flug nötig? Den Theatertreffen-Juror*innen wird das Nutzen der Bahn zumindest nahegelegt. Aber gibt es Möglichkeiten, das noch stärker zu fördern?

Zum anderen könnte das Theater stärker als bisher inhaltliche Fragen stellen wie: In welchem Verhältnis stehen Klimaschutz und Internationalität? Wie verhindern wir etwa, dass die Umwelt als Argument für Eurozentrismus oder Nationalismus benutzt wird? Das Bestehen auf Eigenverantwortung kann schnell dazu führen, dass sich ein sozialer Zwang zur Selbstoptimierung entwickelt, der*m Einzelnen Verantwortung übertragen wird, die eigentlich eine politische wäre. Darüber sollte man reden. Und genau das kann das Theater, sei es in der Auswahl seiner Stücke, in Formaten wie der Offenen Burg oder dem für alle offen stehenden Jungen Volkstheater, in Diskussionsveranstaltungen, aber auch im Setzen und Kommunizieren eigener Maßnahmen: immer wieder das Verhältnis zwischen dem eigenen Handlungsspielraum und der Notwendigkeit politischer Lösungen klären und befragen. Oder, ganz simpel gesagt: Die Leute zum Reden bringen, zum Nachdenken. Der Anlass ist gegeben – erst recht für eine Branche, die so sehr das Neue, das Aktuelle, das Dringliche sucht. Dringlicher als der Klimawandel geht's gerade kaum.

Andrea Heinz wuchs im bayrischen Grenzgebiet mit österreichischem Kinderfernsehen auf und weiß, dass Grenzen fließend sind. Sie lebt als freie Autorin (seit 2017 auch für nachtkritik.de) und Literaturwissenschaftlerin in Wien und pendelt zwischendurch nach Bayern und Hamburg (wo sie trotz ihres respektablen Hochdeutsches stur für eine Ausländerin gehalten wird). Am Herzen liegen ihr diese Orte gleichermaßen.

 

In ihrer letzten Kolumne wünschte Andrea Heinz sich und Österreich einen mutigen Burgtheater-Intendanten.

 

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